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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

19SEP2025
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Die Christusfigur der St. Mang-Kirche in Kempten im Allgäu liegt beschädigt am Boden. Die Arme abgeschlagen, das Kreuz zerbrochen[1]. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Und es ist auch nicht neu. Ich erinnere mich, dass in meiner Heimatgemeinde schon vor vielen Jahren eine Art Wachdienst eingerichtet werden musste, weil dort immer wieder Dinge beschädigt oder verschmutzt wurden. Und solange ich selbst Gemeindepfarrer war, ist es auch immer wieder vorgekommen. Die Osterkerze wurde gestohlen, der Opferstock aufgebrochen, die Außenfassade mit Parolen besprüht. Ich hab mir gedacht: So ist das halt in einer Stadt. Da kann man nicht viel machen. Solang’s nicht schlimmer wird.

Aber in den letzten Jahren ist es schlimmer geworden. Die Deutsche Bischofskonferenz meldet, dass diese Delikte brutaler und respektloser werden. Es gäbe einen „zunehmend tabulosen Vandalismus“. Kot im Weihwasser, Abfall vor Andachtsbildern, ganze Altäre, die angezündet und zerstört werden. Sind das ganz gezielte Angriffe auf christliche Kirchen?

Hörer unserer Sendungen schreiben mir, ich solle dazu auch mal was sagen. Nicht nur über Toleranz und Versöhnung sprechen. Ich soll offen sagen, dass Christen verfolgt und Kirchen geschändet werden. Ich gebe zu, dass ich das nicht gerne tue, weil es schon genug schlechte Nachrichten gibt und ich das nicht noch durch Schreckensmeldungen aus dem kirchlichen Terrain verstärken will. Was ich dabei aber vor allem nicht mag: Dass die genannten Hörer oft schon die Schuldigen kennen: die Muslime, die Andersgläubigen, die Atheisten. Schnell hat man die Sündenböcke beieinander, die das Feindbild bedienen, das manche sich im Laufe der Zeit zusammengezimmert haben. Wer so denkt, macht es sich zu leicht.

Fest steht für mich nur das Folgende: Der Ton in unserer Gesellschaft ist rauer geworden. Wer anonym bleibt, traut sich Schlimmeres zu tun und zu sagen. Opfer werden am meisten die, die schwächer sind, die sich nicht wehren, denen ohnehin schon ein schlechter Ruf angedichtet wurde: Juden, Migranten, Schwule, die von der Kirche. Solche Täter sind schwach und feige.

Die Christusfigur in Kempten liegt am Boden. Zerschlagen, geschändet. Ja, das ist er, mein Herr Jesus, ein Opfer, das sich nicht wehrt, das der Gewalt mit Liebe begegnet. Nicht mit Hass oder Verachtung oder Gegengewalt. Daran denke ich auch, wenn ich solche Bilder sehe.

 

 

 

[1]https://www.schwaebische.de/panorama/kot-im-weihwasserbecken-enthauptete-heiligenfiguren-kirche-beklagt-brutalen-vandalismus-3862555

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

18SEP2025
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Was mache ich, wenn mein Gesprächspartner die Wahrheit leugnet? Wenn er nicht bereit ist, sich von Fakten überzeugen zu lassen? Wenn er die Welt ganz anders sieht als ich? Was mache ich mit dem Hörer, der mir schreibt, der Klimawandel sei eine Lüge und der Mensch habe daran keine Schuld? Was mit dem amerikanischen Gesundheitsminister Kennedy, der sagt, Impfungen seien schlecht; worauf in seinem Land die Masern wieder ausbrechen, zum ersten Mal seit zwanzig Jahren[1]?

