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SWR Kultur Wort zum Tag

19MRZ2025
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Seufzen gehört bei uns zum Programm. Jeden Donnerstagabend treffen wir uns. Es beginnt mit einfachen Übungen, Arme und Beine abklopfen, sich strecken und dehnen in alle Richtungen, den Körper bis in die Finger- und Zehenspitzen mit Luft versorgen, die Stimme lockern. Und irgendwann ist es dann so weit. „Lasst es raus“, sagt unser Chorleiter. Und dann seufzen wir. In den höchsten Tönen. Laut und hemmungslos. Es fühlt sich großartig an. Und für mich ist es jedes Mal viel mehr als eine Übung vor dem Singen. Denn mit jedem Seufzer kann ich wirklich etwas abgeben von dem, was mich belastet, loswerden, was sich im Lauf einer Woche an Verzagtheit und Frust angesammelt hat. Ich lasse es raus in diesem Augenblick und mir wird dabei ganz leicht ums Herz. Erlöst, vergnügt, befreit. Ich brauche diese wöchentliche Übung, denn in meinem Alltag haben Seufzer keinen Platz. Da soll ich mich ja beherrschen. Die Sprache verrät es. Sie sagt: „Mir ist ein Seufzer entfahren“, als ob das etwas Unanständiges wäre und bitte schön unbedingt zu vermeiden! Öffentliches Seufzen ist peinlich. Schon Paulus hat das beobachtet. Im Römerbrief schreibt er: Wir seufzen und stöhnen in unserm Innern. Leise, für uns. Alles fressen wir in uns hinein. Die vielen unterdrückten Seufzer brocken sich dann zusammen und bilden dicke Klumpen im Hals und im Magen. Was immer nur unterdrückt wird, drückt. Deshalb rät Paulus: „Erstickt nicht an Eurem Schmerz. Lasst den Druck raus.“ Genau das tue ich mit meinen lauten Seufzern im Chor. Wer nicht in einem Chor singt und im Seufzen noch ungeübt ist, kann sich anders helfen. Ich empfehle dafür das Evangelische Gesangbuch. Es bietet wunderbare kleine Übungen. Seufzen für Anfänger. Sie müssen nur einmal das Inhaltsverzeichnis aufschlagen beim Buchstaben A. Gleich neun Lieder zur Auswahl. Alle beginnen mit einem Seufzer: „Ach!“ Zum Beispiel: „Ach bleib mit deiner Treue bei uns, mein Herr und Gott. Beständigkeit verleihe, hilf uns aus aller Not.“ Irgendwann geht es dann auch ohne Buch. Denn Seufzen braucht keine Sprache, keine ausformulierten Sätze. Nur einen tiefen Atemzug. Und den Mut, für einen Moment etwas lauter zu werden. Sich öffnen für einen Ton voller Gefühl, ganz tief von innen heraus. Morgen ist wieder Donnerstag: Chor-Tag. Da seufzen wir uns wieder die dicken Klumpen von der Seele. Bis uns ganz leicht wird ums Herz.

