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SWR2 Wort zum Tag

Eigentlich gibt es zu Beginn dieses Jahres kaum Anlass, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. So desolat, wie sich unsere Welt gerade darstellt. Unzählige Menschen müssen fliehen, weil sie verwundet wurden von Kriegen in ihrer Heimat. Oder sie sind verwundet, weil sie zu arm sind, weil ihr Lebensraum zerstört ist. Viele Menschen sehen jedoch auch keine Hoffnung mehr, weil sie Angst haben, verwundet zu werden. Sie sorgen sich um ihre eigene Sicherheit, wo so viele Flüchtlinge zu uns kommen. Sie bangen um ihren hart erarbeiteten Wohlstand, sie haben Angst, dass all die Konflikte und Krisen dieser Welt nun auch unser Land erreichen.

Geschlossene Grenzen, Stacheldrahtzäune und Mauern sollen uns schützen, damit wir selbst nicht verwundet werden. Aber Mauern und Zäune können offensichtlich nicht helfen. Vor allem verwunden sich an diesen Mauern und Zäunen viele von neuem, auch das können wir derzeit sehr gut sehen.

Mit dem Fachbegriff  „Verwundbarkeit“ werden Armutsursachen erforscht oder suchen Entwicklungspolitiker nach den richtigen Strategien. Der Fachbegriff „Verwundbarkeit“ steht auch im Zentrum der jüngsten Diskussionen um die Folgen des Klimawandels: Wo sind Menschen durch den Klimawandel verletzlich? Wovor müssen sie geschützt werden?

Es sind vor allem Theologinnen, die den Begriff der „Verwundbarkeit“ zunehmend auch für ihre theologische Arbeit nutzen. Das ist eigentlich auch nicht überraschend für eine Religion, deren zentrales Symbol ein Kreuz ist. Wenn in Theologie und Kirche über „Verwundbarkeit“ gesprochen wird, kommt in den Blick, wo und woran heute Menschen leiden – seelisch und körperlich. In den Blick kommt aber auch, dass wir alle verletzlich, verwundbar sind, Angst haben, verwundet zu werden.

Wenn ich meiner eigenen Wunden und meiner Verwundbarkeit bewusst werde, dann kann ich sensibel, mitfühlend werden für die Wunden und die Verwundungen der anderen. Und wenn Menschen mitfühlend sehen können, wo die anderen verwundet und verwundbar sind, werden sie solidarisch  - davon bin ich überzeugt.

Erst vor wenigen Wochen haben wir an Weihnachten gefeiert, dass Gott selbst Mensch wurde und sich damit verwundbar gemacht hat, um der Menschen wegen. So gibt es also durchaus gute Gründe, zu Beginn dieses Jahres hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen, es zumindest zu versuchen.

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SWR2 Wort zum Tag

Heute ist ein ganz besonderer Tag für unzählige Menschen jeden Alters. Denn heute kommt endlich die sehnlichst erwartete neue Folge des Weltraumepos „Star Wars“ in die deutschen Kinos. Jetzt geht es endlich wieder um die ganz großen Fragen und Themen der Menschheit: um den Kampf gut gegen böse, Licht gegen Dunkel. Gibt es Hoffnung auf Erlösung? Lässt sich die gute Ordnung verteidigen, zum Wohle aller? Große Fragen der Menschheit  – projiziert in eine „weit, weit entfernte Galaxie“.

Fast vierzig Jahre ist es her, dass mit der ersten Film-Episode von „Star Wars“ die Sternensaga begann: Jene Geschichte von Anakin Skywalker und seinem Sohn Luke, erdacht, „erschaffen“ von dem eigenwillig-genialen Regisseur, Drehbuchautor und Produzent George Lucas. Ein monumentales Werk, offenkundig inspiriert von den unterschiedlichsten Mythen, Fabeln, Sagen und Erzählungen der Menschheitsgeschichte.

