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SWR4 Sonntagsgedanken

10MRZ2024
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Zu viel Kirche, zu wenig Jesus. So nehmen viele Menschen wahr, was ihnen in der Öffentlichkeit begegnet, wenn von Kirche und Christentum in Deutschland die Rede ist. Die Kirche ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie liefert unentwegt schlechte Nachrichten, auf die die Medien einsteigen können. Viele, die frustriert aus der Kirche austreten. Frauen, die nicht gleichberechtigt sind.

Ein Paradebeispiel für diese falsche Prioritätensetzung hat sich zuletzt auf der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe ereignet. Die Konferenz hat ein beachtenswertes Papier verabschiedet, in dem sie sich ungewöhnlich scharf gegen rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien und für ein demokratisches Miteinander ausspricht. Völkisches Gedankengut ist nicht mit dem Christentum vereinbar, schreiben sie. Der Vorsitzende der Konferenz, Bischof Bätzing aus Limburg, geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er sagt, dass weder Ämter noch Ehrenämter in der katholischen Kirche mit einer Mitgliedschaft in der AfD vereinbar sind. Wer Menschen nach ihrer vermeintlichen Rasse einteilt, wer alles angeblich Undeutsche aus Deutschland vertreiben will, der kann sich nicht gleichzeitig auf das Evangelium berufen. Im Papier der Bischofskonferenz steckt also viel Jesus drin. Aber leider wurde dieses positive und klare Signal von einer Meldung überlagert, die in den Medien mehr hermacht, die schneller war und bewusst vorher platziert wurde. Aus Rom kam der Befehl: kein synodaler Rat in der deutschen Kirche. Keine verbindliche Mitsprache von Laien bei den wesentlichen Entscheidungen. Und sofort sind wir wieder bei der Kirche und ihren Strukturen - und nicht bei dem, worauf es ankommt: bei Jesus und seinen Weisungen für ein gelingendes Leben.

Ich weiß, dass dieser Gegensatz pauschal ist, zu pauschal vermutlich. Die Kirche hat immer auch etwas mit Jesus zu tun. Was aber bleibt, ist der Anschein: Der Kirche geht es darum, ihre Macht zu erhalten, und es wird viel um Feinheiten gestritten, die kein Mensch mehr versteht. Jesus dagegen ging es vor allem um das Glück des Einzelnen und das Heil der ganzen Welt. Das gerät in Vergessenheit. Eine berühmte Stelle im Johannesevangelium formuliert das so: Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab (…). Er hat ihn gesandt, (…) damit die Welt durch ihn gerettet wird (vgl. Johannes 3,16f.).

Die Botschaft ist klar. Unsere Welt braucht keine selbsternannten Führer, keine politischen Messiasse. Sie braucht: mehr Jesus. 

Für meine Verhältnisse kommt das, was Jesus wichtig war, viel zu kurz in der Kirche, weil sie sich um sich selbst dreht und ihren eigentlichen Auftrag oft vernachlässigt. Dabei hat Jesus den Menschen so viel zu geben. Ich weiß noch sehr gut, was am Ende meiner Schulzeit den Ausschlag gegeben hat, dass ich Pfarrer werden wollte: Ich wollte – sozusagen mit Jesus und seinen Gedanken im Gepäck – die Welt ein bisschen besser machen. Wie frei er mit allem umging, was Menschen unnötig belastet hat. Die starren Vorschriften der Religion hat er einfach ignoriert. Was den Menschen glücklich macht, was ihn aufatmen lässt, stand für ihn an erster Stelle. Das ist beispielhaft frei, wenn ich daran denke, wie die Kirche bis heute Menschen einteilt wegen ihres Geschlechts, ihrer Sexualität, ihrem Lebenswandel. Wenn jemand zu ihm kam, der eine große Last mit sich herumgetragen hat, weil er sich schuldig gemacht hatte – das soll bis heute vorkommen. So einen hat er getröstet, ihm verziehen und Tipps gegeben, wie er neu anfangen kann. Es geht eben nicht um die, die schon das meiste haben, sondern um die, denen was fehlt. Um die muss die Kirche sich kümmern: Und das tut sie ja auch, aber es bleibt oft unbemerkt, weil es keine Schlagzeilen produziert. Jesus steht für eine großartige Botschaft, weil sie so menschenfreundlich ist, so großherzig und zärtlich. Das braucht unsere Welt. Davon kann das Miteinander in unserer Gesellschaft bloß profitieren.

