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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Heute ist der „Welttag der sozialen Kommunikationsmittel“, eine Art „Mediensonntag“ der Katholischen Kirche. Zum 50. Mal wendet sich ein Papst an die Öffentlichkeit, um über die Bedeutung der Massenmedien nachzudenken.

Papst Franziskus tut dies in diesem Jahr und schreibt über den Zusammenhang von Kommunikation und Barmherzigkeit. Er nennt das eine „fruchtbare Beziehung“. Es passt zu Papst Franziskus, dass er nicht in allgemeiner Weise über die Massenmedien, über facebook oder über das Internet spricht, sondern er wird konkret: Die Aufgabe der Kommunikation zwischen Menschen ist, Barmherzigkeit auszudrücken.

Papst Franziskus schreibt: „Was wir sagen und wie wir es sagen, jedes Wort und jede Geste müsste imstande sein, das Mitleid, die Zärtlichkeit und die Vergebung auszudrücken, die Gott allen entgegenbringt. Die Liebe ist von Natur aus Kommunikation, sie führt dazu, sich zu öffnen und sich nicht abzuschotten. Und wenn unser Herz und unsere Gesten von der Nächstenliebe, von der göttlichen Liebe beseelt sind, wird unser Kommunikation eine Überbringerin der Kraft Gottes sein.“

„Kommunikation als Überbringerin der Kraft Gottes“ – das ist mir fast ein bisschen zu ideal, zu idealistisch gedacht. Mir kommen Missverständnisse in den Sinn, die in Streit und Chaos enden. Ich denke an Kriegserklärungen, die jeden Tag in den Nachrichten zu hören sind. Aufrufe zu Gewalt, und das Morden nimmt kein Ende.

„Kommunikation als Überbringerin der Kraft Gottes.“ Bei allem Streit und Zank erinnert Papst Franziskus an das eigentliche Ziel menschlicher Kommunikation. Er schreibt: „Wir sind aufgerufen, als Kinder Gottes mit allen in Verbindung zu treten, ohne jemanden auszuschließen. In besonderer Weise gehört es wesenhaft zur Sprache und zum Handeln der Kirche, Barmherzigkeit zu übermitteln, so dass sie die Herzen der Menschen anrührt und sie auf dem Weg zur Fülle des Lebens unterstützt.“

Ich finde es gut und richtig, Kommunikation und Barmherzigkeit zusammen zu bringen. Mehr noch:  „Kommunikation als Überbringerin der Kraft Gottes!“ – Ein programmatischer Satz des Papstes, gültig ganz gewiss nicht nur an diesem Tag.

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SWR1 Begegnungen

„Was in Rio geschieht, ist kein fair play!“

Ich treffe Heribert Kron in Mainz. Der gebürtige Mainzer ist Mitstreiter der Aktion „Rio bewegt. Uns.“ Heute, am letzten Tag der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro, lenkt mein Gesprächspartner den Blick auf die dunklen Seiten des Sportereignisses.  Auf der einen Seite die strahlenden Sieger, auf der anderen Seite die Einheimischen als Verlierer. Heribert Kron empfindet das als ungerecht.

Fair play ist ein olympisches Thema. Aber fair play mit den Menschen,
die in Rio wohnen, in den Armenvierteln, in den favelas, darum geht’s!
Fair play für Menschen, die Hilfe brauchen, ein ordentliches menschliches Miteinander brauchen. Da fehlt es über weite Strecken in der tollen
Stadt Rio.

Olympische Spiele – die bringen doch eine Stadt nach vorne, bringen Vorteile für die Menschen vor Ort. Heribert Kron, der mehrfach in Rio war, erzählt mir vom genauen Gegenteil.

Da sind Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben worden, innerhalb kurzer Zeit. Da kamen Bulldozer und haben ihre schon nicht tollen Häuser niedergemacht, aber es waren immerhin Häuser. Ein Dach überm Kopf, damit man ne Straße bauen kann zum olympischen Dorf.

Olympische Spiele nach Rio zu verlegen, findet Heribert Kron unmöglich. In einem Land, in dem es an allem fehlt, wurden für Milliarden unsinnige Sportstätten gebaut, die nach den Spielen so niemand mehr braucht. Er formuliert ein Beispiel:

Wir brauchen Schwimmbäder, in denen wir auch olympische Disziplinen schwimmen können; wir brauchen auch ein Dach über dem Schwimmbad – in Rio ist nicht nur schönes Wetter. Aber was wir nicht brauchen, das sind Tribünen für 20 000 und mehr Leute, und die noch aus nordischer Kiefer hergestellt. Den Luxus brauchen wir nicht.

„Rio bewegt. Uns.“ – So lautet die Aktion, die hinter die Kulissen der Olympischen Spiele schaut. Sportplätze zu bauen, ist wunderbar. Aber das reicht nicht.

Die Kinder kommen dann zu dem Sportplatz. Aber wenn sie keiner anleitet, dort Fußball zu spielen, dort Volleyball zu spielen, dann werden die Kinder auf dem Sportplatz rumstehen. Dann kommen Männer und verkaufen ihnen Drogen. Dann ist der Sportplatz genau das Gegenteil geworden.

Heute enden die Olympischen Spiele in Rio, in gut zwei Wochen beginnen die Paralympischen Spiele für körperlich behinderte Sportler aus aller Welt.  Die Sportstätten sind barrierefrei, aber die Stadt Rio ist es nicht.

Da gibt es Bordsteine, die sind unglaublich hoch, Und da hat man ganz steile Kanten an die Bordsteine gemacht. Da kommt kein Rollstuhl-Fahrer hoch. Das ist unmöglich. (ab 8.18:) ich wünsche mir eigentlich, dass die Paralympics ne Initialzündung bringen, dass Rio da was tun muss. Aber Rio hat so viele Baustellen. Das wird schwierig.

„Nächstenliebe ist konstitutiv für unseren Glauben!“

 Der 71-jährige Mainzer Heribert Kron ist Mitglied in der Aktion „Rio bewegt. Uns.“ Er wollte nicht nur schöne Olympische Spiele, sondern ein besseres Leben für die Menschen vor Ort. Er  kämpft für Gerechtigkeit – weltweit. Er tut dies seit Jahrzehnten unermüdlich. Dass er mitunter aneckt, nimmt er in Kauf. Und ist sich sicher:

Ein Glaube ohne die tätige Nächstenliebe ist kein Glaube. Tätige Nächstenliebe ist konstitutiv für unseren Glauben. Davon bin ich überzeugt. Mir reicht es nicht, am Sonntag im Gottesdienst mein Herz zu erwärmen. Es gehört dazu, da wo ich kann, Menschen zum Leben helfen.

