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Wie kompliziert kann es in Glaubensdingen zugehen. Dafür gibt es jede Menge Beispiele. Die meisten nerven mich inzwischen, weil ich sie schon so oft bedacht und mit anderen besprochen habe. Aber eine Frage, an der arbeite ich mich nicht mehr ab. Nämlich daran, ob Frauen Priesterin werden können, in meiner katholischen Kirche. Für mich ist diese Frage entschieden, die Antwort glasklar. Ja und selbstverständlich können sie. Sollen sie, müssen sie. Weil alle Argumente, die dagegensprechen, und die ich kenne, schwach sind und mit einem Federstrich aus dem Weg geräumt werden könnten. Allen voran das so fragwürdige Argument, das der Vatikan nicht müde wird zu betonen: Jesus sei schließlich ein Mann gewesen. Ja klar. Und? Das für mich wirklich ausschlaggebende Argument findet sich im ersten Kapitel des ersten Buches der Bibel. Dort heißt es: Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie[1].
Dieser Satz ist so grundlegend, dass er alles übrige leicht in den Schatten stellt. Dieser Satz ist die zentrale Aussage über das christliche Bild vom Menschen. Dieser Satz hat Konsequenzen gehabt für die gesamte Menschheit und ist Grundlage für alle Bestimmungen, die Wesentliches über den Menschen aussagen. Sätze wie „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, mit dem unsere Verfassung beginnt, gründen auf diesem Prinzip der Bibel. Und das soll in der Katholischen Kirche nicht gelten?!
Jesus war ein Mann. In einer von Männern dominierten Welt vor 2000 Jahren hätte man anderes nicht sagen können. Aber bis heute so zu tun, als handle es sich um ein theologisches Argument, das über alle Zeiten und Kulturen und jeden Wandel hinweg Gültigkeit habe? Nein. Das kann ich nicht akzeptieren. Es ist falsch. Und es tritt die Würde aller Frauen mit Füßen, die bis heute der katholischen Kirche treu geblieben sind.
Frauen und Männer sind nicht gleich. Sie müssen auch nicht immer alle das Gleiche tun. Aber in den grundlegenden Dingen, da müssen sie die gleichen Möglichkeiten haben. Und ein Priester zu sein, ein Mensch, der sich Jesus verpflichtet weiß, der aus dem Geist des Evangeliums leben will, der anderen die Liebe Gottes nahe bringt, das kann eine Frau genauso wie ein Mann. Ich kenne Frauen, die gute Priesterinnen wären. Ich möchte noch erleben, dass sie es auch sein können.
[1] Genesis 1,27
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37651Meine Frau und ich streiten uns. Zwei Dickköpfe gewillt, den Streit zu gewinnen. Ein Wort ergibt das andere. Immer einmal mehr als du. Der eigentliche Anlass des Streits spielt schon lange keine Rolle mehr. Jeder zieht das aus dem Köcher, was ihn schon immer am anderen gestört hat. Weil das macht sie immer so. Nein, gar nicht. Er hört einfach nie richtig zu. Es wird immer rauer, immer verletzender, immer fieser. Solange bis einer von beiden wutentbrannt den Raum verlässt. Ha, Sieg auf der ganzen Linie für den, der steht. Von wegen. In so einer Situation verlieren immer beide.
Meine Frau und ich kennen die wunden Punkte des anderen ganz genau. Wir drücken sie. Schaukeln uns hoch. Die Spirale der gegenseitigen Vorwürfe dreht sich immer schneller. Solange bis einer nicht mehr kann oder will. Nicht nur Paare können das gut. Auch zwischen Nachbarn, Verwandte oder Arbeitskollegen eskaliert es immer wieder. Geht das auch anders?
Jesus ist vielleicht nicht sehr bekannt als Konfliktberater und doch hat er etwas zum Thema Deeskalation zu sagen. In der Bergpredigt sagt Jesus:
„Ihr wisst, dass gesagt worden ist: ›Auge für Auge und Zahn für Zahn!‹ Ich sage euch aber: Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses antun! Sondern wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin!“
Auge für Auge, Zahn für Zahn. Das klingt in unseren Ohren nach ziemlich viel Gewalt. Doch schon Jahrhunderte vor Jesus war diese Regel dazu gedacht, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Sonst blieb es nämlich nicht bei einem Zahn. Wenn du mir einen Zahn ausschlägst, schlag ich dir mindestens 2 aus und so weiter. Gewalt sollte begrenzt werden, damit aus Kleinigkeiten keine riesigen Konflikte werden.