Und noch etwas: Christen glauben, dass Jesus am Kreuz gestorben ist. Aus Liebe. Er wollte damit zeigen, wie weit einer gehen kann, wenn er an der Liebe festhält. Dass die Liebe Grenzen überwindet. Am Ende sogar den Tod. Spätestens dann landen wir bei der Frage, was denn unser Leben ausgemacht hat, was wichtig war und was bleibt. Es täte mir als Teil der Kirche gut, mich immer wieder auch mit dieser letzten Konsequenz zu konfrontieren. Was bleibt von allem, was wir tun, wenn es auf das Ende zugeht? Macht und Formen und Farben und Gesetze sind es nicht. Als Jesus gekreuzigt wurde, heißt es, sind zwei übrig geblieben von den vielen, die ihm vorher die Treue geschworen hatten. Nur zwei. Eine davon war Maria, die Mutter Jesu, die auch Mutter der Kirche genannt wird. Sie geht mit Jesus durch dick und dünn. Sie bleibt bei ihm, als es eng wird, weil sie ihn liebt. Ich finde: Darauf kommt es an. Bei mir, in der Kirche, in unserer Welt.

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SWR4 Abendgedanken

01MRZ2024
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Haben Sie sich heute über jemanden geärgert? Dann ist dieser Abendgedanke für Sie genau das Richtige.

Ich ärgere mich fast jeden Tag über einen anderen. Das liegt in der Natur der Sache, weil Menschen verschieden sind und Dinge anders anpacken. Dazu kommt, dass ich ein ziemlich impulsiver Typ bin und mich leicht aufrege. Sobald ich mir das bewusst mache, ist der erste Schritt schon getan. Es liegt an mir, dass ich mich aufrege. Nicht der andere regt mich auf, sondern ich rege mich auf. Es kommt aber auch vor, dass es nicht um eine Kleinigkeit geht, sondern dass meinem Ärger eine echte Meinungsverschiedenheit zugrunde liegt.

Ich will mit Kollegen etwas planen, aber sie weigern sich. Ich habe eine gute Idee, sie haben schon genug zu tun. Und das ärgert mich. Das kann ich nicht so einfach auf die Seite schieben, sondern muss mit ihnen an einer Lösung arbeiten. Erst dann werde ich wieder ruhig. Weil sich das aber meistens nicht von jetzt auf nachher erledigen lässt, sondern unter Umständen mehrere Tage dauert, brauche ich einen Zwischenschritt, damit ich nachts nicht wach liege vor Ärger. Diesen Zwischenschritt finde ich in der Bibel. Er lautet: Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen[1]. Ich weiß schon, damit ist Streit nicht gelöst. An der Sache müssen wir weiter arbeiten. Aber eben erst nachdem der Zorn verraucht ist, nachdem ich mindestens einmal darüber geschlafen habe und dadurch etwas Druck aus allem raus ist. Vorher gibt es diesen klugen Zwischenschritt: Den Ärger nicht in die Nacht und den Schlaf mitzunehmen. Wie mache ich das?

Für mich gibt es dabei zwei Schritte. Ich gehe sie bewusst erst dann, wenn ich schon im Bett liege, also vor dem Einschlafen. Zunächst versuche ich so gut es geht, Person und Sache zu trennen. Dort ist der andere, und hier bin ich, und zwischen uns steht ein Problem, das wir gemeinsam lösen müssen. Wenn ich so weit gekommen bin, dann schließe ich den anderen noch in mein Nachtgebet ein. Und das meine ich jetzt nicht als „Feigenblatt“, um vom Streit abzulenken. Ich versuche das Thema dabei so gut es geht wegzulassen. Ich bete für den anderen, weil er Mensch ist wie ich, und wir vor Gott gleich sind. Spätestens dann ist mein Zorn verraucht. Wenn ich dann auch noch gut schlafe, bin ich der Lösung schon ein bisschen näher.

