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SWR3 Gedanken

30DEZ2021
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„Sowas wie die kenn ich, die sind aus‘m Heim und besoffen“, sagt der Busfahrer halblaut in den halb gefüllten Nachtbus, als wir hinten einsteigen. Schwarze Leggins, weißes Minikleid, das Gesicht weißgeschminkt - knallrote Lippen. So hab ich ausgesehen, mit 16, auf dem Heimweg von meinem ersten Rockkonzert. Zusammen mit meiner besten Freundin aus dem Dorf. Und beide in diesem tollen Look. Finden wir zumindest.
„Ej“, ruft der Fahrer, jetzt zu uns hinter: „ihr im Oma-Nachthemd, zeigt mir die Fahrkarte“. Wir gehen nach vorn und zücken den Schülerfahrausweis. Er wirft einen Blick darauf, nickt knapp und raunzt: „Und, steigt ihr am Jugendheim aus?“ „Ähm, nein, Hauptstraße im nächsten Ort“, flüstere ich konzertheiser, „wir wohnen im Pfarrhaus“. Diesen Blick von ihm hab ich nicht vergessen. Noch als er uns beim Aussteigen hinterhersieht, schüttelt er ungläubig den Kopf.

Okay, Hand aufs Herz, im Pfarrhaus hab´ nur ich gewohnt, meine Freundin hat bei mir übernachtet. „Die Parrersdochder un die vum Organischd“, hieß es im Dorf, die sehn ein bisschen verrückt aus, „sin awwer brav“. Nun ja. „Der Mensch sieht, was vor Augen ist“, heißt es in der Bibel, „Gott aber sieht das Herz an“. Vor kurzem habe ich an diesen Satz und die alte Geschichte gedacht. Als ich mich abends etwas ängstlich an einem Biker vorbei zu meinem Rad verdrücken will - seine Brille so dunkel wie sein Bart - weicht er aus und sagt soft wie Sahne: „Oh, hab ich Ihnen im Weg gestanden?“. Fast hätte ich gesagt, nein, nur ich mir selbst.

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SWR3 Gedanken

29DEZ2021
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Es ist oft das gleiche Gespräch. „Immer noch keine Payback-Punkte sammeln?“ Die Kassiererin sieht über ihre Brille, schmal wie sie selbst. Das Kassenband ist kurz, die Warteschlange lang. „Nein, ich sammle hier nur gute Laune und komme immer back“, sage ich. Sie lacht. Schnell ist sie, nie hektisch, immer schaut sie hoch. Frau Martin. Ich bewundere sie. Auch das sage ich ihr ab und an.

„Ach, ich mach nur meinen Job“, lächelt sie. Sie faltet der älteren Dame hinter mir die Papiertüte auf. Und fragt: „Sind Sie jetzt geboostert, Frau Walter?“ „Nein, ich war so erkältet und letzte Woche war ja mein Enkel da…“ Frau Walter ist in Redelaune, während sie die Salami gemütlich auf´s Band legt und weiterplaudert. Ich packe fixer ein, die Warteschlange hüstelt. „Nur langsam“, beruhigt Frau Martin die Dame und mit einem „bitte zweite Kasse öffnen“ - auch die Wartenden.

Wie gut, einen solchen Laden nah bei zu haben, erst recht in diesen Jahren auf Abstand. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, heißt es in der Bibel. Doch viele sind allein, isoliert, erst recht die Älteren. In der niederländischen Kleinstadt Vlijmen gibt´s im Supermarkt eine extra „Klatskassa“, eine „Klatschkasse“. Wer sich hier anstellt, mag nicht drängeln, sondern plaudern. Die Idee ist so erfolgreich, dass sie auch anderswo in den Niederlanden eingeführt werden soll, die Klatschkasse. „Also ich fänd das gut“, meint meine Kassiererin, als ich es ihr erzähle, „da rechne ich bald Therapiestunden ab“, zwinkert sie. „Warum eigentlich nicht, Frau Martin?“, frage ich. Und meine das völlig ernst.

