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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Den 14. Juli 2021 werde ich nie vergessen, auch wenn ich selber nicht betroffen war. Gigantische Wassermassen schießen durch das Ahrtal und hinterlassen eine Spur der Verwüstung. Als die ersten Bilder in den Nachrichten erscheinen, sitze ich da und bin fassungslos. Was für eine Katastrophe.
In den nächsten Tagen lassen mich diese Bilder nicht los. Ich rede mit Freunden darüber. Schließlich machen wir uns zu viert auf den Weg, um zu helfen. Die Freie evangelische Gemeinde Rheinbach wird in diesen Tagen zu einem wichtigen Koordinationspunkt für ehrenamtliche Hilfe im Ahrtal und den anderen betroffenen Regionen im Umfeld. Vor Ort angekommen lernen wir Sascha Neudorf kennen. Er ist Pastor der Evangelischen Freikirche Siegburg und leitet den Krisenstab. Tausende Helferinnen und Helfer wird er in den kommenden Wochen an die Orte bringen, an denen so dringend Hilfe benötigt wird. Später entsteht aus dieser Bewegung das Hoffnungswerk e.V.
Viele sind gekommen, um tatkräftig mit anzupacken. Aufzuräumen. Wasser aus Kellern zu pumpen. Schlamm aus den Häusern zu schleppen. Häuser zu entkernen. Doch so wichtig die praktische Hilfe auch ist, einen Leitsatz betont Sascha an jedem Morgen beim gemeinsamen Briefing: „Wir sind für die Menschen hier, nicht nur für den Schlamm.“
An einem Tag helfen wir einem Mann, Ende 50. Wir hauen zusammen den Putz von den Wänden seines Hauses. Übriggeblieben ist nur der gemauerte Kamin. Nach einigen Stunden sehe ich den Mann mit einem Vorschlaghammer vor dem Kamin stehen. Er hält inne. Holt tief Luft. Im nächsten Moment weicht auch das letzte Stück Wohnlichkeit aus seinem Haus. Mir stehen die Tränen in den Augen. Irgendwie hoffe ich, dass es ihm hilft, in diesem Moment wenigstens nicht alleine zu sein.
Anfang diesen Jahres komme ich zurück ins Ahrtal. Manches ist wiederaufgebaut oder ganz neu entstanden. Aber es ist auch immer noch so vieles kaputt. Das Ahrtal bleibt ein Katastrophengebiet. Auch wenn der Fokus der Medien längst weg ist, der Leidensweg ist noch lange nicht vorbei.
Auf diesem Weg bleibt das Hoffnungswerk an der Seite der Menschen im Ahrtal. Nach wie vor kümmert sich der Verein um den Wiederaufbau, schafft Raum für Begegnung, in mobilen und stationären Cafés. Junge Leute ziehen in die Ahrtal-WG´s, um für die Menschen im Ahrtal dazu sein. Sie richten mit dem Kids-Bus Kindergeburtstage aus, bieten Gespräch an und vermitteln Trauma-Therapie. Auf der neuen Beachvolleyball-Anlage wird beim Sport machen das Erlebte verarbeitet.
Ein Einwohner sagt es so: „Ihr seid da, hört zu, tragt unser Leid mit und helft dabei, das Erlebte zu verarbeiten. Damit nicht allein zu sein, ist für uns so wichtig.“ Geteiltes Leid, ist halbes Leid – das ist hier keine Floskel. Viele Menschen im Ahrtal erleben das, weil es das Hoffnungswerk gibt. Und das ist in dieser Katastrophe einfach großartig.
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Es ist ein lauer Sommerabend. Gerade geht die Sonne unter. Die Hitze des Tages ist vorbei. Der Wind sorgt für Abkühlung. Ich jogge meine Hausrunde über den Feldweg runter ins Tal. Herrlich. Dabei habe ich wie so oft meine Lieblingsmusik auf den Ohren. Es kann kaum besser werden. Doch einen Moment später wird es tatsächlich noch besser.
Mein Handy vibriert kurz. Eine Nachricht von meiner Tochter. Siri liest vor: Gute Nacht / Amelie schickte ein Emoji küssend / ein Emoji Herz / Hab dich lieb / sie schickte ein Emoji küssend und 2 Emoji Herz / Komm gut nach Hause.