Heribert Kron hat drei erwachsene Kinder, fünf Enkel komplettieren derzeit die Familie. Der Einsatz für Menschen in Not – das hat auch die Kinder geprägt. 

Eines schönen Tages kam meine liebe Tochter und wollte ein soziales Jahr nach dem Abi machen. Dann haben wir das Mädel besucht. Wir haben kein schönes Rio erlebt, kein touristisches Rio erlebt. Wir haben erlebt, wie die Kinder Eiterbeutel hatten. Die musste man ausdrücken, dass die Würmer rauskamen. Wir haben unsere Tochter nur noch bewundert: Mensch, Mädel, mit 19, was machst du denn da für ne Arbeit.

Die Aktion „Rio bewegt. Uns.“ möchte Menschen in unserem Land auszeichnen, die sich eingesetzt haben für die Menschen in Rio, aber auch anderswo. Wie bei den Olympischen Spielen gibt es eine Medaille, eine sogenannt „Medaille der Werte“.

Und dann haben wir gesagt: Die Medaille der Werte darf jetzt net ein tolles Bronze, Gold- oder Silberstück sein, sondern die soll so sein, wie unsere Aktion ist: nachhaltig und einfach. Ein Frauenkreis in den Favelas in Rio, die stellen diese Medaille der Werte her: Einfach, aus recyceltem Blech von Getränkedosen.

Der Zusammenhang ist längst klar, auch mir: So, wie wir leben, geht das auf Kosten vieler Menschen in der Welt.  Gerade der Armen.

Wenn ich Orangensaft trinke, ist das Rio. Wenn ich Fleisch esse von Rindern, die auf Weiden großgezogen wurden, wo früher Urwald war, den man abgebrannt hat, dann ist das Brasilien, dann ist das Rio. Weil diese Menschen, die in diesem Urwald gelebt haben, die hocken jetzt in den Favelas ohne Zukunft.

Heribert Kron möchte mit seinen Mitstreitern Menschen erreichen, die Augen öffnen für das ganze Bild Rio de Janeiro. Wir sind beide skeptisch, ob das klappt, Menschen zu sensibilisieren.

Die werden in ihrer Couch sitzen und Olympia gucken, werden Sportstätten sehen. Aber Rio? Werden sie net sehen. (…) Und deshalb die Aktion: „Rio bewegt.Uns.“ wichtig, um zu sagen: Leute, Rio ist viel mehr als jetzt, wenn Sport ist.

Gerechtigkeit ist eines der wichtigsten Worte im Leben von Heribert Kron, und er lenkt den Blick weg von Rio hin auf unser Land:

Nur wenn wir gerecht mit Menschen umgehen, können wir Frieden haben auch in unserem Land. Wenn wir gerecht mit den Fremden umgehen, die bei uns sind, und die keine Christen, die Muslime sind – auch die erwarten Gerechtigkeit. Wenn wir ihnen gewähren, was menschlich notwendig ist, (17’01), dann werden wird das Problem des „Miteinander Lebens“ in Deutschland bewältigen können.

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SWR1 Begegnungen

„Die Sprache in den Kirchen treibt mich in den Wahnsinn!“

Ich treffe mich mit Erik Flügge, der in seinem Beruf Politiker fit macht für öffentliche Auftritte und Reden. Er ist Autor des Buches „Jargon der Betroffenheit,  Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“. Das Buch macht Furore, und deshalb habe ich ihn in Köln besucht. Wie wird in den Kirchen gesprochen? Denkt Erik Flügge daran, verzweifelt er fast.

Es würde schon reichen, wenn jemand, der in einer Kirche predigt, nicht
in einen seltsamen, fremden Ton verfällt.
Wenn die Leute sich in ihrem Sprechen treu bleiben würden. Ich glaube, was alle, die in die Kirche, gehen, die an einem Gottesdienst teilnehmen, miterleben ist, das jemand, der dort eine Predigt hält, in einen ganz ganz
seltsamen Ton verfällt, mit seltsamen Wortbetonungen, mit komischen Satzmelodien, mit Wörtern, die diese Person im Alltag nicht benutzen würde – die sind alle gar nicht aus der Bibel entlehnt, sondern ein seichter Bla-Bla-Sprech, der häufig wenig Inhalt hat: Jesus lädt dich ein, er lädt dich ein zum gemeinsamen Mahl, ein Mahl, wie er‘s mit seinen Jüngern gefeiert hat – also so Kettensätze, in denen wenig Botschaft drin steckt.

Zack! Das sitzt! Erik Flügge hat einige Semester katholische Theologie studiert, er kennt sich aus bei Kirchens. Er ist ein Mann der Sprache, und er bringt es auf den Punkt:

Ehrlich gesagt, treibt es mich in den Wahnsinn, immer wieder, wenn ich was von der Kirche sehe, dann ist es unpointiert, unpräzise, langweilig oder belanglos.

Ob ich mich an eine gelungene Predigt erinnern könne, fragt er mich in unserem Gespräch. Gute Frage. Nach einigem Zögern kommen mir einige wenige in den Sinn. Er selbst hat 100 Predigten untersucht.

Diese waren mal besser, die waren mal schlechter, die waren mal katastrophal, manchmal auch ganz gut, aber die waren alle belanglos. Sie waren alle ohne Nachhall, ohne dass sie mich gefesselt haben und ich länger drüber nachdenken musste. Und ich glaube, dass ist das Drama an unseren Predigten dass es so seicht daher schrammt. Es macht keinen Unterschied, ob ich’s gehört habe oder nicht gehört habe. Es geht nicht über Stunden mit mir mit, es fesselt mich nicht, es irritiert mich nicht.

Der 30-jährige Politikberater sitzt vor mir und liest seiner Kirche die Leviten. Die Kirche stört ihn nur, aber sie sollte ihn doch lieber irritieren, sagt er mir. Doch das klappt leider nicht.

Das ist so schade, weil die Botschaft ist unglaublich irritierend, über die wir da sprechen. Da verreckt jemand am Kreuz, da gibt es Einsamkeit, da gibt es Leiden, da gibt es Wunder, absolut verstörende Dinge wie die Auferstehung von jemandem von den Toten, und was wir dann draus machen, dass wir es in eine seichte Phrase „Gott ist die Liebe“ zusammenfassen, aus der niemand wirklich was ziehen kann. Das wirklich spannende ist, dass Gott nicht nur Liebe, sondern auch Leiden, Krieg und Gewalt und alle anderen Dinge in der Bibel repräsentiert.  Und wenn ich es nicht aushalte als Theologe, diese Spannungen auch zu formulieren und diese spannend zu formulieren, dann mach ich zu wenig richtig in meinem Job.