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SWR Kultur Wort zum Tag

18MRZ2025
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Fünfzig Jahre lang hat der Stein auf dem Fensterbrett im Wohnzimmer gelegen. Zwischen Zimmerpflanzen und je nach Jahreszeit wechselnden Deko-Teilchen. Jetzt hat ihn mein Mann auf den Stapel gelegt mit den Dingen, die wir mitnehmen möchten. Wir sind dabei, das Haus meiner Schwiegermutter auszuräumen. Sie ist Anfang des Jahres gestorben, und nun hat sich überraschend schnell ein Käufer gefunden. Er hat gute Ideen für einen Umbau. Und es freut uns, dass sich das Haus bald wieder mit Leben füllen wird. Nun also dieser Stein. Ich schaue meinen Mann verständnislos an. Was will er bloß mit dem hässlichen Brocken? „Den hab´ ich mal drüben im Steinbruch gefunden“, sagt er. „Da war ich vielleicht zwölf.“ Sofort sehe ich den Stein mit anderen Augen an. Ist er nicht schön? Tatsächlich etwas ganz Besonderes. So ist das mit den Dingen, die wir im Lauf eines Lebens ansammeln. Manche haben objektiv einen materiellen Wert. Andere sind in diesem Sinn längst wertlos geworden, abgeschrieben. In vielen steckt jedoch eine Geschichte, die sie wertvoll macht für den, der sie kennt. Etliche solcher Geschichten haben wir uns erzählt in den letzten Tagen.  Aber die Frage, was wir mitnehmen, bleibt. Was wir behalten, verschenken, wovon wir uns trennen. Soll der Stein noch einmal ein paar Jahrzehnte auf einer Fensterbank verbringen? Solange, bis niemand mehr seine Geschichte kennt? Jesus empfiehlt, sich auf anderes zu konzentrieren. Er sagt: „Häuft keine Schätze auf der Erde an. Hier werden Motten und Rost sie zerfressen und Diebe einbrechen und sie stehlen. Häuft euch vielmehr Schätze im Himmel an. Dort werden weder Motten noch Rost sie zerfressen und keine Diebe einbrechen und sie stehlen.“ Es hört sich so klar und einfach an, was Jesus sagt. Aber kann ein irdischer Stein nicht auch ein himmlischer Schatz sein? Etwa, wenn seine Geschichte auf Gott und den Himmel hinweist?  Ich denke an meine Fensterbretter zuhause. Die sind ebenfalls mit bedeutungsschweren Gegenständen bepackt. Wenn ich mir vorstelle, was da auf meine Erben einmal zukommt, bekomme ich gleich ein ganz schlechtes Gewissen. Aber ich hoffe auch, dass das eine oder andere Stück die Geschichte von meiner Himmelssuche weitererzählt. Wenn ich selbst es nicht mehr kann. Mein Mann hat den Stein übrigens in den Garten gesetzt. Erde zu Erde, Stein zu Stein. Aber wer weiß: Vielleicht hebt ihn jemand auf, findet ihn schön und beginnt mit ihm eine neue Geschichte.

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SWR Kultur Wort zum Tag

17MRZ2025
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Poetisch nennt sie sich die „Stadt der Tore, Türme und Giebel“. Und ja, sie ist wirklich ein schmuckes Städtchen mit einer alten Stadtmauer, farbigen Häuserfassaden am Marktplatz und einem Bach, der durch ihre mittelalterlichen Gassen plätschert. Die Stadt Memmingen gibt sich aber auch oberschwäbisch bescheiden, denn sie dürfte sich genauso brüsten, der Ort der ältesten Erklärung der Menschenrechte zu sein. Im Saal der ehemaligen Krämerzunft, den man noch besichtigen kann, haben sich nämlich im März 1525, also vor 500 Jahren, ein paar Dutzend Bauern aus dem ganzen Südwesten getroffen und ihre Forderungen zu Papier gebracht. In zwölf bemerkenswerten Artikeln. Ich staune beim Lesen. Klug und besonnen argumentieren sie. Und sehr selbstbewusst. Lange vor der französischen Revolution, lange vor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ist hier zum ersten Mal ein allgemeiner Ruf nach Freiheit formuliert. Gleichheit und Brüderlichkeit stehen noch nicht auf dem Zettel. Denn die Verfasser erkennen die für sie gottgegebene Ordnung der Welt an. Die Verhältnisse auf den Kopf stellen wollen sie nicht. Aber innerhalb dieser bestehenden Ordnung fordern sie gerechte Verhältnisse: Teilhabe an natürlichen Ressourcen wie Wasser, Weideflächen und Wald. Sie verlangen eine angemessene Besteuerung und wenden sich gegen jede Form von Willkür in der Rechtsprechung. Die Leibeigenschaft soll abgeschafft werden, denn, so steht es im dritten Artikel: „Christus hat uns alle erkauft mit seinem kostbaren Blut, den Hirten genauso wie den Höchsten, keinen ausgenommen.“ Die zwölf Memminger Artikel nehmen den Reformator Martin Luther beim Wort. Er hat gerade den Bestseller „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ geschrieben. Wie Luther zitieren die Bauern selbstbewusst aus der Bibel: „Damit ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind, und das wollen wir sein. Aber nicht, dass wir ganz und gar frei sein und keine Obrigkeit haben wollten. Das lehrt uns Gott nicht.“ Ich finde: Eine grandiose Grundlage für Verhandlungen mit der gegnerischen Seite. Und tatsächlich verhandelt ein Schwäbischer Bund aus Fürsten, Klöstern und Städten mit den Bauern darüber. Aber als manche Bauerngruppen im Freiheitsrausch Burgen und Klöster zerstören und brandschatzen, formieren die Fürsten schnell ihre Heere. Sie beenden den Bauernkrieg mit Gewalt.  Der Aufstand von Bauern, Bergarbeitern und Handwerkern wird niedergeschlagen. Aber ihre Ideen wirken fort.     