Mein Herz lacht. Soviel Liebe, über Siri von meiner Tochter ausgerichtet. Natürlich klingt das auch ein bisschen lustig, wenn Siri das vorliest. Aber die Liebe kommt an. Meine Tochter macht das immer dann, wenn ich sie abends nicht ins Bett bringen kann. Ich solchen Momenten fühle ich mich sehr geliebt und zeige manchmal heimlich in einem Meeting, was ich für schöne Nachrichten von meiner Tochter bekomme.
Geliebt zu sein, das wünscht sich jeder Mensch. Und es wird uns doch leider so oft verwehrt. Die Nachrichten meiner Tochter sind etwas Wunderschönes, aber ich bekomme auch andere Nachrichten. Und in vielen Situationen fühle ich mich gar nicht so sehr geliebt. Da habe ich vielleicht ganz viel dafür getan, um geliebt zu werden. Aber die Anerkennung bleibt aus – von einer bestimmten Person, meiner Familie, einem Team.
Ich backe einen Kuchen für die Kollegen. Der wird auch gerne gegessen. Aber ein „Danke“ oder „Oh, wie lecker.“ bleibt aus. Ich erledige alle möglichen Dinge in der Wohnung, aber bekomme keinen Kuss sondern die eine Aufgabe aufs Butterbrot geschmiert, an die ich nicht gedacht habe. Andersherum passiert mir das natürlich auch. Als Menschen enttäuschen wir uns gegenseitig – nicht immer, aber immer wieder.
Solche Enttäuschungen werden wir mit der göttlichen Liebe niemals erleben. Johannes schreibt im Neuen Testament: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
Dieser Gott ist ein Gott der Liebe. Er liebt diese Welt, komplett, mit jedem einzelnen Menschen, der auf dieser Erde unterwegs ist. Er beweist seine Liebe darin, dass er sich selbst hergibt, damit Menschen ewiges Leben bekommen. Ein Leben, das verbunden ist mit diesem Gott der Liebe. Diesem Gott muss ich nicht erst beweisen, dass ich liebenswert bin. Ich kann mich entspannen, weil da einer ist, der mich bedingungslos liebt. Jesus sagt über sich: „Eine größere Liebe kann niemand haben, als der sein Leben hergibt für seine Freunde.“ Ganz egal, ob du selber Gott als deinen Freund bezeichnen würdest. Dieser Gott ist ein Menschenfreund, der alles für uns Menschen getan hat.
Meine Tochter erinnert mich an diese bedingungslose Liebe. Jeden Abend. Mit ihren Nachrichten voller Herzchen und küssenden Emojis. Ich bin geliebt, von meiner Tochter und einem Gott, der alles für mich getan hat.
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Mein Freund Dirk wird 50. Lange im Voraus hat er seine Sommerparty geplant. Meine Frau und ich haben gerne zugesagt. Doch in der Woche vorher merken wir: Es ist zuviel - in dieser Woche, aber auch schon über einen längeren Zeitraum. Zwei Tage vor der Party will ich Dirk anrufen. Ich erreiche ihn nicht, sende zunächst eine Sprachnachricht. Mir geht es nicht gut dabei, ihm so kurzfristig abzusagen.
Innerlich fange ich an, darüber nachzudenken, wie Dirk wohl über unsere Absage denkt. Bestimmt ist er sauer, weil wir unsere Zusage nicht einhalten. Sicher denkt er, dass er uns einfach nicht wichtig genug ist.
Es ist wie so oft. Ich male den Teufel an die Wand. In meinem Kopf entstehen lauter Bilder wie Dirk jetzt über uns denken und was er anderen erzählen könnte. Wir haben ihn enttäuscht und das wird so schnell auch nicht zu reparieren sein.
Vom Schlimmsten ausgehen, das kann ich gut. Wenn das Telefon klingelt, ich den Absender sehe und schon Probleme auf mich zukommen sehe. Wenn mir ein nicht näher definierter Termin in den Kalender eingestellt wird und es da ganz bestimmt nur um schlechte Nachrichten gehen kann. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich gut darin, Sorgen zu wälzen, Probleme aufzublasen und Grenzen zu sehen.
