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Amira kommt aus Afghanistan und durfte sechs Monate lang das Haus nicht verlassen. Sie ist Anfang zwanzig und aus ihrer Heimat geflüchtet, weil sie transsexuell ist. Dies offen bei ihr zuhause zu leben, kommt unter der Talibanregierung einem Todesurteil gleich.
Ich kann mir nicht im Entferntesten vorstellen, wie sie sich gefühlt haben muss, als sie hier angekommen ist. Mit fast niemanden konnte sie reden, weil ihre Muttersprache Paschtu hier fast niemand spricht.
Sie hätte wieder abgeschoben werden sollen. Zuerst nach Slowenien, weil sie dort zum ersten Mal die EU betreten hat. Dublin Abkommen. Darin ist geregelt, dass geflüchtete Menschen wieder dorthin zurückmüssen, wo sie registriert wurden. Außer es gibt einen Grund zu bleiben. Zum Beispiel trans zu sein, weil das in Slowenien auch gefährlich sein kann. Das Absurde: Genau das wurde in ihrem Asylverfahren nicht beachtet. Ich mache keiner deutschen Behörde einen Vorwurf. Bei der Menge an Anträgen, die sie jeden Tag bearbeiten müssen. Aber Gott sei Dank gibt es da auch noch Organisationen, die Menschen wie Amira in solchen Fällen begleiten und beraten.
Dadurch kam sie zu uns in die Hochschulgemeinde. Ins sogenannte Kirchenasyl.
Ein Freund von mir hat zu mir gesagt: „Spinnt ihr? Ihr stellt euch über den Staat und entscheidet selbst, was richtig und was falsch ist. Was nehmt ihr euch eigentlich raus?“. Ich hab ihm dann erklärt, dass keiner von uns irgendetwas für den Staat entscheidet. Was wir tun, ist: Wir verschaffen Amira Zeit. Zeit, damit ihr Antrag nochmals geprüft wird.
Nur darf Amira so lange eben unser Haus nicht mehr verlassen. Weil sie unter dem Schutz unserer Hochschulgemeinde steht. Wir als Gemeinschaft bürgen für sie. Noch eine Situation, die ich mir nicht vorstellen kann. Ich, der morgens einfach ins Büro kommt und abends wieder gehen kann. Sie nicht. Monatelang. Gottlob gibt es unzählige Studenten, die Amira fast täglich besuchen, mit ihr kochen und auch Deutsch lernen.
Jetzt, nach sechs Monaten ist das Kirchasyl ausgelaufen und Amira ist wieder ins ordentliche Asylverfahren in Deutschland aufgenommen worden.
Ich bin dankbar und auch ein wenig stolz, dass es in unserer Kirche Menschen gibt, die sich um Menschen wie Amira kümmern und ihr beistehen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41310Vier Menschen mit völlig unterschiedlichen Berufen sitzen zusammen: ein Herrenausstatter, ein Schlagersänger, eine Suchttherapeutin und eine Bestatterin. Das klingt wie der Anfang eines ziemlich klischeehaften Witzes. Ist es aber nicht. Ich sitze bei einer Podiumsdiskussion im Publikum, und genau diese Menschen sitzen dort gemeinsam auf der Bühne. Eine wirklich wilde Mischung. Sie werden zu Beginn gefragt: Was tut ihr den Menschen Gutes? Und da können die vier viel erzählen. Auf ihre ganz eigene Weise. Wie viel sicherer sich ein Mensch fühlt, wenn er gut angezogen ist. Wie glücklich viele Fans nach einem Konzert nachhause gehen. Wenn jemand es geschafft hat, seine Drogensucht zu überwinden. Oder wenn jemand nach einem Todesfall erfährt: Ich bin nicht alleine. So unterschiedlich alle in ihren Berufen sind, so unterschiedlich sind sie für Menschen da.
Als die vier dann gefragt werden, was ihrer Erfahrung nach, die Menschen brauchen, sind sich alle einig. Vor allem zwei Dinge: Wahrgenommen zu werden und Gemeinschaft.
