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SWR2 / SWR Kultur

 

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SWR Kultur Wort zum Tag

30APR2025
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Ich hab’s nicht so mit Geistern und Hexen. Und auch in der kommenden Nacht werde ich hoffentlich gut schlafen. Trotz der Walpurgisnacht und all ihrem Spuk. Aber natürlich erinnere ich mich an die ländliche Welt meiner Kindheit. Dort wurden in dieser Nacht immer ein paar Gartentore ausgehängt und irgendwo versteckt. Manchmal konnte man auch eine Sitzbank oben auf einer Garage wiederfinden. Eigentlich nur Streiche von ein paar Jugendlichen. Der letzte Rest einer Vorstellung von dunklen Mächten, denen es darum geht, alles Vertraute und Gewohnte durcheinander zu wirbeln. Und vermutlich werden wir morgen früh wieder von unschönen Szenen hören. In manchen Städten verwandelt sich in dieser Nacht die Lust auf Streiche leider in Exzesse und Zerstörungswut. 

Sind sie also doch noch irgendwie wirksam – diese Mächte, die alles verhexen und durcheinander wirbeln wollen? Die gegenwärtige Weltlage will es einen ja fast glauben machen. Und die Hexenmeister der Gegenwart zündeln allemal mehr und gefährlicher als die harmlosen Geisterwesen, deren Geschichten sich um die Walpurgisnacht ranken. Walpurga - eine Äbtissin aus dem 8. Jahrhundert -, nach der diese Nacht benannt ist, hatte mit Spukgeschichten übrigens auch nichts am Hut.

Ich beschwöre heute die Gegenkräfte zu dieser aktuellen Hexenmeisterei. Ganz praktische, politische. Dazu zähle ich: Sich zeigen und Position beziehen. In Gesprächen, in Demonstrationen, manchmal vielleicht auch in Leserbriefen. Meine stärkste Gegenkraft erwächst mir aus meinem Glauben. Gerade weil ich‘s nicht mit Hexen habe, wird mir immer wieder klar, dass die vermeintlich so mächtigen Hexenmeister des Bösen in der Gegenwart, die Putins, die Trumps und wie sie alle heißen, auch nur mit Wasser kochen. Dass sie zwar über Macht, aber über keine besonderen Kräfte verfügen. Nein, ich möchte sie nicht ernster nehmen, als es ihnen zusteht. Weil sie eben nicht die Herren der Welt sind. Ihre Macht ist begrenzt. Und ihre Zeit ist endlich. Ich vertraue da lieber dem, den die Kirche als ihren Herrn bekennt. Daraus gewinne ich eine bleibende Zuversicht, die nicht nur gebannt auf die nächste Nacht starrt, sondern auf alle Tage und Nächte, die noch folgen. Auf die Zeit, die in Gottes Händen liegt. Im Moment wird sie ganz schön strapaziert, meine Zuversicht. Aber sie hält fürs erste. In der Walpurgisnacht. Und danach auch.

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SWR Kultur Wort zum Tag

29APR2025
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Eigentlich haben wir den Vater mit zwei Kindern auf unserer Radtour nach dem rechten Weg fragen wollen, aber er kannte sich in der Gegend auch nicht besser aus als wir. Als wir gerade weiterfahren wollten, sagte er zu seinen beiden Kindern: „Schaut mal, die haben noch richtige Fahrräder wie früher. Ohne Elektromotor!“ Da hab‘ ich mich gefühlt, als wäre ich gerade auf dem Weg, ausgestopft ins Museum befördert zu werden.  Ertappt als Fortbewegungs-Dinosaurier! Lebendiger Nachkomme des Freiherrn von Drais und seinem Laufrad.

Die Erfahrung, womöglich bald ins Museum abgeschoben zu werden, beschleicht mich manchmal auch auf einem ganz anderen Feld: Dem meines Gottesglaubens. Zwar habe ich noch keinen Vater getroffen, der zu seinen Kindern sagt: „Schaut mal, der glaubt noch an Gott, wie meine Oma früher!“ Aber in einer plural gewordenen Welt fahren die Menschen auf ganz verschiedenen Fahrrädern durch die Gegend. Das „Gottesfahrrad“ ist dabei nur eines von vielen.