Ich muss wohl oder übel hinnehmen, dass es Menschen gibt, die für rationale Argumente, allgemein anerkannte Tatsachen und die Erkenntnisse von wissenschaftlichen Autoritäten nicht empfänglich sind.  Ich will mir treu bleiben, versuchen auch mit denen in Frieden zusammenzuleben. Aber dazu suche ich immer noch die richtige innere Einstellung. Die Parabel vom Esel und vom Tiger hat mir dabei geholfen. Sie geht in verkürzter Form so:

Ein Esel geht zu einem Tiger und behauptet: „Das Gras ist blau.“ Der Tiger widerspricht ihm, sagt, es sei grün. Und so geht das eine Weile hin und her. Schließlich suchen sie den Löwen auf, der ihren Streit schlichten soll. Der gibt dem Esel eine salomonische Antwort: „Wenn du glaubst, dass es wahr ist, ist das Gras blau.“ Der Tiger ist irritiert, der Esel so glücklich, Recht zu kriegen, dass er für den Tiger eine Strafe fordert. Tatsächlich: Der Tiger wird mit drei Tagen Schweigen bestraft. „Das Gras ist blau, das Gras ist blau!“ Der Esel zieht von dannen, der Tiger bleibt verblüfft zurück. Bis der Löwe ihm die Lehre aus dem Ganzen verkündet: „Du hast doch gewusst und gesehen, dass das Gras grün ist.“ Aber darum geht es gar nicht. Der Löwe bringt den Tiger zum Schweigen, weil es erniedrigend für eine tapfere, intelligente Kreatur ist, Zeit damit zu verschwenden, mit einem Esel zu streiten. Und obendrein hat er den Löwen belästigt, nur um etwas bestätigt zu bekommen, von dem er bereits wusste, dass es wahr ist.

Die Moral von der Geschicht: Es hat keinen Wert, mit denen zu streiten, die für Vernunft und Wahrheit verschlossen sind. Das ist ernüchternd, fast bitter, aber wahr und klug. Wer nur daran interessiert ist, seine Überzeugungen zu rechtfertigen, den lasse ich am besten allein und gehe weiter. Gras ist grün. Wer’s nicht akzeptiert, ist ein Esel. Und ich brauche meine Kraft für anderes als für fruchtlose Debatten.

 

[1]https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/masern-usa-110.html

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

17SEP2025
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Ein Sprichwort aus Westfalen sagt: „Der liebe Gott tut nix wie fügen.“ Damit ist gemeint: Es gibt keine Zufälle im Leben. Gott fügt die Einzelteile zusammen, auch wenn diese für uns falsch oder widersprüchlich aussehen. Sogar wenn sie schlimm und in unseren Augen böse sind. Alles in allem lenkt Gott das Universum.

Nun finde ich das Sprichwort auf der einen Seite ganz richtig. Es passt zu den Erfahrungen, die ich hin und wieder mache. Wenn ich an einen Freund von früher schon lange nicht mehr gedacht hatte, und er sich anderntags bei mir meldet, als ob es da eine innere Leitung zwischen ihm und mir gäbe, die es aber natürlich nicht gibt. Wie soll ich mir das sonst erklären? Zumal es kein Einzelfall ist. Oder die Tatsache, dass eine Bekannte und ich gleichzeitig die gleiche Idee haben und sie uns mitteilen, obwohl sie in Hamburg lebt und ich in Tübingen. Man kann das Geistes- oder Seelenverwandtschaft nennen. Aber auch die muss ja irgendwo herkommen und dann gefügt werden, dass es sich eben so ereignet.

Die andere Seite des Sprichworts ist schwierig und unbequem. Wenn „der liebe Gott nix tut wie fügen“, wie verhält es sich dann mit dem Unglück, das Menschen geschieht? Fügt er dann auch die Kriege und Krankheiten, den Hunger und den Missbrauch. Daran will ich lieber gar nicht denken. Und vor allem ist mir bewusst, dass ich Gott nicht in den Kategorien von Ursache und Wirkung denken darf. Gott macht nicht den Krieg, Menschen machen ihn. Gott will nicht, dass eine Vierzehnjährige an einem Hirntumor stirbt. Das Böse bleibt Böse, das Schlimme schlimm. Und ich habe die Pflicht mich dagegen zu wehren, es zu verhindern, mich fürs Gegenteil einzusetzen. Aber trotzdem geschieht so viel Unglück unter Gottes Firmament. Wie passt das dann mit dem Fügen zusammen?