Wie recht sie haben. Wie sehr auch ich diese Grundbedürfnisse habe. Aber dann denke ich: Seltsam. So sehr alle anscheinend gesehen sein wollen und sich nach Gemeinschaft sehnen, so wenig kriegen wir das als Gesellschaft gerade gebacken. Wie viele Interviews habe ich in den vergangenen Monaten gehört, in denen Menschen erzählt haben, dass sie sich von Politik und Gesellschaft nicht wahrgenommen fühlen. Erzieherinnen, die in ihrem Kindergarten völlig unterbesetzt sind. Pfleger genauso. Oder Menschen in den östlichen Bundesländern, die sich abgehängt fühlen. Überall gibt es Nachwuchsprobleme. Parteien, Chöre, Kirchengemeinden, Sportvereine. Viele Menschen haben Sehnsucht nach Gemeinschaft, wollen sich aber nicht länger an eine Gemeinschaft binden.
Trotzdem zeigen mir diese vier Menschen auf diesem Podium: Jeder kann auf seine Weise Gutes tun und gemeinschaftlich wirken.
Ich denke dabei auch an die Verkäuferin beim Metzger, die so herzlich ist, dass ich immer mit einem Lächeln rauslaufe. Oder an meinen Nachbarn, der Landwirt ist, und dafür sorgt, dass ich manchmal mit anderen Menschen am Tisch sitzen kann und gutes Essen habe.
Vielleicht ist es gar keine Frage: Was tut ihr Menschen Gutes? Sondern eine Grundhaltung: Ich kann Menschen Gutes tun.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41309Heute, am 4. Januar, ist Internationaler Welt-Braille-Tag. Da wurde nämlich in Frankreich Louis Braille geboren. Vor 200 Jahren hat er im Alter von gerade mal 16 die Braille-Blindenschrift erfunden. Es hat bis nach seinem Tod gedauert, bis die sich flächendeckend durchgesetzt hat. Aber bis heute ist sie von entscheidender Bedeutung für blinde und sehbehinderte Menschen, auch im Computerzeitalter noch.
Mich persönlich fasziniert an dieser Erfindung schon immer ein bestimmtes Detail: Als Braille drei Jahre alt gewesen ist, da hat er durch einen schrecklichen Unfall sein Augenlicht verloren – durch eine Ahle, ein spitzes Werkzeug zur Bearbeitung von Leder. Das war in der Schusterwerkstatt seines Vaters. Und genau in dieser Werkstatt hat Braille dann später seine Blindenschrift entworfen – ausgerechnet mit der spitzen Ahle. Mit diesem schicksalsträchtigen Gegenstand hat er Vertiefungen in Leder gedrückt und dabei ein bereits bekanntes System aus Punkten entscheidend weiterentwickelt. In ein- und demselben Instrument lag also beides beieinander, dramatisches Unglück und zukunftsweisender Erfolg.
Ich denke da an eine geheimnisvolle Geschichte aus der Bibel [4. Mose 21,4-9], in der es ganz ähnlich ist. Da wird erzählt, wie die Menschen in der Wüste von giftigen Schlangen bedroht werden. Sie bitten Gott um Rettung. Und diese Rettung kommt ausgerechnet in Gestalt einer großen Schlange. Die ist aus Metall und wird an einer Stange in die Luft gehalten. Wer die Schlange anschaut, dem hilft sie, die tödlichen Schlangenbisse zu überstehen. Unglück und Schutz – im Symbol der Schlange steckt beides zugleich.
Die Geschichte von der rettenden Schlange und Louis Brailles bahnbrechende Erfindung ausgerechnet mit Hilfe der Schusterahle – beides ermutigt mich. Ich will – wenn möglich – Schweres in meinem Leben nicht einfach nur verdrängen und weitermachen wie bisher. Sondern auch in Krisen fragen, was daran mich weiterbringen könnte. Wo Gott mir durch das Schwere hindurch neue Möglichkeiten schenkt. Vielleicht ist das ja auch jetzt, am 4. Januar, noch so was wie ein Vorsatz fürs neue Jahr.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41346Wenn ich mit anderen Menschen zu tun habe, mache ich mir alle möglichen Gedanken. Vor allem, wenn ich sie noch nicht so richtig gut kenne. Was denken die wohl über mich? Und wie wirke ich auf sie? Wie verhalte ich mich am besten? Von manchen Kleinigkeiten dachte ich bisher immer: Darauf achtet sonst niemand – so schräg drauf bin nur ich.
