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SWR2 Wort zum Tag

25OKT2022
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Ich bin in einem Pflegeheim und gehe einen langen Flur entlang. Eine nette Pflegerin zeigt mir den Weg und erklärt mir: „Frau Schaffner ist eine liebe Frau. Sie ist dement und reagiert nicht mehr so viel, aber es ist gut, dass Sie sie besuchen. Beten und singen, das tut ihr gut.“

Die Pflegerin klopft an eine Zimmertür und wir gehen rein. Frau Schaffner sitzt im Rollstuhl. Liebevoll bückt sich die Pflegerin zu ihr und greift nach ihren Händen: „Frau Schaffner, der Pfarrer ist da.“ Dann schiebt sie mir einen Stuhl hin und verabschiedet sich.

Ich bleibe erstmal stehen, stelle mich ihr vor und lächle sie unter der Maske freundlich an. Frau Schaffner scheint mich nicht wahrzunehmen. Behutsam setze ich mich zu ihr und berühre ihre Hand, damit sie merkt, dass ich bei ihr bin. Ich kenne sie nicht und sie kennt mich nicht.

Frau Schaffner ist ganz ruhig, als ich mit ihr bete und singe. Nun kann ich nicht in die ältere Dame hineinschauen. Ich weiß nicht, wie sie mich oder das, was passiert, wahrnimmt. Aber ich bemerke, wie sie meine Hand fester drückt und wie sie mich anschaut, als ich das „Vater unser“ bete und ein altes Marienlied anstimme.

Auch in ihrer Demenz war das Gebet der Frau wohl tief ins Herz geschrieben. Ich sehe in die Augen von Frau Schaffner und muss an ein altes Gebet denken, es ist ein Psalm: „Preise den HERRN, meine Seele, und alles in mir seinen heiligen Namen!“  (Ps 103,1)

Zwischen uns scheint eine unsichtbare Verbindung zu sein: das Gebet. Wir beten zu zweit miteinander oder sprechen füreinander zu Gott. Das Starke am Beten ist der unsichtbare Draht, der dadurch zwischen den Menschen entstehen kann. Zum Beispiel, wenn Ordensschwestern oder Mönche in den Klöstern wie jeden Morgen für so viele Menschen beten und für die Anliegen der Welt. Das verbindet. Oder, wenn ein Freund von mir einen Krankenwagen im Einsatz sieht und ein Stoßgebet für den Menschen in Not spricht.

Es gibt diese Verbindungen, die so helfen können: Wenn ein Freund für mich eine Kerze anzündet, weil ich operiert werden muss oder eine Prüfung zu bestehen habe; oder wenn sich jemand für mich einsetzt, ohne dass ich davon weiß.

Beten verbindet – auch, wenn diese Verbindung nach außen nicht sichtbar ist. Vielleicht war das bei Frau Schaffner auch so.

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SWR2 Wort zum Tag

24OKT2022
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Es gibt einen Roboter, der die saudi-arabische Staatsbürgerschaft hat. Das ist ja schon fast wie in einer Science Fiction-Geschichte.

Wir brauchen aber nicht einmal die teuerste Technologie, um davon einen Geschmack zu bekommen. Wenn ich mein Smartphone in die Hand nehme und sage „Hey, Siri!“ oder „Alexa!“, werde ich mit einem freundlichen „Hallo“ begrüßt. Dann sage ich: „Navigation starten“, und die Sprachassistentin fragt: „Wo möchtest du hin?" Ich nenne ihr die Adresse, und sie antwortet prompt: „In Ordnung. Los geht’s.“ Das klingt nicht ganz so enthusiastisch, aber meine technische Assistentin liest mir jeden Wunsch von den Lippen ab und hat auch einen vielleicht etwas trockenen Humor.

Ich muss nicht lange mit ihr reden, bis ich merke: So ganz wie ein Mensch ist sie dann doch nicht. Ihre Antworten sind vorprogrammiert, und wirklich unterhalten kann ich mich nicht mit ihr.

Die Wissenschaft ist schon weit gekommen. Von der künstlichen Intelligenz bis hin zu einem Roboter mit Staatsbürgerschaft – sie versucht, den Menschen so perfekt wie möglich nachzuahmen. Trotzdem schafft sie es nicht, ihn einhundertprozentig nachzumachen.

Der Mensch ist mehr als das, was ich mit Algorithmen und Elektrochips konstruieren kann. Der Mensch kann lieben, er kann glücklich sein oder traurig, er kann mit anderen Menschen fühlen und von einer Zukunft träumen.

Wenn ich einen Freund anstoße und sage „Hey!“, kommt eben nicht die vorprogrammierte Antwort, sondern vielleicht etwas ganz Unerwartetes. Jeder Mensch ist einzigartig und in diesem Sinne auch genial. Das finde ich faszinierend, und ich glaube, dass ein Erfinder dahintersteht, der den Menschen nicht nur gemacht, sondern jeden einzelnen ganz besonders gemacht hat.

Jeder Mensch ist geheimnisvoll. Niemand kann wissen, wie der Andere wirklich tickt, oder wie er sich in Zukunft entwickeln wird. Deshalb hat jeder Mensch eine einmalige Würde.

Ich bin froh, dass die Menschheit nicht nur bei menschenähnlichen Robotern stehen bleibt. Zum Glück gibt es technische Entwicklungen, die nicht Computer an die Stelle von Menschen setzen, sondern wirklich den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Beispielsweise eine App, die Menschen aus einem Stadtteil miteinander vernetzt, sodass diejenigen, die Hilfe suchen, auch diejenigen finden, die Hilfe anbieten. Oder ich denke an Sprachcomputer, die vollständig Gelähmten ermöglichen, nur durch ihre Augenbewegungen mit anderen zu kommunizieren.

Menschenähnliche Roboter sind eine tolle Erfindung. Aber noch besser sind die, die die Welt wirklich menschlicher machen.

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