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SWR3 Gedanken

28DEZ2021
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„So süß, die Kinder.“ Unterm Tannenbaum, im Krippenspiel: Diese Tage rund um Weihnachten stehen die Kleinen in der Mitte. Wie das Kind in der Krippe eben. Dabei war ein Kinderleben nie nur süß. Bis heute ist es - fast wie bei Maria und Josef – allein schon schwer, einen Krippenplatz zu finden. Wie oft standen und stehen die Kinder hintan in der Welt der Erwachsenen, nicht erst in der Pandemie.

Selbst dem Jesuskind geht’s nicht nur goldig. Es wird, so die Legende, von Herodes verfolgt. Weil der König Angst hat, dass dieses Kind die ganze Welt auf den Kopf stellt. Der heutige „Tag der unschuldigen Kinder“ erinnert daran. Erinnert, wie schutzlos und schützenswert ein Kind ist – und jedes einen sicheren Platz unter uns braucht. Nach altem Brauch haben die Kleinen immerhin heute das Sagen. Und wenn sie nur Süßes essen wollen, mit zur Arbeit gehen und das Büro auf den Kopf stellen, dann dürfen sie das heute.

„So sweet“, sagt Professor Troy Littleton in Massachusetts über sein Krippenkind. Er twittert neulich zu einem Foto, das oft geteilt wurde: "Ein Babybett - für mein Büro. Meine Doktorandin kann zur Arbeit ihre Kleine mitbringen und ich darf Babysitten. Win-Win!" Das Krippenplatzproblem der Uni hat er so nicht gelöst, aber das Problem neu angerissen, meint der Neurologe. Er weiß – trotz guter Nerven, die er von Berufs wegen vielleicht hat – die Süßen sind nicht nur lieb zu bespielen. Sie müssen gefüttert, gewickelt, gestreichelt, erzogen und erwachsen werden dürfen. Kinder brauchen ihren Platz in unserer Welt. Nicht nur einen, jeden Tag im Jahr.

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SWR3 Gedanken

27DEZ2021
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„Au ja, das machen wir. Zwischen den Jahren“, sage ich unzählige Male. Anfang Dezember wohlgemerkt. Da habe ich das Gefühl, als wären die Tage von Weihnachten bis Januar unendlich lang. Also: Endlich Freunde treffen, die weiter weg wohnen – zumindest eine Runde zoomen oder skypen - das Schlafzimmer streichen, aufräumen, vielleicht noch bisschen Sauna, jedenfalls total ausspannen. Alles „zwischen den Jahren“.

Als wäre es eben Zeit „dazwischen“, Bonusstunden, ein Zwischenraum, der nicht zählt. Als würden die Tage nicht im Kalender stehen. Schön wär´s. „Schade, das klappt nicht, ich hab´ die Woche keine Zeit mehr“, höre ich mich nach dem zweiten Weihnachtstag stöhnen. Gott, „meine Zeit steht in deinen Händen“, sagt dagegen ein Mensch in der Bibel. Ein schöner Gedanke. Allein das Wort „steht“ - als würde sie je stillstehen, die Zeit.

Wobei: Manchmal tut sie das sogar. Wenn ich ein paar leere Stellen im Kalender lasse und weniger reinpacke. Früher hab ich in diesen Zwischentagen gemütlich mit Füller Termine in den frischen, ledernen Kalender eingetragen. Heute flutschen die Daten digital ins Neue Jahr. Aber manchmal surfe ich durch die Notizen, lösche und lese. Sichte Fotos, digital, und plötzlich im alten Pappkarton - „wo war das nochmal, ach ja, Frankreich“. Höre Chansons, die ich in dem Urlaub damals entdeckt habe. Und höre plötzlich meinen Mann: „Ähm, wolltest du nicht in der Zwischenzeit hier aufgeräumt haben?“ „Klar“, sag ich, „das mach ich noch… im nächsten Jahr.“

