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SWR1 Begegnungen

10JUN2019
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Annette Bassler trifft Ulrich Kasparick, Pfarrer i.R., parlamentar. Staatssekretär i.R.Ulrich Kasparick

Klimawandel: Alarmstufe rot

Aufgefallen ist er mir durch seine Posts auf Facebook. Da war er Pfarrer in der Uckermark. Kurz vor seiner Pensionierung hat er die Organisation „für unsere Enkel. Org“ gegründet. Noch vor der Schülerbewegung Friday for future hat er täglich die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Klimawandel gepostet. Mit dem Kommentar: wir haben „Alarmstufe rot“. Das wollte ich von ihm näher wissen und habe ihn in Berlin besucht.  

Und jetzt müssen wir wirklich entscheidende Einschnitte hinkriegen politisch. Die Physiker sagen uns, die Klimawissenschaftler der Vereinten Nationen sagen uns: wir haben noch 10 Jahre. Wenn wir das in den 10 Jahren nicht schaffen, dann geht die Natur über einen so genannten Kipp-Punkt. Und wenn der überschritten ist, dann können wir noch so viele Solaranlagen auf die Dächer schrauben, dann können wir es nicht mehr drehen.

Nur noch 10 Jahre für die Reduktion des CO2 Ausstoßes. Damit die Klimaerwärmung nicht zum Selbstläufer und zur Katastrophe für Millionen Menschen auf der Erde wird. Ist das nicht ein Klimahype? Woher sind Sie sich da so sicher? Wollte ich von Ulrich Kasparick wissen. Da hat er mir erzählt von seiner Zeit in der Bundespolitik. Als   Stellvertreter des Bundesumweltministers. Da hat er nämlich alle maßgeblichen Institute der deutschen Umweltforschung besucht und ist seitdem mit deren Direktoren und vielen Forschern und internationalen Wissenschaftlern vernetzt. Deren Erkenntnisse, die keine Massenmedien erreichen, teilt er auf Facebook. Außerdem weiß er wie Energiepolitik funktioniert.

Wir sind im europäischen Energieverbund. Das ist jetzt schon so, dass wenn ein Land Probleme hat mit der Energieversorgung, gibt’s einen europäischen Ausgleich, na klar. Es ist jetzt so, dass wir so viel Kohlestrom haben in Deutschland, dass wir den Kohlestrom verkaufen. Zum Beispiel nach Frankreich und dafür den Windstrom runterregeln. Wo gibt’s denn sowas?!

Je mehr ich mich in die Materie vertiefe, desto mehr erschüttert mich das. Alles, was wir derzeit erleben an Hitze, Dürre, Überschwemmung und Wirbelstürmen gründet auf eine Erderwärmung um 1,1 Grad. Die Erwärmung um 3 Grad, auf die wir zusteuern, hätte apokalyptische Folgen. Darin sind sich alle namhaften Wissenschaftler weltweit einig.  Während wir diskutieren und reden, läuft die Zeit ab. Warum rufen wir nicht den Klimanotstand aus? Warum stellen wir nicht die Klimafrage bei allen politischen Entscheidungen an die erste Stelle? Für Ulrich Kasparick ist die Kluft zwischen dem, was passiert und dem, was politisch getan wird, schwer auszuhalten. Was er tut, tut er für die Generation seiner Enkel. Und weil die Welt für ihn Gottes Schöpfung ist.

Als glaubender Mensch bin ich immer mit einem Fuß im Himmelreich und weiß, jederzeit kann es heißen: so komm, jetzt gehst du woanders hin. Aber bis dahin bin ich aufgefordert meine Verantwortung wahrzunehmen. Wir sind verantwortlich für diese Schöpfung.

Verantwortung für Gottes Schöpfung heute

„Für unsere Enkel.Org“- so heißt die Umweltplattform, die Ulrich Kasparick gegründet hat. Als pensionierter Politiker und Pfarrer wollte er noch was für die Generation seiner Enkel tun. Und seine Verantwortung als Christ für Gottes Schöpfung leben.

Ich glaube, dass das, was die Schüler uns jetzt vormachen, mit dazu hilft, dass sich auch die Älteren  nochmal zusammenreißen und sagen: Mensch, wir sind ne Generation- da sind die Grünen draus hervorgegangen und die Bürgerbewegung und die Friedensbewegten und die Schüler sagen uns: ihr wart nicht klar genug. Und vielleicht, wenn man sich jetzt unterhakt- vielleicht kriegen wir die Kurve noch.

Die Europawahl hat das Thema Klimapolitik ganz nach oben befördert. Aber die eigentliche Bewährungsprobe steht erst bevor. Die praktische Umsetzung der vielen Absichtserklärungen. Durch Steuern, Gesetze, Fördermaßnahmen.

Die Kommunen sind ganz zentrale, wichtige Player, weil sie zB. mit den Stadtwerken, die sie haben, Einfluss nehmen können auf die Energiepolitik. Viele Kommunen sind da wirklich großartig, aber sie brauchen die Unterstützung des Bundes.

Regelungen und Verbote haben mir geholfen, umzudenken und umzulernen. Wäre es nicht verboten, im Auto mit dem Handy zu telefonieren, ich würde es heute noch tun. Genauso ist das mit dem umweltbewussten Verhalten. Privat und auf der Ebene der Politik.