Unschwer lässt sich auch eine ganze Portion Bibel bei den „Star Wars“ Filmen entdecken: Schon in der ersten Episode sehen wir Anleihen bei der Weihnachtsgeschichte: Denn ganz unvermeidlich erinnert der kleine Anakin Skywalker an Jesus. Von ihm erhoffen die „Guten“ der galaktischen Republik, dass er diese ganze Galaxie von der Herrschaft der „dunklen Seite der Macht“ erlöst. Anakin Skywalker kommt als Sklave in ärmsten Verhältnissen auf einem Wüstenplaneten zur Welt, seine Mutter kennt den Vater nicht. Entdeckt wird dieser kleine Messias von einem Jedi-Ritter. Diese Jedi selbst stellen eine wunderlich-wundervolle Mischung dar aus Erzengeln, alttestamentlichen Propheten, der ritterlichen Tafelrunde von König Artus.

In den letzten Jahrzehnten ist wohl kaum ein Film mit solchen Erwartungen verbunden gewesen wie jetzt die neue Folge des StarWars-Epos. Strikte Geheimhaltung hat den Hype unter Millionen Star Wars – Fans weltweit noch beflügelt. Das Ganze ist natürlich auch ein riesiges Geschäft!

Nicht nur an diesem Geschäft stören sich die Kritiker. Man warf Lucas beispielsweise auch vor, mit seinem Filmepos eine höchstproblematische Ideologie, so etwas wie eine Ersatzreligion geschaffen zu haben.

Ich freue mich in jedem Fall auf diese neuerliche Reise in die „weit, weit entfernte Galaxie“. Und darauf, auch in dieser Folge wieder so unterhaltsam konfrontiert zu werden mit den ganz großen Menschheitsfragen. Meinen Glauben ficht das ganz sicher nicht an. Im Gegenteil. Mich inspiriert ein solcher Film: Und ich frage mich dabei gerne, welche Antworten der christliche Glaube auf diese großen Menschheitsfragen bietet.

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SWR2 Wort zum Tag

„Unschuld“, nur aus diesem einen Wort besteht der Titel des neuen Romans von Jonathan Franzen. Das Buch müsste eigentlich „Reinheit“ heißen, wenn man den englischen Originaltitel „Purity“ exakt übersetzt. In diesem faszinierenden Buch mit seinen über 800 Seiten geht es in jedem Fall um Unschuld und Reinheit: Menschen sehnen sich danach, nicht schuldig zu sein, obwohl sie doch in schuldhafte Zusammenhänge verstrickt sind. Menschen ringen darum, selbst rein zu bleiben, mal im körperlich- materiellen, mal im übertragenen Sinn.

Zu den Protagonisten der Geschichte zählen unter anderen ein Enthüllungsjournalist und ein sogenannter Whistleblower, ein Internetaktivist, aufgewachsen in der Spätphase der DDR. Zum bunten Personal dieses Buches gehört aber ebenso eine unter Waschzwang und  Verfolgungswahn leidende Mutter. Um jeden Preis versucht sie, ihre Tochter von der schmutzigen Welt amerikanischer Superreicher fernzuhalten - und verbirgt das Kind deshalb sogar vor dem leiblichen Vater. Ihrer Tochter hat sie den Namen „Purity“, Reinheit gegeben– welche Hypothek für ein Kind.

Alle in diesem Buch wollen wenigstens in ihrem persönlichen Leben moralisch integer, anständig sein. Sie suchen das richtige Leben im falschen System. Und so rebellieren sie gegen die Umklammerung der Mutter und den korrupten Journalismus. Sie rebellieren gegen den Kapitalismus und gegen die Macht der Internetkonzerne.

Nahezu automatisch aber geraten sie dabei selbst in eine Falle: Sie werden zu selbstgerechten, erbarmungslosen Moralaposteln. Sie manipulieren sich gegenseitig - um der guten Sache willen. Jede misstraut jedem. Jeder hat irgendwo einen dunklen Fleck im Leben, den er zu verbergen sucht – bis zu einem Mord aus Liebe.