Jesus geht nun noch einen Schritt weiter. Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin. Geht´s noch, Jesus!? Soll ich einfach alles hinnehmen, was andere mit mir machen? Soll ich jeden Mist wehrlos über mich ergehen lassen?
Nein, so meint Jesus das nicht. Auch hier geht es darum die Konfliktspirale zu durchbrechen. Damit nicht das geschieht, was ich von meiner Frau und mir geschildert habe. Es geht darum, den anderen zu überraschen. Etwas zu tun, das den Kreislauf von Vorwürfen und immer mehr Vorwürfen, von Gewalt und immer mehr Gewalt durchbricht.
Wie könnte das also aussehen, die andere Wange auch hinzuhalten?
Ich könnte hinhören und versuchen zu verstehen, anstatt sofort in Verteidigungshaltung zu gehen oder gar auf Angriffsmodus zu schalten. Ich könnte meine Frau einfach so in den Arm nehmen. Oder den Raum verlassen, um erstmal abzukühlen und nachzudenken. Oder statt eines Vorwurfs ein Kompliment zu machen.
Vielleicht so: „Danke, dass du mir sagst, wie sehr du dich über mich ärgerst. Weil wenn ich das nicht mehr hören würde, hieße das, dass du nicht mehr da bist.“ Und das würde ich auch trotz mancher Streiterei dann doch nicht wollen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37600Zusammen bahnen wir uns den Weg durch die Menschenmenge. Mein Freund Jamal und ich sind auf dem Weg ins Stadion. Endlich mal wieder. Viel zu lange bin ich nicht dort gewesen. Die Vorfreude ist riesig.
Zielstrebig schwimmen wir mit der Masse weiter. Bis zur Einlasskontrolle. Wir reihen uns ein. Die Ordner regeln den Verkehr. Viele werden einfach durchgewunken. Bis mein Freund Jamal an der Reihe ist. Der Ordner tastet ihn ab, ziemlich gründlich. Von Kopf bis Fuß. Sogar seine Mütze muss er abziehen. Schließlich darf er weiter gehen. Dann bin ich an der Reihe. Ein freundliches Lächeln, ein Durchwinken, das war´s.
Ich bin irritiert. Was war das gerade? Hat der Ordner gerade alle, die deutsch genug aussehen, anstandslos durchgewunken und meinen Freund libanesischer Herkunft fast bis auf die Unterhose gecheckt? Macht der Ordner hier diesen Unterschied oder macht das Unternehmen solche Vorgaben? Jamal ist weniger geschockt als ich. Das komme immer wieder vor. Das kommt immer wieder vor? Ich kann es gar nicht fassen.
Auf dem Weg zu den Plätzen beschäftigt mich die Szene weiter. Ich ärgere mich. Über den Ordner, der meinen Freund falsch behandelt hat. Aber noch mehr ärgere ich mich über mich selbst. Warum hast du nichts gesagt, Manuel? Da passiert so eine Ungerechtigkeit und du kriegst den Mund mal wieder nicht auf.
Gott schweigt nicht. Wenn es ungerecht zugeht, wenn Menschen diskriminiert oder unterdrückt werden. In der Bibel steht Gott ganz klar für das Recht derer ein, die diskriminiert werden. So sagt Gott seinem Volk Israel im Alten Testament:
»Sorgt bei Gericht dafür, dass gerecht geurteilt wird! Habt Nachsicht miteinander und seid barmherzig! Unterdrückt nicht Witwen und Waisen, Fremde und Arme! Plant nichts Böses gegeneinander!«
Gott stellt sich deutlich an die Seite der Unterdrückten. Gott hasst es, wenn Gerechtigkeit mit Füßen getreten wird und Menschen diskriminiert werden. Im Buch Amos sagt Gott sogar, dass die Israeliten mit ihren Gottesdiensten aufhören sollen. Gott kann ihre Lieder nicht mehr hören, wenn sie gleichzeitig das Recht verdrehen und andere unterdrücken. Diskriminierung regt Gott auf und das sagt er dann auch.