In seinem Buch „Gott fährt Fahrrad“ bringt der niederländische Schriftsteller Maarten´t Hart Gottes Anwesenheit in der Welt mit dem Bild des Fahrradfahrens in Verbindung. * In seinem kindlichen Gemüt deutet er die leichte Unbeschwertheit, mit der ihm ein Radfahrer entgegenkommt, als Bild für Gott. Als Kind weigert er sich, sich von einem Fremden auf dem Lenker des Fahrrades mitnehmen zu lassen. Später deutet er das als Entscheidung gegen Gott.

Wahr daran ist für mich: Auch mein Glaube an Gott ist keine Erfindung der Moderne. Nicht abhängig von High Tec und Hochgeschwindigkeit. Wie das schlichte Rad, das Maarten `t Hart mit Gott in Verbindung bringt. Mein Glaube ist etwas, das aus alten Zeiten an mich gekommen ist. Durch meine Eltern. Durch andere Menschen, die mich geprägt haben. Durch eine Kirche, in der jeder und jede auf den Schultern von denen steht, die vorher gelebt und geglaubt haben. In der Bibel wird von einer „Wolke der Zeuginnen und Zeugen“ gesprochen. „Sie haben schon früher empfangen, womit wir uns heute in der Welt zurechtfinden können.“ Ob das auf Dauer mit einfachen alten Fahrrädern geht, oder ob wir andere Hilfsmittel des Glaubens brauchen, wird jede Generation, jeder glaubende Mensch für sich selbst entscheiden müssen. Das Museum, in dem Glaubende vor sich hin verstauben, kann derweil aber ruhig erst einmal geschlossen bleiben.  

* Maarten ´t Hart, Gott fährt Fahrrad, Piper München 2008

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SWR Kultur Wort zum Tag

28APR2025
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„Wenn ich ganz ehrlich bin: Die Kirche vermisse ich nicht!“ Im ersten Moment hat mir dieser Satz meiner Physiotherapeutin fast die Schuhe ausgezogen. Dabei hätte mich so eine Bemerkung eigentlich nicht überraschen dürfen. Untersuchungen zur Kirche gibt es schließlich zuhauf. Sie kommen alle zu ähnlichen Ergebnissen. Aber dieses Mal war es eben ein Originalton. Von einer sympathischen Frau, mit der ich schon mehrmals über meinen Beruf gesprochen hatte. Und natürlich auch über die Kirche. Dieses Mal hatte sie mich gefragt, wo es in ihrem Wohngebiet eigentlich eine Kirche gibt. Ich konnte ihr gleich mehrere nennen. Aber die sind ihr bisher noch gar nicht aufgefallen. Sie sagt: „Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt in einer Kirche gewesen bin!“ Und dann, quasi als Krönung: „Wenn ich ehrlich bin: Ich vermisse sie auch nicht!“

Nach meinem ersten Schock hat uns ihre ehrliche Bemerkung ein offenes Gespräch beschert. Ich habe verstanden: Es haben sich bei ihr in den letzten Jahren einfach keine Berührungspunkte zur Kirche mehr ergeben. Keine Beerdigung. Keine kirchliche Trauung im Freundeskreis.  Ein Trauritual aber schon. Das habe ihr gefallen. „Warum?“, frage ich? „Ja, das ist doch ein großer Schritt!“, sagt sie. „Mehr als nur zusammenzuziehen. Da muss doch ein Segen her!“ Jetzt waren wir aber mittendrin. Sie vermisst nichts. Aber es muss doch ein Segen her! Jetzt stand ich wieder mit beiden Füßen fest in meinen Schuhen drin.

Wie kritisch oder distanziert Menschen auch zu Kirche und Religion stehen: Beim Thema Segen gibt’s meistens uneingeschränkte Zustimmung und große Neugier. Segen braucht der Mensch! Sonst würde er wohl doch etwas vermissen. Kirche nein. Oder nicht unbedingt. Aber Segen ja! Dieser Satz stimmt mich zuversichtlich. Denn ich drehe ihn am liebsten um. Wo’s um Segen geht – wo Segen nachgefragt wird, da ist für mich Gott im Spiel. Da ist für mich Kirche. Verborgen vielleicht. Etwas windschief womöglich. Manchmal eher als Ruine.  Aber im Grundriss immer noch erkennbar. Denn der Segen ist für mich das Grundgerüst der Kirche. Ob in der vertrauten geprägten Form wie in fast jedem Gottesdienst. Oder ganz frei und auf eine konkrete Situation hin formuliert. Also nicht: „Kirche nein. Segen ja!“ Sondern „Segen ja! – und du bist mittendrin. Mitten in der Kirche und mitten in der Welt!“ Einen gesegneten Tag wünsche ich Ihnen heute!