[1] Epheserbrief 4,26

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SWR4 Abendgedanken

29FEB2024
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Wer in ein Altenheim einzieht, weiß: „Dies ist aller Voraussicht nach meine letzte Bleibe auf dieser Welt. Hier werde ich leben bis zu meinem Tod.“ Was braucht ein alter Mensch auf seinem letzten Lebensabschnitt? Ich überlege dazu am besten, was ich brauchen werde, wenn ich einmal in so ein Heim einziehe. Wenn ich nicht mehr in meiner Wohnung bleiben und sich bei mir zuhause keiner angemessen um mich kümmern kann. Was brauche ich dann? Dass ich mit anderen alten Menschen zusammen sein werde, ist vorausgesetzt. Darum brauche ich mich nicht zu kümmern; wahrscheinlich muss ich mich damit eher arrangieren/abfinden; weil zu viele, die in der gleichen Lage sind, auf Dauer auch anstrengend sein können. Aber Kontakte nach draußen, darauf kann ich mir nicht vorstellen zu verzichten. Ich will weiterhin wissen, was in der Welt los ist. Ich will über die neusten Nachrichten diskutieren und mich austauschen, was die Gesellschaft bewegt. Und ich will weiterhin zu den Menschen Kontakt haben, die mir bis ins Alter treu geblieben sind. Diese freundschaftlichen Verbindungen sollen auch dann nicht abbrechen, wenn ich in einem Heim bin. Ich hoffe also auf Besucher, die mich aus der kleinen Welt des Altenheims herausreißen, mit mir an die frische Luft gehen und mich auf dem Laufenden halten, was sich dort ereignet, wo ich einmal gelebt habe.

Dann brauche ich aber noch etwas Zweites: Den Draht nach innen. Vermutlich kann ich den zum Teil allein in meinem Zimmer dort pflegen. Wenn ich bete oder meditiere oder in der Bibel lese. Wenn ich die Musik höre, die mir kostbar ist oder schöne Literatur lese. Dabei spüre ich, wer ich bin, was meine Identität ausmacht, mich zu dem Menschen macht, der ich im Laufe meines Lebens geworden bin. Und der ich auch bleiben will, wenn ich einmal im Heim sein werde. Für den Draht nach innen braucht es aber noch etwas: einen Raum, der für die Stille reserviert ist, für den Kontakt mit Gott, einen Ort, der nicht Alltag ist und den ich anders verlasse, als ich ihn betreten habe. Früher gab es in christlich geführten Altenheimen immer eine Kapelle, später hießen sie Andachtsräume. Heute ist das nicht mehr so selbstverständlich. Aber genauso notwendig, für mich unverzichtbar. Es bedeutet etwas, wenn es so einen Raum gibt. Er ist zwar für den Betrieb nutzlos. Aber wichtig, weil er allen offensteht, um sich auf das zu besinnen, was wesentlich ist. Auf das eigene Leben, auf die Würde, die einem auch das Alter nicht nehmen kann; auf Gott, der mir mein Leben gab, und mich zu seiner Zeit hoffentlich zu sich nehmen wird.

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SWR4 Abendgedanken

28FEB2024
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Gute Nachbarn zu haben – das ist extrem wichtig. Mit Nachbarn ist es wie mit der eigenen Familie: Die habe ich einfach, ich suche sie mir nicht aus. Weil ich also sowieso mit ihnen auf engem Raum zusammenleben muss, strenge ich mich am besten an, gut mit ihnen auszukommen. Denn: Eine gute Nachbarschaft fällt nicht vom Himmel. Ich muss etwas dafür tun. Und ich kann. Ich interessiere mich für meine Nachbarn, ohne neugierig zu sein. Ich biete meine Hilfe an, wenn ich den Eindruck habe, das sie gebraucht wird. Meine Türe steht den Nachbarn offen, jederzeit. Hin und wieder habe ich eine gute Idee und sorge dafür, dass die, die rechts und links von mir wohnen in meinem Garten zusammenkommen. Dann singen wir im Advent Lieder oder grillen zusammen und im Sommer feiern wir ein Fest, zu dem alle etwas beitragen.

Habe ich besonderes Glück bei meiner Nachbarschaft? Schon möglich. Obwohl ich bei meinen Nachbarn auch nicht alles gut finde. Sie haben zum Teil ganz andere Interessen und eine Einstellung zum Leben, die sich von meiner unterscheidet. Sie setzen Prioritäten, wo ich sie nicht setzen würde. Sie denken anders und sprechen anders als ich. Die einen könnten meine Kinder sein und deren Kinder meine Enkel. Bei den anderen fehlt nicht viel an Alter, und ich könnte ihr Sohn sein. Wir sind fast vier Generationen in der Nachbarschaft. Es ist also wie immer und geht nur, wenn ich nicht zu festgelegt bin in meinen Ansichten und entspannt aushalte, dass andere eben so sind, wie sie sind. Ich kann sie nicht ändern, und will das auch gar nicht. Solange klar definiert ist, wo die Grenzen der Freiheit sind. Denn diese Grenzen, die braucht es sehr wohl. Am besten jeder kennt sie und man braucht gar nicht erst darüber zu sprechen.