Erik Flügge hilft in seinem Job Politikern die Reden halten müssen, auf die Sprünge. Er will, dass Menschen, die öffentlich reden, verstanden werden, eine Wirkung erzielen, die bleibt. Auch und gerade bei Gottesdiensten und bei Predigten. Erik Flügge kritisiert nicht nur. Wie ein gutes „Sprechen über Gott“ gelingen kann, dazu mehr nach dem nächsten Titel.

„Der Glaubenszweifel gehört erzählt!“

Erik Flügge ist Politikberater, studierter Theologe und lebt in Köln. Der 30-jährige hat mit seinem Buch „Der Jargon der Betroffenheit, Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ für Furore gesorgt. Die Art und Weise, wie vor allen in den Gottesdiensten gesprochen wird, macht selbst einen Sprach-Profi sprachlos. Wie heute von Gott reden?, frage ich ihn. 

Es ist verdammt schwer, von Gott zu sprechen, weil Gott ist unendlich groß, Gott ist schwer zu fassen, ist schwer zu beschreiben. Deswegen ist alles theologisch gutes Sprechen von Gott immer aus der Sicht eines Menschen auf sein Erleben mit Gott. Den ganzen Gott zu beschreiben werden wir nicht hinkriegen. Worüber wir sprechen können: Wie meine Verhältnisbestimmung zu Gott. Und dann kann ich ganz bei mir bleiben und kann auch ganz von mir selbstsprechen. Da brauche ich keine komischen Bilder, Vergleiche, irgendwas. Und das ist etwas, wie ich Menschen tatsächlich erreiche.

Nur noch 10 % der Katholiken gehen sonntags zum Gottesdienst. Erik Flügge ist Theologe genug, um zu wissen, dass der Ablauf des Gottesdienstes nicht immer wieder neu erfunden werden kann.

Mir ist eines ganz wichtig: Mir geht es nicht darum, den Eucharistie-Teil des Gottesdienstes aufzulösen. Ich finde es völlig in Ordnung, dass es einen Teil in der Liturgie gibt, der standardisiert ist, der sich wiederholt, der in Riten und Symbolen stattfindet. Dort geht es um die Inszenierung des Geheimnisses des Glaubens. Darum ist das völlig in Ordnung, wenn das ein bisschen fremd klingt, seltsam ist, irgendwie anders.

Und dann kommt die Predigt.

Die Predigt ist was andres. Die Predigt ist der Moment, in der ein Theologe / eine Theologin sich direkt an die Leute wendet und plötzlich dort in denen einen Diskurs anstoßen will. Und wenn das seltsam, symbolbelastet bleibt, dann brauche ich diese Predigt nicht, das leitet der restliche Teil schon. Mir geht es nicht darum, das Vater unser umzuformulieren, das will ich überhaupt nicht. Mir geht es darum, dass die predigt gut und interessant gesprochen wird.

Ich frage ihn nach einem Vorbild in Sachen „Sprache“,  und er überlegt nicht lange.

Ehrlich gesagt ist der Papst auch spannend. Er hat gerade vor kurzem erklärt, dass er eine lange Biographie des Glaubenszweifels hinter sich hat. Und hat einfach davon erzählt. Und die ganze Welt gerät in Aufschrei, (…) weil es eben keinen Priester gibt und keine Theologien, der oder die ne Glaubensbiographie ohne Zweifel hinter sich hat. Und das gehört in die Kirche und es gehört erzählt.

Schwierigkeiten im Glauben zu haben, und darüber nicht zu schweigen – diesen Rat nehme ich mit für meine eigene Arbeit als Theologe. Nähe und Abstand zur Kirche, das ist möglich, und man kann trotzdem katholisch bleiben. Und Erik Flügge schreibt den Profis ins Stammbuch:

Ich glaube, der kirchliche Dienst besteht nicht nur aus der Verwaltung einer Kirchengemeinde, nicht nur aus Gremienarbeit, sondern er  besteht mit als das Wichtigste aus Verkündigung. 

Literatur:

Erik Flügge, Der Jargon der Betroffenheit, Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt, München, Köselverlag 2016.,

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SWR1 Begegnungen

Stephan von Bothmer

Uwe Beck trifft Stephan von Bothmer, Musiker in Berlin und Organist bei Fußball-Public-Viewing in Kirchen

„Das ist eine Art Oper“

Ich besuche Stephan von Bothmer. Er ist Musiker und Komponist, lebt in Berlin. Während der Europameisterschaft in Frankreich hat er zu den Final-spielen zu einem Public-Viewing eingeladen, aber nicht wie üblich in Stadien oder auf großen Plätzen.

Das Besondere bei uns ist, dass es in einer Kirche stattfindet, und zwar begleite ich dieses Fußballspiel an der Kirchenorgel live. Ich spiele quasi ne Filmmusik dazu. Und mach da draus so nen Kino-Film.

Public Viewing in einer Kirche. Wer soll sich das antun, frage ich mich, als ich Stephan von Bothmer in der Emmaus-Kirche in Berlin besuche. 450 Fans sind gekommen, um Fußball zu schauen und Orgelmusik zu hören. Stephan von Bothmer hat zu vielen Stummfilmen nachträglich Melodien komponiert und die Filme so mit Musik unterlegt. Beim Fußball-Publik-Viewing geht das so:
Weil ich eben Stummfilm-Musiker bin, drehen wir den Ton ab. Man hört den Kommentator nicht, sondern nur die Musik. Es wird dann auch fast ne Oper, weil alles, was erzählt wird, wird ja durch Bilder und Musik übertragen oder ausgedrückt, und das passiert in der Oper auch. Deshalb ist es ne Art Rock-Oper, finde ich.

Stephan von Bothmer sitzt bei diesem Achtelfinal-Spiel 2 ½ Stunden an der Orgel, ohne Noten, hat nur das Fernseh-Live-Bild vor sich. Bei großen Chancen einer Mannschaft wird die Musik dramatisch, das Publikum geht mit, schreit auf, jubelt über die Tor-Szene und die Musik. Immer wieder Zwischenapplaus, wenn es Stephan von Bothmer besonders gut gelingt, Musik und Bild zu vereinen.

Dadurch, dass wir den Ton abstellen, sieht man mehr. Dadurch, dass ich Musik mache, fokussiere ich bestimmte Themen, wo die Leute hingucken. Das ist die Aufgabe von Filmmusik grundsätzlich, und das klappt natürlich auch hier.