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SWR3 Gedanken

26DEZ2021
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Es ist zum Davonlaufen. Zweiter Weihnachtsfeiertag. Der zweite mit G - 3 G, 2 G - wie auch immer. Ich geh jedenfalls in den Pfälzer Wald, Familienwandern. „Hi, wo verlaufen wir uns diesmal“, chattet meine Cousine vorab. Jedes Jahr stehen erst mal einige am unteren, die anderen am oberen Platz beim Forsthaus. Gewinke und Gefrotzel. „Klar, auf die Bayern muss man immer warten.“

Das Chaos hat Tradition, die Frage „seid ihr getestet“ langsam auch. Wir kommen aus allen Himmelsrichtungen, jemand ist immer zu spät, aber dann laufen wir los. Raus in den Wald. Wo der Atem nebelt, die Ohren kalt werden und das Herz warm beim Reden unterwegs. Es wird gelacht und geratscht. Aber auch geschwiegen. Mal ist die Tante krebskrank, die Schauspielnichte arbeitslos, der Bruder dafür gerade im Traumjob. Irgendjemand ist immer arm dran und anderen geht’s gold. So wie damals in Bethlehem.

Irgendwo zwischen armseligen Hirten und Heiligen Drei Königen sind wir wohl unterwegs. Wir Großen schenken uns angeblich nichts und haben doch immer was Kleines dabei. Besonders für die Kleinen, die es längst nicht mehr sind. „Ui, bist Du groß geworden“, das hören all unsere Studis. „Den Kindern ist unser Wandern ja besonders wichtig“, sagen wir Erwachsenen und reiben die kalten Hände. Das ist Weihnachten pur. Verschiedenste Menschen kommen zusammen. Damals wie heute. Ob im Wohnzimmer, per Zoom oder unterwegs. Draußen auf dem Feld bei den Hirten. Oder eben - draußen im Wald.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

01SEP2021
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SWR4 RP Morgengruß

"Mein Akku ist gleich leer", ein Anruf an einem Donnerstag, frühmorgens um halb zwei. "Mein Bett, plötzlich ist es geschwommen, ich bin hoch in den ersten Stock gerannt..." Die Stimme meines Mannes heiser, ich bin hellwach. Er arbeitet in Bad Neuenahr. Später schickt er noch eine Nachricht, ein dunkles Foto, eine Kerze. "Kein Strom, sitze mit den Nachbarn, hören nur Wasserrauschen." Mir rauscht es im Ohr. Noch heute. An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Ab drei Uhr früh höre und lese ich nichts mehr von ihm.

Dafür sehe ich Nachrichten. Wasserfluten fressen Straßen, spülen Häuser weg, Orte versinken im Schlamm. Menschen: verletzt, vermisst, viele gestorben. Auch Feuerwehrleute. Mein Herz wird eng mit jeder weiteren Stunde. Dabei habe ich noch Glück, mit dem Lebenszeichen des Liebsten.

„Meine Mutter im Seniorenheim, weiß jemand was? Meine kleine Tochter ist verschwunden“, ich klicke mich durch die Netzwerke. Menschen trösten und helfen einander, sofort und schnell. „Braucht jemand Konserven, Kleidung, eine Babytrage, einen Rollator?“

Eine Hilfewelle, die mich berührt und tröstet. Über den Katastrophentourismus hinweg, die Arien der Klimawandel-Leugner, die Prominenz im Wahlkampfmodus… All das zählt weniger als diese Hilfsbereiten. Die teilen, was uns zu Menschen macht. Menschlichkeit, Mitleid, Nächstenliebe. Dann – endlich – nach 14 bangen Stunden der Anruf. „Mir geht’s gut, bin wieder erreichbar.“ Selten habe ich Gott so laut gedankt. Und all denen, die füreinander da waren – und noch sind.

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SWR3 Gedanken

14AUG2021
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„Ach, Sie sind die Tochter“, begrüßt sie mich, „ich bin die neue Nachbarin“. Wir stehen vor der Tür meiner Mutter im Senioren-Wohnheim. Vor kurzem ist sie dort eingezogen. „Jetzt trinken wir einen Sekt auf Ihren Einzug, das Leben ist so schön“, sagt die Dame unter korrekt frisiertem Silbergrau.

