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SWR2 Wort zum Tag

28JAN2023
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Haben Sie schon mal einen Stummfilm gesehen? Ich finde diese alten Schwarzweißfilme faszinierend und gewöhnungsbedürftig zugleich. Man hört nicht, was gesprochen wird. Manchmal wird eine Tafel eingeblendet, auf der ein ganz kurzer Dialog steht. Aber eher selten. Und trotzdem erzählt ein Stummfilm ganz viel. Es sind die Gesichter, die sprechen. Die Schauspieler sprechen mit ihrer Mimik und mit ihren Gesten. Eigentlich tun wir das alle. Denn unser Sprechen wird immer vom Mienenspiel, von Haltungen und Bewegungen begleitet. Das Gesicht und der Körper sprechen mit. Und weil im Stummfilm die Worte fehlen, fällt es dort so auf.

Die Bibel ist kein Stummfilm. Trotzdem spielt auch hier der Körper, und ganz besonders das Gesicht eine wichtige Rolle. Menschen der Bibel wünschen sich, dass Gott sein Angesicht über sie leuchten lasse. Dass Gott einen ansieht, ist ein Inbegriff des Segens.  Allerdings galt es umgekehrt für Menschen als schwierig und gefährlich, Gott ins Gesicht zu schauen. Dabei wäre gerade das so spannend gewesen. Was würde uns Gottes Gesicht alles erzählen, wenn schon die Mimik der Stummfilmstars so viel sagt. Ach, könnten wir doch Gott schauen!

Nur wenigen Menschen ist das trotzdem gelungen. Die Bibel erzählt von Mose und von Jesus, die Gott ins Gesicht geschaut haben und bestimmt auch gesehen haben, wie Gott sich bewegt. Nachdem Mose und Jesus Gott geschaut hatten, leuchteten ihre eigenen Gesichter. Sie haben nach der Gottesbegegnung gestrahlt. Sie haben Gottes Glanz gespiegelt. Und in allem, was wir von ihnen erfahren, strahlen sie etwas von Gott in die Welt. Mose hat damals übrigens so stark gestrahlt, dass er sich eine Decke über den Kopf legen musste, damit keiner geblendet wurde. So etwas wäre natürlich nicht stummfilmtauglich gewesen. Man muss doch das Gesicht der Protagonisten sehen oder wenigstens, wie sie sich bewegen.

Darum bin ich froh, dass Jesus sich nicht verhüllt hat. So kann ich in Jesus Gott erkennen, und zwar nicht nur in dem, was er sagt, sondern auch in seinen Gesten und in seinem Gesicht – in dem, was er tut.

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SWR2 Wort zum Tag

27JAN2023
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„Was für eine Familie wären wir, wenn kein Krieg gewesen wäre?“ Diese Frag stellt sich Nora Krug in ihrem Buch mit dem Titel Heimat. Ein deutsches Familienalbum.“ Und weil Nora Krug Illustratorin ist, erzählt sie nicht nur mit Worten, sondern vor allem mit vielen selbstgemalten Bildern. So erzählt sie von ihrem Opa Willi, der schon vor dem Krieg Fahrlehrer war. Es hieß, er hätte mit den Nazis nichts am Hut gehabt. Doch Nora Krug entdeckt, dass seine Geschichte etwas anders war. Sie fragt sich: Was hat Opa Willi im Jahr 1938 gesehen, als gegenüber seiner Fahrschule die Synagoge gebrannt hat? Oder was war mit Opa Alois los, dem Landwirt, und seinem Sohn Franz-Karl dem Älteren, der im Krieg gefallen ist? Nora Krug hat festgehalten, was sie in vergilbten Schuhkartons und staubigen Archiven gefunden hat. Sie erzählt von Beziehungsabbrüchen und von Enttäuschungen in der Familie, die nicht zuletzt eine Folge des Krieges sind, und die bis heute andauern.

Angesichts der Weltgeschichte sind das kleine Ereignisse. Mit Blick auf die persönliche Familiengeschichte werden sie aber bedeutsam. Heute, am 27. Januar, stelle ich diese Familiengeschichten bewusst in den Lauf der Weltgeschichte, weil ich weiß, dass die Weltgeschichte einem nur nah kommt, wenn sie zur eigenen Geschichte wird.

