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SWR3 Gedanken

„Wir können uns das nicht mehr leisten, mit herkömmlichen Glühbirnen unsre Zimmer zu beleuchten!“ Ich war zuerst etwas erschrocken über diesen Satz aus Politikermund. Klingt kategorisch. Und rigoros. »Der Standort Europa kann sich eigentlich keine Produkte mehr leisten, die wie herkömmliche Glühbirnen einen Effizienzgrad von nur fünf Prozent aufweisen.« Bundesumweltminister Gabriel schlug vor, über die Richtlinie für das Ökodesign entsprechende europaweite Standards vorzuschreiben. Dafür bezieht er Schelte. Wie ärgerlich!
Denn Studien zufolge könnten etwa 25 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr vermieden werden, wenn die herkömmlichen Glühbirnen durch die Energiesparlampen ersetzt würden. Australien ist da übrigens schon einen weiter als wir.
Das Argument leuchtet ein. Ich hab mich gefragt, wieso habe ich sie nicht längst überall eingebaut? Ich glaube, es hat nicht nur mit »vernünftig« zu tun, nicht nur mit der Logik und Sprache der Zahlen, sondern da spielt auch was Irrationales mit: ich empfinde das Licht der Öko-Lampen als viel zu kühl. Ungenehm fast. Außerdem kein klares Leuchten, keine Brillanz. Nur so ein Schimmern.
In Asien sind die viel mehr akzeptiert als bei uns hier. Klar, Japaner sind auch dies indirekte Licht durch die Reispapier-Schiebwände gewöhnt. Und ich? Sehne ich mich bei Licht in der Bude nach Behaglichkeit, dem Feuer in der Höhle? Sind wir kulturell geeicht auf späte Steinzeit? Programmiert seit 30.000 Jahren? Kulturelles updating – würde zu lange dauern. Bin auch kein Japaner.
Vernünftiger in der Zwischenzeit scheint mir: Man müsste das Licht dieser Wunderlampen einfach farblich verbessern, damit wir uns behaglich fühlen. So wird unser Bedürfnis nach Geborgenheit respektiert – das ist ja nicht verkehrt. Eine wärmere Lichtfarbe, fertig ist der Lack. Wär ’ne Hilfe, dass viele von uns die Birnen schneller wechseln. Ohne Zwang. Also gern! Umweltschutz mit Herz und Verstand.
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SWR3 Gedanken

Wir sind in Kalifornien, 30er Jahre. Ein festliches Abschiedsdiner hochrangiger Militärs. Der japanische General Kuribayashi ist eine Zeitlang als Militärattache in den USA gewesen. Er schätzt Amerika und seine Kultur, er hat dort viele Freunde. „Was denken Sie, Mister Kuribayashi,“ wird der Gast gefragt, „was wird mit Japan und den USA sein, wenn es zum Krieg kommen sollte?“ Kuribayashi sagt lächelnd: „Ich bin mir ganz sicher: Wir werden gute Alliierte sein.“
Eine Rückblende im Film »Letters from Iwo Jima« von Clint Eastwood, ein Kriegsfilm. Darin zeigt er, wie 1945 die Japaner Iwo Jima, eine karge, nackte Vulkaninsel ohne Trinkwasservorkommen, verteidigen. Und ausgerechnet dieser japanische General Kuribayashi, der sich nicht vorstellen konnte, dass Amerikaner und Japaner einmal Feinde sein würden, muss die Verteidigung von Iwo Jima leiten. Der Film-Titel stammt von den dort erst kürzlich gefundenen Abschiedsbriefen japanischer Soldaten an ihre Frauen, Kinder, Eltern.
Und Clint Eastwood hat über dieselbe Schlacht noch einen Film gedreht, und zwar aus amerikanischer Sicht »Flags of our Fathers«. Die Schlacht um Iwo Jima gehört zu den schlimmsten im Pazifikkrieg.
Der Amerikaner Eastwood hat sich seine Aufgabe bewusst nicht leicht gemacht. »Letters from Iwo Jima«, gedreht mit japanischen Schauspielern und in ihrer Sprache. Und das, wo heute noch immer Feindseligkeiten bestehen.
Zusammen zwei Kriegsfilme, jeder steht für sich. Aber wer sich die beiden Filme Eastwoods anschaut, für den werden sie zum Anti-Kriegsfilm! Weil dann nämlich was im Kopf zündet und genau das passiert, was sonst nicht stattfindet, was im Krieg meist unterdrückt wird: sich den anderen hineinzuversetzen. Mit dessen Augen die Welt sehen. Und umgekehrt: „Wir sind gar nicht so verschieden. Sind beide schuldig. Und leben von Vergebung. Alle. In Abschiedsbriefen schreiben wir das Gleiche.“
Dieser Perspektivwechsel, solche Einsicht gehören zur Feindesliebe. Sie kann tödliche Konflikte entschärfen.
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SWR3 Gedanken