Aber dann war ich bei einer Fortbildung – zusammen mit einigen Leuten, die ich noch nicht kannte. Immer wieder haben wir uns länger getroffen, fünf Wochen waren wir insgesamt zusammen. Und gleich am ersten Tag haben wir uns gegenseitig berichtet, wie wir das allererste Kennenlernen beim Ankommen in der Gruppe erlebt haben, wie es uns da ergangen ist.
Die Erste: „Ich bin ganz bewusst erst mal im Hintergrund geblieben und habe euch alle beobachtet.“ – Der Zweite: „Mir war es wichtig, nicht so viel reden zu müssen, deshalb bin ich extra später gekommen und habe mir gleich was zu essen genommen.“ – Und dann noch: „Du, deine souveräne Art mit den anderen hat mich erst mal total eingeschüchtert.“ Es ging ziemlich schnell sehr ehrlich zur Sache in unserer Runde. Das war erst mal ungewohnt, hat mich Überwindung gekostet. Aber je länger der Austausch lief, desto deutlicher ist mir geworden: Wir Menschen sitzen alle im selben Boot. Wir bringen alle unsere persönlichen Vorerfahrungen mit – und darauf ist dann auch unser Verhalten in einer Gruppe genauestens abgestimmt. Mehr noch: Jede Gruppe verhandelt vom ersten Moment an bestimmte Grundsatzfragen. Wer wie eng dazugehört und wer nicht, zum Beispiel. Oder wer das Sagen hat. Völlig egal, ob die Gruppenmitglieder das überhaupt wollen und wissen oder nicht.
Und irgendwie finde ich es auch tröstlich: Niemand von uns geht völlig unberührt und neutral durch die Welt. Wir sind alle in Kontakt miteinander, und das beeinflusst uns. Vielleicht macht uns das erst so richtig zu Lebewesen? Jedenfalls habe ich große Verbundenheit gespürt damals in der Gruppe. Und wenn ich heute mit Menschen neu zu tun bekomme, dann hilft mir der Gedanke: Auch die anderen sind jetzt nicht völlig unbefangen.
Wie geht es Ihnen im Umgang mit anderen Menschen? Welche Hintergedanken haben Sie da so? Sie müssen nichts verraten. Aber dass Sie nicht allein sind damit, da können Sie sicher sein.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41345Unsere ältere Tochter sehen wir gerade fast nur noch mit Kopfhörern – ziemlich egal, wo sie gerade ist. Oft hat sie dann Musik laufen. Aber fast noch lieber hört sie ihren Lieblings-Podcast „Die Nervigen“. Jeden Freitagnachmittag wartet sie gespannt auf die neue Folge. So knapp anderthalb Stunden lang reden da zwei befreundete Influencer über Details aus ihrem Alltag.
Manchmal höre ich zwischendurch auch kurz rein. Dann bin ich oft genervt. Die Themen kommen mir oberflächlich vor – welches Essen ist gerade angesagt, wer hat wie wo Urlaub gemacht, … Was den Lebensstil angeht, bin ich auch eher weit weg von den beiden. „Ist es gut, wenn unser Kind das so viel hört?“, frage ich mich dann.
Aber manchmal höre ich mir eine Folge doch ganz an, oft auch zusammen mit meiner Tochter. Und dann merke ich: Die beiden Influencer treffen doch immer wieder den Nerv der Zeit. Und sie haben Themen im Blick, die auch mir wichtig sind. Zum Beispiel erzählen sie von ihren persönlichen Erfahrungen mit mentaler Gesundheit. Von ihrem Drang, sich immer zu viele Aufgaben auf einmal aufzuladen, dann unter Druck zu sein und nicht mehr schlafen zu können. Oder von ihren Versuchen mit Meditation, ganz ohne Scheu vor religiösen Zusammenhängen. Nebenbei lerne ich dazu, was aktuelle Sprache angeht, welche englischen Begriffe gerade angesagt sind. Und Wortwitz haben die beiden auch.
Vor allem aber merke ich, welche Bedeutung dieser Podcast für unsere Tochter hat. Mit zwölf Jahren ist gerade viel in Bewegung bei ihr. Dinge verändern sich, werden anders. Wir als Eltern oder ihre Geschwister rücken etwas weiter weg. Da bin ich froh über jede andere Möglichkeit für sie, Verbindung und Zugehörigkeit zu spüren. Und mitzuerleben, wie zwei andere junge Menschen ihre langjährige Freundschaft gestalten.