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

04MRZ2025
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Ein strahlend blauer Himmel gestern am Rosenmontag im ganzen SWR-Land. Wie ein Geschenk von oben für die närrischen Tage. Alles riecht nach Frühling, also nix wie raus, den Kopf lüften, vielleicht ein bisschen übermütig werden oder sogar ordentlich über die Stränge schlagen. Ob mit oder ohne Narrenkappe: Winter ade, und weg mit allem, was noch schwer und dunkel auf der Seele lastet. Die Welt mit ihren Krisen aussperren. Denen da oben die kalte Schulter zeigen. Wenigstens heut noch und morgen.

Und dann rast wieder ein Auto in eine Menschenmenge, diesmal in Mannheim direkt am Paradeplatz, erfasst Passanten, verletzt, tötet, lässt andere zu Tode erschreckt und fassungslos zurück. Der Alptraum beginnt von Neuem für Menschen, die gerade noch fröhlich waren, ihr Gesicht in die März-Sonne hielten, sich Zuckerwatte kaufen wollten an einer der Buden. Von vorne beginnen auch die Fragen nach Sicherheit, die Forderungen nach politischer Aufklärung. Von vorn beginnt die Suche nach Motiven, nach Hintergründen, nach Erklärungen. Was tun?

Die Kirchen in der Stadt haben ihre Türen geöffnet, kommt einfach rein, die ihr mühselig und beladen seid. Findet Ruhe vor dem Grauen, Raum für eure Fragen, Zuflucht in der Not. An den Liedtafeln stecken noch die Nummern der Lieder von den Gottesdiensten am vergangenen Sonntag. Es war der letzte vor der Passionszeit, und die beginnt in diesem Jahr jetzt zwei Tage früher als sonst, ohne Aufschub durch Jux und Dollerei. Plötzlich gilt es von einer Minute zur andern: Gott, stärke uns im Angesicht des Leidens, das unschuldige Menschen getroffen hat, lass uns stark sein im Mitleiden, geduldig im Zorn, besonnen und klar in unserer Mitmenschlichkeit. Was soll man bloß denken, sagen, beten? Der 31. Psalm, der seit Jahrhunderten in die Passionszeit führt, bahnt eine Spur, der ich folgen kann. Er bittet:

Sei mir ein starker Fels, Gott. Gib Halt, wo der Boden unter den Füßen wankt. Zu dir hin flüchte ich. Mein Herz klopft bis zum Hals. Ausgetrocknet sind meine Augen. Ich komme mir vor, wie ein verlorener Weg. Lass aufleuchten über mir, was jetzt Orientierung gibt.  An dich lehne ich mich an, Gott, wie an einen Felsen in der Brandung.

So bete ich. Und so hoffe ich für mich und für alle, die jetzt nach Worten und Wegen und Hilfe suchen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04MRZ2025
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Ein strahlend blauer Himmel gestern am Rosenmontag im ganzen SWR-Land. Wie ein Geschenk von oben für die närrischen Tage. Alles riecht nach Frühling, also nix wie raus, den Kopf lüften, vielleicht ein bisschen übermütig werden oder sogar ordentlich über die Stränge schlagen. Ob mit oder ohne Narrenkappe: Winter ade, und weg mit allem, was noch schwer und dunkel auf der Seele lastet. Die Welt mit ihren Krisen aussperren. Denen da oben die kalte Schulter zeigen. Wenigstens heut noch und morgen.