Ich erzähle das, weil ich meine: Nachbarschaft ist ein gutes Feld, um zu lernen, wie das Zusammenleben in der ganzen Gesellschaft funktionieren könnte. Dass es mit der nicht zum Besten bestellt ist, merkt inzwischen jeder. Viele regen sich schnell auf und in einer Art und Weise, die respektlos ist. Es gibt berufliche Interessengruppen, die sehr auf ihren Vorteil bedacht sind und das große Ganze aus dem Blick zu verlieren scheinen. In meiner Nachbarschaft hat den Ausschlag gegeben, dass wir uns von Anfang an für die jeweils anderen interessiert haben. Alle wissen: Wir sind füreinander da, wenn’s drauf ankommt.

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SWR4 Abendgedanken

27FEB2024
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Fasten. Die Bibel beschäftigt sich an etlichen Stellen mit diesem Thema. Oft geht es darum, wie man auf etwas verzichtetet: auf Essen, auf schöne Kleider und Schmuck. Interessant wird es für mich aber erst dann, wenn es beim Fasten ans Eingemachte geht, wenn ich aufgefordert werde, mein ganzes Leben in Frage zu stellen. Weil ich glaube, dass Gott etwas von mir erwartet, weil er will, dass ich mich so engagiere, dass unsere Welt etwas besser wird. Und dazu muss ich hin und wieder in mich gehen und prüfen, wie ernst es mir ist: Tue ich wirklich das Richtige? Bin ich frei genug, um das zu lassen, was verkehrt ist, unnötig oder falsch?

In diesem Sinn verstehe ich die Stelle im alttestamentlichen Buch Joël, wo es heißt: Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider![1] Der Prophet sagt hier ausdrücklich, dass das äußere Zeichen allein nicht genügt. Seine Kleider zu zerreißen war in der jüdischen Tradition Ausdruck dafür, dass jemand verzweifelt ist, sich gedemütigt fühlt oder eine tiefe Trauer in sich spürt. Tatsächlich könnte daraus aber jemand leicht eine Show machen, also nur so tun, als sei er furchtbar verärgert oder empört. Aufs Fasten angewendet: Nur auf etwas zu verzichten, um zu zeigen, wie eifrig man ist, das ist eine Vortäuschung falscher Tatsachen. Und das erfüllt den Zweck richtigen Fastens nicht. Dazu braucht es mehr. Dazu muss ich mich so im Spiegel anschauen, dass es weh tut. Um das Wort Joëls aufzugreifen: Ich muss – bildlich gesprochen - mein Herz zerreißen. Wie soll das gehen?

Im Herzen sitzen meine Gefühle. Wenn ich mein Herz zerreiße, dann hat es keinen Schutz mehr, sondern liegt offen vor mir. Ich kann alles sehen, was drin ist. So weit als möglich mache ich mir dann nichts mehr vor. Ich weiß, wovor ich am meisten Angst habe. Ich weiß, was für mich das größte Glück in meinem Leben ist. Ich weiß auch, was ich vermisse und wonach ich mich sehr sehne. Wahrscheinlich geht das mit dem Zerreißen des Herzens nicht auf Anhieb. Ich vermute, es wird dort einige Schutzschichten geben, die ich erst durchdringen muss, um an mein Innerstes heranzukommen. Und genau das nehme ich mir für die kommenden Wochen bis Ostern vor. Jeden Tag ein bisschen. In der Hoffnung, dann Ostern neu, anders, intensiver zu erleben.

 

[1] Joël 2,13

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SWR4 Abendgedanken

26FEB2024
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Alexej Nawalny ist tot. Gestorben in einer russischen Strafkolonie im Alter von 47 Jahren. Nawalny hat konsequent das russische Regime unter Putin kritisiert. Er ist für viele ein Vorbild gewesen, die nicht akzeptieren wollten, dass ihr Heimatland immer mehr zu einer Diktatur wird. Nawalnys Tod lässt mir keine Ruhe, wie vielen Menschen, denen Freiheit und Gerechtigkeit wichtig sind.