Ich habe im Laufe meines Lebens gelernt, vom Ende her zu denken. Als mein Vater mit 72 Jahren innerhalb kurzer Zeit an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb, hat mich das innerlich schier zerrissen. Da war die Wut auf meinen Vater und auf Gott. Und da war mein Glaube, dass Gott es gar nicht falsch machen kann. Ich habe gelernt, dass es so gut war – auch wenn ich den tieferen Sinn nur ahne, nicht rational erklären kann. Am Ende, ganz am Ende muss alles gut sein, richtig. Sonst ist Gott nicht der Gott, an den ich glaube.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16SEP2025
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An einer Stelle, wo ich regelmäßig parke, um mit meinem Hund zu laufen, wird eine Schranke gebaut. Ich wundere mich darüber, weil die Stelle eher abgelegen ist, und ich immer problemlos einen Platz gefunden habe. Außerdem gibt es dort auch an anderen Stellen genügend Parkmöglichkeiten. Was soll das also?

Weil mir das Ganze keine Ruhe lässt, frage ich einen Freund, der in den Gebäuden nebenan arbeitet. Und erfahre Folgendes. Er und die meisten anderen sind Mitarbeiter von Forschungseinrichtungen, Angestellte oder Beamte. Weil per Vorschrift keinem Mitarbeiter des Landes ein Parkplatz garantiert – also sozusagen kostenfrei zur Verfügung gestellt werden darf (!) – muss der Möglichkeit dazu nun ein Riegel vorgeschoben werden. Im wahrsten Sinne des Wortes: eine Schranke. Wo kämen wir denn da hin, wenn einer etwas hätte, was andere nicht haben, zumal wenn es ihm gar nicht zusteht!

Ich bin einigermaßen fassungslos. Und das nicht, weil ich künftig woanders parken muss. Nein, die bürokratische Logik, die dahintersteckt, erschreckt mich sehr, weil sie zutiefst unchristlich ist. Da arbeiten Leute am Stadtrand und haben Parkplätze, die sie nichts kosten, weil es mehr als genug Platz gibt. Wie schön und praktisch. An anderen Stellen gibt es viel weniger Parkraum und die Mitarbeiter dort müssen dafür zahlen. Weniger schön. Und nun versucht man durch das Vergleichen der beiden Situationen eine vermeintliche Gerechtigkeit herzustellen, indem man die, die es besser haben, schlechter stellt. Sie haben es künftig auch weniger schön und praktisch. Den anderen ist damit aber nicht geholfen.

So was kommt raus, wenn Bürokraten Vorschriften machen, die scheinbar gerecht sein sollen. In Wahrheit aber entstehen solche Prinzipien durch Missgunst und Neid. Ich weiß nicht, ob sich jemand beschwert hat, gar geklagt, und deshalb jetzt die Schranke aufgestellt wird. Ich weiß aber, dass es eine schlechte Charaktereigenschaft ist, anderen etwas zu missgönnen. Und ich weiß, dass Jesus ganz anders gedacht hat. Jeder soll haben, was er wirklich braucht. Eben nicht neidisch auf den anderen schielen, weil der es womöglich weniger verdient hat. Darüber entscheidet am Ende sowieso Gott. Niemand sonst.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15SEP2025
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Die Bibel ist ein wunderbares Buch. Weil viele Gedanken, die es dort gibt, mir guttun, mir Mut machen. Heute, am ersten Schultag nach den Sommerferien in Baden-Württemberg, geht es mir um einen Satz, der im Johannes-Evangelium steht: Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben, und es in Fülle haben[1]. Jesus sagt diesen Satz, nachdem er vorher übers Vertrauen gesprochen hat. Dass er wie ein guter Hirte ist, auf den die Schafe sich verlassen können. So wie Kinder sich auf ihre Eltern verlassen können müssen. Und Angestellte auf ihre Chefs, Bürger auf ihre Regierung. Und Schüler auf ihre Lehrer. Das zu betonen ist mir heute besonders wichtig, wenn im neuen Schuljahr Tausende von Kindern und Jugendlichen mit Frauen und Männern ihre Tage verbringen, denen sie vertrauen müssen. Denn nur wenn das gelingt, werden sie auch Vertrauen in die Welt gewinnen, in der sie zurechtkommen müssen, ob sie wollen oder nicht. Und je besser es gelingt, werden sich immer mehr Räume auftun, die sie mit anderen zusammen mit Leben füllen können. Damit möglichst viele ein Leben in Fülle haben.