Wir haben in der Vergangenheit die Städte um die Autos herumgebaut, wir müssen sie wieder um den Menschen herumbauen und das bedeutet ganz andere Verkehrsinfrastrukturen- also Stärkung des Öffentlichen Nahverkehrs, Radverkehr, Fußgängerzonen, all diese Dinge.

Und was könnte man alles gestalten durch eine CO2 Abgabe. Erneuerbare Energie fördern, sozialen Ausgleich schaffen für die, die sich umweltfreundlich momentan nicht leisten können. All die guten Ideen, Stadtteilinitiativen und Genossenschaften vernetzt Ulrich Kasparick gern und vermittelt Kontakte. Regional und global.

Ganz wichtig ist 350.org.  Das ist ein weltweites Netzwerk, von Kippen gegründet, der ist Träger des alternativen Nobelpreises. Die machen einerseits Öffentlichkeitsarbeit, aber über 350.org ist man auch sehr gut verknüpft mit diesen Alternativbewegungen, die es überall auf der Welt gibt.

Umwelt, Natur, Klima- für mich ist das immer schon Gottes Schöpfung. Im Wald, in den Bergen, am Meer oder einfach in meinem Garten fühle mich Gott ganz nah. Als Christin glaube ich, dass uns Gott abhandenkommt, wenn wir Gottes Schöpfung nicht bewahren. Das ist Ulrich Kasparick und mir ein Herzensanliegen. Deshalb hat er sich entschieden, seinen Ruhestand nicht ruhig zu verbringen, sondern engagiert. Für seine Enkel. Und für Gottes Schöpfung.

Die Energie bei mir ist eigentlich so, dass ich sage: wir haben die Verantwortung. Dietrich Bonhoeffer hat mal den schönen Satz gesagt: „Es kann sein, dass der Herrgott uns morgen zu sich ruft, dann werden wir unser Tagewerk aus der Hand legen, vorher aber nicht.“

 

WWW.fuer-unsere-Enkel.org

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

01MAI2019
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Heute wird nicht gearbeitet. Heute feiern wir, dass es das gibt: gute Arbeit! Vielleicht haben Sie auch eine gute Arbeit. Eine, die Sie gerne machen. Die Ihnen das Gefühl gibt, etwas Gutes für Andere zu tun. Eine, mit der Sie sich und Ihre Familie ernähren können.

Ich kenne niemanden, der nicht auch gerne arbeitet. Arbeiten ist nicht das Problem. Sondern dass jemand die falsche Arbeit macht. Dass die Arbeitszeit nicht stimmt. Oder der Lohn. Darum haben am Ende des 18. Jahrhunderts die Arbeiter in Washington gekämpft. Dass es neben der Arbeit auch noch Zeit zum Schlafen und Freizeit gibt. Dass der 8 Stundentag zur Normalität wird. Daran erinnert der heutige Tag. Bis heute haben Arbeitnehmer dafür kämpfen müssen. Freiwillig bekamen sie es nie.

Vielleicht ist deshalb das biblische Gleichnis so brisant. In dem Jesus Gott mit einem Arbeitgeber vergleicht. Der stellt Tagelöhner ein- zu einem festen Tagessatz. Die Tagelöhner wirbt er auf dem Arbeitsmarkt in der Stadt ab. Morgens, mittags und nachmittags.

Als der Arbeitgeber am Ende des Tages seine Arbeiter auszahlt, bekommen alle das Gleiche. Egal, ob sie morgens, mittags oder nachmittags angefangen haben zu arbeiten. Das ist ungerecht, sagen die Ganztagsarbeiter. Wir haben mehr geleistet, also kriegen wir auch mehr.“

Der Arbeitgeber- also Gott- denkt aber anders. „Ihr habt bekommen, was wir vertraglich ausgemacht haben. Genug zum Leben für diesen einen Tag. Und genau das brauchen doch auch die, die erst nachmittags angefangen haben. Genug zum Leben für diesen Tag. Oder ärgert ihr euch, dass ich gütig bin?“

Leistung oder Güte. Modern ausgedrückt: Leistung oder Solidarität und Menschlichkeit. Nach welchem Prinzip verteilen wir, was wir haben? Die begrenzten Ressourcen, das begrenzte Budget?

Jesus sagt: An oberster Stelle steht Menschlichkeit und Solidarität. Erst dann kommt das Prinzip Leistung. Es darf nicht sein, dass die Leistungsstarken so viel bekommen, dass für die Anderen nicht genug übrig bleibt für ein menschenwürdiges Leben. Oder - um es mit den Worten des himmlischen Arbeitgebers zu sagen: Warum ärgert ihr euch, wenn ich gütig bin?

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

30APR2019
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Was für eine Wonne! Wenn man jetzt über Wald und Feld spaziert. Dieses zarte Grün, diese Blütenpracht. In den Gärten duftet es nach Flieder und Lavendel. Und in der Luft summt und brummt und zwitschert es!

„Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art.“ Das sagt Gott am Anfang der Schöpfung, nachzulesen in der Bibel ganz vorne. Mir ist, als ob Gott das jeden Frühling wieder sagt: Schaut und riecht und hört, was da so alles fliegt und krabbelt und hüpft. Ein jedes nach seiner Art. Sehr gut! sagt Gott.