Was bleibt sind sein Mut und seine Gedanken. Es gibt von ihm einen eindrucksvollen Text, in dem Nawalny auch von seinem Glauben spricht. Dieses Bekenntnis vor dem russischen Gericht ist so mutig und klug, dass es eine größere Bekanntheit verdient. Deshalb steht es heute im Zentrum meiner Abendgedanken. Nawalny schreibt:

„Ich bin ein gläubiger Mensch, (…) und das hilft mir sehr bei dem, was ich tue. (…) Denn es gibt da so ein Buch, das mehr oder weniger genau beschreibt, was man in welcher Situation zu tun hat. Es ist natürlich nicht immer einfach, sich daran zu halten, aber ich versuche es im Großen und Ganzen. (…)“

Alexej Nawalny meint damit natürlich die Bibel, bezieht sich im Folgenden auf eine Stelle aus den Seligpreisungen der Bergpredigt, wo es heißt: Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Seine Gegner verspotten ihn deshalb. Wenn er doch an Gott glaube, dann gehe es ihm doch bestimmt bestens, egal ob er im Gefängnis sitze oder nicht. Nawalny dreht den Spieß um, und schreibt dann wörtlich: „Da versteht mich ja jemand richtig gut! (…) Es macht mir zwar keinen Spaß, hier zu sein, aber ich bedauere auch keinesfalls meine Rückkehr und das, was ich gerade tue. Denn ich habe alles richtig gemacht. Ich fühle sogar so etwas wie Genugtuung, weil ich in einer schwierigen Zeit getan habe, was in der Anweisung steht. Ich habe das Gebot nicht verraten.“

Dann geht Nawalny noch einen Schritt weiter und bezieht das Bibelwort von der Gerechtigkeit direkt auf die Lage in Russland. Das politische System seiner Heimat, sagt er, besteht darin, die Leute zu Einzelgängern zu machen, ihnen Angst einzujagen, indem man sagt: Du bist allein.

Weil er aber daran glaubt, dass Gerechtigkeit satt macht, wirkt das bei ihm nicht. Nochmals wörtlich Nawalny: „Kraft liegt in Gerechtigkeit. Wer Wahrheit und Gerechtigkeit hinter sich hat, wird siegen.[1]

Er hat Recht, und ich wünsche ihm und seinem Land, dass nach seinem schlimmen Tod dieses Recht sich endlich durchsetzt.

 

[1] aus: Alexej Nawalny: Schweigt nicht! Reden vor Gericht.

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SWR2 Lied zum Sonntag

25FEB2024
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O Tod, wie bitter bist du,
Wenn an dich gedenket ein Mensch,
Der gute Tage und genug hat
Und ohne Sorge lebet;
Und dem es wohl geht in allen Dingen
Und noch wohl essen mag!
O Tod, wie bitter bist du.

O Tod, wie wohl tust du dem Dürftigen,
Der da schwach und alt ist,
Der in allen Sorgen steckt,
Und nichts Bessers zu hoffen,
Noch zu erwarten hat!
O Tod, wie wohl tust du!

 

 

 

(1) O Tod, wie bitter bist du,…

Ja, der Tod kann bitter sein. Wenn ein Freund überraschend stirbt. Wenn jemand zwei Jahre mit einer Krankheit kämpft und verliert, weil der Tod unerbittlich ist. Ist der Tod nicht immer bitter? Ich denke schon, dass man das so sagen muss. Für mich, der zurückbleibt, ist der Tod immer eine traurige Angelegenheit. Ich lebe weiter und vermisse bis heute meinen Vater, der mich geliebt hat, meine Oma, die eine weise Frau war, meinen Schulfreund, mit dem ich nach dem Abi die erste große Reise nach Frankreich unternommen habe. Sie haben zu meinem Leben gehört, und es ist bitter sie nicht mehr zu haben.

(2) Wenn an dich gedenket ein Mensch,
Der gute Tage und genug hat
Und ohne Sorge lebet;
Und dem es wohl geht in allen Dingen
Und noch wohl essen mag!
O Tod, wie bitter bist du.

Allerdings ist der Tod sehr unterschiedlich. Und diesen Unterschied stellt Johannes Brahms in seinem Lied über den Tod in den Mittelpunkt. Es ist Teil eines Zyklus‘, der „Vier ernste Gesänge“ heißt. Brahms wählt als Text für das dritte Lied eine Stelle aus dem Buch Jesus Sirach im Alten Testament der Bibel.

Mein Vater starb innerhalb von vier Wochen an einem aggressiven Krebs. Als er Bescheid wusste, was auf ihn zukommt, und er immer mehr Schmerzen hatte, wollte er sterben. Ich bewundere bis heute seinen Mut. Ich hoffe, dass der Tod am Ende eine Wohltat für ihn war. Auch wenn ich es bitter finde, dass er so früh gestorben ist, und ich ihn dann nicht mehr bei mir hatte. Mein Schulfreund dagegen wollte nicht sterben. Seine Kinder sind gerade aus dem Haus; er hat sich auf seinen Ruhestand gefreut und wollte noch viel unternehmen. Er lag einfach tot da, Herzversagen. Darf ich denken, dass es für ihn ein schöner Tod war, dass er ihm wohltat? Oder verbietet sich das als ungehörig, anmaßend? Auf der einen Seite ist der Tod bitter, auf der anderen tut er wohl. Während am Beginn des heutigen Lieds zum Sonntag das Bittre laut ist und schroff daherkommt, gibt Brahms der zweiten Variante einen wunderbaren Wohlklang…, warm, fast zärtlich.