Ich unterrichte jetzt seit sechsundzwanzig Jahren am gleichen Gymnasium Katholische Religion. Ich weiß inzwischen, wie wichtig es für Schüler ist, dass sie Vertrauen fassen. Das geht nicht von heute auf morgen. Dazu sind wir Menschen zu kompliziert und unsere Welt hält genügend Enttäuschungen bereit. Wenn junge Menschen schlecht behandelt werden, sitzt das ein Leben lang wie ein dunkles Loch tief in ihnen drin. Aber ich weiß auch, wie Gesichter aufblühen, wenn sie gut und gern leben. Dann erlebe ich Jungs, die mich herausfordern und ihre Grenzen austesten. Was mir viel lieber ist, als wenn sie allzu brav und unbewegt auf ihrem Platz sitzen. Dann fühlen mir Mädchen auf den Zahn, um herauszufinden, ob ich mich auch mit Dingen auskenne, die nicht unmittelbar mit dem Unterrichtsstoff zu tun haben. Mit KI und Verliebtsein, mit Ängsten und Familienleben. Überhaupt ist das eine wichtige Erkenntnis: In der Schule geht es um Inhalte und Wissen. Aber es geht mindestens genauso sehr darum, dass die Heranwachsenden sich entdecken, dass sie mit Stärken und Schwächen umzugehen lernen, und eine Ahnung davon bekommen, wie sie in ihrem Leben glücklich werden. So, mit dem Wort „Glück“, übersetze ich das Jesus-Wort vom Leben in Fülle. Und wenn ich als Reli-Lehrer dazu einen Beitrag leisten kann, auch mit den klugen Gedanken, die Jesus dazu gesagt hat, dann bin ich selbst glücklich. Und ich wünsche allen Schülern, dass sie im neuen Schuljahr oft solche Erfahrungen machen.

 

 

[1] Johannes 10,10

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SWR1 3vor8

14SEP2025
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Der folgende Satz steht heute im Mittelpunkt des katholischen Gottesdienstes: Jesus sprach zu Nikodemus: Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat[1].

Was wohl Abt Nikodemus Schnabel denkt, wenn er heute im Gottesdienst diesen Bibelvers hört oder selbst vorträgt? Abt Nikodemus leitet das Benediktinerkloster auf dem Zionsberg in Jerusalem. Dort kennt man diesen Satz aus dem Johannesevangelium gut, in dem von Liebe und ewigem Leben die Rede ist. Es ist für Juden und Christen ein heiliger Ort. Und Abt Nikodemus kennt die Bibelstelle bestimmt erst recht, weil er seinen Ordensnamen jenem biblischen Nikodemus verdankt. Der hat sich als jüdische Autorität seiner Zeit mit Jesus angefreundet und nun führen beide ein Gespräch miteinander: über den Glauben und das Leben, über Gott und die Welt. Das würde Abt Nikodemus heute, 2000 Jahre später, bestimmt auch gerne tun. Weshalb findet der Hass gerade hier in Jerusalem kein Ende? Wie kann ich da von Gott sprechen, der die Welt liebt?

Gott scheint in diesen Tagen im Heiligen Land, in Palästina fern zu sein. Die Wahrheit des schönen Bibelverses muss jedem bitter schmecken, der sie heute ausspricht. Von Rettung und ewigem Leben keine Spur. Stattdessen wird die Kriegspolitik der israelischen Regierung immer unbarmherziger. Auch zivile Ziele werden angegriffen. Die Not der Menschen im Gaza-Streifen schreit zum Himmel. Ich weiß natürlich, dass die Hamas Israel angegriffen hat. Ich weiß, dass Israel von Feinden umgeben ist. Das kleine Land der Juden hat jedes Recht, dass es sich wehrt und verteidigt.  Aber mit dieser Brutalität, die so viele unschuldige Menschenleben fordert?!