Public-Viewing in der evangelischen Emmaus-Kirche in Berlin. Bei der Übertragung eines Fußballspiels. Naheliegend ist das nicht.

Diese Idee ist zufällig in dieser Gemeinde geboren, weil ich hier eben viele Stummfilme gezeigt habe. Gleichzeitig macht es sehr viel Spaß, dass in der Kirche zu machen. Es gibt diese herrliche Brechung, dass man überhaupt Fußball guckt in ner  Kirche, mit Bier, mit Wein, mit allem, was zum Fußball dazu gehört.

Das Ambiente ist ungewöhnlich, kommt aber an. Schon bald werden Kommentar des Moderators und die Stimmung der Fans im Stadion nicht mehr vermisst. Stephan von Bothmer komponiert das Spiel ganz neu, zaubert mal Traurigkeit, mal Hochstimmung in die Emmaus-Kirche. Er muss ständig reagieren, muss sich für Film-Melodien oder Musicals entscheiden. Oder er komponiert einfach drauf los. Und grundsätzlich gilt:

Die Mannschaft, die besser spielt, die kriegt auch die bessere Musik. Das liegt einfach daran, dass wenn man besser spielt, spielt man mehr im Rhythmus, dann kann ich dazu einfach besser Musik machen.

„Public Viewing ist ohne Ton viel doller!“

Der 45-jährige Komponist und Musiker Stephan von Bothmer spielte die letzten vier Wochen während der Fußball-Europameisterschaft in einer Berliner Kirche. Zusammen mit Hunderten von Besuchern gab es ein Public Viewing – ohne Fernseh-Ton, dafür aber mit Orgelmusik.  Passend zur jeweiligen Spielsituation setzt er Film- und Musical-Melodien ein, und spürt, dass sich im Kirchenraum etwas verändert.

Es ist erstaunlich, wie sich die Orgel zu diesem Fußballspiel verhält. Da weiß ich kein besseres Wort. Passiert etwas mit diesem Spiel, wenn man dazu Orgel spielt? Diese Posaune, die man losfahren kann, das ist ja auch gigantisch. Die wollen ja auch die Gefühle, die beim Fußballspiel entstehen, transportieren.
Ich finde es gut, dass sich die Kirchen für solche Veranstaltungen öffnen .Die Zuschauer in der Emmauskirche in Berlin sind begeistert. Freuen sich auf die Verlängerung des Spiel, weil so das Konzert verlängert wird.

Die kommen sehr oft nach dem Spiel zu mir, also nach dem Konzert. Es ist ein merkwürdiges Phänomen, dass diese Aggressivität, die dem Fußball offenbar innewohnt, plötzlich weg ist, Da gibt es das Gefühl, dass diese Aggressivität nicht wirklich zum Fußball gehört, sondern ein Irrweg der Fans geworden ist.

Deshalb wird in der Emmauskirche beim Public-Viewing der Ton abgedreht. Und Stephan von Bothmer will auch nicht auf die üblichen Plätze gehen, um zusammen mit anderen Fußball zu gucken.

Ich behaupte mal, wenn das vergleichen würde mit Public-Viewing mit Ton, und schauen würde, wie das Publikum mitgegangen ist – dass es bei mir viel doller war. Das liegt auch daran, dass beim Public-Viewing – beim normalen – wo man den Ton hört, dann hört man auch das Stadion. Das macht diese Wahnsinnsstimmung, die man draußen immer hört. Dann denkt man immer: Man, ist da ne Stimmung. Aber das sind gar nicht die Leute, das kommt aus der Leinwand sozusagen.

Ab Morgen geht Stephan von Bothmer wieder seinem Hauptberuf als Stummfilm-Musiker nach. Er unterlegt Stummfilme mit Musicals oder eigenen Kompositionen. Er gibt auch zu Stummfilmen Konzerte in Kirchen. Er erinnert sich an ein Konzert im Berliner Dom mit einem biblischen Thema, das provozieren soll:

Ich behaupte eben, wenn man sagt: „Selig sind die Barmherzigen“ – das ist ja oben im Dom eingelassen -  wir haben dazu Ben Hur gezeigt) Wenn man nur eine Minute über Seligkeit und über Barmherzigkeit nachdenkt, dann sieht man nen anderen Film. Das ist ja 2 ½ Stunden enormes Pathos und Epos, und es gibt immerzu Krieg. Der verändert sich, wenn man es so macht, wie wir’s gemacht haben. Ich habe die Musik in diesen Raum komponiert – das war fast ein Gottesdienst.

Das Stichwort „Gottesdienst“ greife ich auf und bohre nach:

Ich persönlich bin sehr gläubig, mit starkem Glauben an Gott, aber nicht, dass ich viel in die Kirche gehe. (…) Dies ist für mich nicht das Wesentliche.

Stephan von Bothmer ist kein Kirchenmusiker, und doch frage ich ihn am Ende unseres Gesprächs nach seinem Lieblingskirchenlied.

Wie heißt das? Wenn einer mit dir geht? Da da da „Ich will, dass einer mit dir geht“. – Das liebe ich sehr. Und – ich kenn nur die Melodie, ich glaube, ein skandinavisches Lied: Da da da. „Bewahre uns Gott, behüte uns Gott“. Die beiden mag ich sehr gerne. Ja.

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SWR1 Begegnungen

„Habe beim Laufen das Beten gelernt!“

Foto: Boris Rostami

Ich besuche Frank Hofmann, der von sich sagt, er hat habe beim
Laufen „das Beten gelernt“. Der 54-jährige ist Chefredakteur des ökumenischen Vereins „andere Zeiten“ und lebt in Hamburg
zusammen mit Frau und Tochter. Fast jeden Tag zieht er joggend
seine Runden. Frank Hofmann „läuft spirituell“, wie er mir sagt,
Was muss ich mir darunter vorstellen?

Ich glaube, der Sport und insbesondere der Ausdauersport, uns
in einen Zustand versetzt, wo wir leichter Transzendenz-Erfahrungen machen können, also Erfahrungen, die wir im Alltag nicht machen
können.
Viele gläubige Christen, die jeden Sonntag in die Kirche gehen,
kennen dieses Gefühl, wenn man in ein solches Gebäude kommt, wenn die entsprechende geistliche Musik einsetzt, dann ist man in einem anderen Zustand.