Was bei mir nur Gedanken im Kopf sind, war für das Volk Israel bittere Realität geworden. Sie hatten sich durch eigene Entscheidungen in die Sackgasse manövriert. Da ging nicht mehr viel und die Frage war: Wird sich daran jemals nochmal etwas ändern? Im Grunde ist jeder Kredit verspielt. Doch gänzlich unerwartet sagt Gott zu ihnen: „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ Die Israeliten hatten es wirklich verbockt. Doch Gott legt sie nicht darauf fest, sondern schenkt Israel völlig überraschend eine vollkommen positive, zuversichtliche Perspektive.
Diese Perspektive sehe ich in vielen Situationen nicht. Ich gehe viel zu oft einfach vom Schlimmsten aus. Ich frage mich: Wie soll das nur wieder gut werden?
Am nächsten Tag klingelt mein Telefon. Dirk ist dran. Ich überlege, ob ich abnehmen soll. Kurz darauf rufe ich Dirk zurück, mit einem Kloß im Hals. Ich habe kaum „Hallo!“ gesagt, da sagt Dirk: „Ich kann euch so gut verstehen!“ Ich bin perplex und erleichtert zugleich. Keine Vorwürfe, kein Hinterfragen, keine Überzeugungsversuche. Einfach nur Verständnis. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Nach dem Telefonat denke ich darüber nach, dass es Sinn machen könnte, beim nächsten Mal nicht gleich den Teufel an die Wand zu malen. Es könnte ganz anders kommen, vielleicht ja sogar viel besser als ich es zu hoffen wage. Hoffentlich denke ich dann beim nächsten Mal auch tatsächlich noch daran.
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Meine Frau und ich streiten uns. Zwei Dickköpfe gewillt, den Streit zu gewinnen. Ein Wort ergibt das andere. Immer einmal mehr als du. Der eigentliche Anlass des Streits spielt schon lange keine Rolle mehr. Jeder zieht das aus dem Köcher, was ihn schon immer am anderen gestört hat. Weil das macht sie immer so. Nein, gar nicht. Er hört einfach nie richtig zu. Es wird immer rauer, immer verletzender, immer fieser. Solange bis einer von beiden wutentbrannt den Raum verlässt. Ha, Sieg auf der ganzen Linie für den, der steht. Von wegen. In so einer Situation verlieren immer beide.
Meine Frau und ich kennen die wunden Punkte des anderen ganz genau. Wir drücken sie. Schaukeln uns hoch. Die Spirale der gegenseitigen Vorwürfe dreht sich immer schneller. Solange bis einer nicht mehr kann oder will. Nicht nur Paare können das gut. Auch zwischen Nachbarn, Verwandte oder Arbeitskollegen eskaliert es immer wieder. Geht das auch anders?
Jesus ist vielleicht nicht sehr bekannt als Konfliktberater und doch hat er etwas zum Thema Deeskalation zu sagen. In der Bergpredigt sagt Jesus:
„Ihr wisst, dass gesagt worden ist: ›Auge für Auge und Zahn für Zahn!‹ Ich sage euch aber: Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses antun! Sondern wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin!“
Auge für Auge, Zahn für Zahn. Das klingt in unseren Ohren nach ziemlich viel Gewalt. Doch schon Jahrhunderte vor Jesus war diese Regel dazu gedacht, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Sonst blieb es nämlich nicht bei einem Zahn. Wenn du mir einen Zahn ausschlägst, schlag ich dir mindestens 2 aus und so weiter. Gewalt sollte begrenzt werden, damit aus Kleinigkeiten keine riesigen Konflikte werden.
Jesus geht nun noch einen Schritt weiter. Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin. Geht´s noch, Jesus!? Soll ich einfach alles hinnehmen, was andere mit mir machen? Soll ich jeden Mist wehrlos über mich ergehen lassen?
Nein, so meint Jesus das nicht. Auch hier geht es darum die Konfliktspirale zu durchbrechen. Damit nicht das geschieht, was ich von meiner Frau und mir geschildert habe. Es geht darum, den anderen zu überraschen. Etwas zu tun, das den Kreislauf von Vorwürfen und immer mehr Vorwürfen, von Gewalt und immer mehr Gewalt durchbricht.
Wie könnte das also aussehen, die andere Wange auch hinzuhalten?