Es war der 27. Januar 1945, an dem die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreit hat. Darum müssen die Geschichten der Opfer erzählt werden. Und gleichzeitig müssen wir die Geschichten der Täter, der Mitläufer oder der so genannten Ahnungslosen erzählen. Die kommen nämlich oftmals aus unseren Familien.

Wie Nora Krug gehöre ich selbst zur so genannten Kriegsenkelgeneration, weil meine Großeltern in der Zeit des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges gelebt haben. Als Kriegsenkel will ich wissen und verstehen, was damals passiert ist – auch in meiner Familie. Mir geht es dabei nicht ums Verurteilen, sondern ums Erkennen. Denn ich habe die Hoffnung, dass Erkennen ein erster Schritt zur Heilung ist.

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SWR2 Wort zum Tag

26JAN2023
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Das Päckchen war schon zwei Wochen vor Weihnachten bei uns angekommen. Meine Schwägerin hatte es geschickt. Darin waren ihre grandiosen Plätzchen, eine Grußkarte und der längliche Karton mit einem Herrnhuter Stern - genauer: mit seinen Einzelteilen. Die Zacken des Sterns musste man nämlich noch gekonnt zusammensetzen, bevor man ihn aufhängen konnte.

Nun war vor dem Weihnachtsfest so viel los, dass weder meine Frau noch ich die Muße hatten, den Stern zusammenzubauen. Erst am zweiten Feiertag nachmittags wagten wir uns an den Zusammenbau. Das brauchte mehr Zeit als gedacht. Dann war er fertig. Aber wo sollte der Stern hin? Natürlich raus. War ja ein Outdoor-Stern. Wir mussten nachdenken, wohin. Und darüber haben wir das Aufhängen dann verschoben.

Das Neujahr war gekommen, Dreikönig auch schon durch, und der Stern war immer noch nicht aufgehängt. Eigentlich wollten wir es jetzt ganz sein lassen. Die Zeit für den Stern schien erst einmal rum. Sollten wir nicht einfach aufs nächste Weihnachtsfest warten?

Nein, sollten wir nicht. Es ist doch jedes Jahr das Gleiche. Erst bereiten wir uns so lange auf das Fest vor und reden von Jesus, der kommt, um die Welt zu verändern. Aber kaum sind zwei, drei Wochen vergangen, scheint die Weihnachtsbotschaft verhallt. Ehrlich gesagt: So wird das nie etwas mit einer besseren Welt voll Frieden und „dem Heiland aller Welt zugleich“. Natürlich brauchen wir Jesus dazu. Aber wir müssen schon auch etwas tun.

Und darum haben wir den Herrnhuter Stern doch noch aufgehängt.  Er hängt jetzt in der Eiche vor dem Küchenfenster. Ganz klar macht das die Welt nicht besser. Da müssen wir schon mehr tun als einen Stern aufhängen. Aber solange die Nächte so lang dauern, erinnert uns der leuchtende Stern vor dem Fenster daran, die Weihnachtsbotschaft zu erzählen und in unserer kleinen Welt für Frieden, Verständigung, Heil und Freude zu sorgen.

Und weil das immer dran ist, wird der Stern lange vor unserem Fenster hängen und leuchten müssen.

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SWR2 Wort zum Tag

05NOV2022
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Mein Freund Felix zeichnet – nicht als Beruf, sondern einfach so, als Hobby. Er trägt stets ein Skizzenbuch, ein Ledermäppchen mit Stiften und einen kleinen Wassermalkasten mit sich. Er ist ein Urban Sketcher. Urban Sketching ist eine weltweite Bewegung von Leuten, die ihre Welt zeichnend entdecken. Es gibt sogar ein Urban Sketching-Manifest. Ein Punkt des Manifestes lautet: „Unsere Zeichnungen erzählen die Geschichte unserer Umgebung.“

Neulich haben Felix und ich einen Ausflug gemacht. Wandern auf dem Rheinsteig. Ein Ausblick schöner als der andere. Bei der Mittagsrast hat mich Felix gefragt: „Hast du ein bisschen Geduld? Ich möchte das grad zeichnen.“ Für die nächste halbe Stunde hat sich Felix dann auf das Mäuerchen an der Rheinkante verzogen und sein Zeichenzeug ausgepackt. Versunken saß er da, schaute mal in die Landschaft, zeichnete, erst mit Bleistift, dann mit Pinsel und Aquarellfarbe. Für das Malwasser hatte er extra so einen Faltbecher aus Gummi. Ich wollte ihn nicht stören und habe derweil die Wanderkarte studiert.