Geländewagen sind in der letzten Zeit ins Gerede geraten. Dabei sind sie auch ohne Gelände klasse, schnell und stark, und ein deutscher Exportschlager. Manche fahren damit ja auch so, dass sie weniger als 9 Liter verbrauchen, auf 30 km. Außerdem wird in der Polemik zu wenig berücksichtigt, wie praktisch solche Fahrzeuge gerade für Menschen sind, die tagsüber kuschen müssen und wenigstens während der Heimfahrt mal über den anderen sitzen können. Nein, ich weiß: es dient vor allem der Übersichtlichkeit im stressigen Straßenverkehr, der Sicherheit.
Geldbeutel. Keine Grenzen. Und mit Chip-Tuning kann man noch mehr Drehmoment aus seinem Triebwerk herausholen. Dass Autofahren aber nicht nur Privatsache ist, spricht sich immer mehr herum. Und war letzte Woche beim Genfer Autosalon auch Thema. Wie viel km jemand pro Jahr fährt, und mit was für einem Motor er unterwegs ist, das hat Auswirkungen für die Umwelt, die Schöpfung. Es betrifft alle.
Ich finde es bemerkenswert, dass es auch ein spezielles Chip-Tuning gibt. Da geht es nicht um die klassische Leistungssteigerung, sondern – ganz pfiffig – um die Drosselung des Spritverbrauchs. Öko-Chip-Tuning. Man muss also nicht gleich sein neues stolzes Auto abstoßen. Sondern kann es behalten und umrüsten: die Intelligenz von Chip-Ingenieuren nutzen und seinem fahrbaren Untersatz eine seriöse, neu ausgeklügelte Steuersoftware verpassen! Durch gewitzte Chip-Tuner lässt sich der Spritverbrauch nach unten drehen. Um bis zu 20 %! Und dabei zeigen sich die Fahrzeuge sogar spritziger beim Anfahren. »Es ist im Prinzip ein Chip-Tuning in die andere Richtung.«
Größer, schneller, stärker – war gestern. Heute die andere Richtung, mit der Entwicklung von höherer Energieeffizienz, Öko-Chips. Cleveres Umdenken, die andere, neue Richtung. Und die Bewahrung Schöpfung viel mehr mit ins Kalkül ziehen.
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SWR3 Gedanken

Manchmal können einen uralte Dinge direkt ansprechen und berühren. Der Jazz-Sängerin Sarah Kaiser ist das so gegangen mit Liedern von einem gewissen Paul Gerhardt. Kirchenlieder hat er geschrieben. Uralte Musik – meine Konfirmanden sprechen von „Oma-Musik“.
„Wie kommt eigentlich so eine junge Großstädterin“, habe ich sie gefragt, „aufgewachsen mit Hip-Hop, Soul, Rythm & Blues, Studium in New York, wie kommt eine Jazzmusikerin ausgerechnet zu Paul Gerhardt, dem Kirchenliederdichter der Barockzeit?“
Paul Gerhardt lebte während des barbarischen 30-jährigen Kriegs. Hunger, Pest und Pocken, die Übergriffe von Soldaten. Mit 12 hat Paul Gerhardt den Vater, mit 14 die Mutter verloren. Paul Gerhardt wurde Pfarrer, er heiratete, aber von seinen fünf Kindern musst das Paar vier begraben, als einziger überlebte der Sohn Paul Friedrich die Eltern. Und da schreibt und dichtet Paul Gerhardt ganz tröstliche Lieder, wie »Gib dich zufrieden und sei stille« – mit einem grenzenlosen Gottvertrauen. Eigentlich ist das gar nicht verständlich.
„Für mich war dieses Lied »Gib dich zufrieden« das Schlüsselerlebnis,“ hat mir Sarah Kaiser geantwortet. „Ich weiß noch, ich saß zuhause, war auf der Suche nach Texten und dachte: Das ist ja meine Geschichte! Hab ich sehr stark empfunden. Dieses »Gib dich zufrieden und sei stille in dem Gotte deines Lebens! In ihm ruht aller Freuden Fülle, ohn’ ihn mühst du dich vergebens.« In einer Zeit, in der ich selber unzufrieden war, Sehnsüchte hatte, die in dem Moment für mich unerfüllt waren, und wo ich damit umgehen musste, da hat mich dieses Lied sehr stark berührt. Und es war,“ fügt sie hinzu, „als ob Gott selber zu mir spricht.“
Heute vor 400 Jahren ist Paul Gerhardt geboren. Fast unglaublich, seine Wirkung. Unglaublich anrührend. Und tröstlich. Immer wieder. „Als würde zu mir geredet.“
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SWR3 Gedanken