Auch vielen anderen Fans des Podcasts geht das so. Eine Jugendliche schreibt den beiden Influencern: „Vielen Dank, dass ihr uns Woche für Woche diesen Safe Space ermöglicht.“ Ein Safe Space, ein sicherer Ort, ist überall dort, wo Menschen merken: Hier bin ich gut aufgehoben. Hier kann ich sein, wie ich bin, auch mit allen Themen, die mich umtreiben. Ich bin froh, dass es solche Orte gibt auf unserer Welt. Und manchmal ist es eben einfach ein Podcast.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41344„Ich sagte zu dem Engel, der an der Pforte des neuen Jahres stand: Gib mir ein Licht, damit ich sicheren Fußes der Ungewissheit entgegengehen kann!“ So beginnt ein Text, den ich zum Jahresanfang immer wieder höre und lese.
„Gib mir ein Licht“ – diesen Wunsch kann ich gut verstehen. Besser zu sehen, was in der Zukunft auf mich wartet, – wäre das Leben dann nicht leichter, gerade in den aktuellen Krisenzeiten? Weil ich mich dann besser darauf einstellen könnte?
Aber wenn ich dann ans letzte Jahr zurückdenke – wenn ich da vorher schon gewusst hätte, was alles passieren würde in unserer Welt – hätte mich das wirklich sicherer werden lassen? Ich glaube nicht! Wahrscheinlich ganz im Gegenteil. Bei den schweren Dingen hätte ich mich vor Sorge verrückt gemacht. Wahrscheinlich hätte das mehr Energie gekostet als die Sache selbst. Und das Schöne, das auf mich gewartet hat, hätte ich wahrscheinlich tausendmal in Gedanken hin- und hergewälzt – und hätte es später dann vielleicht gar nicht mehr genießen können.
Überhaupt ist ja immer entscheidend, wie ich persönlich mit den Dingen umgehe. Welchen Einfluss sie auf mich haben, wie ich mich von ihnen bestimmen lasse. Das ist jedes Mal anders. Es hängt davon ab, wie mein Leben gerade aussieht. Und es hat auch ganz stark mit meiner Person zu tun.
Komplette äußere Sicherheit kann es deshalb gar nicht geben, glaube ich. Sicherheit gewinnen kann ich nur im Umgang mit mir selbst. Indem ich mich besser kennenlerne, meine Fähigkeiten und Grenzen spüre. Dann kann ich besser dem begegnen, was auf mich zukommt. Das wird mich immer wieder herausfordern. Aber in den meisten Fällen nicht komplett verunsichern oder in Frage stellen.
Das also ist mein eigentlicher Wunsch fürs neue Jahr, glaube ich, – innere Gewissheit, innerer Halt. Ein Gespür für den eigenen Platz in der Welt. Und damit Mut für das, was kommt. Der Engel an der Pforte zum neuen Jahr im eingangs erwähnten Text sagt es in seiner Antwort so: „Gehe nur hin in die Dunkelheit und lege deine Hand in die Hand Gottes! Das ist besser als ein Licht und sicherer als ein bekannter Weg!“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41343Unsere kleine Tochter malt gerade leidenschaftlich gerne. Kein Stück Papier ist sicher vor ihr. Die Box mit den Notizzetteln unten am Esstisch ist regelmäßig leer.
Neulich ist unsere Tochter spontan gekommen und hat mir ihre aktuellen Bilder präsentiert. Jedes hat sie mir einzeln mit einer kurzen Erklärung in die Hand gedrückt. Zuerst: „Ein Igel, der Kacka macht.“ – Dann das nächste: „Buchstaben.“ – Und weiter ging‘s: „Herzen.“ – „Fußball-Deutschlandfahne.“ – „Ein Mensch.“ – „Krieg.“ – „Blumen“.
Einen Augenblick lang war ich durcheinander. Fast ein bisschen überfordert. Verloren zwischen einem lustigen Igel und erschreckend detailgetreuen Panzern mit Kanonen. Diese vielen verschiedenen Themen – wie gehören die zusammen? Was wollte unsere Tochter damit? Und was hat sie von mir als Vater erwartet?