Ich könnte hinhören und versuchen zu verstehen, anstatt sofort in Verteidigungshaltung zu gehen oder gar auf Angriffsmodus zu schalten. Ich könnte meine Frau einfach so in den Arm nehmen. Oder den Raum verlassen, um erstmal abzukühlen und nachzudenken. Oder statt eines Vorwurfs ein Kompliment zu machen.
Vielleicht so: „Danke, dass du mir sagst, wie sehr du dich über mich ärgerst. Weil wenn ich das nicht mehr hören würde, hieße das, dass du nicht mehr da bist.“ Und das würde ich auch trotz mancher Streiterei dann doch nicht wollen.
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Zusammen bahnen wir uns den Weg durch die Menschenmenge. Mein Freund Jamal und ich sind auf dem Weg ins Stadion. Endlich mal wieder. Viel zu lange bin ich nicht dort gewesen. Die Vorfreude ist riesig.
Zielstrebig schwimmen wir mit der Masse weiter. Bis zur Einlasskontrolle. Wir reihen uns ein. Die Ordner regeln den Verkehr. Viele werden einfach durchgewunken. Bis mein Freund Jamal an der Reihe ist. Der Ordner tastet ihn ab, ziemlich gründlich. Von Kopf bis Fuß. Sogar seine Mütze muss er abziehen. Schließlich darf er weiter gehen. Dann bin ich an der Reihe. Ein freundliches Lächeln, ein Durchwinken, das war´s.
Ich bin irritiert. Was war das gerade? Hat der Ordner gerade alle, die deutsch genug aussehen, anstandslos durchgewunken und meinen Freund libanesischer Herkunft fast bis auf die Unterhose gecheckt? Macht der Ordner hier diesen Unterschied oder macht das Unternehmen solche Vorgaben? Jamal ist weniger geschockt als ich. Das komme immer wieder vor. Das kommt immer wieder vor? Ich kann es gar nicht fassen.
Auf dem Weg zu den Plätzen beschäftigt mich die Szene weiter. Ich ärgere mich. Über den Ordner, der meinen Freund falsch behandelt hat. Aber noch mehr ärgere ich mich über mich selbst. Warum hast du nichts gesagt, Manuel? Da passiert so eine Ungerechtigkeit und du kriegst den Mund mal wieder nicht auf.
Gott schweigt nicht. Wenn es ungerecht zugeht, wenn Menschen diskriminiert oder unterdrückt werden. In der Bibel steht Gott ganz klar für das Recht derer ein, die diskriminiert werden. So sagt Gott seinem Volk Israel im Alten Testament:
»Sorgt bei Gericht dafür, dass gerecht geurteilt wird! Habt Nachsicht miteinander und seid barmherzig! Unterdrückt nicht Witwen und Waisen, Fremde und Arme! Plant nichts Böses gegeneinander!«
Gott stellt sich deutlich an die Seite der Unterdrückten. Gott hasst es, wenn Gerechtigkeit mit Füßen getreten wird und Menschen diskriminiert werden. Im Buch Amos sagt Gott sogar, dass die Israeliten mit ihren Gottesdiensten aufhören sollen. Gott kann ihre Lieder nicht mehr hören, wenn sie gleichzeitig das Recht verdrehen und andere unterdrücken. Diskriminierung regt Gott auf und das sagt er dann auch.
Auch Tage später beschäftigt mich die Situation an der Einlasskontrolle noch. Ich entscheide, eine Mail an den Verein der Heimmannschaft zu schreiben. Das ist nicht viel, aber wenigstens etwas will ich noch tun. Ich bekomme sogar eine Antwort, in der der Verein sein Bedauern ausdrückt.
Beim nächsten Mal will ich nicht mehr schweigen. Vielleicht verdächtige ich den Ordner ja auch zu Unrecht. Vor allem aber für meinen Freund Jamal. Ich könnte beispielsweise darum bitten, dass der Ordner mich genauso abtastet wie meinen Freund. Gleiches Recht für alle. Ich kann nicht verhindern, dass meinem Freund Unrecht geschieht. Aber er soll spüren, dass ich an seiner Seite stehe.