Ein erstaunlich buntes Konzert-Publikum kam letzte Woche in der ausverkauften Berliner Philharmonie zusammen: in edlem Zwirn und Seide, im schwarzen Rollkragenpulli, als lässiger SWR3-Hörer in Jeans und als schriller Punk: alle lauschten sie zwei Stunden wie gebannt derselben Musik.
Sting singt zu den Klängen gezupfter Laute alte englische Songs, Songs von John Dowland, der vor 400 Jahren lebte.
Die einen mögen Renaissancemusik, kennen und schätzen sie – die anderen haben vielleicht noch nie was von John Dowland gehört und kommen wegen Sting. Vertrauen dem Instinkt und Genius ihres Musikers. wie er mit seiner rauchig gebrochenen Stimme singt. »The lowest trees have tops« - »Auch die kleinsten Bäume haben Kronen.«, ein wunderbares Lied. Es sind die berührenden Bilder. Sting sagt: „John Dowland war der erste Singer/Songwriter Englands.“ Popstars unter sich.
Dowland und Sting – 400 Jahren trennen die beiden. Aber die Musik verbindet sie. Wenn Sting dann noch sein »Fields of Gold« zur Laute spielt, sein Liebeslied mit der Geliebten in den Gerstenfeldern, als wäre es von Dowland, und dessen Bilder direkt aus dem Hohenlied der Bibel gesprungen sind, dann ist dieser beglückend verbindende Moment von Grenzüberschreitung da. Diese Musik verbindet ein unglaublich farbiges Publikum: Wann und wo in unserm Land kämen denn solch verschiedene Leute zusammen, um sich gemeinsam berühren zu lassen? Von der Trauer über verpasstes Leben, von der Klage gegen Ungerechtigkeit. Oder von Liebesliedern wie »Once againe«, das sich ebenso deutlich wie so unverschämt zum Liebes-Höhepunkt aufschwingt.
Musik macht möglich, wohin unsre Worte oft nicht reichen. Da brechen Leidenschaften auf, die uns Gott ins Herz gelegt hat. Musik lässt uns die üblichen Grenzen und Schranken überschreiten, und zusammenkommen – und staunen, wenn wir uns gegenseitig wahrnehmen: so bunt, so verschieden, so fremd – und so menschlich.
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SWR1 Begegnungen

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Einen schönen Sonntagmorgen wünscht Ihnen Roland Spur von der Evangelischen Kirche. Heute möchte ich Ihnen Prof. Mahrenholz vorstellen. Er ist ein Fachmann für Recht und Gerechtigkeit. Bis zu seiner Pensionierung war er Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Ich habe mit ihm über die mögliche Begnadigung von Christian Klar gesprochen. ..............................................Foto: Uni SB

Für die Rechtsordnung war das Schlimme, dass er furchtbare Taten begangen hat. Und die Gesinnung – viele Menschen laufen mit böser Gesinnung rum und trauen sich nicht, den Mord zu begehen, den sie gerne täten, das ist bekannt! Gesinnung kann ich aber nicht bestrafen.