Auch Tage später beschäftigt mich die Situation an der Einlasskontrolle noch. Ich entscheide, eine Mail an den Verein der Heimmannschaft zu schreiben. Das ist nicht viel, aber wenigstens etwas will ich noch tun. Ich bekomme sogar eine Antwort, in der der Verein sein Bedauern ausdrückt.
Beim nächsten Mal will ich nicht mehr schweigen. Vielleicht verdächtige ich den Ordner ja auch zu Unrecht. Vor allem aber für meinen Freund Jamal. Ich könnte beispielsweise darum bitten, dass der Ordner mich genauso abtastet wie meinen Freund. Gleiches Recht für alle. Ich kann nicht verhindern, dass meinem Freund Unrecht geschieht. Aber er soll spüren, dass ich an seiner Seite stehe.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37599„Überweist du bitte die 350 € für die Klassenfahrt.“ Die Stimme meiner Frau hallt in meinem Kopf. „Und nachher bin ich beim Friseur. Holst du bitte die Kinder ab?“ Ich merke, wie die Unruhe in mir wächst. Meine Frau beim Friseur, das sind dann nochmal knapp 100 €. Zwei Rechnungen liegen noch unbezahlt vor mir auf dem Tisch. Meine Finger werden schwitzig. Den Räderwechsel am Auto habe ich extra schon in den Mai geschoben. War das Profil noch in Ordnung oder stehen da auch noch neue Reifen an? Was das alles kostet.
Als ich die Kinder abhole, bin ich dünnhäutig. Sie fragen nach einer Bretzel und wann wir nochmal zusammen ins Schwimmbad gehen können. Ich gebe zurück, dass wir erst gestern eine Bretzel hatten und das Schwimmbad viel zu teuer geworden ist. Warum ich gleich so schimpfen müsse, fragen die Kinder zurück. Ich schimpfe nicht, schimpfe ich. Sie müssten das ja auch nicht alles bezahlen, sage ich. Viel zu laut und viel zu hart. Die Kinder schweigen. Wortlos verbringen wir den Rest der Fahrt.
Es gibt Themen, die triggern mich. Finanzen sind so ein Thema. Da wird ein Knopf in mir gedrückt. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Male mir Schreckensbilder aus, was noch alles passieren könnte und wie schlimm es noch werden wird. Die Sorgen werden immer größer und decken alles andere zu. Das alles hat dann nicht mehr viel mit der Realität zu tun.
Abends sitze ich mit meiner Frau auf der Couch – ich wortkarg, sie gesprächig. Das ist zwar häufiger so. Meine Frau spürt aber, dass ich mir Sorgen machen. Ob ich mal wieder übers Geld nachdenken würde, will sie wissen. Ich nicke. Ob es bisher jemals so gewesen sei, dass wir in der Privatinsolvenz gelandet seien, fragt sie weiter. Ich schüttele den Kopf. Selbst wenn mal etwas gefehlt habe, habe es immer eine Lösung gegeben, erinnert sie mich. Da muss meine Frau wohl recht haben. Die Sorgenwolken werden langsam kleiner.
Die Worte meiner Frau sind wie kleine Lichtstrahlen, die durch die dunklen Sorgenwolken brechen. Ich drehe mich nicht weiter verzweifelt und allein um das Problem. Meine Frau hilft mir raus aus dieser unangenehmen Spirale. Vielleicht bedeuten die aktuellen Ausgaben also doch nicht unseren finanziellen Ruin.
Ein weiterer Lichtstrahl ist ein Bibelvers, der jetzt wieder Platz in meinen Gedanken hat: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ (Psalm 23)
Ja, bisher war das so, gestehe ich mir ein. Es mag mal knapp gewesen sein. Aber es gab immer eine Lösung – ob clever geplant oder unverhofft beschenkt. Wieso sollte das auf einmal nicht mehr gelten?!
