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SWR2 Wort zum Tag

03DEZ2019
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Vor unserem Fenster steht eine große Linde. Das ganze Jahr über ein wunderbarer Anblick, den ich nie leid werde. Vielleicht hatte Christian Morgenstern auch so einen Baum vor der Haustür. Denn er fragte sich einmal: "Warum erfüllen uns Gräser, eine Wiese, eine Tanne, mit so reiner Lust?“ Und seine Antwort: „Weil wir da Lebendiges vor uns sehen, das nur von außen her zerstört werden kann, nicht durch sich selbst. Der Baum wird nie an gebrochenem Herzen sterben und das Gras nie seinen Verstand verlieren. Von außen droht ihnen jede mögliche Gefahr, von innen aber sind sie gefeit.

Genau das ist der Unterschied zwischen der Linde und mir. Von außen droht ihr jede mögliche Gefahr: Orkanböen, nasser Schnee in Mengen, Blitzeinschläge und Menschen, die etwas gegen zu große, alte Linden haben, weil ihre Blätter schon mal dahin fallen, wo sie nicht erwünscht sind. Aber: Die Linde vor dem Fenster, wie Morgenstern sagt, „kann sich nicht selber in den Rücken fallen“. Sie hadert nicht mit sich, sie bereut nichts, sie kann sich nicht selbst ruinieren. Sie kann nicht unsicher werden und am Sinn ihres Lebens zweifeln. Sie kann sich selbst ihr Lindenleben nicht schwer machen. Da kann ich als Mensch nur neidisch werden.

„Wenn es möglich wäre“, träumte Christian Morgenstern weiter, „würde ich mich jeden Tag in eine besondere Form tierischen oder pflanzlichen Lebens verwandeln. Ich wollte nacheinander alle Formen von Blumen und Blüten annehmen; Kräuter, Dornen und Rosen sein oder ein tropischer Baum.. " Für Morgenstern verband sich damit auch der Wunsch, einfach glauben zu können. „Was tut die Blume wohl mit Gott? Sie lässt sich Gott gefallen. In der Blume als Blume träumt Gott seinen schönsten Traum, da widerstrebt ihm nichts.“ Im Vergleich dazu ist der Mensch ein widerborstiges Geschöpf, in sich zerrissen, nachdenklich, und durch seinen Geist alles in Frage stellend. Und zu seinem eigenen Schaden auch Gott. Morgenstern war überzeugt: „Wer Gott aufgibt, der löscht die Sonne aus, um mit einer Laterne weiterzuwandeln.“ Darum lieber Blume sein, die Linde vor dem Haus oder ein tropischer Baum. Aber das klappte bei Morgenstern genauso wenig wie bei mir. Zum Glück gibt es den tröstlichen Anblick von Gräsern und Wiesen, von Linden und Tannen.

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SWR2 Wort zum Tag

02DEZ2019
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Adventskalender in allen Variationen, kistenweise Engel, Adventsmüsli in Adventsboxen – braucht es das wirklich für eine stimmungsvolle Adventszeit?

Mir genügen vier Kerzen, ein bisschen Tannengrün und das Lied: „Macht hoch die Tür.“ So wie damals in der Schulzeit. Advent, das war eine wunderbare Schonfrist, in der der Schultag ausnahmsweise mit Stille, Adventkranz, Kerzen und dem Ohrwurm „Macht hoch die Tür“ begonnen wurde. Den Text dieses schönen Adventsliedes habe ich damals überhaupt nicht begriffen, aber Adventsstimmung muss man nicht begreifen. Dass mit dem „Herrn der Herrlichkeit“ Jesus gemeint war, das hatten wir im Religionsunterricht gelernt. Und dass er Heil und Segen, Freud und Wonne mit sich bringt, das hatte man ja schon als kleines Kind begriffen. Denn schließlich läuft Advent auf Weihnachten hinaus, und das hieß: unter dem Weihnachtsbaum sehr reale Geschenke.