Dass Ausdauersport den Läufer ab einer gewissen Zeit in Trance verssetzt, ist nichts Neues. Dass dieses Gefühl des „Abgehoben seins“ auch religiös gedeutet werden kann, hat mich überrascht.  Religiöse Erfahrungen, also Erfahrungen mit Gott, kann man nicht so einfach herstellen.

Ich denke, dass zu einer transzendenten Erfahrung immer dazu gehört, dass sie einem geschenkt wird, schlussendlich. Aber man kann versuchen, die Voraussetzung dafür zu schaffen. Viele Menschen spüren ja auch beim Betrachten von Natur eine Form von Schöpfungsspiritualität. Das ist auch, was einem geschenkt wird. Es könne n zwei das gleiche sehen, doch der eine fühlt etwas anderes.

Erfahrungen mit Gott – die werden geschenkt, das leuchtet ein. Frank Hofmann sagt, er habe beim Laufen „das Beten gelernt“. Wie geht das, beten lernen?

Das ergibt sich nicht von heute auf morgen. Da muss man hineinwachsen. Genauso ist es ja beim Laufen auch. Wenn man anfängt zu laufen, wird man feststellen, nach 100 Metern ist mal die Puste weg, muss man eine Pause machen. So baut man sich langsam auf. So ähnlich bin ich auch ins Beten hineingekommen.

Und: Weil man auch das beten lernen kann, ist sich Frank Hofmann ganz sicher:

Ich denke mal, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, solche Transzendenz-Erfahrungen zu machen, wenn er aufmerksam ist. Der eine macht es in der Lieb, der andere in der Natur, und der Dritte beim Sport. So war’s bei mir. Man sollte offen sein für religiöse Deutungen.

Frank Hofmann hat deshalb nichts Missionarisches an sich, wenn er über das Laufen und das Beten während des Laufens spricht. Wenn er auf sein Leben schaut, dann kommt ihm seine Beziehung zur Religion selber befremdlich vor.

Ich habe selbst meine religiöse Alphabetisierung sehr früh abgebrochen, mir war das ganze Sprachspiel komplett fremd. Ich hab’s dann schätzen gelernt mit Mitte 40 ungefähr, weil ich in der Bibel viele Weisheiten ausgedrückt finde, in einer Schönheit und Klarheit, wie man sie anderswo nicht findet. 

Theologie ist spannender als Philosophie

Frank Hofmann ist  Chefredakteur des ökumenischen Vereins „andere Zeiten“, der spirituelle Texte zum Kirchenjahr herausgibt. Ursprünglich hat der 54-jährige Hamburger Philosophie studiert, doch über seine Erfahrungen beim Laufen hat er ein neues Thema für sich entdeckt.

Die Theologie ist hochspannend, sie ist noch konkreter als die Philosophie, hat noch mehr Aspekte, sie ist auch aktueller, wenn Sie an die aktuelle politischen und gesellschaftlichen Diskussionen denken. Der Dialog mit anderen Religionen, was verbindet uns – das finde ich ein sehr spannendes Thema. 

Mitten im Leben – und plötzlich ist der Wunsch da, Theologie zu studieren. Frank Hofmann ging da seinen Weg unbeirrt, und sein Umfeld reagierte da so, wie er das nicht anders erwartet hat:

Mit einer Mischung aus Respekt und Unverständnis. Es gibt Menschen, die das spannend und sehr toll finden. Und andere, die dafür so gar kein Verständnis haben, weil ihnen das Thema Religion und Glaube möglicherweise in Folge einer einseitigen Erziehung, schlechter kirchlicher Erlebnisse versagt geblieben ist. Es hing mehr so von diesem persönliche n Standpunkt ab.

Dann erzählt mir Frank Hofmann die Geschichte des Propheten Elia. Nach einem Massenmord des Propheten an 450 ungläubigen Menschen läuft er in Todesangst „um sein Leben“, vom Berg Karmel an der Mittelmeerküste bis in die Negev-Wüste – 150 Kilometer. Dann folgten 40 Tage und Nächte, die als Fastenzeit zu versehen sind, dann landet Elia auf dem Berg Sinai und – begegnet Gott.

Diese enorme körperliche Anstrengung hat ihn so sensibel gemacht, der so viel Wut in sich hatte, so viel Aggression, dass er Gott in einem Hauch von Nichts wahrnimmt. Das ist für mich ne wunderbare Geschichte, die das Potential des Sports auf die Veränderung von Menschen deutlich macht.

Für Frank Hofmann ist die Bibel zu einem wichtigen Buch geworden. Als Läufer liest er es anders, als es Bibelwissenschaftler tun. Es gibt für ihn einen zentralen Begriff in der Heiligen Schrift:

Wenn man genauer hinschaut, sich die Bibel lesen lässt als ein Manifest der Bewegung. Es geht eigentlich immer darum, uns in Bewegung zu halten. Wir haben eine Reise, wir sind in eine Reise mitgenommen, dessen Ziel uns nicht Hundertprozentig klar ist, aber das tröstliche ist: Wir werden begleitet. Gott ist mit seinem Volk und begleitet es. Er bewegt sich selbst. Für mich heißt Christsein in Bewegung sein.

Das habe ich aus meinem Gespräch mit Frank Hofmann gelernt: Christsein heißt in Bewegung sein. Das gilt geistig / geistlich, aber eben auch körperlich / sportlich. Frank Hofmann geht jetzt mit Mitte 50 nicht mehr täglich „spirituell laufen“, aber jeden zweiten Tag. Denn für ihn gilt. Ich kann mir ein Leben ohne Laufen vorstellen, aber nicht mehr ein Leben ohne Glauben.

www. Anderezeiten.de

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

„Frau Pfarrerin, ich will Christin werden. Können sie mich taufen- jetzt! Sofort?“ Die evangelische Pfarrerin reagiert erstaunt, als eine muslimische Iranerin vor ihr steht und diesen Wunsch äußert,  doch die Zahlen sind eindeutig. Immer mehr Flüchtlinge, vor allem muslimische Frauen und Männer, wollen sich taufen lassen und Mitglied einer christlichen Kirche werden. Unter den Asylsuchenden sind es vor allem Iraner, die sich taufen lassen wollen. Sie haben in ihrer Heimat mit dem schiitischen Islam die eigene Religion als gewalttätig erfahren. Experten schätzen, dass etwa jeder fünfte Flüchtling aus dem Iran sich für den christlichen Glauben interessiert.

Warum dieser Wunsch? Hier in Deutschland können Muslime problemlos und ohne Gewalt ihren Glauben leben. Auch der Hinweis, dass sich eine Taufe auf ein noch nicht abgeschlossenes Asylverfahren keineswegs positiv auswirke, ändert nichts am Wunsch von Muslimen, getauft zu werden. Sie wollen Christin werden, sie wollen in Deutschland als Christ leben.