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SWR Kultur Wort zum Tag

19APR2025
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Die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Bachs H-Moll-Messe steht auf dem Programm. Im Credo, dem Glaubensbekenntnis, herrscht auf einmal völlige Stille. Kein Orchester. Kein Chor. Generalpause!  Der Chor hat sein „sepultus est“ gesungen. Auf Deutsch: “Er ist begraben worden!“ Eine ungeheure Spannung liegt in der Luft. Bis es weitergeht mit dem triumphierenden „Et ressurexit!“ „Er ist auferstanden!“

Der heutige Karsamstag hat für mich etwas von einer solchen Generalpause, dieser eine Tag zwischen Karfreitag und Ostern. In den Kirchen stehen da meist keine Blumen auf dem Altar. Es gibt auch kein Glockengeläut. In manchen Gegenden Süddeutschlands oder Österreichs sind Rätschen zu hören, hölzerne Geräte, die knarrende Laute von sich geben. Manche Altarflügel mit ihren bunten Bildern sind verhüllt. Die normalen Abläufe – sie sind unterbrochen. Zumindest im Kirchenjahr. Bevor dann in der Osternacht lautstark der Osterjubel einsetzt.

Für mich ist diese Generalpause mehr als ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. Für mich ist sie ein Bild dessen, was mein Leben oft ausmacht. Eine Unterbrechung reiht sich an die andere. Meist tun mir Unterbrechungen von vertrauten Abläufen erst einmal gut, wie der Verzicht auf Süßes oder auf Alkohol in der Passionszeit. Ein kleines Fastenzeichen, mit dem ich übe, was das heißt, sich im Gewohnten zu unterbrechen. Unterbrechungen können mich aber auch völlig unerwartet und schrecklich treffen. Dann steht von einem Moment auf den anderen die Welt still. Generalpause – ohne Vorwarnung. Dann ist es wichtig, dass ich mir diese Unterbrechung zugestehe. Dass ich die Stille der Pause aushalte. Dass ich – in aller Wut oder in allem Widerstand – damit rechne, dass das Leben irgendwann wieder in Bewegung kommt. Dass ein neuer Einstieg ins Leben möglich wird.

In der Musik gibt es solche Generalpausen immer genau dann, wenn ein grundsätzlicher Umschwung angedeutet wird. Wie eben im Credo nach dem Bericht über Jesu Tod – ehe die Auferstehung besungen wird. Aus der Stille erwächst der Neuanfang, wie dem Karfreitag der Ostermorgen folgt. In der Feier der Osternacht kann ich das erleben. Die Generalpause des Karsamstags ist vorüber. Da wünsche ich mir, dass sich Vergleichbares in meinem Leben doch auch ereignet. Ein kleines Osterfest, mitten im bedrängenden Alltag. Immer wieder.

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SWR Kultur Wort zum Tag

17APR2025
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Ganz ehrlich, zuerst habe ich meinen Augen nicht getraut. Da kommen zwei Männer zu meiner Abendandacht in die Kapelle. Der eine mit einem Glas Wein in der Hand, der andere mit einem Glas Bier. Sie haben sich in eine der hinteren Reihen gesetzt, aber waren ganz mit dabei. Immer wieder musste ich zu ihnen hinschauen. Nach der Andacht bin ich auf die beiden zugegangen. „Ich war schon überrascht!“, habe ich zu ihnen gesagt. Darauf der eine der beiden: „Aber bei euch gibt’s doch auch Wein in der Kirche, wenn ihr Gottesdienst feiert!“ „Ja natürlich, das stimmt!“, habe ich geantwortet. Und ich habe versucht, den beiden den Unterschied zu erklären. Aber richtig zufrieden war ich mit meiner Antwort nicht.

Ist der Unterschied wirklich so groß zwischen einem Abendmahl in der Kirche, mit Brot und Wein oder Saft, und einem ganz normalen Essen und Getränk –  wie bei den beiden, die einfach aus ihrem normalen Glas trinken.