Und lädt uns ein, sie auch so zu sehen, die Artenvielfalt. Das ist gar nicht selbstverständlich, wie mir vor kurzem wieder klar geworden ist. Das war beim Abendessen in fröhlicher Runde. Eine Freundin hat leckeren Salat gemacht. Frisch aus dem Garten, mit Kräutern und Walnussstückchen. Als ich mir grade ein sauerwürziges Salatblatt auf der Zunge zergehen lassen, sehe ich, wie sich was bewegt: ein Stückchen Walnuss. Krabbelt ganz langsam in Richtung Tellerrand.

Ich stupse meine Freundin an: „Guck mal, die Walnuss lebt!“  Und sie, mit der größten Selbstverständlichkeit: „Ach das Käferchen! Vorhin ist es auf dem Tisch rumgekrabbelt. Jetzt sitzt es im Salat! Wie süß!“

Alle nicken und essen weiter, ich auch- immer das Käferchen im Blick. Das inzwischen auf dem Kerzenständer sitzt. Und dann auf der Lampe. Wie süß! finden alle.
Ich frage mich: Warum habe ich früher alles entsorgt oder weggesaugt, was in der Wohnung rumgekrabbelt ist? Statt es- wenn auch mühsam- nach draußen zu befördern. Lebend.

Artenvielfalt ist doch „sehr gut“! Nicht nur Bienen, auch kleinste Käferchen sind wichtig für die Kreisläufe der Natur. Heute freue ich mich über jedes Insektenhotel, über ein bisschen verwilderte Vorgärten und Felder, die auch mal brach liegen dürfen, weil die Kommune das den Bauern finanziert.

Siehe, sie ist sehr gut! sagt Gott über die Artenvielfalt. Wenn das nächste Mal ein Walnussstückchen durch den Salat krabbelt, werde ich versuchen, mich entspannt zurückzulehnen und durchzuatmen- bis es vom Teller gesprungen ist.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

29APR2019
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Demut- das ist der Mut, sich dem Wettstreit der Eitelkeiten zu entziehen. Seit ich diesen Satz gelesen habe, denke ich häufiger darüber nach.  Der Mut, sich dem Wettstreit der Eitelkeiten zu entziehen.

Für mich trägt dieser Mut zur Zeit das Gesicht eines jungen Mädchens. Greta Thunberg, die 16 jährige schwedische Umweltaktivistin. Mit ihrem Schild „Schulstreik fürs Klima“ hat sie eine weltweite Schülerbewegung losgetreten. Friday for future. Mich fasziniert, wie Greta Thunberg auftritt: vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos, vor dem Europarat, vor der UNO. Überall kritisiert sie die, vor denen sie spricht. Dass sie ihrer Verantwortung für das Klima nicht gerecht werden. Dass sie die Bürde des Klimawandels ihren Kindern und Enkeln überlassen.

Für ihr Engagement wird sie bejubelt, belächelt und angegriffen. Sie nimmt das alles ganz gelassen. Weil es ihr egal ist, wie man sie als Person findet. Dieser Wettstreit der Eitelkeiten, in dem sie sich als öffentliche Person bewegt, sie macht ihn einfach nicht mit. Mich fasziniert das, auch wenn ich weiß, dass sie als Asperger- Kind nicht so anfällig dafür ist, von anderen gemocht zu werden.

Dass sie trotz heftigem Widerstand an ihrer Mission festhält, finde ich mutig. Es ist diese Mission, die sie umhüllt wie ein Schutzmantel. Sie hilft ihr, sich dem Wettstreit der Eitelkeiten einfach zu entziehen.

Ich bin mir meiner Mission nicht so gewiss wie Greta Thunberg. Was könnte für mich so ein Schutzmantel sein? Wenn ich mal wieder von möglichst allen gemocht werden will? Wenn mich Kritik persönlich trifft? Was hilft, mich dem Wettstreit der Eitelkeiten zu entziehen?

Mir hilft, wenn ich mit Gott ins Gespräch gehe. Wenn ich Gott frage: wie findest du mich? Was würdest du an meiner Stelle tun? Jesus hat gesagt: Wenn du nach Gottes Willen fragst, wird er bei dir sein. Seine Liebe wird dich umhüllen wie ein Schutzmantel. Denn vor Gott musst du nichts werden. Du bist schon Gottes geliebtes Kind.

Ich glaube, solche Geborgenheit macht stark und mutig. Demütig und aufrecht den eigenen Weg zu gehen.

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SWR1 Begegnungen

Annette Bassler trifft Werner Eckert, Journalist, Redaktionsleiter „Umwelt und Ernährung“
 
Er kann hochkomplizierte Dinge wunderbar einfach erklären. Und das tut der 59 jährige schon sein ganzes Leben. Als Journalist für Umwelt- und Ernährungsfragen. Und weil er für die ARD von den Weltklimakonferenzen berichtet, war er dieses Jahr auch in Kattowice. Dort ging es um wirksame Beschlüsse gegen den menschengemachten Klimawandel. Wie ist das mit denen, die den Klimawandel insgesamt leugnen?

Das hat sich wirklich jetzt erledigt, da gibt es keinen Zweifel mehr und selbst wenn, sagt jeder denkende Wissenschaftler: wir wissen so viel, dass wir handeln müssen.

Handeln. Aber wie muss man sich das vorstellen?