Für die christlichen Gemeinden stellen diese Taufwünsche eine Herausforderung dar. Nur selten bitten Erwachsene um die Taufe. Und jetzt Menschen, die Muslime sind, die in einer muslimischen Kultur groß geworden sind? Kann das gut gehen?

Ich glaube, es ist eine gute Sache, wenn der Taufwunsch erst und echt gemeint ist, Und davon ist auszugehen. Wenn muslimische Frauen und Männer in unser Land kommen, unsere Kultur und das christliche Gemeindeleben kennenlernen und dann den Wunsch haben, Christen zu werden – dann sollte uns das froh und glücklich machen. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen, das ist sicher auch mit Schwierigkeiten auf beiden Seiten verbunden, aber nach einiger Zeit, nach einem Taufkurs kann dem Wunsch, Mitglied in unseren Kirchen zu werden, entsprochen werden. „Jetzt beginnt für mich ein neues Leben“, sagte eine Frau aus dem Iran, die getauft wurde. Es ist schön, wenn Menschen den christlichen Glauben für sich entdecken und als Flüchtlinge eine Heimat auch in den Kirchen finden.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Die Vorfreude auf die Europameisterschaft in Frankreich erfüllt mich schon lange, und spätestens dann, wenn übermorgen am Abend  im Spiel gegen die Ukraine die deutsche Mannschaft ins Geschehen eingreift, steigt mein Blutdruck. Ich freue mich den ganzen Tag über auf die Partie, möchte sie auf keinen Fall verpassen.

Seit Kindertagen liebe ich den Fußball. Ich habe an unterschiedlichen Orten in unterschiedlichen Mannschaften trainiert und gespielt. Mit fünf  Jahren ging ich den Fußballverein in Schwäbisch Gmünd, und dann gab es nie eine Zeit ohne Fußball. Heute spiele ich bei den Alten Herren beim FSV in Nieder-Olm. Langsamer im Tempo, aber genauso leidenschaftlich wie vor 50 Jahren.

Fasst enauso alt wie meine Begeisterung für den Fußball ist meine Begeisterung für den Glauben. Mit neun Jahren wurde ich Ministrant, und seitdem gab es nie eine Zeit, in der ich nicht irgendwie kirchlich engagiert gewesen wäre – hauptamtlich oder ehrenamtlich. Ich habe Theologie studiert, bin Lehrer, Seelsorger und Journalist. Auch da hat die Begeisterung für den Glauben nicht nachgelassen.

Was meine Leidenschaft anbelangt, bin ich eine Art fußballspielender Christ. Beides, Fußball spielen und Christ sein, sucht die Gemeinschaft. Fußballspielen kann man nicht alleine, und  Christsein geht für mich auch nur in Gemeinschaft.

So führt mein Glaube mich immer wieder in die Gemeinschaft. Der sonntägliche Gottesdienst, aber auch Feste und Feiern führt die christliche Gemeinde immer wieder zusammen. Ich würde ansonsten die Orientierung verlieren. Würde Unwichtiges plötzlich für wichtig erachten. Ich brauche den Gottesdienst, um das Wort Gottes zu hören, immer wieder.

Jetzt freue ich mich auf den Sonntag, wenn es für die deutsche Nationalelf Ernst wird. Um 21.00 Uhr ist Anpfiff.  Da gibt es ein kleines Stoßgebet zum Himmel, aber ob der liebe Gott auf der Seite der Deutschen ist, das muss ich bei aller Begeisterung dann doch offen lassen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Am Katholikentag in Leipzig Ende Mai habe ich teilgenommen, und es war eine zwiespältige Erfahrung für mich. Etwas über 3 Prozent der Einwohner in Leipzig und Umgebung sind katholisch, und so hat mir die Entscheidung eingeleuchtet, eben dort – in einem schwierigen Umfeld -  den Katholikentag abzuhalten.

Einerseits hat es mir in Leipzig gut getan, mit anderen zu diskutieren, zu feiern, zu singen und zu beten. 30 000 Dauerteilnehmer waren da – bunt, fröhlich, offen und tolerant. Wer anderer Meinung war, konnte ausreden und seine Position begründen. So soll es sein, wenn Christinnen und Christen miteinander, mit Menschen anderen Glaubens oder mit Konfessionslosen reden.

Die meisten Menschen in der Stadt Leipzig sind ohne Konfession. Diese Gruppe ist mit 75 % der Gesamtbevölkerung in der Mehrheit. Das habe ich in Leipzig gespürt, und auch deshalb war der Katholikentag in Leipzig etwas Besonderes.

Andererseits  wurde ich in Leipzig mehrfach  von Einwohnern angesprochen, was das denn alles solle. Warum wir eigentlich hier seien. Dass wir Christinnen und Christen hier nichts verloren haben. Und schon gar nicht die Katholiken, die man ja sonst kaum erkennen könne, so klein, wie die Gruppe hier ist. Usw.

Ich kam so nur schwer mit den Einwohnern von Leipzig in ein wirkliches Gespräch.  Zu negativ war die Grundstimmung, zu fremd waren die Themen und auch die Einstellungen zu kirchlichen und gesellschaftlichen Fragen.

Ich weiß, dass die Kirchen in Deutschland gesellschaftlich auf dem Rückzug sind. Viele Kirchenaustritte und weniger Taufen führen dazu, dass sie kleiner werden, Mitglieder verlieren. Vielleicht sind es irgendwann auch bei uns weniger als 5 % Kirchenmitglieder, so wie jetzt schon in Leipzig.

Die Erfahrungen auf dem Katholikentag in Leipzig waren zwiespältig, aber wichtig. Das Kirchentreffen hat mir gezeigt, dass es nicht selbstverständlich, zu glauben und als Gläubige in der Mehrheit zu sein.  Deshalb war es wichtig,  diesen Glauben auch zu zeigen in einer Stadt, die sich darüber wundert. So war Leipzig genau die richtige Stadt, um den 100. Katholikentag zu feiern. Für mich, und für viele andere auch.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22154
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SWR1 Begegnungen

Elmar Kos ist Professor für Moraltheologie an der Universität Osnabrück. Ich habe ihn in Bramsche, einem Vorort von Osnabrück, besucht, um
mich mit ihm über Pfingsten zu unterhalten. Pfingsten gilt als der Geburtstag der Kirche, weil die Jüngerinnen und Jünger vor
2000 Jahren den Mut fassten, sich zu Christus zu bekennen.
Plötzlich konnten sie Menschen aus anderen Ländern in ihrer
Sprache verstehen. Der Heilige Geist ermuntert die christlichen Kirchen auch heute, das Evangelium immer neu und zeitgemäß zu verkünden. Elmar Kos definiert das Pfingstfest so: 

 

Pfingsten steht für mich für diese Idee, dass die Kirche eigentlich ne barrierefreie Gemeinschaft sein sollte. Das kommt in dem Sprachwunder symbolisch sehr schön zum Ausdruck, wenn plötzlich alle Apostel sich in der jeweiligen Sprache hören und verstehen. So wünsche ich mir auch die Kirche, dass sie bei den Menschen ist und von den Menschen in der jeweiligen Situation verstanden wird.