Doch geheimnisvoll blieb dieses Lied, das wir so oft gesungen haben, immer. Auch, weil ich die letzte Zeile: „Derhalben jauchzt, mit Freuden singt, Gelobet sei mein Gott“ , über Jahrzehnte konsequent missverstanden habe. Das lag an dem altertümlichen Wörtchen „derhalben“, heute würde man „deshalb, darum“ sagen. Aber ich stellte mir Jesus vor, dem ein halber Jauchzer genügt um ihn mit ganzer Freude zu singen, quasi ein Vorbild an Bescheidenheit und Genügsamkeit. Die Unklarheit der Worte dieses Liedes tat seinem Reiz keinen Abbruch. Im Gegenteil. Advent war: „Macht hoch die Tür“. Advent in der Schule war: Eine kurze Schonfrist, bevor es ernst wurde, die Vokabeln abgefragt, das Biologieheft kontrolliert und der Mathetest geschrieben wurde.

Im weichen Kerzenwachs pulen, mit den Tannennadeln in der Flamme ein Minifeuerwerk veranstalten, und sich im Duft verbrannter Tannennadeln an die Kindheit erinnern - das ist Advent. Die Kerzen am Adventkranz sind sowieso immer das Beste. Vielleicht weil sie ein bisschen an Stromausfall erinnern, die Ausnahmesituation in unserer Zeit, wenn auf einmal nichts anderes da ist, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Also genau genommen braucht es nicht mehr: als Kerzen am Adventskranz, ein bisschen Zeit, und „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit...“. Mit dem schönen Vers am Ende: „Komm, o mein Heiland Jesu Christ, mein Herzens Tür dir offen ist. Ach zieh mit deiner Gnade ein, dein Freundlichkeit auch uns erschein.“ Und das wünsche ich Ihnen und mir: dass wir im Kerzenschein etwas von Gottes Freundlichkeit spüren.

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SWR2 Wort zum Tag

Am Anfang war das Wort, so lesen wir in der Bibel. Aber gleich nach dem Wort kam die Zahl. In der Bibel, der Heiligen Schrift, dem Wort Gottes, wimmelt es von Zahlen. Gezählt werden die Tage, in denen Gott die Welt geschaffen hat  – exakt sechs plus einem  Ruhetag. Es werden Plagen nummeriert, die die Ägypter heimsuchten. Kühe und Ähren, Jünger, Regierungsjahre, Brote, Fische, Körbe, Engel, Gerechte, kluge Jungfrauen und törichte – alles durchgezählt. Die Stunden der Finsternis, die Tage bis zur Auferstehung, die Buchsiegel, die Silberlinge, die Posaunen am jüngsten Tag.   

Auch Die Bibel zeigt: die Menschen waren immer schon von Zahlen fasziniert. Denn die Zahlen dienen dazu, sich in der Welt zurechtzufinden, sie zu ordnen, zu messen und zu wiegen.

Eine Zahl ist darum immer mehr als eine Zahl. Sie kann ein Machtmittel sein, sie kann den Gegner in die Knie zwingen, vor allem dann, wenn die Zahl imponiert. Es macht einen Unterschied, ob Jesus mit seinen zwölf Jüngern durch die Lande zieht – oder ob die Massen hinter ihm herlaufen.

Aber: Jesus hat einen erstaunlichen Mangel an Ehrgeiz, was die große Zahl angeht. Das Volk, das er um sich versammelt, die Menge, die ihm nachfolgt, sie „jammert“ ihn. Sie tut ihm leid.

Jesus Christus kam es nicht auf die große Menge an. Er zählte seine Anhänger nicht durch und war stolz darauf. Er sah und schätzte den Einzelnen.

Jesus interessierte sich nicht für die große Menge – seine Jünger und Apostel aber setzten alles daran, um mehr und immer mehr Menschen zu erreichen. So wurde die Geschichte des Christentums auch die Geschichte einer Religion, die mehr und immer mehr Anhänger fand. „Aber viele von denen, die das Wort (von Petrus und Johannes) gehört hatten, wurden gläubig; und die Zahl der Männer stieg auf fünftausend.“ heißt es in der Apostelgeschichte. Frauen wurden nicht gezählt. Die imponierende Zahl – sie beherrschte nach Jesu Tod und Auferstehung das Feld.

Aber es bleibt ein leicht unangenehmer Beigeschmack beim mehrfachen Hinweis auf die Zahlen der Neubekehrten. Zumal wir wissen, wie schnell die vielen, die sich  Christen nannten, vergaßen, was das bedeutete. Und wie schnell die Kirche, als sie Macht bekam, hart und lieblos wurden gegen jene, die ihr nicht angehörten. 

