SWR2 Wort zum Tag

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„Schmeiß weg!“ Die Brötchenverkäuferin zeigte auf die Tüte mit den drei Mohnbrötchen. Ihre Kollegin hatte die gerade über die Ladentheke gereicht. Knackig frisch, aber Mohn, nicht Sesam. Und einmal über die Theke gereicht, kann man die nicht mehr verkaufen. Obwohl der Kunde keinen Aussatz hatte, nicht mal einen Schnupfen, wie mir schien. Er hatte nur die Tüte geöffnet und kurz hineingeschaut. Darum: „Schmeiß weg!“ Ab in die Tonne.

Diese Szene, beobachtet mitten in Heidelberg, ließ mich schlagartig alt aussehen. Wie die Großmutter der Verkäuferin. Und das aus zwei Gründen.

Der erste: Brotwegwerfen ist Sünde. Das wurde uns als Kindern in den 50iger Jahren eingeschärft. Mit genau diesen Worten. Um das zu kapieren, musste ich nicht Theologie studiert haben und eine Vorlesung über Sünde im Alten und im Neuen Testament mitmachen. Es genügten die Erzählungen meiner Mutter aus der Nachkriegszeit: Die Geschichten von Hunger, Hungerödemen und von Brot, das hauptsächlich aus Sägemehl bestand. Und wie man sich das frische Brot einteilen musste, damit die paar Gramm für die ganze Woche reichten. Die Geschichte von der harten Brotrinde, die meine Tante als kleines Kind zum Frühstück bekam und hartnäckig gegen die gefräßige Ziege verteidigte. Das ist der erste Grund, warum ich diese „Schmeiß das Brot weg“- Szene nicht vergessen kann.

Der zweite Grund, auf den Pfarrer und Menschen kommen, die das Vaterunser kennen. Im Vaterunser heißt es: „Und gib uns unser tägliches Brot“. Das tägliche Brot ist und bleibt ein tägliches Wunder. Überhaupt: Genug zum Essen haben, sich nicht jeden Morgen überlegen müssen, wie und wo man sich Nahrung beschaffen kann, um zu überleben. Man muss ja nicht über jeder Semmel ein Kreuz schlagen, es genügt ja vielleicht, hin und wieder dankbar zu sein dafür, dass Lebensmittel vorhanden sind.

Als Studenten mit wenig Geld aßen wir etwas angewelkten Blumenkohl und Brot vom Vortag. Die Verkäuferin, die uns das kurz vor Ladenschluss zusteckte, musste aufpassen, dass sie nicht dabei erwischt wurde. Sie hätte das alles in die Tonne kippen müssen. Zum Glück wächst ja das Bewusstsein dafür, dass man Lebensmittel nicht einfach wegwerfen soll, und dass man aus hartem Brot Semmelbrösel machen kann. Ich fange an zu hoffen, dass der „Nichtgebrauch des normalen Menschenverstandes“ (Sloterdjik) allmählich aufhört, zumindest was den Verkauf von allem Essbaren, Backwaren und Joghurt angeht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28614
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