 (3) O Tod, wie wohl tust du dem Dürftigen,

 Von meiner Oma weiß ich, dass sie um eine gute Sterbestunde gebetet hat. Ich glaube, sie hat den Tod nicht gefürchtet, sich ihn sogar herbeigewünscht. Sie war, wie es das Lied sagt, alt und schwach. Ich hoffe, der Tod war eine Wohltat für sie.

Der Tod hat viele Dimensionen: Jeder stirbt seinen eigenen Tod. Jeder Tod ist verschieden. Und jeder, der mit dem Tod konfrontiert ist, muss sich sein eigenes Bild machen, wie er ihn sieht. Ob er erlöst und befreit, ob er schmerzt und furchtbar traurig macht.

O Tod, wie bitter bist du. O Tod, wie wohl tust du.

Im Lauf des Jahres sind gerade die Wochen vor Ostern eine gute Zeit, um über den Tod nachzudenken, über das eigene Leben und das Sterben, das unausweichlich einmal kommt. Und sich dabei auch zu prüfen, wie es mit der Hoffnung aussieht, dass der Tod nicht alles ist, nicht das Ende.

(4) Klavierbearbeitung

 

 

 

 

QUELLENANGABEN

 

(1)

M0005752(AMS) 01-003 3'24 (3)

O Tod, wie bitter bist du

aus: Vier ernste Gesänge für eine Singstimme und Klavier, op. 121

Brahms, Johannes; Bibel, Prediger Salomo 3,19-22; ...

Fassbaender, Brigitte; Garben, Cord

 

(2)

M0326763(AMS) 01-016 3'21 3'19 Nr. 3:

O Tod, o Tod, wie bitter bist du

aus: Vier ernste Gesänge. Für Bass und Klavier, op. 121.

Bearbeitet für Bass und Orchester

Brahms, Johannes; Glanert, Detlev Mertens, Klaus; Capella Weilburgensis; Hagel, Doris

 

(3)

M0128772(AMS) 01-003 4'27 4'22 Nr. 3:

O Tod, o Tod, wie bitter bist du

aus: Vier ernste Gesänge für Bass und Klavier, op. 121     

Brahms, Johannes;

Fischer-Dieskau, Dietrich; Demus, Jörg

 

(4)

M0624654(AMS) 01-019 4'52 4'52 Nr. 3:

O Tod, wie bitter bist du

aus: Vier ernste Gesänge für Singstimme und Klavier, op. 121.

Bearbeitet für Klavier

Brahms, Johannes; Reger, Max

Levit, Igor

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SWR2 Lied zum Sonntag

11FEB2024
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Heile, heile Gänsje

Es is bald widder gut

Es Kätzje hat e Schwänzje

Es is bald widder gut

Heile, heile Mausespeck

In hundert Jahr ist alles weg!

 

So richtig passt dieses Lied gerade nicht zu meiner Stimmung. Obwohl Faschingssonntag ist. Eigentlich wollte unser Autor Stefan Warthmann heute über dieses Lied sprechen. Aber er ist vor wenigen Tagen im Alter von 53 Jahren verstorben. Im Gedenken an ihn und in seinem Sinn übernehme ich heute seinen Sendeplatz. Auch wenn es mir schwerfällt zu sagen, dass bald alles wieder gut ist.

 

 

Bei all den Kleinen Kinderlein

Gibt´s manchen großen Schmerz,

Hat´s Püppchen was am Fingerlein

Bricht Mutti fast das Herz;

Dann kommt die Mamma schnell herbei.

Nimmt‘s Kindchen auf den Schoß

und sagt bedauernd: Ei, ei, ei,

Ja, was hat mein Kindchen bloß?