Ich vermute, Jesus Christus wäre es lieber, wenn Christen, statt gebannt auf die Mitglieder- und Eintrittszahlen schauen, lieber auf den schauen, dem sie ihren Glauben und ihren Namen verdanken.

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SWR2 Wort zum Tag

Vor zwei Wochen haben wir noch einmal angestoßen: eine alte Dame, 93 Jahre mit ihrem Kamillentee in der Plastik-Schnabeltasse und ich mit einem Glas Saft. Auf das Leben, und wie schön es war, als wir es noch mit Sektgläsern und Prosecco taten. „Ja, das waren schöne Zeiten“, meinte sie, schaute still vor sich hin und versank wieder in ihrer eigenen Welt, zu der wir keinen Zugang haben.  Eine Welt, in der es kaum noch Worte gibt, nur noch einzelne Laute. Das A zum Beispiel. Eine halbe Stunde sagt sie ununterbrochen: A in allen Tonlagen. Schwer zu ertragen für alle, die sie früher kannten, als sie mit ihrer schönen Stimme gesungen und erzählt hat. Und immer wieder lässt sie die schon längst Verstorbenen freundlich grüßen, wie wenn sie noch am Leben wären. Manchmal schaut sie fasziniert auf die Birke vor ihrem Fenster und erklärt, da säße doch ein Braunbär auf den Zweigen, ob wir den nicht auch sähen.

Ja, das waren schöne Zeiten, als sie nicht nur im Rollstuhl sitzen oder im Bett liegen konnte. Immer darauf angewiesen, dass sie morgens an- und abends ausgezogen wird. Dass das immer wechselnde Pflegepersonal ihr die Tabletten gibt, sie kämmt, ihr die Nägel schneidet und sie von ihren Windeln befreit. Für sie sind schon die Tage gekommen, von denen der Prediger Salomon in der Bibel spricht:

»Denk an deinen Schöpfer, solange du noch jung bist, ehe die schlechten Tage kommen und die Jahre, die dir nicht gefallen werden. Dann verdunkeln sich dir Sonne, Mond und Sterne und nach jedem Regen kommen wieder neue Wolken.

Wo Salomon recht hat, hat er recht. Er beschönigt nichts. Auch die Zeit geht vorbei, wo sich das Altsein im Sommergarten bei einem Prosecco noch genießen lässt. Darum rät der Prediger Salomon:

„Genieße dein Leben, bevor es zu Ende geht, wie eine silberne Schnur zerreißt oder eine goldene Schale zerbricht, wie ein Krug an der Quelle in Scherben geht oder das Schöpfrad zerbrochen in den Brunnen stürzt. Dann kehrt der Leib zur Erde zurück, aus der er entstanden ist, und der Lebensgeist geht zu Gott, der ihn gegeben hat.“

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SWR2 Wort zum Tag

„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ – wer auch nur ab und an in die Kirche geht, dem sind diese Worte vertraut.  Vater, Sohn und heiliger Geist – und doch nur ein Gott. Wie soll das gehen?

Der Heilige Patrick pflückte kurzentschlossen ein dreiblättriges Kleeblatt und zeigte es den Iren, um ihnen die Dreifaltigkeit zu erklären. Drei Blätter aus dem einen Kleeblattstiel, also drei und doch nur eines. Das war am Ende des vierten Jahrhunderts. Später findet man die Dreifaltigkeit gemalt als ein Haupt mit drei Nasen, drei Bärten und sechs Augen, auf Goldgrund.

In einem Kloster in der Steiermark sieht man die Dreifaltigkeit als Figur mit drei Köpfen und zwei Armen. In einer bairischen Kirche ist sie dargestellt als Gottvater, alter Mann mit gepflegtem weißen Bart. Er trägt eine Taube in der rechten Hand, als Zeichen für den heiligen Geist. Dieser Taube wiederum klebt eine Oblate, Zeichen für den Leib Christi an der Taubenbrust. Man merkt  immer wieder: Es gibt Dinge, die sich leichter darstellen lassen als die Dreifaltigkeit. 