Aber dann habe ich gedacht: Ja, so ist unser Leben halt. Da gibt es Schönes und Schweres – beides beieinander. Und manchmal folgen auf ganz gewichtige Dinge sofort leichte Sachen, oder umgekehrt. Wenn ich auf dieses zu Ende gehende Jahr zurückschaue, geht es mir auch so. Genau so eine Mischung war es auch in meinem Leben.
Wie kann man gut damit umgehen? Unsere Tochter hat ja eine wunderbare Möglichkeit für sich gefunden. Sie hat all die verschiedenen Dinge gemalt, ihre Erfahrungen in Bildern ausgedrückt. Auf ihren Zettelchen hat sie allem einen Platz gegeben. Und dann konnte sie das nochmal in Ruhe überblicken. Das haben wir auch nochmal gemeinsam gemacht – wir haben die Bilder zusammen angeschaut und besprochen. Um mörderischen Krieg ging es da, und genauso um die bunten Blumen, die sie das Jahr über ausgiebig gepflückt hat.
Mir persönlich hilft es, Dinge aus diesem Jahr nochmal laut auszusprechen. Dabei bedenke ich sie für mich selbst. Ich fühle mich verbunden mit anderen Menschen. Und zugleich vertraue ich das Leben Gott an. Heute Abend machen das viele Christen in Gottesdiensten zum Jahreswechsel. Und oft singen dann alle gemeinsam folgende alte Liedstrophe: „Das Jahr geht still zu Ende, nun sei auch still, mein Herz. In Gottes treue Hände leg ich nun Freud und Schmerz und was dies Jahr umschlossen, was Gott der Herr nur weiß, die Tränen, die geflossen, die Wunden brennend heiß.“ [„Das Jahr geht still zu Ende“, EG 63,1]
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41342„Ich bin froh, dass es das Vaterunser gibt!“ Das hat eine Patientin in der Klinik mal zu mir gesagt. Da arbeite ich als Pfarrer in der Klinikseelsorge. Wir hatten darüber gesprochen, wie belastend ein langer Krankenhausaufenthalt sein kann. Dass das auch mental sehr anstrengend ist und man manchmal keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Selbst dann, wenn man eigentlich schnell ist im Kopf und gerne nachdenkt. Nach Wochen oder gar Monaten im Krankenbett mit immer derselben Umgebung geht das oft nicht mehr.
… und dann kam im Gespräch dieser Satz: „Ich bin froh, dass es das Vaterunser gibt!“ Weil dieses alte Gebet für diese Patientin ein Text war, den sie einfach nachsprechen konnte. Ohne sich groß eigene Worte überlegen zu müssen.
Den Gedanken habe ich mitgenommen von der Frau. Für mich war es wichtig, das zu hören. Ich bin gerade in einer Lebens- und Glaubensphase, in der mir alte Texte oft nichts mehr sagen. Manches klingt floskelhaft für mich, abgenutzt, nicht mehr authentisch. Also suche ich viel nach neuen Worten und eigenen Gedanken. Auch wenn ich bete. Aber bei der Patientin im Krankenhaus ist mir klar geworden, dass ich so auch etwas verliere: Das Gefühl äußerer Verbundenheit mit anderen Christen zum Beispiel. Texte wie das Vaterunser werden ja seit Jahrhunderten überall auf der Welt gesprochen. Auf die Weise finden auch wildfremde Menschen eine Gemeinsamkeit und spüren über ihren Glauben Zugehörigkeit. Außerdem ist ein Gebet ja auch nicht mehr wert, nur weil es besonders originell ist. Gott hört jeden Menschen. Auch das sollte mir im Bewusstsein bleiben.
… und manchmal fehlt auch mir einfach die Energie, selbst etwas zu formulieren. Nach einem langen Tag bin ich einfach nur erschöpft. Dann kann und will ich nicht mehr groß überlegen, welches Gebet jetzt zu mir passt. So wie diese eine Patientin damals.
Deshalb finde ich auch die alten, bewährten Texte gut und hilfreich. Die sind dann einfach da und gelten. Ich kann mich in sie hineingeben, mich von ihnen tragen lassen. Satz für Satz: „Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. …“ Am Schluss unserer Begegnung in der Klinik haben wir das gemeinsam gebetet. Und wir waren beide froh darüber.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41341Ich liebe diese Zeit zwischen den Jahren. Wenn die Familientreffen vorbei sind und das neue Jahr noch nicht begonnen hat. Völlig ohne schlechtes Gewissen nichts tun, keine Termine, keine Pläne, niemand, der etwas von mir will. Ich versuche möglichst vorher keine Verabredungen zu treffen und in diesen Tagen ganz frei zu entscheiden, wonach es mir gerade ist.