Mich erinnert dieses Buch an den Brief, den der Apostel Paulus der Gemeinde in Rom geschrieben hat. Wie in keinem anderen Buch des neuen Testamentes ist dort diese menschliche Grunderfahrung beschrieben: Ich bin nicht der Mensch, der ich sein will. Was ich auch tue, ich bin und bleibe verstrickt in sündhafte Zusammenhänge. Was ich auch tue, ich werde schuldig an anderen. Lapidar heißt es beispielsweise im 7. Kapitel des Römerbriefs: „Das Gute, das ich will, tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will.“

Durch und durch aber ist der Römerbrief auch von einem unerschütterlichen Glauben, einer großen Hoffnung getragen: Mit seinem Leben und seinem Tod hat Jesus Christus mir gezeigt, wie ich diesen sündhaften Verstrickungen entkommen kann. Durch ihn kann ich  mich selbst wieder erkennen, als ein Kind Gottes, frei und zum guten Handeln fähig.

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SWR2 Wort zum Tag

Ein Film nach einer Erzählung von Albert Camus

Zwei Männer, ein gläubiger Muslim und ein Christ, mitten in der Einsamkeit des algerischen Atlasgebirges. Anfang der 1950er Jahre. Der Unabhängigkeitskrieg zwischen Algerien und Frankreich hat gerade begonnen.  Mohamed, ein algerischer Hirte und Daru, ein französischstämmiger Lehrer. Beide versuchen dem Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt zu entkommen.

„Den Menschen so fern“  lautet der Titel des Filmes, der den vermeintlich so aussichtslosen Kampf der beiden eindringlich erzählt; gerade ist er in Deutschland angelaufen.  Der Regisseur David Oelhoffen hat für seinen Film dabei auf eine Erzählung von Albert Camus zurückgegriffen, „Der Gast“ heißt sie auf deutsch.

Mohamed, der algerische Hirte und Bauer, hat seinen Cousin getötet, aus Rache und den Regeln seiner Familie, seines Stammes folgend. Nun soll er selbst Opfer der Blutrache werden. Und seine jüngeren Brüder werden wiederum ihn rächen müssen. Mohamed aber will wenigstens die Brüder vor dieser Tat bewahren. Deshalb begibt er sich in die Hände der französischen Justiz, dort muss er zwar auch mit einem Todesurteil rechnen, aber seine Brüder müssten ihn dann nicht rächen.

Und so kommt Daru ins Spiel, der in Algerien geborene Franzose und frühere Soldat. In einer mitten im Atlasgebirge, völlig einsam gelegenen Baracke unterrichtet er die Kinder der umliegenden Hirtenstämme; offenbar die Aufgabe seines Lebens. Ausgerechnet er soll nun, auf Befehl der französischen Verwaltung, Mohamed in die nächstgelegene Stadt bringen, damit er zum Tode verurteilt wird.

Daru verabscheut Mohameds Tat aus tiefstem Herzen. Er will nichts mit diesem zu tun haben. Rr ermutigt, drängt ihn deshalb zur Flucht. Und doch begibt er sich schließlich mit ihm auf den Weg. Daru tötet sogar einen der Verfolger, um Mohammed zu schützen Er gerät mit ihm in Gefangenschaft, erst in die Gefangenschaft von algerischen Rebellen, dann in die Gefangenschaft der französischen Armee. Auf ihrem Weg werden Daru und Mohamed zu Brüdern im Geiste.

Kurz bevor sie die Stadt erreichen, stellt Daru Mohamed noch einmal vor die Entscheidung, zu fliehen oder sich dem Gericht zu stellen.

Der Film ist verstörend. Er zeigt, wie sehr Menschen verstrickt sind in grausame, tödliche Zusammenhänge. Und doch trägt dieser Film für mich auch eine Botschaft der Hoffnung, so wie die beiden gegen diese Verstrickungen revoltieren, gegeneinander erst, dann miteinander.

Offen bleibt, mit welchem Motiv sie dies tun, ob im Namen der Menschlichkeit oder ob im Namen ihrer Religion, ihres Gottes. Für mich ist dieser Gott ein „Freund des Lebens“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20152
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SWR2 Wort zum Tag

Heute Vormittag wird sie veröffentlicht – die Umweltenzyklika von Papst Franziskus:  ein Rundbrief zum Thema Ökologie, adressiert an die Christinnen und Christen auf der ganzen Welt und überhaupt an alle Menschen, denen der Schutz der Umwelt am Herzen liegt.