Und doch: oder: Und trotzdem haben Christen immer wieder darauf bestanden. Warum bloß? Gott ist einer in drei Personen, der eine Gott ist in allen drei Personen vollständig gegenwärtig, der Sohn und der Heilige Geist sind also dem Vater gleichgeordnet, auch der Sohn ist also Schöpfergott wie der Vater, auch der Vater leidet und stirbt am Kreuz zu Golgatha. Das ist ein irritierender und doch tiefer Gedanke: dass Gott selber am Kreuz starb, dass Gott selber für einen Moment gottverlassen war. Nur so konnte er uns Menschen verstehen. Nur so konnte er ganz Mensch sein. Und schließlich: der Heilige Geist, schwer zu fassen, der Geist der Liebe, der zwischen Vater und Sohn allgegenwärtig ist.

Auch Luther mühte sich damit ab, seinen Zeitgenossen zu erklären, dass die Christen nicht drei Götter anbeten, sondern nur einen einzigen Gott. „Wie geht’s denn zu?“ schreibt er. “Unaussprechlich ist’s. Die lieben Engel können sich nicht genugsam darüber verwundern vor Freuden.“ Und, so Luther, wenn wir erst gestorben sind, dann „wollen wir es mit den lieben Engeln sehen, unsere ewige Freude und Seligkeit daran haben“. Also am besten diesen Moment abwarten, mit dem Kleeblatt in der Hand.

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SWR2 Wort zum Tag

„Geist der Liebe“ stand auf dem Buch, in orangefarbenen großen Buchstaben auf rotem Grund. „Geist der Liebe“, das war der Titel eines der ersten theologischen Bücher, die ich gelesen habe. Es war Sommer und sehr heiß, als ich beschloss, dieses Buch im Freibad zu lesen. Der Umschlag war mir allerdings extrem peinlich. Genau das war es: Eine junge Frau, die mit einem Buch ins Freibad geht, auf dem steht „Geist der Liebe“. Das war eine plumpe Einladung: „Hallo, ich bin alleine! Hier ist noch Platz auf meiner Decke.“ Also was tun? Ein Packpapierumschlag! Der war die Rettung, er verbarg den „Geist der Liebe“ vor den Augen irgendwelcher Mitleser.

Das Wort Liebe bekommt ja, je nachdem wo und von wem es ausgesprochen wird, einen unterschiedlichen Sinn. Wenn man das Wort Liebe draußen, im Freibad hört, meint es soviel wie Leidenschaft, Glück, selige Kopflosigkeit. Menschenliebe – das ist eine so eindeutig zweideutige Angelegenheit, weil sich in ihr – wie der Dichter sagt, Tier und Gott im Menschen auf wundersame und harmonische Weise begegnen.

In kirchlichen Räumen hat Liebe dagegen nichts Aufregendes, vielmehr einen Beiklang von leicht Verstaubtem, Gutmütigem, Weltfremdem, einen Beigeschmack vom obligatorischen Pfefferminztee kirchlicher Einrichtungen. Gottesliebe - sie regt nicht auf und macht nicht schlaflos.  

Obwohl: Beide, die Gottesliebe und die Menschenliebe, hören auf das Wort Liebe. Aber: Können die beiden miteinander überhaupt verwandt sein? Sie können nicht nur, sie sind es. Das jedenfalls war meiner Schwimmbadlektüre, dem „Geist der Liebe“ zu entnehmen, in dessen Zentrum das Johannesevangelium, dem Liebesevangelium, steht.

Das Erste im Johannesevangelium ist die Liebe von Vater und Sohn, die innergöttliche Liebe. Gott will nicht nur mit sich allein sein. In seiner Liebe schafft er sich ein Gegenüber. Das ist gerade so, als wenn Gott gesagt hätte: „Hier ist noch Platz auf meiner Decke!“ Er selbst braucht  jemanden, der von ihm geliebt wird und der sich geliebt weiß. Und diese Liebe von Vater und Sohn wird ausgeweitet „Ein neues Gebot gebe ich euch: dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit ihr euch liebt“, sagt Jesus in diesem Evangelium. Jesus Christus, Gottes geliebter Sohn, ist im „Geiste der Liebe“, im allumfassenden, liebevollen Miteinander der Menschen bei ihnen, ganz egal, ob sie gerade in der Kirche sitzen oder im Schwimmbad liegen.