Eine Kirche, die bei den Menschen ist.  Eine Kirche, die im Auftrag Gottes das Evangelium verkündet. Warum braucht es dazu eine Kirche? 

Die Kirche ist die Form, in der Gott jetzt in unserer Zeit präsent sein will. Er schafft einen Raum, wo sein Geist erfahrbar ist. Erfahrbar zumindest sein sollte als das Heil, das er für uns Menschen gedacht hat. Das finde ich ne schöne Idee und auch nen kritischen Maßstab, an dem die Kirche sich immer wieder messen lassen müsste.  

In der Kirche sollte der Geist Gottes wirken. Ein großes Wort, das Elmar Kos gelassen spricht. Steht doch die Kirche derzeit in keinem guten Ruf. Und doch bleibt der Anspruch, eine besondere Gemeinschaft zu sein. 

Ohne Pfingsten, ohne Geistsendung, ohne die Gabe des Heiligen Geistes, wäre sie ne Institution wie alle anderen gesellschaftlichen Institutionen auch, ein Verein unter Vereinen. (…) Das sollte sie nicht sein. Das bedeutet natürlich auch, dass sie ihre institutionelle Verfasstheit (…) auch als ein Zeichen des Geistes verstehbar machen muss.

Ist das der Fall?, frage ich Elmar Kos in unsrem Gespräch. Kann man sehen, dass die Kirche vom Geist erfüllt ist und so bei den Menschen ist?

Vorsichtig formuliert gibt es noch einiges an Entwicklungspotential. (…) Von der Bevölkerung wird sie eher als Monolith, als fremder Bereich wahrgenommen, der eher für nen inneren Kreis redet und relevant ist. 

Der Heilige Geist steht auch für die Vielfalt in der Kirche. Wie das genau gelingen kann, dazu mehr nach der Musik. 

…und mit Elmar Kos. Der 56-jährige Professor für Theologie lehrt seit 12 Jahren an der Universität Osnabrück.  Er ist in Farndau bei Göppingen großgeworden.  - Pfingsten ist für ihn das Fest des Heiligen Geistes, der die Kirche offen macht für Neues, offen für neue Spielräume in der Verkündigung. Für diese Offenheit gibt es für Elmar Kos einen Namen:

Diese Öffnung, die jetzt wohl durch Papst Franziskus erfolgt, besteht darin, dass er viel mehr Vielfalt zulässt, als er sagt, ich will das jetzt nicht von Rom aus festlegen, sondern ich will hier aufrufen, dass vor Ort Lösungen gefunden werden, die dort von den Menschen verstanden werden, die an anderen Orten eher Irritationen auslösen würden, aber die Offenheit lässt er jetzt zu. Und das ist das, was wir jetzt auch nutzen sollte.

Eine Kirche, die nicht zuerst mit Gesetzen und Normen kommt, sondern den Menschen Ernst nimmt in seiner Größe und in seinen Nöten. Elmar Kos wünscht sich,

 …dass es der Kirche gelingt, Modelle des gelingenden Lebens zu vermitteln, Beispiele zu geben. Nicht im Sinne von Normen, die vorgeschrieben sind, eher Modelle, an denen sich Menschen orientieren können und ihr eigenes Leben führen können.

So kann Pfingsten jeden Tag geschehen. Pfingsten – das Fest steht eher im Schatten von Weihnachten und Ostern, mit denen die meisten Menschen mehr anfangen können als mit dem Pfingstfest.

Das finde ich schade, weil wir mit Pfingsten tatsächlich ein Fest feiern, das uns (…) immer wieder ermuntert, auf die Menschen zuzugehen, verständlich zu reden, so, dass wirklich jeder in seiner Sprache mit uns etwas anfangen kann und uns gleichzeitig zu einem Vorbild macht.

Elmar Kos hat vier Kinder, die beiden Großen sind jetzt außer Haus. Ob und wie die Kirche in der Sprache von heute spricht, das erlebt er in der eigenen Familie.

Das ist das Problem, das ich mit meinen Kindern in der Kirche habe. Die sind natürlich immer artig mit uns in die Kirche gegangen. Aber das Ergebnis war immer, dass sie auf lange Sicht das Gefühl hatten, da ist von uns nicht die Rede.

Da steht die Familie Kos wohl nicht alleine. Der Anspruch, in der Sprache der Menschen von heute zu reden, bleibt bei allen Schwierigkeiten bestehen. Ob er denn schon einmal ein persönliches Pfingsten erlebt habe, frage ich Professor Elmar Kos.

Wenn mir im akademischen Rahmen, in der Auseinandersetzung mit theologischen und philosophischen Fragen, Dinge schlagartig aufgehen, und zwar in einer Art, wo ich denke, das ist jetzt nicht etwas, was ich mir selbst erarbeitet habe – das hat nen Geschenk-Charakter! Das überwältigt mich jetzt! Da denke ich schon, dass man das mit dem Wirken des Heiligen Geistes verbinden kann. 

Der Heilige Geist als Geschenk Gottes an die Kirche. Das ist lange her und bleibt für Elmar Kos immer neu aktuell:

Ich wünsche mir natürlich, dass die Erinnerung an das Ereignis von vor 2000 Jahren dazu führt, dass wir jeden Tag neu uns klar machen, wenn wir Kirche als Geschöpf des Heiligen Geistes verstehen, dann müssten wir auch in der Lage sein, diesen Geist erfahrbar zu machen. 

Kirche – offen für Neues, offen für die Menschen von heute. Das Gespräch mit Elmar Kos hat mir Mut gemacht, als Christ und Theologe daran weiterzuarbeiten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22017
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SWR1 Begegnungen


Poetry-Slam – das ist meine Kunstform!