Teil 1
Religion und Recht – im Fall der beiden inhaftierten Ex-Terroristen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar kommen diese zwei Bereiche zusammen.
Reue, Umkehr, Buße, Gnade und Begnadigung: Gedanken und Gefühle berühren sich, begegnen sich, wichtige Regeln, wichtige Begriffe aus Religion und Recht.
Also zunächst einmal muss man sie, wenn ich mich der Dinge auf eine sachgemäße Weise nähern will, unterscheiden. Frau Mohnhaupt hat ein Gerichtsverfahren; das hat sie angestrengt, um in Freiheit zu kommen. Das war also meine Aufgabe im Bundesverfassungsgericht, mit solchen Antragsstellern mich zu befassen, wenn die Gerichte unter uns es nicht schon so gerichtet haben, wie es die Inhaftierten gerne sähen. Nämlich nach 20 oder noch mehr Jahren, Freiheit zu gewinnen. Das läuft völlig in der Bahn der Jurisprudenz.

Auf der anderen Seite, bei Herrn Klar geht es um eine Begnadigung.

Die kann nur der Bundespräsident aussprechen als so zu sagen „Gnadenherr“ – so ein Rest von Souveränität des Königs spiegelt sich da wider. Und ein Gnadenherr kann in die Frage, was ist für mich wichtig, hineintun, was ihm wichtig erscheint. Da gibt es keine Vorgaben.

Das macht diese Entscheidung so spannend, Gnade – ein theologisch hoch aufgeladener Begriff. Die Gnade, die Gott uns schenkt, immer wieder. Und die uralte Frage, ob Gott beim Schenken völlig frei ist, oder ob das Geschenk der Gnade an Bedingungen gebunden ist. Das könnte man analog auf den Bundespräsidenten übertragen:

Wenn ihm zum Beispiel – das ist ja jetzt in aller Munde – wichtig ist, dass Herr Klar deutliche Zeichen der Reue von sich gibt, einer Art von innerer Umkehr äußert – das soll er getan haben in seinem Gesuch an den früheren Bundespräsidenten Rau, der das aber nicht mehr zuende bearbeitet hat, dann ist das das gute Recht von Herrn Köhler zu sagen: „Mir ist das wichtig, dass er umgekehrt ist, Buße getan hat.“

Aber er muss das gar nicht, so habe ich Prof. Mahrenholz klar verstanden: der Bundespräsident ist da frei, es gibt, wie gesagt, keine Vorgaben.

Es kann aber auch sein, dass er sagt: „Ich kann eigentlich nicht verlangen, dass jemand das tut. Denn das weiß ich nicht, ob das echt ist. Ob das glaubwürdig ist. Das könnte ja auch sein, dass man das nur tut, um bei mir einen guten Eindruck zu machen. Ich begnüge mich damit, dass er jetzt genug gebüßt hat. Und ob er 24 Jahre und nun noch zwei weitere Jahre sitzt, das tut eigentlich nichts mehr zur Sache.“ Im Gnadenbereich kann er das alles, wie es ihm gutdünkt, wählen.

Es tut nichts zur Sache ist das eine. Und andererseits führt die Überzeugung, dass »Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.« (1. Samuelbuch 16, Vers 7), wie es in der Bibel heißt, zu der Frage: Wie will ein Organ des Staates ein Gewissen kontrollieren?

Teil 2

Wir können das gar nicht ermessen, was das heißt, wenn ich 20 und noch längere Jahre an einer Schuld gebüßt habe: Was geht in einem solchen Menschen vor? Kann er nicht möglicherweise abstumpfen gegenüber dieser Frage der Schuld? Aber sich entwickeln in der Frage, was mache ich jetzt aus meinem Leben?
Ich habe das Interview gesehen von Gaus mit Klar, was ja von Ihrem Sender vor wenigen Tagen gesendet wurde... –


Zur Person: Günter Gaus im Gespräch mit Christian Klar, 45 Minuten. Aus dem Jahr 2001.

Ich war erschüttert über die Person, die vor Herrn Gaus saß. Das war in unserem normalen Sinne gar kein normaler Mensch mehr. Und ich glaube, er hat es schwer, sich wieder einzugliedern. Die Haft hat ihn deutlich verändert. Man tut ihm unrecht, wenn man ihn Menschen preisgibt, die wie wir alle in der Normalität leben dürfen.