Das Buch „Geist der Liebe“ trägt heute keinen Pappendeckel mehr. Ich würde es auch so ins Freibad mitnehmen. Aus Altersweisheit, denn: Der Liebe braucht man sich nirgends schämen, nicht im Schwimmbad, nicht in der Kirche.  

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SWR2 Wort zum Tag

Todesanzeigen lesen, morgens am Frühstückstisch -  Ein bisschen voyeuristisch ist das schon:
Man wird in die Intimität einer Familie mit hineingenommen, erfährt die Namen aller Kinder und Enkel. Und etwas davon, wie andere Menschen zum Sterben und zum Verstorbenen stehen. Da ist dann in einem Satz ein ganzes Leben zusammengefasst. Das Wort „fröhlich“ kommt dabei eher selten vor. Ausnahme: Die Todesanzeige, die ich vor ein paar Wochen entdeckt habe. Da hieß es von einem verstorbenen Richter aus dem Bayern:  „Er zog aber seiner Straße fröhlich“.  Ein Satz aus der Bibel.

Die Geschichte dahinter ist ganz simpel: ein Mann aus Äthiopien, von Beruf Kämmerer, ein Mann, der mit viel Geld zu tun hat, reist in seiner Kutsche und liest dabei in der Heiligen Schrift. Aus Langeweile, auf der Suche nach Wahrheit, das erfahren wir nicht. Und ihm geht es wie vielen: er liest und versteht nichts. Solange, bis einer der Apostel sich zu ihm in die Kutsche setzt, und ihm alles erklärt. Dass es in dieser Schrift um Jesus geht, sein Leben, sein Leiden und dass dies alles Erlösung, Befreiung von Angst und Sorge für die Menschen bedeutet, die an ihn glauben. Also auch für ihn, den Kämmerer.

Der Kämmerer aber, vielleicht weil er wenig Zeit hatte, vielleicht weil er einfach ein Mensch der Tat war, lässt die Kutsche am nächsten Wasser halten, und sagt: „Wenn das so ist - Was hinderts, dass ich mich taufen lasse?“ Gesagt, getan – nach der Taufe geht´s sofort weiter mit der Kutschenfahrt. Vielleicht pfiff er eine kleine Melodie, ein leichtes Lächeln auf den Lippen hatte er gewiss, er saß entspannt zurückgelehnt im Wagen. Und dann heißt es von dem frisch Getauften: „Er zog aber seine Straße fröhlich.“ Ein fröhlicher Getaufter, dem sein Glaube gut tut. Und der dankbar dafür ist, dass er hier auf der Erde „seine Straße fröhlich“ ziehen kann. Glaube tut gut. Er entlastet, er schafft Vertrauen und Zuversicht ein ganzes Leben lang.

Man kann einiges gegen die Naivität des Glaubens vorbringen und vieles gegen seine Fröhlichkeit und Unbeschwertheit . Die Wirklichkeit, die Welt, so wie sie ist und wie sie einem  aus jeder Tageszeitung auf den Seiten Politik, Wirtschaft und Finanzen entgegenblickt: eher selten, dass einen da eine Nachricht fröhlich stimmt.  Der Kämmerer aus Äthiopien und der Richter aus Bayern sind ihren Weg durchs Leben dennoch fröhlich gegangen, dank ihrer Taufe und ihrem dem Glauben.  Und vielleicht auch dank der Tatsache, dass die Wirklichkeit immer noch der einzige Ort ist und bleibt, an dem man sich in die Sonne setzen kann, an der man den Sommer sehen, hören und riechen kann - an dem man getauft und befreit „seine Straße fröhlich ziehen kann“.

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SWR2 Wort zum Tag

Als Kind hatte ich manchmal eine seltsame Angst: die Angst, dass meine Eltern nicht wiederkämen. Dabei waren sie nur auf ihrem Sonntagsspaziergang rund ums Dorf. Und ich konnte mich wirklich auf sie verlassen. Aber immer wieder lief ich voller Angst zur Tür, schaute nach, ob sie endlich kämen. Voller Angst, für immer verlassen zu sein – und voller Glück und Erleichterung, wenn ich ihnen dann entgegenlaufen konnte und sie mich in den Arm nahmen. 