Und dann rast wieder ein Auto in eine Menschenmenge, diesmal in Mannheim direkt am Paradeplatz, erfasst Passanten, verletzt, tötet, lässt andere zu Tode erschreckt und fassungslos zurück. Der Alptraum beginnt von Neuem für Menschen, die gerade noch fröhlich waren, ihr Gesicht in die März-Sonne hielten, sich Zuckerwatte kaufen wollten an einer der Buden. Von vorne beginnen auch die Fragen nach Sicherheit, die Forderungen nach politischer Aufklärung. Von vorn beginnt die Suche nach Motiven, nach Hintergründen, nach Erklärungen. Was tun?

Die Kirchen in der Stadt haben ihre Türen geöffnet, kommt einfach rein, die ihr mühselig und beladen seid. Findet Ruhe vor dem Grauen, Raum für eure Fragen, Zuflucht in der Not. An den Liedtafeln stecken noch die Nummern der Lieder von den Gottesdiensten am vergangenen Sonntag. Es war der letzte vor der Passionszeit, und die beginnt in diesem Jahr jetzt zwei Tage früher als sonst, ohne Aufschub durch Jux und Dollerei. Plötzlich gilt es von einer Minute zur andern: Gott, stärke uns im Angesicht des Leidens, das unschuldige Menschen getroffen hat, lass uns stark sein im Mitleiden, geduldig im Zorn, besonnen und klar in unserer Mitmenschlichkeit. Was soll man bloß denken, sagen, beten? Der 31. Psalm, der seit Jahrhunderten in die Passionszeit führt, bahnt eine Spur, der ich folgen kann. Er bittet:

Sei mir ein starker Fels, Gott. Gib Halt, wo der Boden unter den Füßen wankt. Zu dir hin flüchte ich. Mein Herz klopft bis zum Hals. Ausgetrocknet sind meine Augen. Ich komme mir vor, wie ein verlorener Weg. Lass aufleuchten über mir, was jetzt Orientierung gibt.  An dich lehne ich mich an, Gott, wie an einen Felsen in der Brandung.

So bete ich. Und so hoffe ich für mich und für alle, die jetzt nach Worten und Wegen und Hilfe suchen.

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SWR1 Begegnungen

23FEB2025
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Christiane Quincke Foto: Evang. Kirche Pforzheim

Christiane Quincke, gebürtige Hamburgerin, leitet den evangelischen Kirchenbezirk Pforzheim. Als spröde Schönheit bezeichnet sie die Stadt, in der sie seit gut zehn Jahren lebt. Heute findet dort wie an jedem 23. Februar ein Gedenktag statt: Vor 80 Jahren wurde die Stadt durch einen britischen Bombenangriff in Trümmer gelegt, ein Drittel der Bevölkerung kam ums Leben, mindestens 17.600 Menschen. 

Für die Bevölkerung war das wie vom Himmel gefallen. Und dieses Gefühl, da ist was vom Himmel gefallen, diese Form der Traumatisierung, die wirkt aus meiner Sicht bis heute nach.

Der Schock von damals sitzt tief bei den Zeitzeugen und er prägt auch das Leben der Nachfahren. Denn Traumata wirken generationsübergreifend fort – das weiß man heute. Neben der Trauer um die Toten und Vermissten möchte Christiane Quincke auch die Jahre vor 1945 in die Gedenkkultur mit einbeziehen. Denn nicht erst die Zerstörung der Stadt, auch die menschenverachtende Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten haben ja dort Biografien geprägt. Christiane Quincke hat es öffentlich ausgesprochen: „Pforzheim war keine unschuldige Stadt“ und hat damit für Aufsehen gesorgt.

Ich habe auch gesagt, das rechtfertigt keine Bombardierung, das ist für mich ganz klar. Aber trotzdem: Dieser Satz, der hat viele hier getroffen, weil sie sich damit selber auf einmal in die schuldige Ecke gedrängt fühlten.