Abt Nikodemus sieht das jeden Tag und kann dazu nicht schweigen. Im Blick auf die lange Zeit, die der Krieg nun bereits dauert, spricht er von „700 Tage Hölle von Gaza“ und ergänzt: „700 Tage geht der Blick immer wieder auf das Kreuz[2]“. Daran wird er auf dem Zion heute am Fest „Kreuzerhöhung“ besonders denken. Ein Fest, das ganz in der Nähe in Jerusalem seinen Ursprung hat, weil dort im Jahr 335 die erste Kirche über dem Grab Christi eingeweiht wurde. Gott hat seinen Sohn aus Liebe hingegeben, schreibt der Evangelist Johannes. Um die Wahrheit dieses Satzes muss Abt Nikodemus wohl ringen. Ich auch. Wie alle, die die Hoffnung nicht aufgeben, dass Gott das letzte Wort behält.

 

[1] Johannes 3,16

[2]https://de.catholicnewsagency.com/news/21163/jerusalem-abt-nikodemus-schnabel-nimmt-700-tage-holle-von-gaza-in-den-blick

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SWR1 3vor8

31AUG2025
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„Tu Gutes – und sprich darüber!“ So lautet eine Redewendung, die auch in kirchlichen Kreisen gern verwendet wird. Was ja so viel bedeutet wie: „Geh hausieren mit dem, was du kannst. Prahle ruhig ein bisschen, wenn Dir etwas gelungen ist, damit es die anderen auch mitkriegen. Du brauchst dich nicht zu verstecken.“ Ich verstehe schon, warum das so ist. Es gibt zu viel Schlimmes und Falsches auf unserer Welt. Die schlechten Nachrichten finden von allein ihren Weg in die Öffentlichkeit. Da ist es um so wichtiger, dass auch das Gute hinausposaunt wird.

Aber dann wundere ich mich auch, dass diese Einstellung so selbstverständlich dort ihren Platz hat, wo die Maßstäbe Jesu gelten sollen. Der sagt nämlich geradewegs das Gegenteil. Wenn du Almosen gibst, posaune es nicht vor dir her, wie es die Heuchler (…) tun, um von den Leuten gelobt zu werden! (…)  Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut[1]. So steht es in der Bergpredigt. Der Evangelist Matthäus hat dort das Wesentliche zusammengefasst, worauf es Jesus ankommt. Ich verstehe es als eine Anweisung, demütig zu sein. Wer zu stolz darauf ist, was er selbst erreicht oder geleistet hat, dem steigt das gern zu Kopf. Dann wird er nicht selten für die anderen ungenießbar. Weil er sich für etwas Besseres hält, weil er sich etwas einbildet auf seine Leistung, weil er beginnt, sich zu überschätzen und auf andere herabschaut. In der alten Liste der Todsünden steht der dazu gehörende Charakterfehler an erster Stelle: Hochmut, Eitelkeit, Stolz.

Insofern ist es schon bemerkenswert, dass gerade unter Christen das Sprichwort so auf den Kopf gestellt wird. Es hieß ja bei Jesus so: „Tu Gutes – und sprich nicht darüber!“ Wer heute den katholischen Gottesdienst mitfeiert, hört weitere Bibeltexte, die sich genau damit beschäftigen: mit der Demut. Dass es nicht klug ist, sich selbst auf ein Podest zu stellen. Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden[2], sagt Jesus. Und bei Jesus Sirach im Alten Testament klingt das Ganze noch drastischer: Je größer du bist, umso mehr demütige dich, und du wirst vor dem Herrn Gnade finden![3] Hier bekommen wir dann auch die Begründung mitgeliefert. Wer sich darin sonnt, ein guter Mensch zu sein, verliert die Bodenhaftung. Und wer zu sehr nach oben strebt, verliert den Respekt vor Gott. Und das führt fast immer in den Untergang.

 

[1] Matthäus 6,2f.

[2] Lukas 14,11

[3] Jesus Sirach 3,18

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SWR Kultur Wort zum Tag

27AUG2025
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Ein Sohn und seine Mutter. Das ist an und für sich schon eine aufregende Konstellation. Sagt einer, der selbst seit sechzig Jahren Sohn ist. Ich weiß bis heute, wie anspruchsvoll es oft ist, Sohn zu sein. Mit einer bald fünfundachtzigjährigen Mutter, die mich immer noch behandelt wie ein kleines Kind; die mich mit ihren Ansichten zum Wahnsinn treibt; über die ich mich wegen Kleinigkeiten ärgere. Und ich spüre, dass es umgekehrt meiner Mutter mit mir nicht anders geht. Dass sie sich von mir nicht genügend wahrgenommen fühlt und wie es sie beleidigt, wenn ich empfindlich reagiere. Manchmal vergleicht sie mich mit ihrem verstorbenen Ehemann und sagt: „Ganz der Vater!“ Es ist nicht ständig so. Aber eben immer wieder, und es wird auch nicht wirklich besser im Laufe der Jahre. Der Sohn bleibt immer der Sohn, die Mutter eben immer die Mutter.