Bewegt sie es ans Herze zieht

Und singet ihm zum Trost das Lied …

 

Zu diesem Lied passt nicht so recht, was man sich sonst unter Fasching vorstellt: eine Prunksitzung, die saalfüllende Blechkapelle, beißender Spott. Das berühmteste aller Fastnachtslieder ist eigentlich gar keines, sondern ein Kehrreim nach Kinderart. Der Sänger wird nur von einem einzelnen Klavier begleitet. Das Lied ist leise und verlangt ein Publikum, das still ist und zuhören kann. Bei der ersten Aufführung 1929 ging’s eher nachdenklich zu. Manche haben sich sogar Tränen aus den Augen gewischt. Im Liedtext tröstet eine Mutter ihr Kind, das sich verletzt hat und weint. Mit dem einfachen Refrain wiegt sie es in den Schlaf und lässt es spüren: „Auch wenn die Welt voller Gefahren ist, du bist behütet.“ Ein Karnevalslied, das gleichzeitig Wiegenlied und Heilsegen ist.

 

 

 

Und sind die Kinder größer dann,

Erwacht im Herz die Lieb,

Es dreht sich alles um den Mann,

Den bösen Herzensdieb,

Doch wenn das Herz in Flammen steht,

Vor Liebe, Lust und Glück,

Der Mann gar oft von dannen geht.

Lässt weinend sie zurück.

Dann singt die Mutter angst und bang

das Lied, das sie dem Kind einst sang…

 

 

Liebeskummer – das ist nur eine der Sorgen, die dazukommen, wenn man die Kindheit hinter sich lässt. Aber am Ende steht ja immer der melancholische Refrain, der ein Happy-Ende in Aussicht stellt. Ist das Kitsch? Gaukelt es eine heile Welt vor, die es so nie gab und geben wird?

Als das Lied ab 1951 durch den singenden Dachdeckermeister Ernst Neger berühmt wurde, haben sich die Deutschen sehr danach gesehnt. Fasching nach der Katastrophe der Nazi-Dikatatur und des verlorenen Kriegs.

Heile, heile Gänsje ist in meinen Augen ein geniales Lied für Fasching und Karneval, weil es einen doppelten Boden hat. Der Clown macht gute Miene zum bösen Spiel. Der Bajazzo soll lachen, obwohl ihm zum Weinen zumute ist. Oberflächlich ist das Lied harmlos, fast naiv. Es spricht davon, was wir gern hören wollen: dass alles gut wird. Aber darunter, eine Schicht tiefer, geht es um die Sorgen und Nöte der jeweiligen Zeit.

Das Leben ist kein Tanzlokal,

Das Leben ist sehr ernst.

Es bringt so manche Herzensqual,

Wenn du es kennen lernst.

Doch brich‘ _nicht unter seiner Last,

Sonst wärest du ein Tor,

Und trag‘ _was du zu tragen hast,

Geduldig mit Humor.

Und denk´ Dein ganzes Leben lang,

Ans Lied das Dir die Mutter sang:

Fasching feiern ist nicht so mein Ding. Aber ich gebe gerne zu, dass es mir guttut, alles mal ein bisschen leichter zu nehmen. Und dabei die Hoffnung ganz stark zu machen, dass in hundert Jahren alles weg ist. Ich komme normalerweise besser damit klar, alles genau zu erledigen und lieber nochmals eine Runde zu drehen, in der ich aufspüre, was womöglich doch noch alles zu bedenken ist. Dann fühle ich mich sicherer. Vermeintlich. Denn immer wieder falle ich damit auch auf die Schnauze und hole mir Blessuren. Weil ich eben nicht alles in der Hand habe. Weil es menschlich ist, nicht alles richtig zu machen. Weil ich am Ende dann am besten lebe, wenn ich loslassen und vertrauen kann. Und Vertrauen ist vorausgesetzt, wenn ich glauben will, wenn ich Gott da noch etwas zutraue, wo ich nichts mehr tun kann. Was - so schwer mir das fällt – für den Tod meines Freundes Stefan Warthmann auch gilt.

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SWR1 3vor8

04FEB2024
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Zwei Freunde von mir sind überraschend gestorben. Einer ist ein Klassenkamerad von mir; wir saßen im November noch nebeneinander bei unserem Jahrgangstreffen. Den anderen kennen Sie vielleicht sogar. Stefan Warthmann. Er spricht seit Jahren regelmäßig Beiträge hier im SWR. Wir sind auch schon lange befreundet, weil wir miteinander studiert haben. Und nun sind beide tot, weil ihr Herz nicht mehr mitgemacht hat, von einer Minute auf die nächste. Wie schrecklich für die, die zurückbleiben. Auch für mich ist es unfassbar.