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„Überweist du bitte die 350 € für die Klassenfahrt.“ Die Stimme meiner Frau hallt in meinem Kopf. „Und nachher bin ich beim Friseur. Holst du bitte die Kinder ab?“ Ich merke, wie die Unruhe in mir wächst. Meine Frau beim Friseur, das sind dann nochmal knapp 100 €. Zwei Rechnungen liegen noch unbezahlt vor mir auf dem Tisch. Meine Finger werden schwitzig. Den Räderwechsel am Auto habe ich extra schon in den Mai geschoben. War das Profil noch in Ordnung oder stehen da auch noch neue Reifen an? Was das alles kostet.
Als ich die Kinder abhole, bin ich dünnhäutig. Sie fragen nach einer Bretzel und wann wir nochmal zusammen ins Schwimmbad gehen können. Ich gebe zurück, dass wir erst gestern eine Bretzel hatten und das Schwimmbad viel zu teuer geworden ist. Warum ich gleich so schimpfen müsse, fragen die Kinder zurück. Ich schimpfe nicht, schimpfe ich. Sie müssten das ja auch nicht alles bezahlen, sage ich. Viel zu laut und viel zu hart. Die Kinder schweigen. Wortlos verbringen wir den Rest der Fahrt.
Es gibt Themen, die triggern mich. Finanzen sind so ein Thema. Da wird ein Knopf in mir gedrückt. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Male mir Schreckensbilder aus, was noch alles passieren könnte und wie schlimm es noch werden wird. Die Sorgen werden immer größer und decken alles andere zu. Das alles hat dann nicht mehr viel mit der Realität zu tun.
Abends sitze ich mit meiner Frau auf der Couch – ich wortkarg, sie gesprächig. Das ist zwar häufiger so. Meine Frau spürt aber, dass ich mir Sorgen machen. Ob ich mal wieder übers Geld nachdenken würde, will sie wissen. Ich nicke. Ob es bisher jemals so gewesen sei, dass wir in der Privatinsolvenz gelandet seien, fragt sie weiter. Ich schüttele den Kopf. Selbst wenn mal etwas gefehlt habe, habe es immer eine Lösung gegeben, erinnert sie mich. Da muss meine Frau wohl recht haben. Die Sorgenwolken werden langsam kleiner.
Die Worte meiner Frau sind wie kleine Lichtstrahlen, die durch die dunklen Sorgenwolken brechen. Ich drehe mich nicht weiter verzweifelt und allein um das Problem. Meine Frau hilft mir raus aus dieser unangenehmen Spirale. Vielleicht bedeuten die aktuellen Ausgaben also doch nicht unseren finanziellen Ruin.
Ein weiterer Lichtstrahl ist ein Bibelvers, der jetzt wieder Platz in meinen Gedanken hat: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ (Psalm 23)
Ja, bisher war das so, gestehe ich mir ein. Es mag mal knapp gewesen sein. Aber es gab immer eine Lösung – ob clever geplant oder unverhofft beschenkt. Wieso sollte das auf einmal nicht mehr gelten?!
Am nächsten Morgen besorge ich den Kindern eine Bretzel und kündige den nächsten Schwimmbadbesuch an. Den Rechnungen widme ich mich später. Ihren Schrecken haben die Euros aber schon fast verloren.
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Es ist sehr warm in Stuttgart an diesem Tag. Ich habe gut trainiert und bin bestens vorbereitet auf den Lauf. Der Bereich rund ums Stadion pulsiert. Ein fröhlich gespanntes Durcheinander von Hobbyläufern und ambitionierteren Wettkämpfern. Mit meinem Laufpartner Timo sortiere ich mich in den Startblock ein. Wir beide haben ein Ziel: persönliche Bestzeit auf 10 km laufen. Der Startschuss ertönt. Los geht`s.
Auf den ersten Kilometern fühle ich mich gut und bin im Zeitrahmen. Weiter so. Bei Kilometer 4 schleichen sich erste Zweifel ein, ob die angestrebte Zeit heute wirklich drin ist. Einen Kilometer später verliere ich den Kampf gegen Geist und Körper. Timo rufe ich zu, er solle nicht auf mich warten. Ich selbst nehme deutlich Tempo raus. Wie peinlich, denke ich. Es kann doch einfach nicht sein, dass ich jetzt so abreißen lassen muss.