Man kann sich das vorstellen als eine Mischung aus Uniseminar, einer Vereinssitzung nur in riesig und einer großen Ausstellung. Die Staaten haben Stände. Es ist eine Tauschbörse für Informationen, auch ein universitäres Ding fast, weil es sehr viele Seminare gibt. Also wenn man sieht, dass zu so ´ner Klimakonferenz so zwanzigtausend Menschen sicherlich im Laufe  der Zeit mal kommen, dann sind einige Hundert davon wirklich direkt in die Verhandlungen involviert. Das ist nicht so, dass das nur Klimaverhandlungen wären, es ist der Klimabasar.

Ein Basar, auf dem verhandelt und gefeilscht wird. Und das dauert. Viel zu lange schon, sagen viele. Machen solche Konferenzen überhaupt noch Sinn? Wenn Werner Eckert davon erzählt, empfindet er fast sowas wie Ehrfurcht.

Weil die Klimakonferenzen international schon dazu geführt haben, dass in vielen Nationen Prozesse angestoßen worden sind. Das dauert alles zu lang und das ist zäh, aber es ist ein Riesending, dass die Weltgemeinschaft mit fast 200 Staaten sich jedes Jahr trifft, um ein globales Problem wirklich auch anzugehen. Das gibt es für kein anderes Thema, das gibt es nur für Klimawandel.

Und noch etwas gibt er mir zu bedenken:

Das Problem ist, dass das gleichzeitig ja auch der größte Umbau der Weltwirtschaft ist, der jemals geplant von statten gegangen ist. Man hat Zusammenbrüche gehabt auf Weltebene, aber einen geplanten Umbau in diesem Maßstab hat es noch nie gegeben.

Als Kommunikationswissenschaftler erinnert sich Werner Eckert immer wieder an ein Grundgesetz: menschliches Verhalten zu ändern dauert, dauert lange. Und weil das so ist, darf man nicht so schnell aufgeben. Braucht einen langen Atem. Ich kann ihm da nur recht geben. Wie lange hat es bei mir persönlich gedauert, weniger Plastikmüll zu produzieren. Umso komplizierter ist das bei Staaten.

Und das ist so gigantisch und dabei gibt es so viel zu gewinnen und zu verlieren im wahren ökonomischen Sinne, dass die Staaten das halt sehr fein austarieren wollen immer aus Angst, dass sie selbst auf der Strecke bleiben könnten.

Was also könnte diesen Prozess voranbringen?

Teil 2

Werner Eckert hat sich schon immer mit Fragen der Umwelt und der Ernährung beschäftigt. Schließlich ist er auf einem Bauernhof groß geworden und kennt Landwirtschaft von der Pike auf. Für seine Arbeit als Journalist hat er einiges mitnehmen können.

Ich glaube, ein Blick über die Dinge drüber, ein Bauer muss eben technisch, biologisch, ökonomisch denken, damit das funktioniert. Das ist nie optimal gelaufen auf dem Hof, aber im Grundsatz ist das vorhanden, dass man in mehreren Kategorien denkt, so wie Nachhaltigkeit mehrere Kategorien hat.

Viele leben derzeit nachhaltiger. Steigen auf erneuerbare Energien um, essen weniger Fleisch, nutzen öffentlichen Nahverkehr, vermeiden Flugreisen. Oder demonstrieren für Klimaziele, wie das derzeit viele Schülerinnen und Schüler tun.

also wenn ich sowas sehe, dann finde ich das großartig, dass Menschen konsequent sind, dass sie sich selbst anstrengen, ist unglaublich wichtig. Aber ich hab auch zu oft gesehen, dass diese Wellen kommen und gehen. Wenn das nicht irgendwo politisch festgetackert wird, dann ist das immer von verbleichendem Charme.

Verbleichender Charme- den sehe ich auch bei den vielen kirchlichen Bemühungen um die Bewahrung der Schöpfung. So haben die Kirchen in einer gemeinsamen Erklärung schon 1990 bekräftigt: „Das Land gehört Gott. …Der Mensch soll Boden und Gewässer so nutzen, dass die Erde regelmäßig ihre lebensspendende Kraft wiederherstellen kann... Wir, die Kirchen, werden jeder Politik widerstehen, die Land als bloße Ware behandelt.“ (1) Warum hatte das keine durchschlagende Kraft? Werner Eckert meint: nur Forderungen, die in praktische politische Beschlüsse und Gesetze umgesetzt werden, sind nachhaltig. Dazu aber müssten Politiker Beschlüsse und Gesetze erlassen. Und sie müssten erklären, was das für uns alle bedeutet.

Dann, finde ich, müsste man das unaufgeregt auch aussprechen, den Leuten reinen Wein einschenken und auch aushalten, dass es einen irrsinnigen Aufschrei geben wird. Das geht nämlich an die Emotionen. Und meine große Hoffnung ist, dass trotzdem die Gesellschaft als Ganzes das hinkriegt.

Ich bewundere die klare, nüchterne Sicht von Werner Eckert. Merke aber zugleich, dass ich nicht aufhören möchte, an Wunder zu glauben. Die hat es ja auch gegeben. Unerwartete Entwicklungen, Wendepunkte, die sich niemand wirklich erklären konnte. Ich will an den Gott glauben, der denen hilft, die sich um seine Schöpfung mühen. Und wenn alles zu spät ist? Trotzdem ein Apfelbäumchen pflanzen? Werner Eckert, gut katholisch erzogen, ist dabei.