 

Was ich für mich nicht als Zufall durchgehen lassen kann: Dass heute in den katholischen Gottesdiensten ein Bibeltext aus dem Buch Ijob dran ist, der exakt dazu passt. Bei Ijob geht es darum, dass ihm plötzlich ein schreckliches Unglück geschieht, weil alle sterben, die Ijob nahe waren. Und er sich nun damit auseinandersetzen muss, was das heißt: die zu verlieren, die man liebt, ohne Warnung, aus heiterem Himmel; brutal erinnert zu werden, wie vergänglich das eigene Leben ist; und irgendwie das alles mit Gott in Verbindung zu bringen. Ijob glaubt, dass Gott gut und gerecht ist. Aber wie passt das zu dem, was ihm widerfährt? Wieder und wieder beschreibt Ijob die offene Wunde, die entsteht, wenn der Tod das Leben zerreißt. Er sagt: Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage, sie gehen zu Ende, ohne Hoffnung. Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist! Nie mehr schaut mein Auge Glück[1].

 

Der plötzliche Tod meiner Freunde macht mich sprachlos. Ich kann zuhören, wenn ich bei denen bin, die den beiden besonders nahestanden. Manchmal kann ich auch weinen. Trösten kann ich kaum. Wie auch? Ich spüre, dass es mich unruhig macht, dem Tod so nahe zu kommen, auch meinem eigenen. Dann laufe ich hin und her und liege nachts wach. Ijob versucht zu klagen, Gott seine Wut entgegen zu schleudern. Und macht damit seine eigenen Erfahrungen. Es entlastet ihn. Aber gut weiterleben kann er so nicht. Wer mit dem Tod hautnah konfrontiert ist, hat mehr Fragen als Antworten. Dass ein Mensch stirbt, von einem Tag auf den anderen nicht mehr da ist, das übersteigt meine Vorstellungskraft. Ich verstehe es schlicht nicht, und muss trotzdem weiterleben. Ijob hat Recht: Mein Leben ist nur ein Hauch. Aber mein Leben ist auch groß und wunderbar. So wie das Leben meiner Freunde auch. Einmalig und unvergesslich. Wenn dann noch stimmt, was ich glaube, dass Gott uns zu sich nimmt, danach, dann geht das Weiterleben wenigstens ein bisschen leichter.

 

[1] Ijob 7,6f.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27JAN2024
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Überall gibt es Straßennamen, die schwierig sind. Weil sie von Personen stammen, deren Namen man heute lieber nicht mehr hören will. Oder es handelt sich um Persönlichkeiten, von denen man inzwischen herausgefunden hat, dass sie zwar Verdienste haben, dass ihre Biografie aber auch Flecken aufweist. Das betrifft vor allem Personen aus der Nazi-Zeit, die als Politiker, Pfarrer, Forscher oder Künstler sich dem Regime damals angepasst hatten. Und mit deren Ehrbarkeit es deshalb nicht ganz so weit her ist, wie man bislang angenommen hat. Wie soll man damit umgehen, fragen sich dann die Gemeinderäte. Schließlich ist es eine Auszeichnung für einen Menschen, wenn eine Straße oder gar ein Platz seinen Namen tragen darf. Eine Stadt schmückt sich mit den Persönlichkeiten, die sie hervorgebracht hat. Die ganz schlimmen hat man inzwischen entfernt. Trotzdem gibt es landauf landab Straßennamen, die noch immer problematisch sind. Was tun? Alle austauschen?

In Tübingen hat man einen anderen Weg gewählt. Die Pfeiler, an denen Schilder mit umstrittenen Namen hängen, haben einen Knoten bekommen. Das fällt einem sofort auf, wenn man daran vorbeiläuft, weil so ein Metallknoten auf Augenhöhe ungewöhnlich ist. Die Stadt will damit sagen: Wir können die Geschichte nicht rückgängig machen. Auch die Fehler und Schattenseiten der Bürgerinnen und Bürger von Tübingen gehören zu unserer Stadt. Wir halten es für zu leicht, so zu tun, als wäre da nichts gewesen. Was man nicht mehr sieht, davon kann man auch nichts mehr lernen. Außerdem haben viele große Persönlichkeiten eben Licht- und Schattenseiten. Dem müssen wir uns stellen. Mit den Knoten am Schild fordern wir alle auf, die vorbeilaufen, sich auseinanderzusetzen, und aus der Geschichte zu lernen. Die Schilder haben auch einen QR-Code, mit dem man sich Informationen zu den umstrittenen Personen herunterladen kann. Wer nämlich verstanden hat, wo Menschen in der Vergangenheit falsche Wege beschritten haben, dem wird es hoffentlich in der Gegenwart leichter fallen, ähnliche Fehler und Irrwege schneller zu bemerken und ihnen etwas entgegenzusetzen.

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