„Raten Sie mal, wie alt ich bin“, sie zückt kokett den Schlüssel zu ihrem Appartement und schiebt uns mitsamt ihrem Rollator hinein. „Ja, das rätst du nicht“, sagt meine Mama. Ich komme ohnehin nicht zum Raten. Die beiden betrachten sofort silbergerahmte Fotos. „Einen Sohn, paar Enkel und einen Urenkel hab ich. Aber jetzt bin ich doch hier gelandet.“

Ihre kirschgeschminkten Lippen lächeln leicht zerknittert. „Ah, ich wollte was anbieten“, sie läuft zum Kleiderschrank, stutzt, „nun suche ich schon hier den Schnaps“; sie findet ihn in der Anrichte. Wir trinken statt Sekt Marillenartiges. Sie taucht währenddessen in Erinnerungen und in ein Leben, das weit weg scheint.

„Irgendwann bin ich umgefallen und im Kopf fällt auch mal was um“, lacht sie schließlich. „Ihr Kopf sitzt aber noch stolz oben“, sage ich. „Ja, mit 20 hatt’ ich schon gern die Haare schön und ein Friseursparkonto. Das klingt albern, aber ich hab immer Wert auf mich gelegt.“ Ich lächle und denke, so schön kann man den Begriff „Würde“ umschreiben.

„Sie wird 92“, verrät meine Mama. „Ja, ich glaube, so etwa“, sagt die Nachbarin unsicher, „ich vergesse ja vieles, aber mir reicht, was ich weiß und ich sag Ihnen: Wir könnten hier viel meckern, aber wir können es auch lassen“. Die Beiden kichern wie junge Mädchen. Als wir gehen, werde ich ermahnt: „Kommen Sie wieder zum Sekt. Und vergessen Sie nicht, das Leben ist verdammt schön.“ Wie könnte ich das vergessen.

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SWR3 Gedanken

13AUG2021
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Alles liegt da. Sofa, Tisch, Matratze, Fernseher, Fotoalben, Teller, Schuhe, Bücher, alles zusammengeschoben zu einem Berg. "Das war mein Leben", flüstert sie, „ich hab nichts mehr“. Um die vierzig mag sie sein. Eine derjenigen, die nach der Flut-Katastrophe auf diese Berge sehen. Unterschiedlichste Dinge, nun alle gleich: schlammbraun.

Ich sage nichts, beschämt, dass ich noch ein Zuhause habe mit Wasser und Strom, mit Bett und Mann, der in Bad Neuenahr arbeitet, aber in seiner Zweitwohnung glimpflich davongekommen ist. "Was bin ich noch?", fragt sie, wie ein Gespenst in Gummistiefeln. Ihre Frage setzt sich fest. Was bin ich, ohne das, was ich zum Leben brauche, und ohne das, was dazu gehört, Fotos, Briefe, Erinnerungsstücke. Ganz zu schweigen von geliebten Menschen, die manche verloren haben.

"Was ist der Mensch?" fragt der Dichter Erich Mühsam 1914. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs, der sogenannten Urkatastrophe, schreibt er:
Was ist der Mensch?
Ein Magen, zwei Arme,
ein kleines Hirn und ein großer Mund,
und eine Seele – daß Gott erbarme! (…)
Was muß der Mensch?
Muß beten und lieben und fluchen und hassen,
muß hoffen und muß sein Glück verpassen –
und leiden wie ein geschundner Hund.

Wie viele leiden noch. Wie die Hunde. Und doch wie Menschen. Begleitet von denen, die für Magen, Mund und Seele sorgen – über Hilfseinsätze, Notfallseelsorge – und all jenen, die mithelfen, mitweinen, beten, zuhören. „Was bin ich noch?“ Antworten konnte ich dieser Frau nicht, nur Schulter an Schulter vor ihrem Trümmerberg stehen. Mit unserer Seele, dass Gott erbarme.