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das meinen Eltern jemals erzählt habe. Aber ich war beruhigt, als ich Jahre später gelesen habe, dass es dem großen Philosophen Arthur Schopenhauer auch nicht anders gegangen war.

„Schon als sechsjähriges Kind“, lesen wir bei Schopenhauer, „fanden mich die vom Spaziergang heimkehrenden Eltern eines Abends in der vollsten Verzweiflung, weil ich mich plötzlich von ihnen für immer verlassen wähnte.“ Genau das war mein Gefühl als Kind damals: ich könnte für immer verlassen sein. Ein schrecklicher Gedanke, dass dann, niemand außer einem selber, noch von einem weiß.

Etwas von dieser Angst kommt im Alter wieder: wenn nacheinander Menschen sterben, die einem nahe sind, erst der Vater, dann die Mutter, dann ein Freund, dann noch einer. Und man kann es nicht beenden, dieses Verlassenwerden von Menschen, die man über Jahrzehnte gekannt hat. "Die Einsamkeit in der Lebensphase über 60 erhöht die Sterblichkeit so sehr wie starkes Rauchen", heißt es. Also muss man etwas dagegen tun. Als Rezept werden genannt: Haustiere und Vereine, Stammtische und Ehrenamt – es gibt viele Wege aus der Einsamkeit. In England gibt es sogar ein Ministerium gegen Einsamkeit.

Aber weder dem kleinen Schopenhauer noch mir hätte ein munter zwitschernder Kanarienvogel oder ein Rauhaardackel genützt, als wir uns als Kinder so einsam, gottverlassen und mutterseelenallein  gefühlt haben.  

Schopenhauer schlug als Erwachsener die Flucht nach vorne ein: Lieben, was man fürchtet. In der Einsamkeit „sind wir uns selbst zurückgegeben“.  „Einsamkeit,“ so erkannte er, ist eine Quelle des Glücks und der Gemütsruhe, sie ertragen zu lernen sollte ein Hauptstudium der Jugend sein.“

Die Einsamkeit aushalten und sie schätzen ist das eine. Das andere aber, glaube ich, bleibt dennoch: in der Einsamkeit werden wir zu Kindern, die  in den Arm genommen werden wollen. und spüren möchten: Ich bin nicht verlassen. Und, wie es in einem biblischen Psalm heißt: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“

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SWR2 Wort zum Tag

In der Bibel ist das so: Wenn der kleine tapfere David den großen bösen Goliath mit einem Stein umbringt – dann atmet alles auf. Frau Jael, die heimtückisch den Heerführer Sisera in ihr Zelt lockt und ihm mit einem Hammer einen Pflock durch die Schläfen rammt, gilt als Heldin. Doch Kain ist und bleibt der Mörder seines Bruders Abel. Mit ihm kam der Mord in die Welt und damit die Frage: Wie umgehen mit Menschen, die einen anderen auf dem Gewissen haben? Gibt es gute Gewaltanwendung und böse? Gibt es einen Zweck, der jedes Mittel heiligt?

In der Bibel ist die Todesstrafe, wie zum Beispiel auch heute noch in den USA, in Japan, in Saudi-Arabien, selbstverständlich. Und dennoch: im Fall Kain wurde die Todesstrafe ausgesetzt – von Gott persönlich. Er zeichnet Kain mit dem Kainsmal auf der Stirn: Erkennungszeichen und Schutzzeichen in einem. Man könnte Gottes Lösung in diesem Fall salomonisch nennen. Warum?

Ein Blick auf Kain und Abel, den ersten Mörder und das erste Mordopfer in der biblischen Geschichte, zeigt das ganze Dilemma. Denn Adam und Eva sind die Eltern von beiden: dem Mörder und dem Opfer. Aus Liebe zu ihrem ermordeten Sohn Abel wünschten sie dem Mörder Kain selber den Tod. Aus Liebe zu ihrem Sohn Kain wünschten sie ihm Bewährung. Weiterleben, eine zweite Chance.

Gott zieht Kain zur Rechenschaft und stellt ihn zur Rede. Aber Gott lässt Kain am Leben und erklärt: Das Leben dieses Mörders soll unantastbar sein.