In dieser Umweltenzyklika mahnt Papst Franziskus, die Schöpfung und jedes Geschöpf zu achten und zu lieben. Dabei schaut er besonders auf die Armen und Ärmsten dieser Welt. Denn sie sind es, die von Umweltzerstörung und Klimawandel am stärksten betroffen sind, von Überschwemmungen ebenso wie von tödlicher Hitze. Mensch und Umwelt werden geopfert, wo Profit und Konsum zu Götzen geworden sind. Die Menschen zu achten und die Umwelt zu achten – beides gehört zusammen und darf nicht voneinander getrennt werden.

Solche Mahnungen bleiben aber wohlfeiler Appell, wenn sie nicht durch konkretes Tun der Kirche beglaubigt sind –beglaubigt durch das, wofür beispielsweise Bischof Erwin Kräutler steht. Der in Österreich geborene Ordensmann lebt und wirkt seit einem halben Jahrhundert im brasilianischen Amazonien. Erwin Kräutler wird oft als „Amazonas-Bischof“ oder als „Indio-Bischof“ bezeichnet. 1980 wurde er zum Bischof der flächenmäßig größten Diözese Brasiliens ernannt.

Unerschrocken setzt er sich für die Rechte der Ureinwohner Amazoniens ein; ebenso für die Kleinbauern oder die sogenannten Landlosen. Unerschrocken kämpft er für den Erhalt des brasilianischen Regenwaldes, den Großgrundbesitzer, internationale Agrarkonzerne, Landspekulanten und Holzhändler immer weiter zerstören. Bischof Kräutler kritisiert aber auch die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro: Wie schon bei der Fußball-Weltmeisterschaft im letzten Jahr werden davon nicht die Armen Brasiliens profitieren. Stattdessen wird die Kluft zwischen Arm und Reich im Land immer größer.

Für dieses Engagement zahlt Bischof Erwin Kräutler einen hohen Preis. Sein Leben wird mehrfach bedroht. 1987 überlebt er nur schwerverletzt einen inszenierten „Autounfall“, ein Mitbruder stirbt  dabei.

So wie er sich für die Armen und ihre bedrohte Umwelt einsetzt, gibt „Dom Erwin“ ein besonderes Beispiel. Ein Beispiel für eine Kirche, die sich entschieden hat: die Würde und Rechte der Armen und Benachteiligten zu verteidigen und sich für den Schutz ihrer Umwelt einzusetzen - ganz konkret. Weil Gott selbst uns Christinnen und Christen aufgetragen hat, seine Schöpfung und seine Geschöpfe zu achten -ganz konkret.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19998
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SWR2 Wort zum Tag

„Loslassen lernen!“, hieß es vor kurzem gebieterisch in der Schlagzeile einer Tageszeitung. An dieser Stelle der Zeitung geht es normalerweise darum, was kluge Köpfe gerade entdeckt oder entwickelt haben - im Bereich Technik und Naturwissenschaft.

 „Loslassen lernen!“ klingt für mich nach Lebenshilfe und Psycho-Ratgeber. In dem Zeitungsartikel ging es allerdings um ganz anderes: Wir sollen lernen, das Lenkrad im Auto loszulassen.

In den Automobilkonzernen dieser Welt arbeitet man derzeit mit Hochdruck am selbstlenkenden Auto. In spektakulären Tests rasen heute schon führerlose Autos durch die Wüste oder lenken ihre Fahrgäste zielsicher durch belebten Stadtverkehr.

Das Versprechen dieser technischen Innovation ist gewaltig: mit selbststeuernden Autos wird Autofahren nicht nur komfortabler, der Straßenverkehr wird auch viel sicherer. Ein Computer ist weder unaufmerksam, noch kennt er eine Schrecksekunde. Und umweltbewusster fährt das autonome Auto auch noch. Der Straßenverkehr wird berechenbarer. 

Für manche ist das eine wundervolle Zukunftsvision, ein Kindheitstraum. Anderen graut es: Nie und nimmer werden sie freiwillig das Lenkrad loslassen! Das Schreckensszenario schlechthin: Eine Maschine übernimmt die Kontrolle, eine Maschine lenkt und steuert mein Schicksal. 