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SWR3 Gedanken

12AUG2021
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"Mein Akku ist gleich leer", ein Anruf an einem Donnerstag, frühmorgens um halb zwei. "Mein Bett, plötzlich ist es geschwommen, ich bin hoch in den ersten Stock gerannt..." Die Stimme meines Mannes heiser, ich bin hellwach. Er arbeitet in Bad Neuenahr. Später schickt er noch eine Nachricht, ein dunkles Foto, eine Kerze. "Kein Strom, sitze mit den Nachbarn, hören nur Wasserrauschen." Mir rauscht es im Ohr. Noch heute, vier Wochen danach. An Schlaf nicht zu denken damals. Ab drei Uhr früh höre und lese ich nichts mehr von ihm.

Dafür sehe ich Nachrichten. Wasserfluten fressen Straßen, spülen Häuser weg, Orte versinken im Schlamm. Menschen: verletzt, vermisst, viele gestorben. Auch Feuerwehrleute. Mein Herz wird eng mit jeder weiteren Stunde. Dabei habe ich noch Glück, mit dem Lebenszeichen des Liebsten.

„Meine Mutter im Seniorenheim, weiß jemand was? Meine kleine Tochter ist verschwunden“, ich klicke mich durch die Netzwerke. Menschen trösten und helfen einander, sofort und schnell. „Braucht jemand Konserven, Kleidung, eine Babytrage, einen Rollator?“

Eine Hilfewelle, die mich berührt und tröstet. Über den Katastrophentourismus hinweg, die Arien der Klimawandel-Leugner, die Prominenz im Wahlkampfmodus… All das zählt weniger als diese Hilfsbereiten. Die teilen, was uns zu Menschen macht. Menschlichkeit, Mitleid, Nächstenliebe. Dann – endlich – nach 14 bangen Stunden der Anruf. „Mir geht’s gut, bin wieder erreichbar.“ Selten habe ich Gott so laut gedankt. Und all denen, die füreinander da waren – und noch sind. 

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SWR3 Gedanken

11AUG2021
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„Kein Handy am Tisch“, nörgle ich mal wieder. „Jaa“, murmelt der Große. „Ich wollte nur kurz nachsehen, was ein Okapi ist...“ Aha, davon hatten wir gerade die Rede. Gut, wenn man schnell googeln kann, wofür ich früher zum Regal laufen und dudeln musste, also im Duden lesen: „Das Okapi heißt auch Waldgiraffe.“ Heute gibt’s sekundenschnell Wissen, Wichtiges und Witziges. Kurz im Smartphone zu überfliegen und - die anderen dabei kurz oder lang zu übersehen. „Hallo“, wedle ich dem Großen vor Augen rum, aber der ist abgetaucht.

Ähnliches später im Cafe. Ein Mann schaut seiner Partnerin beim Chatten zu. Zwei Freundinnen sitzen über Aperol und ihren Insta-Accounts. Drei Jungs, ihre Daumen rasen übers Display. Ab und an ein „guckt mal“, ein Lachen, dann senken sich die Köpfe wieder. Und der Mann grummelt der Freundin ins Ohr: „Guckst du mich heut auch nochmal an?“ Tja, gesehen werden, das ist - weiß Gott – schön. „Gott, Du hast mich angesehen“, sagen Menschen in der Bibel, wenn sie sich gemeint und geliebt fühlen. Dass wir mal so oft auf geliebte Geräte blicken werden …

Ich denke an eins meiner ersten swr-3-Worte. Damals hab ich mich leicht lustig gemacht über das Mobiltelefon. Groß wie ein Klotz. Und nur zum Telefonieren für unterwegs. Damals. Wann war das noch gleich? Ich zücke mein Smartphone. Ah ja, in den 1990ern, sehe ich. Dann höre ich ein paar Audios, chatte ein bisschen. „Ach, hier bist du?“ Ich schaue hoch, da steht mein Großer. „Oh, schon so spät“, stammle ich. „Macht nichts, ich hab´ dich ja gesehen“, meint er. „Schön“, sage ich, „lass uns noch was trinken“. „Gern“, grinst er, „aber nur ohne Handy am Tisch“.

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