„So, fertig! Wir können weiter.“ Hat Felix gerufen als er fertig war. „Zeig mal,“ habe ich gesagt. Und er hat mir das Skizzenbuch vor die Nase gehalten. Natürlich ist das Bild nicht so originalgetreu wie ein Foto gewesen. Die Farbe war mehr flüchtig aufs Papier gepinselt. Aber ich konnte den Blick erkennen. „Das tut mir gut,“ hat Felix erklärt und weiter gesagt: „Ich bin dabei ganz weg. Und wenn ich nach Jahren mal wieder ein Skizzenbuch aufschlage und eines der alten Bilder sehe, dann kommt alles wieder: die Szene; die Farben; wie warm es war; ich höre die Geräusche; ich kann sogar wieder riechen, wie es an dem Ort gerochen hat. Ich bin dann wieder voll drin. Mit Fotos klappt das bei mir nicht so gut.“ „Du setzt dich halt viel intensiver mit dem auseinander, was du siehst,“ habe ich geantwortet.

Und dann hat Felix vom Urban Sketching erzählt, und dass es eine ziemlich junge Bewegung ist. Wahrscheinlich ist es als Gegenbewegung zu dieser Foto-, Bilder- und Selfieflut entstanden. Urban sketching ist für ihn eine wohltuende Entschleunigung. Denn selbst, wenn man ein schneller Zeichner ist, braucht man immer länger, als wenn man ein Foto knipst.

Als Felix das alles erzählt hatte, habe ich gesagt: „Es braucht halt ein jegliches seine Zeit, und alles Vorhaben hat seine Stunde.“ „Hui, die Bibel!“ hat Felix gefrotzelt. Aber dann hat er gesagt: „Stimmt schon irgendwie. Man sollte sich für seine Vorhaben mehr Zeit lassen. Dann würde vieles besser laufen und es würde weniger Mist gebaut. Aber jetzt, Alter, ist es an der Zeit, weiter zu wandern.“ Und das haben wir dann gemacht – mit aller Zeit der Welt. 

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SWR2 Wort zum Tag

04NOV2022
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In diesen Novembertagen suche ich in meiner Erinnerung Bilder aus dem vergangenen Sommer, damit sie mich durch die grauen Tage tragen. An ein Bild erinnere ich mich besonders. Es sind Sonnenblumen. Ich sehe sie noch vor mir: die gelben Felder unter der Augustsonne. Die Blüten leuchten weit übers Land. Wenn ich näherkomme, sehe ich: die schweren Blütenköpfe schauen gar nicht mehr zur Sonne, sondern blicken reif zu Boden. Noch sind die Blütenblätter gelb, aber unter dem Gewicht der Kerne haben sich die Köpfe geneigt. Wie die Sonnenblumen mit ihren geneigten Blütenköpfen so dastehen, kommt mir ein altes Wort in den Sinn: Demut. Die gelben Blumen sehen demütig aus.

Das Wort Demut hat heute wenig Konjunktur. Nicht, weil zur Zeit alle Welt hochmütig ist. Aber es scheint nicht mehr zeitgemäß, sich in Demut zu üben. Wer will schon wie eine reife Sonnenblume mit hängendem Kopf dastehen? Den Körper in Form zu halten und selbstbewusst das eigene Können zu präsentieren, wird viel mehr gefragt. Demut ist sowas von gestern. Und auf einmal kommen mir die Sonnenblumen mit ihren hängenden Köpfen traurig vor. Dabei fand ich sie eben noch so schön.