Es gibt verschiedene Umfragen, mit Ergebnissen von 60%, 70%, sogar über 90 %, die gegen eine Begnadigung sind. „Normalität“? »Die Hölle, das sind die anderen«, hat der Philosoph Sartre einmal geschrieben. Gnadenlosigkeit scheint weit verbreitet zu sein. Dabei beten Christen: »Und vergib uns unsre Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.« So wenig Vertrauen bei uns auf den Sinn von Buße, von Umkehr, und Begnadigung.

Einmal ist mir in den Sinn gekommen, der ich ja vorzugsweise mit NS-Tätern zu tun hatte, mit Menschen, die mehrere Hundert oder mehrere Tausend auf dem Gewissen haben, entweder hat man geholfen, diese Juden zu vergasen, man hat geholfen, diese Juden zu erschießen in der Ukraine, da hat sich niemand gerührt. Das interessierte offenbar überhaupt nicht. Und das ist eine Sache, die mich sehr schmerzt! Dass wir bei diesen sehr prominenten Opfern – die sind es ja, und die Angehörigen haben nach wie vor unser Mitgefühl! – dass wir bei diesen sehr prominenten Opfern plötzlich Umfragen veranstalten.

Umfragen, Trends, das angeblich gesunde Volksempfinden – wir wissen aus unsrer Geschichte, wie man damit das Recht aushöhlen kann. Wie denkt Herr Mahrenholz darüber?

Diese Umfragen sind das Geld nicht wert, was dafür ausgegeben wird. »Was sage ich denn!« »Ich hab’ mich damit doch nicht gründlich genug beschäftigt.« »Und ich bin anonym, da sage ich sowieso manches, was ich sonst vielleicht nicht sagen würde. Also auch manche Unmenschlichkeit, die ich sonst nicht aus mir rauslassen würde, wenn man mich mit Name nennte.«
In all diesen Fragen von Moral und Gefühl darf man meines Erachtens keine Umfragen machen. Das muss man unterlassen. Das verwirrt bloß die Szene. Wir haben es hier zu tun mit Menschen, die eine Verantwortung haben für das Beurteilen dieser Inhaftierten, dieser zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten, – das sind alles Menschen, denen eine ganz schwere Verantwortung obliegt, die damit Tage und Wochen und manchmal Monate befasst sind.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=709
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SWR3 Gedanken

Schärfer hätte dieser Gegensatz eigentlich gar nicht sein können. Bei der Faszination durch Gewalt.
Am 20. November betrat der ehemalige Schüler Bastian B. das Gelände seiner alten Schule, schoss wahllos auf Menschen und zündete Rauchbomben. Anschließend tötete er sich selbst. Fünf Personen wurden durch Schüsse verletzt, weitere 32 mussten wegen Rauchvergiftung oder Schock behandelt werden. Der Amokläufer von Emsdetten.
Am 21. November betrat der aktuelle 007-Hauptdarsteller Daniel Craig den Roten Teppich im Berliner Sony-Center. Die Feier der Deutschland-Premiere des neuen Bond-Abenteuers „Casino Royale“. Hunderte von Fans jubelten. Auch von den Medien viel Aufmerksamkeit, sie zeigten sich von Craig beeindruckt. Er setze neue Maßstäbe in der Geschichte der Bond-Filme.
Montagmorgen in Emsdetten, und Dienstagabend in Berlin. Bastian und Bond. Der Amoklauf und der Kinofilm. Damit wir uns nicht falsch verstehen. Die Ereignisse und die Meldungen in dieser einen Novemberwoche sind total verschieden. Aber sie verbindet das Thema: Faszination der Gewalt. Also Dinge durch Gewalt lösen und regeln wollen. Und dabei über die Stränge schlagen, mit der legendären „licence to kill“. Beide Figuren zeigen sich als Waffennarren, ob im Internet-Video oder im Kino. Der eine wird als „Ego-shooter“ und wird scharf verurteilt, der andere als „Shooting-Star“ bejubelt, vergöttert – „so männlich, so weltläufig!“ Ist uns da nicht etwas durcheinander geraten?
Sicher, das eine ist Fiktion, das andere Wirklichkeit. Das ist der Unterschied. Davon leben wir, das wir das wissen und auseinanderhalten können.
Aber was ist, wenn aus dem Spiel blutiger Ernst wird, wenn aus verschlossenen Jungen von nebenan der Abgrund von Hass auftaucht, der Hass auf die Welt, auf sich? Die schnellen Reaktionen sind Misstrauen, Angst und Aktionismus: der Ruf, Video-Ballerspiele zu verbieten, wirkt hilflos. Wir sollten uns lieber um die Einsamen kümmern. Ist mühsam! Mit ihnen zu reden, statt sie gleichgültig dem Ballerspiel zu überlassen. Aber wer den Panzer des Schweigens knackt, berührt das Herz.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=629
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SWR3 Gedanken