Ob es gelingen kann, der vielen Opfer und der sinnlosen Zerstörung durch diesen Bombenangriff zu gedenken und gleichzeitig die Geschichte einer Stadt zu erzählen, in der Menschen französische Widerstandskämpfer ermordet haben, die jüdische Bevölkerung deportiert und das NS-Regime unterstützt? Christiane Quincke meint: ja.

Wir versuchen seit elf Jahren eigentlich intensiv, diesen 23. Februar zu einem Tag zu machen, wo auch die Menschen mit einbezogen sind, die diesen 23. Februar nicht nur nicht erlebt haben – das hat ja fast niemand mehr, sondern die jetzt auch keinen unmittelbaren Bezug dazu haben, weil sie keine Angehörigen hier haben oder gar nicht von hier kommen.

Und das sind inzwischen viele. In Pforzheim lebt ein überdurchschnittlich großer Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen mit ähnlichen Verlustgeschichten und brutalen Abbruchserfahrungen. Eine Chance, meint Christiane Quincke:

Ich habe mal mit einem gesprochen, der sagt auch, ja, mich haben die Bilder, als ich die gesehen habe, total an Aleppo erinnert und dann hat er gesagt, Mensch, wenn ihr das geschafft habt, dann schaffen wir das auch irgendwann.

Wenn man das aus meiner Sicht positiv würdigen würde, im Sinne von wir tragen hier solche Geschichten mit uns, wir teilen sie miteinander, und wir sorgen gemeinsam dafür, dass so etwas nicht wieder passiert. Das ist eine Botschaft, die von uns aus Pforzheim ausgeht, nun quasi Friedensstadt vielleicht.

Heute vor 80 Jahren ist die Stadt Pforzheim durch einen britischen Bombenangriff komplett zerstört worden. Den jährlichen Gedenktag gestalten auch die Kirchen mit. Die evangelische Dekanin Christiane Quincke erinnert sich an die ersten gemeinsamen Überlegungen:

Dann habe ich eingebracht, ich glaube, es wäre gut, wenn wir an diesem Abend einen interreligiösen Segen machen würden für die Stadt. Wir haben eine Botschaft und wir wollen diese Stadt auch segnen, und das tun wir mit den vielen Religionen, die wir hier haben.

Stehen und schweigen, die Glocken der Stadt hören, die genau so lange läuten, wie der Angriff am 23. Februar 1945 gedauert hat. 20 Minuten: Gerade mal so lange wie der Bus durch Pforzheim von der Hochschule zum Hauptbahnhof fährt. Und doch Zeit genug, um das Leben von Zigtausend Menschen auszulöschen und ihre Stadt gleich mit.

Dann war die Idee, da ein Lichtermeer entstehen zu lassen, also Kerzen zu verteilen und auch hier so eine Art Friedenswege zum Zentrum zu führen, damit die Menschen auch dahin kommen. Es ist gut, den Menschen zu sagen: Wir wissen, 20 Minuten nachher, das ist lang, aber schaut auf die Kerze, denkt an eure Lieben, und dann wird das, und einfach die Menschen da mithineinzunehmen.

Weil der Gedenktag in diesem Jahr auf einen Sonntag fällt, findet am Vormittag auch ein ökumenischer Gottesdienst statt. „Das Herz lösen“ heißt sein Programm in Anlehnung an einen Choralvers von Paul Gerhardt. Denn es geht auch ums Loslassen. Den Schmerz ziehen lassen, damit Hoffnung und Zuversicht wieder einen Platz im Herzen finden. Und in der Stadtgesellschaft.

Für Pforzheim geht es schon auch immer nicht nur um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft. Und darum, wie wir unser Zusammenleben gestalten. Also wie gestalten wir hier unsere Zukunft? Wie gestalten wir die Gegenwart? Wie leben wir zusammen? Und was bedeutet auch Demokratie in diesem Fall? Und was ist das, was wir ja dann vielleicht auch bewahren und schützen müssen?