Wenn die Mutter aber ihren Sohn anspuckt, wiederholt, zehn Minuten lang. Dann wird es interessant. Gar ernst. Tatsächlich gibt es das: zu sehen im Kunstmuseum Stuttgart in einer Videoinstallation des Künstlers Ragnar Kjartansson aus Island. Er selbst steht dort neben seiner Mutter, die ihn immer und immer wieder ansieht. Verächtlich, wütend, hasserfüllt. Zwischendurch sieht sie nur auf den Boden und beide stehen regungslos nebeneinander. Aber dann nimmt die Mutter erneut Anlauf und bespuckt den längst erwachsenen Mann, den sie zur Welt gebracht hat.

Es gibt Gründe, warum Sohn und Mutter sich übereinander ärgern und dem Luft machen wollen. Manchmal fehlen die Worte, weil man sich schon längst den Mund fusselig geredet hat und trotzdem stets in die alten Muster zurückfällt. Und wer weiß, ob man in Gedanken auch so weit war, dem anderen seine Verachtung und Abscheu endlich einmal zu zeigen.

Ich weiß schon: Es ist auch für mich unangenehm, wenn ich mir vorstelle, dass meine Mutter es tatsächlich tun würde: mich anspucken. Aber dann denke ich mir: Es könnte auch ein Akt der Seelenhygiene sein, den ganzen angesammelten Ärger endlich einmal loszuwerden. Ohne sich zu erklären. Fest vereinbart. Einfach raus mit allem, und dann ist es wieder gut, fürs erste. Ich könnte mir durchaus vorstellen, das auszuhalten. So dazustehen wie Kjartansson. Einigermaßen geduldig, weil ich begreife, was da geschieht und meiner Mutter zugestehe, sich zu befreien.

Der isländische Künstler hat diese Szene nun zum wiederholten Mal aufgenommen, immer im Abstand von fünf Jahren. Im Vergleich sieht man, wie er und seine Mutter altern. Sonst bleibt alles gleich. Das ist einerseits betrüblich, andererseits aber entspannt es mich. Meine Mutter und ich kommen immer wieder zusammen, solange wir leben. Wir tun, was wir können. Das tröstet mich.

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SWR Kultur Wort zum Tag

26AUG2025
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Das Universitätsklinikum in meiner Heimatstadt Tübingen hat eine Kampagne gestartet. Das Motto lautet: „Toleranz – Respekt – Miteinander. 120 Nationen in starken Teams“. Wo sonst auf dem Klinik-Gelände Werbetafeln hängen, die mit Krebs zu tun haben oder für einen Fachkongress geworben wird, geht es jetzt um etwas sehr, sehr Grundsätzliches*. Ums Zusammenleben, ums gute Miteinander von Menschen, die in einem Krankenhaus plötzlich und ungeplant aufeinandertreffen. Die Botschaft der Tübinger Kampagne ist klar: Das geht! Es funktioniert wunderbar, wenn möglichst alle mitmachen. Die am OP-Tisch stehen und die Pflegekräfte auf den Stationen. Die Frauen und Männer in der Verwaltung, die sich ums Organisatorische kümmern. Die Leute vom Sozialdienst, die helfen, nach einer Krankheit in den Alltag zurückzukehren. Studierende, die lernen, was sie später im Beruf brauchen. Die im Service, die putzen und das Essen bringen. In Tübingen kommen dabei Menschen aus 120 Ländern unserer Erde zusammen, Eritreer und Syrer, Frauen aus Korea und Männer aus Kasachstan, solche, die schon lange hier sind und andere, die erst vor kurzem aus ihrer Heimat flüchten mussten. Wenn schon die Deutschen sehr verschieden sind, was ihre Einstellungen und ihre Kultur angeht, hier kommt buchstäblich die halbe Welt unter einem Dach zusammen. Von den Patienten ganz zu schweigen. Die kommen von einem Dorf auf der Schwäbischen Alb oder aus Stuttgart, aber auch aus Saudi-Arabien oder Russland, um hier medizinisch optimal versorgt zu werden. Kurzum: Das würden Deutsche allein gar nicht schaffen. Weil wir nicht genügend Fachkräfte haben, weil in manchen Berufen fast kein Deutscher mehr arbeiten will, weil die Spezialisten eben auch aus dem Ausland kommen. Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass andere uns unterstützen.