Natürlich weiß ich, dass das nicht allen so geht. Dass viele gerade in diesen Tagen auf Hochtouren arbeiten – in der Gastronomie, im Einzelhandel, im Krankenhaus und an vielen anderen Orten.
Für mich fühlt sich diese Zeit ein wenig an, wie unter einer Glasglocke. Die Welt soll möglichst draußen bleiben – und ich viel drinnen. Die Bücher lesen, die schon lange auf meinem Stapel warten. Die Geschenke ganz in Ruhe ausprobieren. Ein Spiel spielen. Einen guten Film schauen. Dinge, für die mir sonst oft die Muße fehlt und die innere Ruhe, weil so viel anderes zu tun ist.
Ich will an dieser Stelle gar nicht mit guten Vorsätzen anfangen, wie: „das sollte ich doch in meinen Alltag einbauen, das könnte ich doch sonst auch so machen“. Ich will hier und jetzt und im Moment sein. Den Spaziergang genießen. Über Kevin allein zu Haus lachen. Die Stille verkosten.
Mir sind diese Tage wirklich heilig, weil sie Raum schaffen, bei mir selbst zu sein. Nach mir zu schauen, nach den letzten Wochen, in denen so viel erledigt werden musste. Und dankbar zu sein – für die kleinen und großen Geschenke in diesem Jahr. Damit meine ich nicht die Geschenke unterm Baum, sondern viel mehr die Momente, in denen mir oft unverhofft etwas geschenkt wurde.
Das gute Gespräch mit einer alten Freundin zum Beispiel. Mein neues Hobby, das ich angefangen habe. Der Urlaub mit der Familie. Wenn die Kinder lachen. Da ist so viel schön gewesen in diesem Jahr und es erfüllt mich mit großer Dankbarkeit, das alles nochmal an mir vorbeiziehen zu lassen.
Da waren auch echt schwierige Zeiten dabei. Ich bin froh, dass sie vorbei sind und mit manchem will ich am Ende des Jahres auch meinen Frieden schließen. Damit wieder Platz ist für neue Erfahrungen, Aufgaben und Ideen.
Ich fühle mich nicht alleine, wenn ich an all das denke. Es ist als ob ich mit Gott durch mein Jahres-Fotoalbum blättere und ihm von den schönen und den schwierigen Momenten erzähle. Für mich heißt bei mir selbst sein immer auch: bei Gott sein. Mit ihm im Gespräch sein. Im Alltag merke ich es manchmal gar nicht. Aber in diesen stillen Momenten wird mir bewusst: Ob es schön oder schwierig war, Gott war dabei in meinem Jahr.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41247Die Geschichte unseres Chanukkafestes beginnt in einer Zeit der Unterdrückung. Im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung erlebte das jüdische Volk eine Zeit, in der es gezwungen wurde, seine Bräuche und seinen Glauben aufzugeben. Der griechische König Antiochus IV. versuchte, das jüdische Leben und die jüdische Kultur auszulöschen und die Menschen zur Anbetung griechischer Götter zu zwingen. Inmitten dieser Unterdrückung standen die Makkabäer auf und kämpften für die Freiheit, ihren Glauben zu leben. Der Sieg der Makkabäer führte zur Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem, der entweiht worden war. Als sie den Tempel reinigten und das ewige Licht, die Menora, wieder entzünden wollten, fanden sie nur noch einen kleinen Krug mit geweihtem Öl. Dieses Öl reichte normalerweise nur für einen einzigen Tag, doch auf wundersame Weise brannte das Licht acht Tage lang – genau so lange, bis neues Öl hergestellt werden konnte. Das Licht der Chanukkija, des Chanukka-Leuchters, wird jeden Abend ein wenig heller. Wir beginnen mit einer Kerze am ersten Abend und fügen jeden Tag eine weitere hinzu, bis am achten Abend die gesamte Chanukkija in vollem Glanz erstrahlt. Dieses wachsende Licht ist ein Symbol für Hoffnung und Optimismus. Es zeigt, dass es in unseren Händen liegt, das Licht in die Welt zu bringen und die Dunkelheit zu vertreiben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41021