Denn es gibt es auch andere Kräfte, die das Gedenken an den 23. Februar ausschlachten zur Verfolgung nicht demokratischer Ziele. Zum Beispiel der Aufmarsch rechtsextremer Gruppen auf dem Wartberg:

Da treffen sich Menschen, die wollen eine andere Gesellschaft. Die wollen nicht, dass wir hier sind. Die wollen unser Zusammenleben kaputtmachen. Und dass wir sagen: nein, und wir gestalten unser Zusammenleben und wir sind stolz darauf, dass wir das können und dass wir es tun. Und wir haben hier auch die Verantwortung, was dafür zu tun. Und dafür bitten wir dann Gott um seinen Segen.     

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SWR Kultur Lied zum Sonntag

16FEB2025
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Ein Mann zwischen zwei Frauen. Eine alte Geschichte. Sie sind Schwestern, und beide sind ihm sympathisch, jede auf ihre Art. Die eine punktet im Haushalt und zaubert kulinarische Köstlichkeiten, wenn er kommt, die andere – das genaue Gegenteil. Sie lässt alles stehen und liegen und hängt einfach nur an seinen Lippen, wenn er redet. Bei einem seiner Besuche kommt es schließlich zum Eklat: Die Häusliche steckt ihren Kopf aus der Küche und ruft dem Mann zu: „Sag meiner Schwester doch mal, dass sie mit anpacken soll. Mich unterstützen. Zuhören können wir dann immer noch!“ Aber sie hat sich verschätzt. Der Mann findet: „Du legst dich hier zwar mächtig ins Zeug, aber deine Schwester hat es besser gemacht. Eins nur ist not.“ Der Choral nimmt dieses Wort auf und spinnt den Gedanken fort:   

„Eins ist not!“ Ach Herr, dies Eine, lehre mich erkennen doch;
Alles andre, wie’s auch scheine, ist ja nur ein schweres Joch,
darunter das Herze sich naget und plaget und dennoch kein wahres Vergnügen erjaget.
Erlang ich dies Eine, das alles ersetzt, so werd‘ ich mit Einem in allem ergötzt.

Auch die Musik nimmt die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Schwestern auf. Während die eine im gleichmäßigen Viervierteltakt zu Wort kommt, jagt, nagt und plagt die andere sich in einem wuseligen Sechsvierteltakt und kommt einfach nicht zur Ruhe. Der Rat des Mannes – es ist kein Geringerer als Jesus – geht aber über die konkrete Szene im Haus der Schwestern weit hinaus. Was nötig ist: Komm doch mal zur Ruhe, besinn dich, hör mir zu, und finde in meinen Worten das Leben.

Aller Weisheit höchste Fülle in dir ja verborgen liegt.
Gib nur, dass sich auch mein Wille fein in solche Schranken fügt,
worinnen die Demut und Einfalt regieret
und mich zu der Weisheit, die himmlisch ist, führet.
Ach, wenn ich nur Jesus recht kenne und weiß,
so hab ich der Weisheit vollkommenen Preis.

Welcher Typ bist du? Maria oder Marta? So heißen die beiden Frauen aus dem Lukasevangelium. Die in ihrer Geschäftigkeit gescholtene Marta ist in den letzten Jahren umfänglich rehabilitiert worden. Vor allem von Frauen. Von Frauen, die sich gern als Multitasking verstehen, als Maria-und-Marta-in-einem. Den Haushalt wuppen und nebenbei eine aufmerksame Zuhörerin sein – das schaffen wir doch mit links. Vielleicht ist es aber an der Zeit, uns mal unterbrechen zu lassen und eine Pause zu gönnen. Mal wieder auf Jesus zu hören. Auf sein einseitiges Werben, hinzuhören. Wie Maria. Und mal alles andere aus der Hand zu legen, um das Leben nicht zu verpassen und zu finden, was not ist.  

Seele, willst du dieses finden, such’s bei keiner Kreatur.
Lass, was irdisch ist, dahinten, schwing dich über die Natur,
wo Gott und die Menschheit in Einem vereinet, wo alle vollkommene Fülle erscheinet;
da, da ist das beste, notwendige Teil, mein Ein und mein Alles, mein seligstes Heil.