Heute ist Gründonnerstag. Der Tag, an dem in den Kirchen die Erinnerung an die letzte Mahlzeit von Jesus und seinen Freunden im Mittelpunkt steht. Genau darauf hat der Mann ja angespielt, als er davon sprach, in der Kirche würde doch auch Wein getrunken. Schon erstaunlich, dass sich Menschen nach zweitausend Jahren an dieses besondere Essen von Jesus mit seinen Freunden immer noch erinnern. Und im Gottesdienst ganz selbstverständlich wiederholen, was damals doch etwas Besonderes war. Aus allen Speisen und Getränken, die auf dem Tisch standen, hat Jesus die beiden herausgegriffen, die bis heute bei kaum einem Festessen fehlen: Brot – ein elementares Grundnahrungsmittel. Und Wein, schon damals ein festliches Getränk der Lebensfreude! Es wurde gefeiert! Vor allem die Erinnerung an die Befreiung der Vorfahren aus der Sklaverei in Ägypten. Gefeiert haben die Freunde von Jesus aber auch, dass bei diesem Essen im Angesicht des Todes Jesu Gott in ihrer Mitte war. Aus der Erinnerung ist Kraft und Lebensenergie erwachsen. Das ist bis heute so geblieben

Daran erinnere ich mich, wenn ich heute oder in den nächsten Tagen in der Kirche zu Brot und Wein oder Traubensaft eingeladen werde. Ich entdecke und feiere die Gegenwart Gottes in dem, was er hat wachsen lassen: Getreidekörner und Trauben. Zutaten aus der Natur. Eigentlich ein Wunder. Vielleicht, so denke ich, haben die beiden Männer nur ihren eigenen Zugang zu diesem Wunder gesucht. Und hoffentlich dann auch etwas davon gespürt.

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SWR Kultur Wort zum Tag

08FEB2025
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Eine Ausstellung über Bücher, die nie erschienen sind? Die gibt es zurzeit in New York. Im traditionsreichen Grolier Club.  Ein Buch von Hemingway ist da zusehen, dessen Manuskript ihm gestohlen wurde. Die Liebesgedichte des großen Theologen Abelaerd an Heloise aus dem Mittelalter, die man damals hat verschwinden lassen. Vermutlich aus Anstandsgründen. . Oder es sind Bücher, die in einem anderen Buch genannt werden, die es aber gar nicht gibt.

Der Initiator der umfangreichen Ausstellung hat nun versucht, diese Bücher im Stile ihrer Zeit liebevoll herzustellen und ihnen auch einen Titel zu geben. Dabei sind wunderschöne Exponate herausgekommen. Man möchte sie am liebsten sofort in die Hand nehmen und darin blättern. Aber die Seiten der Bücher sind leer. Es sind gewissermaßen potemkinsche Bücher. Schöne Außenansichten. Überwiegend leere Hüllen.

Und mit uns Menschen ist es ja ganz ähnlich wie mit den Büchern. Das eine ist der Umschlag, das Cover, die Hülle. Das andere ist der Inhalt. Beide müssen am Ende bestenfalls zusammenkommen. Das Äußere ist das, was andere Menschen als Erstes wahrnehmen. Meine Außenansicht. Es lohnt sich, ihrer Aufmachung die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken. An ihr zu arbeiten. Das andere ist der Text in meinem Lebensbuch. Was steht drin? Jeder Mensch fängt ab dem ersten Tag damit an, das Buch seines Lebens mit Inhalt zu füllen. Das Buch wird nie fertig. Jeden Tag kommen neue Seiten dazu. Manche bleiben erst einmal nur Skizzen. Andere arbeite ich ganz genau aus. Ich weiß nicht, wie mein fertiges Lebensbuch einmal aussehen wird. In einem kleinen Brief der Bibel heißt es: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden!“ (1. Johannes 3,2) Ganz fertig werde ich in diesem Leben nie. Mein Buch bleibt Fragment. Mit Lücken und leeren Seiten. Fortsetzung folgt. Aber auch mit wunderbaren Geschichten und farbigen Bildern.

Die ungeschriebenen Kapitel, die lassen sich immer noch anfangen. Und die Seiten, die leer geblieben sind, füllen sich vielleicht dann noch, wenn mein Lebensbuch seinen endgültigen Ort findet. Nicht in New York. Sondern da, wo mein Leben aufgehoben bleibt. Und das Buch meines Lebens gewürdigt und als schön befunden wird. Von Gott. Bei dem mein Lebensweg ans Ziel kommt. Und dem, und davon bin ich fest überzeugt, jedes Lebensbuch kostbar ist.

Imaginary Books: Lost, Unfinished, and Fictive Works (https://grolierclub.omeka.net/exhibits/show/imaginary-books)

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SWR Kultur Wort zum Tag

07FEB2025
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Schwimmen zwei junge Fische nebeneinanderher. Kommt ihnen ein alter Fisch entgegen und sagt: „Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?“ Und schon ist er wieder weg. Sagt der eine junge Fisch zum andern: Was ist das eigentlich: Wasser?