Loslassen zu können, ist Grundvoraussetzung für ein glückliches Leben, so mahnen die Lebenshilfe-Ratgeber: Eltern sollen zum rechten Zeitpunkt ihre Kinder loslassen, Rentner und Pensionäre ihre Arbeit. Nach dem Scheitern einer Beziehung müssen sich die Partner gegenseitig loslassen. Auch Trauernden rät man, ihre verstorbenen Lieben bei Zeiten loszulassen Denn wer nicht loslassen kann, bleibt in der Vergangenheit verhaftet, betrügt sich um die eigene Zukunft. 

Welche Gewohnheiten, Befürchtungen und Ängste aber sind im Spiel, wenn ich nicht loslassen kann, wo es um diese wirklich wichtigen Dinge im Leben geht? Habe ich Angst, die Kontrolle zu verlieren, fehlt es mir an Vertrauen in andere? Kann ich mir eingestehen, dass Geschehenes nicht rückgängig zu machen ist? 

Dieses Loslassen kann so schwer sein! Vermutlich ist es da die deutliche leichtere Übung, das Lenkrad im Auto loszulassen!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19390
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SWR2 Wort zum Tag

Wolfgang Büschers wundervolles Jerusalem Buch

Jerusalem - heilige Stadt für drei Weltreligionen: Für uns Christen ist Jerusalem der Ort, an dem Jesus gekreuzigt wurde. Die Juden verehren den Tempelberg als heiligsten Ort auf Erden. Hier sollen die biblischen Tempel gestanden haben. Auch für die Muslime ist Jerusalem ein heiliger Ort. Der Felsendom ist über der Stelle errichtet, wo der Überlieferung nach, der Prophet Mohammed auf geflügeltem Pferd in den Himmel aufgestiegen ist.

Wenn aber heute in den Tagesnachrichten von Jerusalem die Rede ist, dann steht diese Stadt für den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern.

Der mehrfach ausgezeichnete Reiseschriftsteller Wolfgang Büscher hat gerade ein wundervolles Buch veröffentlicht: „Ein Frühling in Jerusalem“ lautet sein Titel. Es ist kein Reiseführer und kein Sachbuch. Es hilft aber ein bisschen, diesen besonderen Ort Jerusalem besser zu verstehen.

Zwei Monate hat Wolfgang Büscher in der Altstadt Jerusalems gelebt. Er hat behutsam und einfühlsam beobachtet und vor allem gesprochen: mit Bewohnern des muslimischen, des christlichen, des armenischen und des jüdischen Viertels, mit Menschen auf der Via Dolorosa und an der Klagemauer. In der Grabeskirche hat er sich für eine Nacht einschließen lassen, um diesen heiligen Ort ohne fotografierende Pilgermassen zu erleben.

Büscher geht es darum, dem Geheimnis dieser Stadt auf die Spur zu kommen - im Gespräch mit einem arabischen Hotelier, einem Rabbi, der Holocaust-Überlebenden, dem muslimischen Ladenbesitzer und dem jungen Thora-Studenten. „Ich war einfach nur da“ hat Büscher selbst die Entstehung des Buches in seinem unverwechselbar lakonischen Stil beschrieben. Er enthält sich jeden politischen Urteils.

Das Buch ist von tiefer Melancholie geprägt, viel ist von Verlusten die Rede. Ein armenischer Christ, dessen Familie über Generationen in Jerusalem gelebt hat, erklärt unmissverständlich: In dieser Stadt gibt es keine Freude. Die Älteren beklagen, dass die Jungen fortgezogen sind.

Das kürzeste Gespräch, das Büscher führt, ist vermutlich das ausschlussreichste. Warum sind Sie hier, fragt er eine jüdische Siedlerin. Sie ist eine von denen, die versuchen, sich Jerusalem durch den Kauf von Häusern und Grundstücken anzueignen: Die Siedlerin antwortet schlicht: „Weil es Jerusalem ist“.