An und für sich ist das Ganze nichts Besonderes. Menschen leben und arbeiten zusammen. Die einen kümmern sich, den anderen wird geholfen. Herkunft und Geschlecht spielen keine Rolle. So könnte es überall sein, so sollte es sein. Ist es aber leider zunehmend nicht. Deshalb ist es richtig herauszustellen, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen Gegenden unserer Welt an einem Strang ziehen können, ja, dass es in einer globalisierten Welt gar nicht anders geht. Die 11.000 Mitarbeitenden am Uniklinikum Tübingen machen es vor. Sie wissen, dass es überall gelingen kann, wenn man auf Zweierlei achtet: Respekt und Toleranz.

 

*Mittlerweile wurde das Banner ersetzt durch die Kampagne für das neue Magazin des Universitätsklinikums Tübingen: "PULS online".

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SWR Kultur Wort zum Tag

25AUG2025
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Elisa und Lukas rechen gemeinsam Heu zusammen. Lukas hat die große Wiese vor dem Hof, wo ich Urlaub mache, vor zwei Tagen gemäht. Zum zweiten Mal in diesem Jahr. „Groamet“ heißt diese zweite Mahd in Südtirol, wie ich lerne. Die bleibt dann ein, zwei Tage liegen, damit die Insekten sich einen neuen Ort suchen können. Dann geht’s ans Rechen. Am Rand der Wiese muss das von Hand gemacht werden, weil die Maschinen da nicht gut hinkommen. Und so stehen eines Morgens die beiden jungen Leute auf der Wiese, und ich kann zuschauen, wie sie arbeiten. Sehr konzentriert und schnell. Zu sprechen gibt es kaum etwas. Die beiden wissen, wie’s geht und sind aufeinander eingespielt. Im Handumdrehen sind sie fertig. Aber ich bewahre das Bild von den beiden in mir auf, weil es so schön ist. Elisa und Lukas sind so um die zwanzig und ein Paar. Lukas kümmert sich um die Landwirtschaft. Elisa arbeitet in einem Hotel – und ist da, wenn Lukas sie braucht. Dass diese zwei jungen Leute so selbstverständlich zusammenarbeiten, als gäbe es nichts anderes, dass sie einer körperlich so anstrengenden Arbeit nicht aus dem Weg gehen, ja, dass es ihnen sogar sichtbar Freude macht – das hat mich tief berührt. Weil ich das sonst selten erlebe, und weil ich darin etwas sehr Kostbares sehe.

Es ist gut und wichtig, wenn Menschen sich zusammentun und an einem Strang ziehen. Und wenn sie es tun, weil sie ein Paar sind und miteinander durchs Leben gehen wollen, ist das ein unübersehbares Zeichen für andere. Schaut her, das geht zusammen besser als allein. Und überhaupt lohnt es sich, weil dann eins und eins nicht nur zwei ergibt, sondern oft viel mehr.

Als ich Elisa und Lukas darauf anspreche, wissen sie damit nicht wirklich etwas anzufangen. Für sie ist es offenbar tatsächlich selbstverständlich, dass es so ist. Alles andere wäre für sie seltsam, fremd. Und da spüre ich, wie weit das weg ist von dem, was ich sonst oft erlebe; wie schwer es mir manchmal selbst fällt, mich auf andere einzulassen. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr halte ich das Bild fest, dass die beiden auf der großen Südtiroler Wiese mit ihren Rechen in der Hand abgegeben haben. Es ist so etwas wie meine kleine Vision vom menschlichen Miteinander. Ich bewahre das Bild in mir, damit ich es dann herausziehen kann, wenn ich spüre, wie sehr unsere Welt das braucht.

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