Pflanzen ist mir aus der Kindheit heraus sehr bekannt, wir haben sehr viel gepflanzt, ich würde auch nicht aufhören zu pflanzen. Die Welt als biotisches System überlebt sowieso.  Es gibt eigentlich nur die Möglichkeit, so gut es geht an den Problemen zu arbeiten und sich immer im Klaren zu sein: es wird nicht optimal laufen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Humor ist auch eine gute Geschichte. Weil: mit Humor kommt man besser aus unguten Geschichten raus. Manchmal könnte man sich doch den ganzen Tag aufregen. Da hat man einen super Zeitplan. Schnell noch von A nach B. Dazwischen einkaufen und Briefe zur Post. Und alles würde super klappen, wären da nicht andere, die einen ausbremsen. Mich zum Beispiel hat jemand ausgebremst, weil er einfach bei grün an der Ampel stehengeblieben ist bis es wieder rot war.

„Na toll! Jetzt komm ich zu spät und kriege wieder was zu hören von wegen nicht pünktlich, klage ich einer Freundin, man könnte sich den ganzen Tag aufregen!“  „Stimmt, sagt sie, man könnte sich den ganzen Tag aufregen. Aber man ist nicht verpflichtet dazu!“

Wir schauen uns an und auf einmal ist der Druck raus. Humor ist eine gute Sache. Wenn man die Spur wechseln will. In Mainz, wo ich lebe, wird grade wieder der Humor zelebriert. Auf der Gass und im Saal. Ursprünglich hatten sich die Mainzer auch furchtbar aufgeregt. Über ihre französischen Besatzer. Aber sie sind darüber nicht verbittert geworden, sie haben den organisierten Humor erfunden. Fassenacht mit der Narrengruß- Hand an der Narrenkappe. Damit haben sie den militärischen Gruß der Franzosen lächerlich gemacht. Gute Geschichte. Mit Humor die Perspektive wechseln. Angst und Ärger verlachen. Und wieder wissen, was wichtig und was unwichtig ist. Und dass keiner von uns der liebe Gott ist.

Für meinen Ärger habe ich mir deshalb eine Sammlung von guten Geschichten und Pointen zugelegt. Hilft ungemein. Eine gute Geschichte ist mir wieder eingefallen, nachdem mich jener Mann an der Ampel ausgebremst hat. Die Geschichte hat mir ein Mann erzählt, dem genau das in Mainz passiert ist. Weil er an der Ampel auf eine Karte geschaut hat, hat er verpasst loszufahren und hat es erst gemerkt, als sie von grün auf gelb auf rot umgesprungen ist.

Kurz darauf klopft jemand an seine Scheibe. Er zieht den Kopf ein und lässt das Fenster runter. Da steht ein Mann und lacht ihn an und sagt: „Na junger Mann, war keine Farbe für sie dabei?“ Gute Geschichte. So eine wünsche ich Ihnen heute.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Warum passiert so wenig gegen den Klimawandel? Viele fragen sich das. Der letzte Sommer ohne Regen, jetzt viel zu warm für Januar, in Bayern so viel Schnee wie noch nie. Der Klimaforscher Schellnhuber hat sein ganzes Berufsleben davor gewarnt. Jetzt sagt er:

Vielleicht haben wir das Thema auch falsch angepackt. Wir haben nur gedroht und gewarnt. Jeder Mensch will doch gern Teil einer guten Geschichte sein. Laden wir doch einander ein, Teil einer guten Geschichte zu werden. Für unseren Planeten.

Bei mir ist das der Garten. Wenn ich Himbeerbüsche pflanze, wenn ich die Erde umgrabe und neben mir eine Amsel drauf wartet, dass ich für sie einen Wurm abfällt, wenn ich Komposterde auf das Beet streue, dann bin ich glücklich. Dafür lege ich mich gerne krumm. Auch wenn ich am Tag danach vor Muskelkater kaum noch laufen kann. Es ist wunderbar, Teil einer guten Geschichte zu sein. Der Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung.

Diese Lust an der Schöpfung kennt die Bibel auch. Schon vor mehr als zweitausend Jahren haben Menschen das besungen.

„Du Gott breitest den Himmel aus wie einen Teppich, du feuchtest die Berge von oben her, du machst das Land voll Früchte, die du schaffest. Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz des Menschen. Dass du Brot aus der Erde hervorbringst und der Wein erfreue des Menschen Herz.“

Vielleicht legen Sie sich weniger für einen Garten krumm und mehr für was Anderes: für plastikfreie Meere und plastikfreie Supermärkte. Für Straßen mit mehr Fahrräder oder für Smartphones, die man reparieren und tauschen kann. Oder Sie lieben es, Verantwortlichen Druck zu machen. So wie viele Schüler in unserem Land, die freitags jetzt immer streiken. Für gute Klimapolitik.

Und was ist, wenn das alles doch nicht mehr die Katastrophe aufhält? Dann ist es trotzdem gut, Teil einer guten Geschichte zu sein. Ich würde sagen: Auch wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch Himbeerbüsche pflanzen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Haben Sie dem lieben Gott schon mal bei der Arbeit zugeschaut? Er schafft ja mit. Damit wir die Welt nicht allein retten müssen. Mich beruhigt das ungemein. Vor allem montags, wo es wieder losgeht mit dem Schaffen. Also, haben Sie schon mal dem lieben Gott bei der Arbeit zugeschaut?