Diese Antwort erklärt nichts. So wie auch der Satz „weil ich Dich liebe“ nichts erklärt. Auch das Buch von Wolfgang Büscher kann diese  „verrückteste Stadt der Welt“ nicht erklären. Und doch lässt es die Faszination spüren, die Faszination, die von Jerusalem ausgeht, der heiligen Stadt der drei Weltreligionen, Erinnerungsort und Sehnsuchtsort:

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19061
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SWR2 Wort zum Tag

Was für ein grauenvolles Bild: Kämpfer der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ haben in Syrien acht Männer an Kreuze gehängt; ob sie durch diese „Kreuzigung“ starben, ob sie vorher schon tot waren, ob man die Toten am Kreuz noch verspotten, demütigen, schänden wollte -  das war dem Bild nicht anzusehen. Die abschreckende Botschaft dieser Kreuzigung war in jedem Fall unmissverständlich.

Ich bin erschrocken: gekreuzigte Menschen, heutige Menschen, an ganz realen Kreuzen, ein Foto in der Tageszeitung. Dabei ist mir ein anderes Bild doch so vertraut, das Bild des gekreuzigten Jesus. Und das Kreuz überhaupt! Selbstverständlich bekreuzige ich mich, wenn ich einen Kirchenraum betrete, zu Beginn des Gottesdienstes, vor dem Gebet.

Unzählige Kreuze, Bilder des Gekreuzigten habe ich in Kirchen gesehen, in Wohnzimmern, Krankenhausfluren, Wegkreuze begleiten mich beim Wandern. Und nun erschrecke ich bei diesem Bild aus Syrien, kann die Schlagzeilen dazu in ihrer Grausamkeit kaum begreifen.

Ist das Kreuz dieses zentrale christliche Symbol, für mich womöglich zu einem harmlosen Zeichen geworden? Habe ich seine ursprüngliche Bedeutung vergessen?

Dabei spricht auch die Bibel davon, wie grausam der Mensch an diesem Folterinstrument Kreuz stirbt. Sie spricht auch von der Demütigung und Schande, die es im Alten Orient bedeutete, gekreuzigt zu werden:

Im Buch Deuteronomium oder dem 5. Buch Mose heißt es: Verflucht ist, wer am Kreuze hängt. Im Philipperbrief spricht Paulus von der tiefsten Erniedrigung, die der Tod am Kreuz für einen Menschen bedeutet.

Jesus hat an einem solchen Kreuz, den Tod besiegt, so glaube ich und bekräftige es im Glaubensbekenntnis: Weil er in seiner Liebe zu den Menschen auch diesen letzten Schritt getan hat. Ausgerechnet am Kreuz sollte sich so zeigen, wie sich Gewalt und Grausamkeit entlarven, überwinden, besiegen lassen.

So ist dieses Kreuz für die Christen sogar zu dem Erkennungszeichen geworden, zum Zeichen der Hoffnung.

Dieses Hoffnungs- und Siegeszeichen bleibt aber ein Kreuz, Zeichen der Gewalt und der Grausamkeit. Die Theologie spricht von einem Paradox. Und ich sehe im Bild des gekreuzigten Jesus zur Zeit auch die acht gekreuzigten Männer in Syrien. Das Kreuz ist wahrlich kein harmloses Symbol.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18365
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SWR2 Wort zum Tag

Gelegentlich muss er sich sogar als der „Ungläubige“ bezeichnen lassen – der Apostel Thomas. Thomas, der Zweifler oder Thomas, der Skeptiker trifft die Sache schon eher. Heute feiert die katholische Kirche seinen Gedenktag

Thomas hat seinen Ruf dem Johannes Evangelium zu verdanken. Demnach ist Thomas nicht dabei gewesen, als der auferstandene Jesus einem engsten Kreis von Jüngern erschienen ist. So kann Thomas auch einfach nicht glauben, was ihm die anderen begeistert erzählen: Wir haben den Herren gesehen. Thomas muss ihn selbst sehen! Und so sagt er zu anderen: Ich kann an die Auferstehung Jesu nicht glauben, bis ich die Nagel-Wunden des Gekreuzigten gesehen  und meine Finger in seine durchbohrte Seite gelegt habe.

Und dann erscheint der auferstandene Jesus nach einer Woche zum zweiten Mal seinen Jüngern. Dieses Mal ist Thomas dabei. Und er sieht Jesus mit eigenen Augen! Eindrücklich ist seine spontane Reaktion: Mein Herr und mein Gott, ruft Thomas aus!