Normalerweise freut man sich über wirtschaftlichen Erfolg an der Kinokasse. Aber bei »Blood Diamond«, »Blutdiamanten«, da ist das anders. Da gibt’s Leute, die freuen sich, wenn ihn wenige sehen. Der Hollywood-Film beschäftigt sich damit, dass an manchen der ach so makellosen Brillanten doch noch Blut klebt. Kriege wurden damit finanziert. Die Edelsteinbranche glaubt, das Thema durch Zertifikate ganz im Griff zu haben. Doch die Ware verursacht noch immer Probleme: der Schmuggel in Afrika lebt. Noch immer wird immer mit Blutdiamanten weltweit gehandelt.
Jetzt ist die Diamantenbranche erleichtert, weil sie melden kann: das Weihnachtsgeschäft sei nicht beeinträchtigt worden. So schrieb ein Brancheninsider nach Idar-Oberstein, dem deutschen Diamantenhandelsplatz. „Blood Diamond“ ist in den USA bereits am 8. Dezember angelaufen und lockt seit letzter Woche die Deutschen ins Kino. DeBeers, Marktführer im Diamanten-Handel, hatte im Vorfeld von den Filmemachern verlangt, dem Film einen Text voranzustellen, der die Handlung als fiktiv kennzeichnet – oder zumindest als zeithistorisch. Die Filmproduzenten verweigerten dies. Gut so.
Der Film ist ein seltener Fall anspruchsvollen Kinos in Zeiten sonst lieber seichter, unkritischer Unterhaltung. „Blood Diamond“ versucht nicht, die Wirklichkeit unkomplizierter darzustellen als sie ist. Noch immer wird immer mit Blutdiamanten gehandelt. Von Rebellen im Norden der Elfenbeinküste werden Steine mit gefälschten Zertifikaten nach Ghana geschmuggelt und dort vermarktet, wie ein UN-Report vom Oktober berichtet hat.
Im übrigen wird das Publikum nicht so dumm sein und meinen, der Thriller sei ein Dokumentarfilm, in dem Leonardo DiCaprio der Schmuggler ist, der während des Bürgerkriegs von Sierra Leone in den 90er-Jahren einen einzelnen, besonders wertvollen Diamanten sucht.
Der Film zeigt auch, dass man vor dem Elend weder die Augen zumachen noch tatenlos zusehen muss. Man kann eben doch was machen, um die Finanzwege der Bürgerkriege auszutrocknen. Für Aufmerksamkeit, für Öffentlichkeit sorgen! Das behindert weitere Munitions- und Waffenkäufe. So was bringt die geschundenen Länder dem Frieden etwas näher.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=628
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SWR3 Gedanken