Am nächsten Morgen besorge ich den Kindern eine Bretzel und kündige den nächsten Schwimmbadbesuch an. Den Rechnungen widme ich mich später. Ihren Schrecken haben die Euros aber schon fast verloren.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37598Seit sieben Monaten lebe und arbeite ich an einem neuen Dienstort. Die Gemeinde zeigt ein großes diakonisches Engagement und lädt seit mehr als zehn Jahren mit Christen anderer Kirchen zu einem „Mittagstisch für alle“ ein. Vor der Corona-Pandemie fand der Mittagstisch einmal wöchentlich in unseren Gemeinderäumen statt. Ein warmes Essen wurde an die Gäste ausgeteilt. Wer wollte, legte eine Spende in ein Kässchen ein – doch niemand war dazu gezwungen. Viele kamen, pflegten und genossen die Tischgemeinschaft mit anderen und hielten sich dabei in einem warmen Raum auf. Wichtig war den Mitarbeitenden in dieser Zeit nicht nur die „Leibsorge“, sondern auch die „Seelsorge“. So hatten Mitarbeitende Zeit für Gespräche und Begegnungen mit den Gästen, die oft in unbefriedigenden Verhältnissen lebten und bis heute leben. In der Zeit der Corona-Lockdowns wurde der Mittagstisch als „Mitnehm-Variante“, als „Mittagstisch to go“ angeboten. Auch hier kamen die Gäste – aber viele vermissten das gemeinsame Essen, die Gespräche beim Kaffeetrinken oder die Möglichkeit zum Beratungsgespräch.
Doch dieser Mittagstisch prägte und prägt auch unsere gemeindliche Wahrnehmung in der Stadt. Daran musste ich mich bei meinem Neubeginn erst wieder gewöhnen. Oft klingeln Telefon oder Türglocke. Dann meldet sich einer unserer Gäste und erbittet Hilfe: Etwas zu essen oder zum Anziehen oder aber auch nur ein Gespräch. Wenn es klingelt, nehme ich mir Zeit für diese Gäste an meiner Tür. Ich höre zu, versuche zu beraten oder auch ganz praktisch zu helfen. Nur selten lasse ich die Bitten ‚meiner Gäste‘ unerhört. Nach solchen Begegnungen denke ich dann an ein biblisches Motto, das so lautet: „Weigere dich nicht, dem Bedürftigen Gutes zu tun, wenn deine Hand es vermag“ (Sprüche 3,27).
Ich erfülle nicht jeden Wunsch. Aber vielleicht kann ich ein wenig die größte Not lindern. Dabei sind das für mich keine „guten Werke“, um mich selbst gut zu fühlen. Sondern mir geht es um Mitmenschlichkeit, die wir einander sehr wohl gönnen dürfen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37605Eine 37jährige Krankenhausseelsorgerin in Berlin sagt: „Das hier ist nicht meine erste Blockade. Ich bin jedes Mal vorher aufgeregt. Am liebsten würde ich es nicht machen. Aber wir rasen auf eine Katastrophe zu – und die Bundesregierung hat keinen Plan, wie wir da rauskommen sollen.“ Die Frau protestiert mit bei der „Letzten Generation“. Ich verstehe die Beweggründe jener Klimaschützer gut, denn auch ich sehe, dass das sogenannte „menschliche Zeitalter“ Welt und Schöpfung nicht guttun. Dennoch stimmt mich ihr Eigenname traurig. Ich finde es schade, dass sich jemand, der mitten im Leben steht, als „Letzte Generation“ betrachtet.
Vor einigen Tagen feierte ich einen Gottesdienst mit, der all diese Fragen, Probleme und Missstände ebenfalls benannt hat. Der Gottesdienst unter dem Motto „Generation Z“ für „Generation Zukunft“, sagte im Untertitel: „Sinnsuche zwischen Angst und Perspektive“. Schülerinnen und Schüler von zwei Schulen des Franziskaner-Ordens gestalteten den Gottesdienst mit und drückten ihre Hoffnung mit dem Satz aus: „damit Leben gelingt“. Als biblische Geschichte stand die Begegnung des auferstandenen Jesus mit jenen Jüngern im Mittelpunkt, die am Ostertag in resignativer Stimmung auf dem Weg nach Emmaus waren – zurück in ihr altes Leben, ihre alte Heimat. Jesus gesellt sich unerkannt zu ihnen und spricht ihnen Mut zu. Doch erst als er mit ihnen zu Tisch sitzt und das Brot bricht, erkennen sie ihn. Dann war er auch schon wieder verschwunden. Die Jünger erhielten neue Lebenskraft und neuen Lebensmut. Sie rannten zurück nach Jerusalem, um ihren ehemaligen Jüngerkollegen zu sagen, dass „Jesus lebt – und ihr Leben auf dieser Erde, in dieser Welt von nun an gelingen kann“. Daraufhin entwickelt sich bei ihnen eine hoffnungsvolle Lebensperspektive.