Ich treffe mich  mit Jana Highholder, einer 17-jährigen Abiturientin aus Koblenz. Sie schreibt eigene Texte, Texte mit gesellschaftskritischem Inhalt, aber auch mit christlichen Bezügen. Ihre Texte sind  sogenannte Poetry-Slam-Texte, die öffentlich vorgetragen werden.

Da kommen Menschen abends zu einer Veranstaltung, um zuzuhören. D.h. man kommt aus einer so lauten Welt und Rummel der Straßen in einen Raum, um still zu werden. Das finde ich was ganz besonderes, ganz tolles, und auch was super Mächtiges. Dass man 5 oder 6 Minuten hat als Künstler, um das zu sagen, was einem wichtig ist, was einem auf dem Herzen liegt. Ich mag das, mit Worten umzugehen.

Als Poetry-Slamerin ist Jana Highholder in ganz Deutschland unterwegs. Jetzt hat sie ein Hörbuch herausgebracht mit Texten „zwischen Himmel und Erde“. Da geht es um Liebe und Glück, aber eben auch um ihren Glauben. Im Text „Dein Kind“ schreibt und spricht Jana Highholder über Jesus:

Wasser hast du zu Wein gemacht, mit deinem Tod das Leben gebracht, dort oben am Kreuz, sie haben alle gelacht. Und was hast du gesagt? Es ist vollbracht!

Der Inhalt ist bekannt, und doch bringt Jana Highholder das in einen neuen sprachlichen Kontext, der überraschend ist und neugierig macht. Warum hat sie diese Kunstform „Poetry-slam“ für sich gewählt?

Ich persönlich schätze diese Kunstform enorm. Bei Bildern, das kannst du ganz viel hineininterpretieren. (…) Aber das ist nicht das, was mein Herz erreicht. Gesang ist auch schön, aber man singt meist nicht die eigenen Texte, , sondern covert was von einem anderen Künstler.

Eigene Texte schreiben – ich kann mir gut vorstellen, wie unsicher ein junger Mensch mit 17 sein muss, wenn er nicht nur schreibt, sondern sich mit eigenen Werken der Öffentlichkeit stellt. In einem Raum mit Hunderten von Menschen. Bin ich auch gut genug? Jana Highholder hat für sich ein Verfahren gefunden, die eigenen Texte frühzeitig zu testen.

Bei mir war das am Anfang so, dass ich nicht an den Texten gearbeitet habe, sondern ich nen Text geschrieben, entweder fand ich ihn gut und hab ihn verwendet, oder ich habe ihn nie wieder angeguckt.

Jana Highholder sitzt mir frech, sympathisch und doch sehr bestimmt gegenüber, als ich sie in Koblenz besuche. Die junge Frau weiß, was sie will. Mit 17 hat sie sich schon textlich weiterentwickelt.

Ich habe angefangen mit gesellschaftskritischen Texten, mit Texten, mit denen ich eher die Masse erreicht habe, immer schon nachdenklich, nie so stand-up-comedien-mäßig, weil ich das einfach so nicht kann.

„Warum schreibst du nicht über Gott?“

Jana Highholder ist eine jungen Poetry-Slamerin aus Koblenz. Die 17-jährige ist in einer christlichen Familie groß geworden, der Funke des Glaubens war auf sie übergesprungen, als viele ihrer Mitschüler eher auf Distanz zu Glaube und Kirche gegangen sind. Sie schreibt für ihr Leben gerne Texte. Christliche Texte zu schreiben, da ist Jana Highholder auch nicht von selbst drauf gekommen.

Irgendwann kam jemand zu mir und meinte: Jana, du hast so ein Talent, warum nutzt du das nicht für deinen Gott? Diese Frage hat mich total überrumpelt und verstummen lassen für nen Moment, weil ich gedacht habe – ja, warum schreibst du nicht über Gott?

Über Gott schreiben, ganz unbefangen erzählt sie mir davon. Und still zu werden vor Gott, dieser Gedanke ist einem religiösen Menschen nicht fremd.  

Und die Aufgabe, einen Text über meinen Gott zu schreiben, vor der hatte ich Ehrfurcht, weil ich mir dachte: Das muss annähernd an Gott, an seine Herrlichkeit, an seine Majestät rankommen.Das muss der Text aller Texte werden. Ich hatte viel zu große Furcht davor, dass es mir nicht gelingen könnte.

Die Zweifel blieben, doch der Mut, christliche Texte zu schreiben, war für Jana Highholder stärker.

Irgendwann abends kam mir der Gedanke: Jana, es kann nicht sein, dass du über das Leben schreibst, aber nicht über den, von dem das Leben kommt.

Ich sitze staunend vor einer jungen Frau, aus der es nur so heraussprudelt.

Ich finde es super wichtig, dass Gott bei allem, was du tust, die Priorität ist. Das ist ein ganz radikaler Gedanke. Bei Gott gibt es nur schwarz / weiß.  Es gibt bei Gott nur ein Ja oder ein Nein, kein Vielleicht oder ein Mittelding. Entweder ich glaube aus ganzem Herzen, oder ich glaube nicht.

Ist das wirklich so? Mein Gott kennt durchaus den Zweifel, ein Vielleicht, er erträgt mitunter sogar mein klares „Nein“ zu dem, was er zulässt. Eine 17-jährige darf anders denken, weil sie das Leben  mit seinen Brüchen und Enttäuschungen noch vor sich hat. Mit Menschen. Auch mit Gott. Jana Highholder lässt trotzdem nicht locker:

Ich persönlich mag super gern Mt 6,33: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, dann wird euch alles andere zufallen. (…) Das ist etwas, was ich versuche in meinem Kopf ganz oben zu haben, dass Gott, bei allem, was ich tue, mein erster Gedanke sein soll. Und dann wird sich das Leben und alles, was man vorhat, regeln.

Und dann erzählt mir Jana Highholder ein kleines Erlebnis:

Ich war jetzt auf Abi-Fahrt in Zandvoort, und ich stand am Strand und dachte mir beim Anblick dieser Schönheit: Wie kann man Gott verneinen?

Jana Higgholder ist eine junge Sprach-Künstlerin, vielleicht schon bald Medizin-Studentin, und zum Abschluss unseres Gespräches fasst sie in einem Auszug aus dem Höralbum „aufwärts“ zusammen, was sie hält und trägt.

Du Vater und Gott, du Schöpfer und Meister, du Künstler, du Heiland, du Vorhangzerreißer, du Tröster, und Sündenentblößer, mein Glaube an dich wird jeden Tag größer. 

(Jana Highholder, aufwärts, Poetry-Slam-Texte zwischen Himmel und Erde, Gerth Medien Musikverlag, Asslar 2016)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21797
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