»Mein Glaube hat mir geholfen«, hat Murat Kurnaz bei Beckmann (ARD) gesagt. Jahrelang war der Bremer Türke in Guantánamo inhaftiert. Was für ein Martyrium!
Im September 2002 sahen die USA die Unschuld von Murat Kurnaz als erwiesen an. Die Runde der Geheimdienste im Kanzleramt beschloss: Wiedereinreise nicht erwünscht. So muss Kurnaz in Guantánamo weiter schmoren.
Wie hat er das ausgehalten, jahrelang unschuldig inhaftiert, gefoltert, gedemütigt, gequält? Verliert man da nicht allen Glauben an das Gute im Menschen? Wie kann Gott das zulassen? Was heißt denn da: »Mein Glaube hat mir geholfen«?
Und wie kann er jetzt in seiner Heimat leben, nachdem erwiesen ist, mit welch bürokratischer Gründlichkeit vor Jahren verhindert werden sollte, dass er nach Deutschland zurückkommen kann. Freigelassen hätte der Deutsch-Türke mit einer unbeschränkten Aufenthaltserlaubnis im Pass jederzeit einreisen können. Bürokratische Abhilfe: Die Aufenthaltsgenehmigung sei erloschen, weil Kurnaz eine Verlängerung nicht fristgerecht beantragt habe – korrekt. Das hat er von Guantánamo aus auch nicht. Ergebnis: Einreiseverbot. Als da Zweifel an der Rechtmäßigkeit auftauchen, werden sie von der Leitungsebene mit einem handschriftlichen „Na und?“ zur Seite gewischt.
»Wer geduldig ist in Not und Elend, wer das Böse durch das Gute abwehrt, der wird vom Himmel belohnt. Friede sei mit Euch, die ihr standhaft wart.« Sein Glaube hat ihm geholfen, hat Murat Kurnaz bei Beckmann (ARD) gesagt. »Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.«
Der eine Text steht im Koran, der andere im Neuen Testament. Da kommen sich unsre Religionen ganz nahe: dass Gott auch bei den schlimmen Erfahrungen treu ist und trösten will, in der Bedrängnis, in elender Aussichtslosigkeit, im Martyrium.
Und das kann einem die Kraft geben, sich von der angetanen Gewalt nicht überwältigen zu lassen. Und sogar weiter auf den Rechtsweg zu vertrauen! »Mein Glaube hat mir geholfen.«
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SWR3 Gedanken

»Ich wollte zuerst noch etwas ganz Dummes machen und das Vaterunser sprechen. Das wäre der Tod gewesen.« Ein seltsamer Satz. Den hat Michael Degen gesagt, der Schauspieler und Autor. Vielleicht kennen Sie ihn von seiner Rolle dieses etwas aufgeblasenen venezianischen »Vicequestore Patta« aus den verfilmten Donna-Leon-Krimis.
Als Kind ist Michael Degen nur knapp der Verfolgung durch die Nazis entkommen. Zusammen mit seiner Mutter hat er in Berlin die Kriegsjahre überlebt, unter falscher Identität, versteckt von deutschen Freunden. Ohne diese Helfer hätten sie nicht überlebt. Michael Degen hat ihnen in seinem Buch ein Denkmal gesetzt: »Nicht alle waren Mörder«. Das hat die ARD kürzlich verfilmen lassen.
Befreit wurden die beiden von den Russen. Dabei geraten sie aber an einen jüdischen Offizier, der ihnen nicht glaubt, dass sie Juden sind. »Der Offizier und die Soldaten waren sehr brutal,« erzählt Michael Degen. »Er wollte uns kein Wort glauben: „Das ist eine Lüge!“ Er war sehr wütend und glaubte, wir wollten ihn hochnehmen. Ich hatte große Angst.«
Erst als Michael Degen das Kaddisch-Gebet aufsagt, ändert sich die angespannte Situation. »Als ich das erste hebräische Wort sagte: yitgadal veyitkaddash shmeh rabba, da hat ihn das wie Faustschlag getroffen. Ich spürte richtig, wie er stiller wurde. Er ließ mich ganz aussprechen. Und als ich das Shma’ Yisrael sagte, da ist der ausgeflippt.«
»Ich wollte zuerst noch etwas ganz Dummes machen und das Vaterunser sprechen. Das wäre der Tod gewesen. Das Kaddisch hat mir das Leben gerettet.« hat Michael Degen in einem Interview zu dieser Szene gesagt. Und erzählt weiter: »Meine Mutter sagte wirklich jetzt: »Wir sind neugeboren!« Und einmal hat sie witzigerweise gesagt: »Ich bin am selben Tag geboren wie du.«
Seinen anderen Geburtstag, seinen 75. Geburtstag, den feiert Michael Degen heute. Glückwunsch, aus dem Kaddisch: »Fülle des Friedens und Leben möge vom Himmel herab uns und ganz Israel zuteil werden, sprecht: Amen.«
https://www.kirche-im-swr.de/?m=626
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