Und Jesus? Er sagt: „Weil Du mich gesehen hast, glaubst Du. Selig, die nicht sehen und doch glauben!“ Oft genug wurde dieser Satz als Tadel aufgefasst. Für mich klingt darin aber auch viel Verständnis mit. Jesus nimmt Thomas ernst.

Mir jedenfalls ist dieser Thomas, der zweifelt, sehr vertraut. Es entlastet mich: Wenn sogar so einer seine Zweifel hat!

Ich finde es aber auch entlastend, dass die Kirche diesen und auch andere Zweifler in ihrem Heiligenkalender stehen hat. Offenbar kann ein Heiliger auch sein, wer zweifelt. Oder umgekehrt: Zweifeln gehört unvermeidlich zum Glauben dazu. Niemand zweifelt aus böser Absicht oder hat sich einfach nur nicht genug angestrengt.

Gott hat sich den Menschen als Gegenüber, als Partner ausgesucht: genau den Menschen, der in seiner Freiheit eben auch nachdenklich und skeptisch ist, der in seinem Glauben tastet und sucht, irrt und zweifelt. Gott lässt sich darauf ein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17867
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SWR2 Wort zum Tag

Wie Jesus war, als Kind oder als pubertierender Jugendlicher, davon erfahren wir aus den Evangelien so gut wie nichts. Geburt, Beschneidung und Namensgebung, dann noch die so genannte Darstellung im Tempel und schließlich diese denkwürdige Geschichte, in der der zwölfjährige Jesus mit den Gelehrten am Jerusalemer Tempel diskutiert.
Dann folgt in den Evangelien eine lange Pause und wir erfahren erst wieder vom jungen Mann, etwa 30-jährig. Diese Lücke von fast 20 Lebensjahren spiegelt sich auch im Kirchenjahr wider: Gefühlt haben wir doch gerade erst Weihnachten gefeiert, da beginnt auch schon die vierzigtägige Fastenzeit zur Vorbereitung auf Ostern. Fehlt da nicht was Entscheidendes? 

Ich war richtig neugierig, als Ende letzten Jahres das jüngste Buch des Literaturnobelpreisträgers John M. Coetzee erschienen ist: „Die Kindheit Jesu“ lautet der verheißungsvolle Titel. Allerdings, außer im Titel taucht das Wort Jesus im ganzen Buch nicht mehr auf – dafür steckt es voller Anspielungen auf die Bibel.

Im Zentrum des Romans steht ein fünfjähriger Junge, David, ein Flüchtlingskind, das weder Vater noch Mutter kennt. Und Simon. Auch er Flüchtling, ein Mann in den besten Jahren, ein Denker und Grübler. Simon ist für David zu einem Ersatz-Vater geworden. Und hartnäckig verfolgt er die selbst gestellte Aufgabe: eine Mutter für David finden. 

David und Simon sind in einer fremden Welt gelandet, in einer Stadt namens Novilla. Die Menschen dort haben sich ganz in ihrer bescheidenen Gegenwart eingerichtet, offenbar völlig bedürfnis- und leidenschaftslos. Niemand hat eine Vergangenheit und die weitere Zukunft scheint auch keinen zu beschäftigen. Man begegnet David und Simon freundlich, aber letztlich distanziert.

Und David selbst? Vorsichtig könnte man sagen, er ist etwas speziell, ja seltsam: liebenswürdig, aber ein bisschen selbstbezogen, höchst empfindsam, hochbegabt. Seine Umgebung und vor allem Simon löchert er mit überraschenden, wahrhaft philosophischen Fragen. Mit der Welt, so wie sie ist, kann er sich nicht abfinden. Zauberer will er werden, Entfesselungskünstler, Menschen retten. 

Ich weiß natürlich nicht, was der Autor mit Titel und Text im Letzten wollte. Mich hat in jedem Fall beim Lesen die Frage nicht los gelassen: Wie war der kleine Jesus und war er womöglich so wie David? Für mich gehört diese Frage einfach dazu – versuche ich die ungeheure Botschaft zu verstehen, dass Gott wirklich Mensch geworden ist. Und stelle ich mir auch seine Kindheit und Jugend vor, rückt mir der Mensch Jesus doch ein Stück näher.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16994
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