SWR1 Begegnungen

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Einen schönen Sonntagmorgen wünscht Ihnen Roland Spur von der Evangelischen Kirche. Heute möchte ich Ihnen Prof. Mahrenholz vorstellen. Er ist ein Fachmann für Recht und Gerechtigkeit. Bis zu seiner Pensionierung war er Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Ich habe mit ihm über die mögliche Begnadigung von Christian Klar gesprochen. ..............................................Foto: Uni SB

Für die Rechtsordnung war das Schlimme, dass er furchtbare Taten begangen hat. Und die Gesinnung – viele Menschen laufen mit böser Gesinnung rum und trauen sich nicht, den Mord zu begehen, den sie gerne täten, das ist bekannt! Gesinnung kann ich aber nicht bestrafen.

Teil 1
Religion und Recht – im Fall der beiden inhaftierten Ex-Terroristen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar kommen diese zwei Bereiche zusammen.
Reue, Umkehr, Buße, Gnade und Begnadigung: Gedanken und Gefühle berühren sich, begegnen sich, wichtige Regeln, wichtige Begriffe aus Religion und Recht.
Also zunächst einmal muss man sie, wenn ich mich der Dinge auf eine sachgemäße Weise nähern will, unterscheiden. Frau Mohnhaupt hat ein Gerichtsverfahren; das hat sie angestrengt, um in Freiheit zu kommen. Das war also meine Aufgabe im Bundesverfassungsgericht, mit solchen Antragsstellern mich zu befassen, wenn die Gerichte unter uns es nicht schon so gerichtet haben, wie es die Inhaftierten gerne sähen. Nämlich nach 20 oder noch mehr Jahren, Freiheit zu gewinnen. Das läuft völlig in der Bahn der Jurisprudenz.

Auf der anderen Seite, bei Herrn Klar geht es um eine Begnadigung.

Die kann nur der Bundespräsident aussprechen als so zu sagen „Gnadenherr“ – so ein Rest von Souveränität des Königs spiegelt sich da wider. Und ein Gnadenherr kann in die Frage, was ist für mich wichtig, hineintun, was ihm wichtig erscheint. Da gibt es keine Vorgaben.

Das macht diese Entscheidung so spannend, Gnade – ein theologisch hoch aufgeladener Begriff. Die Gnade, die Gott uns schenkt, immer wieder. Und die uralte Frage, ob Gott beim Schenken völlig frei ist, oder ob das Geschenk der Gnade an Bedingungen gebunden ist. Das könnte man analog auf den Bundespräsidenten übertragen:

Wenn ihm zum Beispiel – das ist ja jetzt in aller Munde – wichtig ist, dass Herr Klar deutliche Zeichen der Reue von sich gibt, einer Art von innerer Umkehr äußert – das soll er getan haben in seinem Gesuch an den früheren Bundespräsidenten Rau, der das aber nicht mehr zuende bearbeitet hat, dann ist das das gute Recht von Herrn Köhler zu sagen: „Mir ist das wichtig, dass er umgekehrt ist, Buße getan hat.“

Aber er muss das gar nicht, so habe ich Prof. Mahrenholz klar verstanden: der Bundespräsident ist da frei, es gibt, wie gesagt, keine Vorgaben.

Es kann aber auch sein, dass er sagt: „Ich kann eigentlich nicht verlangen, dass jemand das tut. Denn das weiß ich nicht, ob das echt ist. Ob das glaubwürdig ist. Das könnte ja auch sein, dass man das nur tut, um bei mir einen guten Eindruck zu machen. Ich begnüge mich damit, dass er jetzt genug gebüßt hat. Und ob er 24 Jahre und nun noch zwei weitere Jahre sitzt, das tut eigentlich nichts mehr zur Sache.“ Im Gnadenbereich kann er das alles, wie es ihm gutdünkt, wählen.

Es tut nichts zur Sache ist das eine. Und andererseits führt die Überzeugung, dass »Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.« (1. Samuelbuch 16, Vers 7), wie es in der Bibel heißt, zu der Frage: Wie will ein Organ des Staates ein Gewissen kontrollieren?

Teil 2

Wir können das gar nicht ermessen, was das heißt, wenn ich 20 und noch längere Jahre an einer Schuld gebüßt habe: Was geht in einem solchen Menschen vor? Kann er nicht möglicherweise abstumpfen gegenüber dieser Frage der Schuld? Aber sich entwickeln in der Frage, was mache ich jetzt aus meinem Leben?
Ich habe das Interview gesehen von Gaus mit Klar, was ja von Ihrem Sender vor wenigen Tagen gesendet wurde... –


Zur Person: Günter Gaus im Gespräch mit Christian Klar, 45 Minuten. Aus dem Jahr 2001.

Ich war erschüttert über die Person, die vor Herrn Gaus saß. Das war in unserem normalen Sinne gar kein normaler Mensch mehr. Und ich glaube, er hat es schwer, sich wieder einzugliedern. Die Haft hat ihn deutlich verändert. Man tut ihm unrecht, wenn man ihn Menschen preisgibt, die wie wir alle in der Normalität leben dürfen.

Es gibt verschiedene Umfragen, mit Ergebnissen von 60%, 70%, sogar über 90 %, die gegen eine Begnadigung sind. „Normalität“? »Die Hölle, das sind die anderen«, hat der Philosoph Sartre einmal geschrieben. Gnadenlosigkeit scheint weit verbreitet zu sein. Dabei beten Christen: »Und vergib uns unsre Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.« So wenig Vertrauen bei uns auf den Sinn von Buße, von Umkehr, und Begnadigung.

Einmal ist mir in den Sinn gekommen, der ich ja vorzugsweise mit NS-Tätern zu tun hatte, mit Menschen, die mehrere Hundert oder mehrere Tausend auf dem Gewissen haben, entweder hat man geholfen, diese Juden zu vergasen, man hat geholfen, diese Juden zu erschießen in der Ukraine, da hat sich niemand gerührt. Das interessierte offenbar überhaupt nicht. Und das ist eine Sache, die mich sehr schmerzt! Dass wir bei diesen sehr prominenten Opfern – die sind es ja, und die Angehörigen haben nach wie vor unser Mitgefühl! – dass wir bei diesen sehr prominenten Opfern plötzlich Umfragen veranstalten.

Umfragen, Trends, das angeblich gesunde Volksempfinden – wir wissen aus unsrer Geschichte, wie man damit das Recht aushöhlen kann. Wie denkt Herr Mahrenholz darüber?

Diese Umfragen sind das Geld nicht wert, was dafür ausgegeben wird. »Was sage ich denn!« »Ich hab’ mich damit doch nicht gründlich genug beschäftigt.« »Und ich bin anonym, da sage ich sowieso manches, was ich sonst vielleicht nicht sagen würde. Also auch manche Unmenschlichkeit, die ich sonst nicht aus mir rauslassen würde, wenn man mich mit Name nennte.«
In all diesen Fragen von Moral und Gefühl darf man meines Erachtens keine Umfragen machen. Das muss man unterlassen. Das verwirrt bloß die Szene. Wir haben es hier zu tun mit Menschen, die eine Verantwortung haben für das Beurteilen dieser Inhaftierten, dieser zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten, – das sind alles Menschen, denen eine ganz schwere Verantwortung obliegt, die damit Tage und Wochen und manchmal Monate befasst sind.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=709
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