Zu dieser „hoffnungsvollen Generation Zukunft“ gehören bis heute alle Glaubenden. Deshalb können glaubende Menschen alles dafür tun, dass das „Leben hier auf Erden gelingt“. Wir müssen keine von Menschen gemachte „schöne, neue Welt“ auf Mond oder Mars errichten. Sondern Christen hoffen, dass Gott diese Welt weiterhin erhält und eines Tages „ein Reich aufrichtet, das nimmermehr zerstört wird“ (Daniel 2,44) – auch von uns Menschen nicht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37604Wie wäre es wohl, wenn Menschen es hin und wieder einmal schaffen würden, aus dem Kreislauf von „Aktion – Reaktion“ auszubrechen oder ihn zumindest einmal zu unterbrechen? Vielleicht erinnern Sie sich an jenen bewegenden Musikfilm, in dem folgende Redewendung eine problematische Rolle spielte: „action – réaction“. Die beiden Worte werden in dem Film „Les Choristes“, bei uns besser bekannt unter „Die Kinder des Monsieur Matthieu“ oft gebraucht. Der Satz wurde dann angewandt, wenn etwas „aus dem Ruder“ oder „schiefgelaufen“ war. Dann folgte einer etwas problematischen Aktion eine noch heftigere Re-Aktion. Doch dies Handlungsschema funktioniert scheinbar nicht nur in diesem Film. Es scheint auch unser gesellschaftliches Mit-Einander, oder sollte ich eher „Gegen-Einander“ sagen, zu prägen. Natürlich ist „Aktion – Reaktion“ ein wichtiges Element im Leben. Doch manchmal erscheint es mir wie ein unangenehmer Kreislauf, der das menschliche Miteinander eher stört oder zerstört, als ihm in guter Weise weiterzuhelfen.
Da finde ich es hochinteressant, dass biblische Texte diejenigen, die sie lesen und die danach leben möchten, zu einem ganz anderen Verhalten einladen. Bereits in der Hebräischen Bibel werden die Menschen zu folgendem Tun eingeladen: „Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot; dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser“ (Sprüche 25,21). Jesus formuliert es sogar noch etwas herausfordernder: „Liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas dafür zu erhalten… denn Gott ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen“ (Lukas 6,35). Auch hier findet sich das Motto „Action – Réaction“ im Hintergrund – aber eben nicht als Eskalation von Gewalt, sondern als herausfordernde Mitmenschlichkeit. Ich weiß: Es ist nicht einfach, einem hungernden Feind Brot zu geben oder einem dürstenden Feind ein Glas Wasser zu reichen. Mir geht das mit gleichen Mitteln ‚heimzahlende Re-Agieren‘ auch oft leichter von der Hand. Aber ich will mich von diesen biblischen Anregungen gern in meinem Alltag herausfordern lassen. Vielleicht gelingt es mir ja ansatzweise, einem Menschen, der mir nicht unbedingt wohlgesonnen ist, Gutes zu tun. Das mag ein gewisses Maß an Selbst-Überwindung kosten. Aber solches Verhalten durchbricht zumindest die ungute Spirale von „Action – Réaction“ – probieren Sie es doch mal aus!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37603Ich mag es, wenn jetzt im Mai alles duftet. Ich brauche morgens nur das Fenster aufzumachen, schon kommen mir Flieder, Ginster, Rose oder was ganz anderes entgegen. Und auch wenn es geregnet hat, riecht die nasse Erde anders als im Winter - irgendwie intensiver und nach ganz viel „wachsen“.