Andere Läufer überholen mich. Was für ein Loser, denken sie - ganz bestimmt. Dem Streckenposten versuche ich gequält zuzugrinsen. Was für ein Amateur, denkt er – ziemlich sicher. Und wie um alles in der Welt soll ich meinem Coach diese Leistung erklären!? Verschwendete Zeit diesem Weichei nochmal irgendwelche Trainingstipps zu geben, denkt er – auf jeden Fall.
Innerlich mache ich mich selbst fertig. Immer mehr Etiketten klebe ich mir auf, die mein Versagen beschreiben. So quäle ich mich durch die zweite Rennhälfte, ein kurzer Endspurt ist noch drin, dann ist diese Tortur endlich vorbei. Ich bin geknickt. Es stimmt wohl, was mir ein Lauffreund mal im Spaß gesagt hat: Was für ein untalentierter Körper!
Wenn ich scheitere, erscheinen sie unweigerlich vor meinem Auge: die Etiketten, die ich mir selbst anhefte. Und die Etiketten, die andere mir schon aufgeklebt haben oder von denen ich denke, dass sie so über mich denken. Es ist ein unbarmherziges Urteilen und Beurteilt-Werden. Und habe ich am Ende recht damit? Haben die anderen Recht damit?
Wenn ich in die Bibel schaue, entdecke ich: Bei Gott gibt es keine Etiketten. Im Gegenteil. Er befreit mich von allen Etiketten, die mich festlegen wollen. Jesus sagt: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt.“ Ich bin geliebt. Von Gott. Einfach so. Sagt Jesus. Das gilt sogar dann, wenn ich gescheitert bin. Gott macht seine Liebe zu mir nicht daran fest, was ich leiste. Was für eine Erleichterung!
An diesem Morgen in Stuttgart hilft mir mein Coach, das zu glauben. Er nimmt mich völlig verschwitzt in den Arm, wir machen eine kurze Analyse und dann fahren wir nach Hause. Für ihn bin ich mehr als dieser misslungene Lauf. Das zu spüren, tut richtig gut.
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Es ist ein herrlicher Frühsommerabend. Mein Freund Fouad und ich laufen gemütlich zum Treffpunkt unserer Laufgruppe. Ich bin kurz abgelenkt, plötzlich sackt mein rechtes Bein weg. Millisekunden später finde ich mich auf dem Boden wieder. Umgeknickt, gestolpert, hingefallen. So liege ich dort, ziemlich perplex. Das Gefühl hatte ich länger nicht erlebt – brauche es ehrlich gesagt auch nicht so schnell wieder.
Ein Sturz schmerzt und der Aufprall ist hart. Ob ganz in echt beim Joggen oder in einem anderen Lebensbereich. Fallen und Scheitern will niemand. Und manchmal ist es gar nicht so leicht wieder aufzustehen und weiterzumachen.
Kann ich überhaupt aufstehen? Will ich wieder aufstehen? Lohnt es sich wieder aufzustehen? Falle ich bei nächster Gelegenheit wieder auf die Nase?
Während ich noch in Joggingklamotten am Boden meine Wunden lecke, habe ich auf einmal eine Hand vor der Nase. Fouad hilft mir auf und gibt mir ein Tuch, um die Wunden fürs Erste zu versorgen. Noch ein bisschen wackelig stehe ich auf den Füßen. Aber ich stehe wieder.
Auch Petrus erlebt im neuen Testament, wie ihm eine rettende Hand ausgestreckt wird als er fällt. Genauer gesagt: Er versinkt in den Fluten eines wunderhübschen Sees mitten in Israel. Die Jünger von Jesus sind in Seenot geraten. Mitten auf dem See Genezareth, mitten in der Nacht. Als sei das alles nicht schon schlimm genug, entdecken sie auf einmal eine Gestalt auf dem See. Das muss ein Gespenst sein. Jetzt ist alles aus.
Doch dann gibt Jesus sich zu erkennen. Petrus ist begeistert und versucht sich selber als Wasserläufer. Tatsächlich gelingen ihm ein paar Schritte. Plötzlich spürt er den Wind und sieht die Wellen und sinkt. Immer tiefer. Ein „Herr, hilf mir.“ bringt er gerade noch heraus. Und sofort – so steht es ausdrücklich im Bibeltext – sofort streckt Jesus Petrus die Hand entgegen und hält ihn fest. Petrus sinkt, aber Jesus ist da. Im Boot angekommen, beruhigt Jesus dann auch noch den Sturm. Die Jünger staunen.