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Musikangaben:

Text: Johann Heinrich Schröder (1695)
Komposition: Johann Sebastian Bach
Eins ist Not! ach Herr, dies eine. Geistliches Lied für Singstimme und Basso continuo,
BWV 453. Ausgeführt mit Vokalensemble und Orgel
Choral Gut - 500 Jahre evangelischer Choral
Schneider, Arno; Athesinus Consort Berlin; Bresgott, Klaus-Martin

 

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SWR1 3vor8

16FEB2025
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Es ist zum Verzweifeln: Da ist dieser sympathische junge Mann; ich kenne ihn vom Kinder- und Jugendzirkus, wo er eine inklusive Gruppe junger Artisten trainiert hat. Bei seiner Hochzeit im letzten Sommer haben sie vor der Kirche Spalier gestanden. Im Herbst fiel das Training oft aus; er war im Krankenhaus. Krebs, hieß es, und jetzt die Todesanzeige in der Lokalzeitung. Er wurde nur 34 Jahre alt.

Ja, es ist zum Verzweifeln: Da sitzt dieser alte Herr in seiner überdimensionierten Villa am Hang. Jeder weiß, wie er dazu gekommen ist. Wie er den Bauern im Dorf für n Appel und n Ei ihre wertlosen Grundstücke abgekauft hat. Und dann den Gemeinderat erpresst hat, der das ganze Flurstück zum Bauland umgewidmet hat. Heute gibt es keinen einzigen Bauern mehr im Ort. Aber der alte Herr hat gerade mit viel Tamtam seinen 95. Geburtstag gefeiert.   

Ja, es ist zum Verzweifeln, denn jeder von uns kann wohl solche Geschichten erzählen, in denen die Guten untergehen und die Schlechten triumphieren. Und wer verzweifelt ist, dem ist auch schnell alles egal: Wozu gesund leben? Krank werden kann ich trotzdem. Rücksicht nehmen? Warum, wenn die Gauner und Betrüger dieser Welt mit allem davonkommen? Solche Gedanken kennt auch der Mensch, der in der Bibel „Kohelet“ genannt wird. Er hat auch schon viel gesehen in seinem Leben. Aber er verzweifelt nicht. Er sieht sich die Welt an und zieht seine eigenen, nüchternen Schlüsse. Die einen haben was davon, anständig zu leben, aber eine Glücksgarantie gibt es nicht. Sein Rat: Engagiere dich nicht über die Maßen und stich nicht durch Klugheit hervor. Handle aber auch nicht allzu mies und stell dich nicht dümmer als du bist. Am besten fährst du in der Mitte; da fällst du dem lieben Gott und auch sonst keinem auf, weder im Guten noch im Schlechten.

Das ist schon sehr gewitzt, finde ich, und hilft vielleicht durch unsere Zeit, in der einem der Glaube an Gut und Böse schon mal gründlich vergehen kann. Halte Maß, höre ich heraus. Sieh zu, dass Du ordentlich durchs Leben kommst. Nimm den goldenen Mittelweg. Übertreibe es nicht mit Deiner Suche nach Sinn und Gerechtigkeit – lass Dir aber auch nicht alles egal sein.  Und Kohelet verspricht: Wer das beherzigt, dem wird es gelingen!

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SWR Kultur Wort zum Tag

25JAN2025
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Wie viel Einheit braucht eigentlich eine Religionsgemeinschaft, wie viel Verschiedenheit verträgt sie und worin liegt eigentlich die größere Stärke? Das sind Fragen, mit denen sich das Christentum seit seinen Anfängen auseinandergesetzt hat. Die katholische Kirche beschwört bis heute den Gedanken der Einheit. Es kann nur eine allgemeine Kirche geben. Die protestantischen Kirchen – der Plural macht es schon deutlich -praktizieren dagegen ein Modell der individuellen Verschiedenheit. Unübersichtlich ist ihre Zahl. Die orthodoxen Kirchen hüten seit tausend Jahren ein göttliches Geheimnis. Und die charismatischen Kirchen überlassen diese ganzen Fragen getrost dem Wirken und Wehen des Heiligen Geistes.