Ich trete einen Schritt näher an die Blumen heran und gucke in ihre Blüten. Sie sind voll mit Kernen. Sie sind reif. Bald lassen sie ihre Samen auf den Acker fallen. Die Sonnenblumen haben es also gar nicht mehr nötig, sich prall und mit erhobenem Haupt zu präsentieren. Ich glaube, sie wissen, was sie alles in sich tragen. Und so möchte ich das Wort Demut füllen, nämlich mit Gelassenheit. Die Sonnenblumen neigen ihre Köpfe nicht demütig, weil sie sich unterwerfen, sondern weil sie gelassen sind, weil sie wissen, was sie in sich tragen. Die Sonnenblumen sind reif und brauchen keinem mehr etwas beweisen. Sie sparen sich ihre Kräfte.

Das will ich auch lernen: demütig und gelassen sein. Ich trage schon ganz viel in mir – zum Beispiel das gelbe Sonnenblumenbild aus dem Sommer und die fröhlichen Wanderungen mit Freunden. Auch einen Erfolg auf der Arbeit trage ich in mir oder das Schnurren der Katze auf dem Sessel und nicht zuletzt das Liebeswort meiner Frau.

So voll und so reif darf ich gelassen demütig sein. Und das Novembergrau wird sich verziehen.

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SWR2 Wort zum Tag

03NOV2022
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Am Anfang der Sommerferien habe ich das Bücherregal aufgeräumt. Ganz unten links stehen noch alte Bücher aus Kindertagen, darunter das Bilderbuch „Frederick“ von Leo Lionni. Ich habe es durchgeblättert. Erzählt wird von einer Maus namens Frederick, die mit vielen anderen Mäusen auf den Wiesen bei der alten Steinmauer lebt.

Es ist Sommer und die Mäuse sammeln Nüsse, Körner und Stroh als Vorrat für den Winter. Nur Frederick nicht. Er sitzt in der Sonne, schaut auf die Blumenwiese oder lauscht den Geräuschen und Stimmen der Anderen. „Frederick, warum arbeitest du nicht?“ fragen die anderen Mäuse. „Aber ich arbeite doch,“ sagt Frederick. „Ich sammle Sonnenstrahlen für die kalten und dunklen Wintertage.“ Und Frederick sammelt noch mehr, nämlich Farben, um es bunt zu machen, und Wörter, damit sie an den langen Winterabenden was zum Erzählen haben.

Der Winter kommt. Die Mäuse leben von ihren Vorräten. Doch irgendwann sind Nüsse, Körner und Stroh aufgegessen und die Laune wird schlecht. Da rufen die anderen Mäuse: „Frederick, was ist mit deinen Vorräten?“ Und Frederick beginnt von den Sonnenstrahlen zu erzählen, und den Mäusen wird ganz warm. Er erzählt von den farbigen Blumen des Sommers, und sie lächeln. Dann dichtet Frederick noch ein Lied über die Jahreszeiten und alle schwelgen in schönen Erinnerungen. Als Frederick fertig ist, applaudieren alle anderen Mäuse und sagen: „Frederick, du bist ja ein Dichter!“

Jetzt haben wir November. Der Winter kommt. Reichen die Vorräte? Ich weiß: eine Haltung, wie Frederick sie hat, löst nicht die Gasknappheit und zaubert auch keine Butter aufs Brot. Und klar ist auch: wenn die anderen Mäuse keine Vorräte gesammelt hätten, dann hätte im Winter selbst Frederick gehungert. Trotzdem steckt Wahrheit in dem alten Bilderbuch von Frederick der Maus. Und dazu klingelt mir ein Satz aus der noch älteren Bibel in den Ohren: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jedem Wort, dass aus dem Mund Gottes ausgeht.“

Für mich heißt das: ich brauche die Sonnenstrahlen genauso wie das Brot und die guten Worte genauso wie das Gas. Darum bin ich froh, dass ich im Sommer das alte Bilderbuch von Frederick gefunden habe. Denn ich habe mir vorgenommen, schöne Erlebnisse, farbige Eindrücke, liebe Worte und harmonische Töne zu sammeln. Im Winter kann ich die Erinnerung daran gut gebrauchen.

Wie sehen Ihre Vorräte aus? Ich meine nicht die in der Speisekammer, sondern die schönen Erinnerungen, die sie in sich tragen. Ich bin sicher, da liegt einiges in Ihnen. Zehren sie davon!

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