Einmal hab ich es genau gesehen. Ich hatte von einer Reise einen handtellergroßen Kern mitgebracht. Aufgesammelt an einem einsamen Strand, keine Ahnung was das war. Aber zu Hause hab ich ihn in einen Topf mit Erde gesteckt und auf die Fensterbank gestellt. Einen Monat hab ich ihn beobachtet. Nichts. Muss wohl eine hohle Nuss sein, dachte ich.

In der fünften Woche hat sich ein kleiner weißer Faden mit einem runden Kopf durch die Erde gebohrt. Eine Woche später hat sich der runde Kopf spiralförmig entrollt. Das kleine Blatt am Ende hat sich schließlich aufgeklappt, sodass es zwei waren. Wunderschön.

Und ich habe begriffen: Wenn der liebe Gott arbeitet, dann entsteht etwas, an dem man sich kaum satt sehen kann. So schön. So voller Wunder. Und immer sieht man erst mal - nichts.

So ist das immer, wenn Gott was schafft. Wenn zB. ein Menschenkind geboren wird und seine kleine Seele erwacht. Oder wenn man sich nach langem Streit miteinander versöhnt. Wunderschön. Aber wie kann man das erkennen, wenn Gott was schafft?

Die Jünger haben das Jesus gefragt. Und der hat ihnen von einem Bauer erzählt. Bauern schaffen und tun ja schon immer den ganzen Tag was. Damit Korn wächst und wir unser Brot auf dem Tisch haben. Aber damit was wächst, wirft er nur Samen auf die Erde. Und dann macht er -nichts. Beobachtet nur das Feld. Wochenlang. Erst tut sich gar nichts. Dann wächst langsam Halm und Ähre. Der Bauer schafft gute Bedingungen, düngt, vielleicht wässert er auch. Aber dass das Korn wächst, das kann er nicht machen. Das passiert.

Er kann nur Gott beim Schaffen zugucken. Und sich freuen über das Wunder. Und die Schönheit, die sich vor seinen Augen entfaltet. Ich bin sehr gespannt, was der liebe Gott diese Woche wieder alles schafft. Da geht mir meine Arbeit viel leichter von der Hand.

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SWR1 Begegnungen

Karin BeckerAnnette Bassler trifft Karin Becker, Pfarrerin und Schäferin in Rheinhessen

Von wegen „dummes Schaf“!

Sie ist Gemeindepfarrerin in Rheinhessen und ihren Schäfchen eine gute Hirtin. Also nicht nur den Schäfchen mit zwei Beinen, auch denen mit 4 Beinen. Seit vielen Jahren ist sie Hirtin. Und hat von ihren Schafen viel gelernt. Für ihren Beruf, für ihren Glauben und fürs Leben. Dabei hatte sie früher mit Schafen nichts im Sinn.

Es war ein Notruf, ein Notruf von einem Schafhalter, der einen Herzinfarkt hatte … sodass dieser Schafhalter überhaupt nicht wusste, wo mit den Tieren hin sollte, ob ich mitmachen würde, 8 Schafe zu übernehmen.

Anfangs wollte sie dem Schafhalter nur aushelfen. Hat die Tiere durchnummeriert. Aber dann hat sie entdeckt: Schafe sind ja Persönlichkeiten!

Nicht umsonst spielen die Schafe in der Kunst und überall eine so große Rolle, sie haben einen Charme und etwas Besonderes, einen Reiz, der einen nicht wieder loslässt.

Und wie entdeckt man diesen Charme? Indem man sie nicht bedrängt, sondern wartet.

Die wollten erst mal riechen, sind ja Nasentiere, und wenn man dann ruhig bleibt und sie nicht bedrängt, wollen sie meistens mehr wissen… die kontrollieren mal ihre Taschen, schnuppern überall rum.

Und bei der Gelegenheit hat Karin Becker angefangen, die Schafe zu kraulen. Das kannten die Schafe so nicht. Und fanden es prima.

Zum Schluss war ich ihr Putzerfisch, sie kamen dann, sie standen auch in Schlange und wollten gekrault werden. Für mich, für meine Finger war das sehr gut, denn ich hatte auch zwei OPs an den Händen und die wurden eigentlich gar nicht mehr so richtig gut, die Hände und durch dieses viele Kraulen und durch diese Wolle wurde das alles perfekt wieder geheilt und so hatten wir beide was davon.

Schafe können heilsam sein. Für Leib und Seele, aber auch für unsere Umwelt. Sie „befrieden“- im wahrsten Sinn des Wortes. Draußen in der Natur fressen sie zum Beispiel wildwuchernde Büsche nieder.

Und auf der anderen Seite sorgen sie dafür, dass der Samen der Pflanzen vor allem der Wildpflanzen auch weitergetragen wird, um dann die Artenvielfalt zu erhalten. In der Wolle hält sich ja unheimlich viel auf und die Schafe sind absolute Bio- Lkws könnte man sagen.

Mir war das alles gar nicht so bewusst. Vielleicht auch deshalb, weil wir Schafherden mit ihren Hirten kaum mehr zu Gesicht bekommen draußen. Viele Schäfer können nicht mehr von ihrer Arbeit leben.

Es gibt Schäfereibetriebe, die in der siebten, achten Generation sind. Es geht da ein Wissen verloren und kulturell bedeutet das auch, dass wir ja viele Bilder, die z.B. in der Bibel auftauchen, gar nicht mehr verstehen können.