 „Die Todesstrafe ist abgeschafft“, heißt es im Grundgesetz, Artikel 102, beschlossen vor 70 Jahren im Mai 1949. Nach langer Diskussion und großem, anfänglichem Widerstand. Denn, das Fatale an diesem Gesetz: von ihm profitierten auch die, die in der Nazizeit gemordet hatten.

Mit diesem Artikel des Grundgesetzes gilt bei uns: Der Staat, der das Leben nicht gibt, soll es auch nicht nehmen können. Auf die Kirche kann sich bei der Verteidigung der Todesstrafe niemand mehr berufen, besonders, seitdem Papst Franziskus sie „grausam, unmenschlich, erniedrigend“ nannte und ächtete.

Für Christen gilt: Hinrichtungen stehen im Gegensatz zum Evangelium. Für alle, die hier leben, gilt das Grundgesetz und die Einsicht: Denn „es wird nicht besser, wenn der Staat einem Menschen das Leben nimmt, als wenn es der Einzelne nimmt. Es ist, was es war: eine Barbarei.“ (Friedrich Wilhelm Wagner.)

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SWR2 Wort zum Tag

„Schmeiß weg!“ Die Brötchenverkäuferin zeigte auf die Tüte mit den drei Mohnbrötchen. Ihre Kollegin hatte die gerade über die Ladentheke gereicht. Knackig frisch, aber Mohn, nicht Sesam. Und einmal über die Theke gereicht, kann man die nicht mehr verkaufen. Obwohl der Kunde keinen Aussatz hatte, nicht mal einen Schnupfen, wie mir schien. Er hatte nur die Tüte geöffnet und kurz hineingeschaut. Darum: „Schmeiß weg!“ Ab in die Tonne.

Diese Szene, beobachtet mitten in Heidelberg, ließ mich schlagartig alt aussehen. Wie die Großmutter der Verkäuferin. Und das aus zwei Gründen.

Der erste: Brotwegwerfen ist Sünde. Das wurde uns als Kindern in den 50iger Jahren eingeschärft. Mit genau diesen Worten. Um das zu kapieren, musste ich nicht Theologie studiert haben und eine Vorlesung über Sünde im Alten und im Neuen Testament mitmachen. Es genügten die Erzählungen meiner Mutter aus der Nachkriegszeit: Die Geschichten von Hunger, Hungerödemen und von Brot, das hauptsächlich aus Sägemehl bestand. Und wie man sich das frische Brot einteilen musste, damit die paar Gramm für die ganze Woche reichten. Die Geschichte von der harten Brotrinde, die meine Tante als kleines Kind zum Frühstück bekam und hartnäckig gegen die gefräßige Ziege verteidigte. Das ist der erste Grund, warum ich diese „Schmeiß das Brot weg“- Szene nicht vergessen kann.

Der zweite Grund, auf den Pfarrer und Menschen kommen, die das Vaterunser kennen. Im Vaterunser heißt es: „Und gib uns unser tägliches Brot“. Das tägliche Brot ist und bleibt ein tägliches Wunder. Überhaupt: Genug zum Essen haben, sich nicht jeden Morgen überlegen müssen, wie und wo man sich Nahrung beschaffen kann, um zu überleben. Man muss ja nicht über jeder Semmel ein Kreuz schlagen, es genügt ja vielleicht, hin und wieder dankbar zu sein dafür, dass Lebensmittel vorhanden sind.

Als Studenten mit wenig Geld aßen wir etwas angewelkten Blumenkohl und Brot vom Vortag. Die Verkäuferin, die uns das kurz vor Ladenschluss zusteckte, musste aufpassen, dass sie nicht dabei erwischt wurde. Sie hätte das alles in die Tonne kippen müssen. Zum Glück wächst ja das Bewusstsein dafür, dass man Lebensmittel nicht einfach wegwerfen soll, und dass man aus hartem Brot Semmelbrösel machen kann. Ich fange an zu hoffen, dass der „Nichtgebrauch des normalen Menschenverstandes“ (Sloterdjik) allmählich aufhört, zumindest was den Verkauf von allem Essbaren, Backwaren und Joghurt angeht.

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