Für mich riecht der Frühling nach Aufbruch und Leben, und darin kommt für mich etwas von Gott durch. Es ist ein bisschen so, als wäre Gott da in diesem Duft anwesend, oder zumindest erinnert mich diese besondere Frühlingsluft an Gott. Weil es zu Gott passt, wenn das Leben sich wieder durchsetzt.
Gleichzeitig bin ich auch überzeugt, dass Gott auch da ist, wo es nicht so gut riecht. Wo es manchmal sogar zum Himmel stinkt, weil die Not groß ist. So war es im Ahrtal oder bei den Erdbeben in der Türkei und in Syrien. Im Leben kann es schrecklich riechen.
Trotzdem verbinde ich vieles in meinem Glauben an Gott mit schönen Düften. Und damit meine ich nicht nur den Weihrauch in der Kirche. In der Bibel wird oft von wohlriechenden Salben und Ölen erzählt. Könige wurden gesalbt. Und auch Jesus ist von einer Frau bei einem Festmahl mit einem duftenden Öl gesalbt worden, und nach seinem Tod wollen ihn Frauen mit duftenden Salben einreiben. In besonderen Zeiten, da passt auch ein besonderer Duft.
An diese Erfahrungen knüpft auch die Tradition an, dass manche Christinnen und Christen bei ihrer Taufe und Firmung gesalbt werden. Mit Chrisam, einem Öl, das auch besonders gut duftet. Nach Rose, manchmal auch ein bisschen nach Orange, Zimt oder Jasmin.
Da, wo Gott ist, ist auch so etwas wie ein guter Geruch. Paulus hat in der Bibel dazu einen schönen Gedanken. Er schreibt von einem „Duft, der Leben verheißt“, und Menschen, die an Christus glauben, nennt Paulus ein bisschen pathetisch „Christi Wohlgeruch“. Wenn ich Paulus richtig verstehe, kann ich selbst also auch zu einem „Duft“ werden, „der Leben verheißt“. Auch oder gerade da, wo so einiges zum Himmel stinkt.
Übrigens: Charles und Camilla werden heute nicht nur gekrönt, sondern auch gesalbt. Mit einem duftenden Öl, aus Oliven vom Jerusalemer Ölberg. Egal, ob Königin, König oder ganz normaler Mensch: Ich kann mit meinem Leben einen guten Duft verbreiten. Frei nach Paulus, einen Duft für ein gutes und würdevolles Leben für alle.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37586Ein eleganter älterer Herr hält mir mit ausladender Geste die Tür auf und lächelt mich an: „Schönheit zuerst!“ Überrascht schaue ich ihn an und gehe ein bisschen zögerlich vor ihm aus dem Buchladen hinaus.
Draußen vor der Tür holt der Mann mich nochmal ein, er schaut mich von der Seite an und sagt: „Es tut mir leid, wenn ich Ihnen eben zu nahe getreten bin.“ Ich darauf: „Nein, nein. Ich war nur überrascht. Aber danke, dass Sie mir das noch dazu gesagt haben.“
Nach dem kurzen Gespräch bin ich ins Büro und habe meinen Kolleginnen das Ganze erzählt. Die eine hat gleich gemeint: „Ist der noch da? Ich will auch so ein Kompliment!“ Sie legt mir einen Arm um die Schultern und sagt: „Rahme es dir in Gedanken ein und hänge es dir auf. So was bekommt man nicht alle Tage.“ Aber meine andere Kollegin hat die Augenbrauen hochgezogen und geseufzt: „Ich verstehe euch nicht. Ich wäre mir dabei vorgekommen, als hätte mir jemand einen Stempel aufgedrückt.“
Mit Komplimenten ist das so eine Sache. Was der einen gut tut, kann für den anderen zu viel oder unangenehm sein. Außerdem können solche nett gemeinten Höflichkeiten auch missverstanden werden und im schlimmsten Fall verletzen. Und natürlich gibt es auch falsche oder übergriffige Komplimente, mit denen ich beim anderen eine Grenze überschreite und er oder sie fühlt sich dann durch das, was ich sage, abgewertet.