Was meint Jesus, wenn er sagt: der gute Hirte, das bin ich!? Was macht eigentlich einen Hirten zu einem guten Hirten? Und warum könnten wir von Glück reden, ein Schaf in Jesu Herde zu sein?

Hirten mit Leitungskompetenz

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Vielleicht kennen und lieben Sie auch diesen 23. Psalm. Er meint: Gott ist da für mich. Wie ein guter Hirte für seine Schafe. Aber was ist ein guter Hirte? Karin Becker ist Pfarrerin und Hirtin. Die 59jährige hat aus eigener Erfahrung mit ihren Schafen verstanden: die sind alles andere als dumm. Und sie brauchen einen Hirten, der vor allem eins hat: Leitungskompetenz.

Wenn die Schafe Zweifel daran haben, an ihrer Leitungskompetenz, werden sie Ihnen das sehr bald zeigen. Und werden jede Gelegenheit nutzen um auszubüchsen und Sie haben verloren. Wenn Sie mit den Schafen frei gehen, dann müssen die Schafe 100 Prozent davon überzeugt sein: die wird uns niemals in eine schwierige Situation bringen, wir können uns ihr anvertrauen.

Der gute Hirte, das bin ich, hat Jesus gesagt. Kein orientalischer Despot, wie damals üblich, sondern einer, der be- hüten kann.

Es gibt zwei Formen des Hütens, das ist einmal das enge Gehüt, also da will man die Schafe beieinander halten. Das ist, wenn schlechtes Wetter ist oder auch Gefahren drohen. Und es gibt das weite Gehüt, das heißt, es ist eine große Fläche zum Beweiden da und man lässt die Schafe auch weit gehen. Und ich würde mal sagen: Gott ist derjenige, der das weite Gehüt bevorzugt. Und so darf jedes Schäfchen auch gucken und darf sich kundig machen, aber von Zeit zu Zeit sollte dieses Schäfchen mal gucken, ob es den Hirten noch sehen kann.

Aber was soll man tun als Hirte, wenn sich die Schäfchen zu weit entfernen? Was überzeugt Schafe, die zu weit weggelaufen sind? Weg von der Herde, raus aus der Kirche?

Auch das ist ein altes Hirtenprinzip. Es macht keinen Sinn, hinter den Schafen herzurennen, die sind immer schneller als Sie. Das musste ich leidhaft erfahren. Sie müssen dableiben. Sie müssen rufen. Und dann bleiben die irgendwann stehen, drehen sich um,  gucken zurück und kommen wieder. Wenn der Hirte rennt, dann ist Panik, dann ist alles vorbei. Und diese Geduld zu haben, um auf die Kirche zu kommen, diese Geduld wünschte ich mir. Wir sind jetzt in der Phase, wo wir etwas erhalten müssen für die kommenden Generationen.

Dass die Schafe auch den Weg zu kommenden Generationen ebnen können, das weiß Karin Becker aus ihrer Arbeit als Pfarrerin. Da nimmt sie ihre Schafe gern mal in den Konfirmandenunterricht oder zum Religionsunterricht mit.

Ich hatte einen, der hieß Kevin. Wo legt sich mein Schaf ab zum Schlafen? Zu Füßen dieses Kevin. Und der Kevin war wie ausgewechselt und hat gesagt: seid ruhig, das Lamm schläft. So einen Satz hat der noch nie gesprochen, in seinem ganzen Leben nicht.

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SWR1 Begegnungen

Annette Bassler trifft Anja Reschke, Fernsehjournalistin, Chefin des Politmagazins „Panorama“Anja Reschke copyright NDR/Thorsten Jander

Der „Job“, Journalistin zu sein

Die blonde Moderatorin des ARD- Magazins Panorama fasziniert mich schon lange. Vor drei Jahren- Tausende von Flüchtlingen sind grade in Deutschland angekommen- da hat sie in den Tagesthemen zu bürgerschaftlichem Engagement und Mitmenschlichkeit aufgerufen. Seitdem wird sie mit Hass- und Drohbotschaften überschüttet.

Ich hab gemerkt, dass ich natürlich die Debatte immer weiter anheize, je mehr ich im Fernsehen auftrete. Also jeder Auftritt in einer Talksendung, jeder Kommentar hat natürlich zu weiterer Wut geführt. Und dann gab es schon die Empfehlung auch aus meinem Sender: ja, dann halt dich doch mal ein bisschen zurück aus der Öffentlichkeit.  Und auch ich hab das Gefühl gehabt: Oh, ich muss mich jetzt mal ein bisschen zu Hause verstecken.

Wo sie als Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern sicher genug zu tun gehabt hätte.  

Dann war witzigerweise mein Mann, der gesagt hat: aber das bist du doch gar nicht es ist doch in dir drin, du musst doch jemand sein, der da draußen auch steht. Und dann hab ich auch gedacht: er hat recht. Es ist doch mein Job. Ich bin doch Moderatorin, ich hab ja die erste Reihe gewählt.