Jesus streckt Petrus sofort die Hand entgegen. Mich ermutigt das. Offensichtlich geht es nicht darum, dass ich immer erfolgreich bin, keine Fehler mache, nicht falle. Ich darf mutig gehen und ich darf mutig scheitern. Weil es nicht darum geht, dass ich immer alles unter Kontrolle habe.
Entscheidend ist, dass Jesus die Situation überblickt. Und dass auch ich „Herr, hilf mir.“ beten darf, wenn ich falle oder schon am Boden liege. Jesus wird mich dort nicht liegen lassen. Ob er mir einen Freund vorbeischickt. Ob ich einfach neuen Mut in meinem Herzen spüre. Oder ob Jesus mich wahrnimmt und Anteil nimmt, auch wenn ich das in dem Moment selber noch gar nicht realisieren kann.
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Sie haben mich einbestellt – zum Mitarbeitergespräch. Wir sitzen uns gegenüber. Und dann geht sie los, meine Demontage. Sie haben eine lange Liste vorbereitet. Zusammengesammelt, was mir aus ihrer Sicht mangelt. Hier nicht genug investiert, da nicht den Erwartungen entsprochen, dort fehlte die Begeisterung. Es hört nicht auf. Minuten, die sich anfühlen wie Stunden. Schließlich das Resümee: Wir stellen uns ein Beschäftigungsende zum 31.12. vor.
So fühlt er sich also an: mein heftigster Sturz bisher. Obwohl ich soviel investiert hatte. Es hat nicht gereicht. Ich bin am Boden zerstört. Innerlich falle ich. Immer tiefer. Ich falle und falle. Ich bin gescheitert.
Scheitern, so ein unschönes Wort. Darf man das überhaupt!? Die auf Hochglanz polierten Profile bei Social Media vermitteln mir etwas anderes. Für Scheitern ist da kein Platz.
Ich bin, was ich vorzeigen kann. Ich bin, was ich auf der Haben-Seite präsentieren kann. Ich bin, was ich mir aufgebaut habe und leisten kann.
Scheitern ist was für Verlierer. So einer bin ich jetzt. Ich falle. Ins Bodenlose. Ins Nichts.
Zum Glück sitze ich bald anderen Menschen gegenüber - meiner Familie, meinen Freunden. Sie fangen mich auf. Menschen, die zu mir stehen. Die mich nicht fallen lassen, auch wenn ich es nicht gepackt habe.
Sie erinnern mich ein bisschen an Jesus, der seinen Freund Petrus nicht aufgegeben hat. Auch dieser Petrus war krachend gescheitert. Er hatte Jesus hoch und heilig versprochen immer bei ihm zu bleiben. Nur Stunden später hat Petrus es vergeigt. Er streitet ab, Jesus zu kennen. Ganze dreimal - und läuft davon.
Ein paar Tage später begegnen sich Petrus und Jesus wieder. Ein schwieriges Mitarbeitergespräch steht an. Blüht Petrus das gleiche Schicksal wie mir?
Doch es kommt anders – als ich es erlebt habe und ich vermute auch anders, als Petrus es erwartet hat. Es fasziniert mich, wie Jesus nicht über das Scheitern hinweg geht, aber Petrus auch nicht darauf festlegt.
Dreimal fragt Jesus Petrus, ob Petrus ihn lieb hat. Petrus bejaht, die Beziehungsebene ist geklärt. So wird es was mit einem Neuanfang. Und zwar nicht nur ein bisschen Neuanfang, sondern ein echter Neuanfang. Petrus soll weiterführen, was Jesus begonnen hat. Was für ein Vertrauen für einen, der gescheitert war.
Und auf einmal wird mir bewusst: auch für mich ist ja viel wichtiger, was dieser Jesus über mich denkt als die Meinung von Menschen. Bei Jesus ist Scheitern erlaubt. Er lässt mich nicht fallen. Mit Jesus geht es weiter, auch wenn ich denke, es ist das Ende. Wenn ich Jesus und Petrus sehe, fasse ich Mut, bekomme Kraft zum Aufstehen und Weitergehen.
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