Ich merke aber auch: ein Kompliment oder ein nettes Wort, das von Herzen kommt, kann mir so gut tun und meinen Tag heller machen. Ich fühle mich dann gesehen mit dem, was ich leiste oder einfach so, wie ich eben bin.
Eigentlich schade, dass ich zum Beispiel meinem Lieblingsmenschen viel zu selten sage, was ich an ihm mag. Dabei ist das so wichtig, gerade weil sonst ja oft im Vordergrund steht, was noch fehlt oder schief läuft.
Aber ein echtes Kompliment zu machen, bei dem ich den anderen wirklich meine und das bei ihm auch ankommt, ist gar nicht so einfach. Ich muss sensibel dafür sein, was ich sage und wie, wann und vor allem zu wem. Und es muss einfach ehrlich sein und von Herzen kommen, sonst ist es nicht echt. Wenn alles stimmt, kann so ein Kompliment wirklich ein Geschenk sein.
Ich mag Komplimente, die von Herzen kommen. Das fühlt sich fast so an, als würde Gott mir in so einem Moment liebevoll zulächeln, und dann wird mein Tag tatsächlich ein kleines bisschen heller.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37585Meine Freundin Kathrin wohnt seit kurzem auf dem Land, im Schuttertal im Schwarzwald. Und das gefällt ihr, weil die viele Natur um sie herum so beruhigend auf sie wirkt. Als Leiterin einer Kita hat sie viel Verantwortung, ordentlich Zeitdruck und gerät immer wieder in Konflikte.
Kathrin erzählt: „Manchmal weiß ich frühmorgens gar nicht, was ich zuerst erledigen soll.“
Und weiter sagt sie: „Auf meinem Weg zur Arbeit komme ich manchmal an einer Schafherde vorbei. Einmal, als ich frühmorgens wieder total gestresst war, hab ich einfach bei den Schafen angehalten. Mein Kopf hat gebrummt, weil er so voll war mit lauter Gedanken. Eigentlich hätte ich rasch weiterfahren sollen. Aber irgendwas in mir hat bewirkt, dass ich das Auto geparkt habe. Und dann hab ich mich neben der Weide ins Gras gesetzt. Einfach so.“
„Und das hat geholfen?“, frage ich skeptisch.
Kathrin lacht: „Ja. Ich habe einfach den Schafen zugesehen. Wie sie grasen und wiederkäuen, und wie die Lämmer über die Wiese toben und Bocksprünge machen. Mit der Zeit sind mir sogar die verschiedenen Stimmen der einzelnen Schafe aufgefallen und wie sie miteinander Kontakt halten. Das hat mich total geerdet. Die Schafe tun genau das, was für sie gerade wesentlich ist, ohne darüber nachzudenken.“
„Aber du musstest doch eigentlich weiter zur Arbeit“, sage ich. „Wie lange hast du denn da gesessen?“
„Vielleicht ein paar Minuten“, meint Kathrin. „Weißt du, je länger ich da gesessen bin, umso ruhiger bin ich geworden. Meine Gedanken an die Arbeit waren noch da, aber sie haben mich nicht mehr so getrieben. Ich war einfach da, wie die Schafe.
Klar hab ich gewusst, dass ich weitermuss. Aber der Moment hat mir geholfen. Das, was mich genervt oder beschäftigt hat, ist da irgendwie zurückgetreten, und ich bin wieder viel offener geworden.“
Ich frage Kathrin: „Und machst du das jetzt öfter?“
Sie antwortet: „Ja, ich gönne es mir einfach. Denn diese - na ja, ich sag mal - „Schaf-Momente“ tun mir gut. Weil da manchmal auch Sachen hochkommen können, die unter dem Stress liegen. Schöne Sachen oder Dinge, die ich sonst fast vergesse. Das kann ich alles dann in der Natur draußen Richtung Himmel schicken.“
Ich habe leider keine Schafherde um mich rum, aber ich verstehe, was Kathrin meint. Zum nächsten Geburtstag kriegt sie von mir ein Schaf. Eins aus Seife oder eins auf einer Postkarte. Denn ich weiß: Schafe sind Kathrins Lieblingstiere geworden. Sie hat mit ihnen gelernt, wie sie aus ihrer Mühle rauskommt, dass sie anhalten kann und ein bisschen Ruhe findet.
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