Wer in dieser Vielfalt nach so etwas wie einem kleinsten gemeinsamen Nenner sucht, nach irgendetwas, bei dem sich alle einig sind, muss weit in der Geschichte zurückgehen. 1700 Jahre. Bis ins Jahr 325. An der Spitze des römischen Reichs, das die europäische Welt beherrscht, steht Kaiser Konstantin. In seiner Regierungszeit wird das Christentum von einer geduldeten und teilweise immer noch verfolgten Religion zu einer staatlich geförderten.

Im Jahr 325 hat Konstantin ein Konzil einberufen; mehr als 200 Bischöfe kommen nach Nicäa zur ersten ökumenischen Vollversammlung der Weltgeschichte. Es geht um theologische Streitfragen. Und es geht auch um die Macht. Der Kaiser kann eine zerstrittene Kirche nicht gebrauchen; er will Stabilität und innere Sicherheit. Unter historischen Gesichtspunkten kann man das nüchtern und auch kritisch betrachten.

Herausgekommen ist aber auch ein Dokument von großer Schönheit und Kraft. Das Glaubensbekenntnis von Nicäa-Konstantinopel. Ein Text, der formuliert, was Christen auf der ganzen Welt im Innersten zusammenhält. Zum Beispiel: „Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater …

Sie glauben das nicht? Finden es nur schwer verständlich? Oder eigentlich auch gar nicht so wichtig? Umso besser. Denn dann kann das Gespräch ja weiter gehen. Solange es nicht versiegt, bleibt christlicher Glaube lebendig zwischen Einheit und Verschiedenheit.

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SWR Kultur Wort zum Tag

24JAN2025
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Beim Bäcker meines Vertrauens ist die Brotschneidemaschine kaputt. Also kaufe ich zum ersten Mal, seit ich weiß nicht, wie vielen Jahren, wieder mal einen Laib Brot am Stück. Zuhause lässt die Misere allerdings nicht lange auf sich warten: Bei meinen Bearbeitungsversuchen mit dem Brotmesser entstehen hässliche Brocken, krumm und schief. Mit schnittigen Scheiben haben sie nicht viel gemein. Hilflos betrachte ich das malträtierte Brot. Und muss plötzlich an einen Spruch meines Vaters denken, den ich als Kind oft gehört habe: „Nur mit Kraft. Nicht mit Druck.“ Kraft anzuwenden, statt Druck auszuüben, das könnte jetzt auch helfen, aber wie fange ich es an? Was macht den Unterschied? Beherzt setze ich das Messer noch einmal an, schön langsam, besinne mich auf meine Kraft und nehme die Anspannung aus meinen Muskeln. Und siehe da: schon sieht das Ergebnis viel besser aus. Nur mit Kraft. Nicht mir Druck.

Was fürs Brotschneiden gilt, erweist sich auch sonst im Leben als gute Devise. Mein Vater war von Beruf Lehrer. Über vierzig Jahre lang hat er Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Er konnte das gut, hatte diese natürliche Autorität. Und wusste, auch wenn es ihm bestimmt nicht immer gelungen ist, um den Unterschied zwischen Kraft und Druck. Druck ist die Kraft der Verzweiflung. Nimm die Verzweiflung raus und die Kraft bleibt übrig. Und heraus kommen keine hässlichen Menschen, krumm und schief, mit blauen Flecken auf der Seele, sondern bestärkte Leute mit Zutrauen ins Leben und in die eigenen Kräfte. Und hier endet dann auch der Vergleich mit den Brotscheiben.

Aber mir fallen viele Situationen ein, in denen ich viel zu viel Druck ausübe. Auf andere, aber auch auf mich selbst. Unbedingt etwas will. Auf Biegen und Brechen. Und schon an diesen Worten fällt auf, dass vor allem Kaputtes dabei herauskommen muss. Verbogenes, Zerbrochenes. Wenn ich mich auf meine Kraft verlasse, wirds besser.

Beim Bäcker kaufe ich jetzt häufiger mal ein Brot am Stück. Zum Üben. Nur mit Kraft. Nicht mit Druck.

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