Die Propheten des Alten Testaments hätten es „Berufung“ genannt. Eine Antwort auf Gottes Ruf, dem man sich nicht entziehen kann, auch wenn es gefährlich wird. Anja Reschke würde ihren „Job“ nicht mit Gott in Verbindung bringen. Und  trotzdem bleibt sie. Will was bewegen in Zeiten von Fake- News. Auf einer Demo in Berlin ist ihr das beklemmend nah gerückt. Ein Mädchen war verschwunden und viele glaubten, sie sei von Flüchtlingen entführt und vergewaltigt worden. Deshalb haben sie demonstriert, obwohl das Mädchen bereits wohlbehalten von Freunden zurückgekehrt ist.

Und ich erinnere mich an ein Interview mit einer Passantin da.. und dann haben wir zu der gesagt: aber das stimmt doch gar nicht, sie ist doch gar nicht vergewaltigt und entführt worden. Und dann sagte die Frau: Fakten oder nicht, Wahrheit oder nicht ist mir egal, ich glaube das!

Das ist es, was Anja Reschke zu schaffen macht. Diese Art der Spaltung in unserer Gesellschaft. Die einen, die sich um Fakten und Beweise bemühen, bevor sie urteilen. Die anderen, die für wahr halten was sie fühlen. Wie sollen wir unsere großen Probleme angehen, wenn die Basis der Verständigung fehlt? Anja Reschke sucht den Kontakt mit den Anderen.

Ich kriege ja sehr viel Post und ich antworte darauf und oft ergibt sich daraus ein Briefwechsel. Das ist für mich wichtig, weil ich dadurch meine Argumente schärfen kann, überprüfen, vielleicht auch verwerfen. Ich hab dadurch schon viel Verständnis für das, was da passiert. Ich glaube aber, dass die Angst der Leute eigentlich größer ist als die Angst vor Migration oder vor Flüchtlingen

Und diese Art der Angst hat ihren „Job“ und ihre Ziele als Journalistin verändert.

Demokratie mit Leben füllen

Preisverleihung Anja Reschke und Theo KollAnja Reschke ist mit ihren 46 Jahren die jüngste Chefin des Politmagazins Panorama. Ihre Kommentare sind erfrischend klare Ansagen zum Zeitgeschehen. Dafür ist sie jetzt in Mainz mit dem Hildegard-von Bingen- Preis ausgezeichnet worden. Vor dem „who is who“ des deutschen Fernsehjournalismus. Nach der Preisverleihung dankt sie dem Laudator für seine Rede und meint: „Sie machen mich aber größer als ich bin.“ Ganz sachlich sagt sie das, als wolle sie einen Recherchefehler korrigieren. Genauso sachlich ist sie in ihrer Kritik an der eigenen Zunft.

Ich glaube, dass die letzten Jahrzehnte in der Berichterstattung viel so rübergekommen ist so nach dem Motto so „wir erzählen euch jetzt mal, was alles falsch läuft. Guckt mal, die da oben machen das falsch und ihr da unten seid dem ausgeliefert.   

Dadurch, so Reschke, haben Journalisten die Wut der Leute auf die da oben eher verstärkt. Und den Glauben, dass man gegen die eh nichts machen kann.

Das ist glaub ich Unsinn. Ich glaube der Punkt, dass die Demokratie schon mit allen zusammenhängt und auch von den Leuten mitgelebt werden muss, ist etwas, was wir zu wenig beachtet haben.

Und das will sie stärker angehen. Dafür will sie werben. Demokratie muss gelebt werden. Und dafür muss man sich eben schlau machen, komplizierte Zusammenhänge verstehen lernen. Dabei will sie helfen. Verstehen, was mit was alles zusammenhängt. Und sich dann einbringen. Und sich eben nicht ins Private, ins Häusliche zurückziehen. Oder ins Nationale, Völkische. Es weiß doch jeder, dass der Klimawandel samt den wirtschaftlichen Folgen vor keiner Grenze Halt macht. Deshalb geht es darum, sich mehr als Mensch unter Menschen zu verstehen. Und genau dafür findet sie Kirche wichtig.

Gibt ja viele Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, gibt ja auch genügend Gründe dafür, warum man austreten kann. Ich aber halte die Kirche für notwendig, auch in diesem gesellschaftlichen Diskurs, weil ich finde: wer soll denn die moralische Instanz sein, wenn nicht die Kirche. Irgendwo muss diese Instanz da sein, die uns ermahnt und letztendlich ist ja die Kirche nichts anderes, also wenn man sich mal die 10 Gebote anguckt, ist das ja nichts anderes als Regeln von gutem Zusammenleben.

Gutes Zusammenleben ist möglich. Daran glaube ich. Darauf hoffen und daran glauben und nicht zynisch werden. Das ist für Journalisten gar nicht selbstverständlich. Sind sie doch ständig mit der Analyse von Krisen und Katastrophen beschäftigt. Anja Reschke stammt zwar aus einem protestantischen Elternhaus, aber der Glaube an Gott hat für sie persönlich- außer an Weihnachten und Ostern- keine große Rolle gespielt. Trotzdem hält sie sich innerlich dafür offen.

Der Glaube an Gott ist für mich eher der Glaube an irgendwas Gutes, also irgendwas, was auf das Positive und Grundgute zwischen den Menschen gerichtet ist. Und ich glaube:  in Zeiten der Not oder in Zeiten, wenn alles um dich rum versinkt, wirst du dich wahrscheinlich dem zuwenden, ja. Und deswegen suchen Menschen dann Zuflucht in der Kirche, wo soll man auch hingehen?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27480
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