Diese kurze Fabel hat der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace in einer Rede zur Abschlussfeier an einem College vorgetragen. Seine Botschaft an die jungen Menschen verstehe ich so: Nehmt die Welt um euch herum mit wachen Augen und mit klarem Verstand wahr. Stellt die richtigen Fragen. Und vor allem: Lasst euch selbst in Frage stellen. Gerade leben wir ja in sehr unsicheren Zeiten. Alte Wahrheiten sind am Zerbrechen. Und was sich da an Neuem bemerkbar macht, lässt es mir manchmal schon kalt den Rücken herunterlaufen. Ich glaube, da hilft es, sich über manche Dinge ganz grundsätzlich Gedanken zu machen.

Was ist eigentlich Wasser? Für mich ist klar: Das Wasser, der Lebensraum, in dem ich leben möchte, muss eine klar nachzuvollziehende Zusammensetzung haben: Werte der Mitmenschlichkeit und der Humanität sind das. Die Bereitschaft, andere Menschen wahrzunehmen, ihnen zuzuhören, von ihnen zu lernen. Der Verzicht darauf, andere kleinzumachen und auszugrenzen.

Wenn ich einer der jungen Fische wäre, würde ich mich vielleicht doch auch fragen: In was für einem Element bewege ich mich eigentlich? Was „umgibt mich“ in meinem Leben „von allen Seiten?“ wie es in einem Psalm heißt? Meine eigene Antwort hängt ganz eng mit meinem Glauben an Gott zusammen. Von allen Seiten möchte ich mich von Gott umgeben fühlen. Es gelingt mir längst nicht immer. Und es macht das Leben auch nicht einfacher. Man muss da nämlich auch mal in die Gegenrichtung schwimmen wie der alte Fisch in der Fabel. Man muss sich vor Raubfischen in Acht nehmen. Manchmal kann auch der Sauerstoff knapp werden. Aber wenn ich weiß, in welchem Lebensraum ich mich bewege, dann finde ich meine eigene Antwort auf die Frage: Wasser – was ist das eigentlich? Dann nehme ich das Wasser wahr als meinen Lebensraum, in dem ich mich bewegen und bergen kann. Wenn es Gott ist, der mich umgibt, lässt mich das hoffentlich gestärkt und zuversichtlich im Leben unterwegs sein.

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SWR Kultur Wort zum Tag

06FEB2025
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„Wonach ist dir?“ Diese Frage habe ich auf einem dieser kleinen Zettel entdeckt, die zurzeit überall kleben.  Auf Laternenmasten. Oder an den grauen Stromverteilerkästen, die an der Straße stehen. . Kein Hinweis, von wem die Zettel stammen. Diese Frage hat mich angesprochen: „Wonach ist dir?“  Sie hat mich die nächsten Tage nicht mehr losgelassen. Ja, wonach ist mir eigentlich?

Dabei hab‘ ich gar nicht an meine allgemeine Wunschliste gedacht. Denn da könnte ich mich wahrscheinlich mit vielen Menschen schnell einigen: Einigermaßen gesund durchs Leben kommen. Bewahrung vor Katastrophen. Frieden – nicht nur bei uns. Ein anderer politischer Umgangston. Gerade jetzt im Wahlkampf. Mehr Miteinander als Gegeneinander. Es gibt noch einiges, was mir da spontan einfällt.

Aber wonach ist mir wirklich? Die Frage hat mich viel grundsätzlicher angesprochen. So als meinte sie: Worauf kommt es dir zentral in deinem Leben an? Was ist dein tragender Grund, wenn um dich herum alles ins Wanken gerät? Antworten gibt es derzeit viele. In Krisenzeiten – und die haben wir ja  - sind die Menschen ja noch mehr auf der Suche als sonst. Wie finde ich einen Sinn in meinem Leben? lautet dann die Überschrift. Oder: Glücklichsein – wie geht das? Unlängst habe ich sogar gelesen: Kehrt die Religion zurück? Ich bin mir sicher: Es ist gut, wenn solche Themen wieder gelesen und diskutiert werden. Aber eine wirklich hilfreiche Antwort muss jeder, jede für sich selbst finden.

Ich beantworte mir die Frage so: „Mir ist nach Menschen, denen ich eng verbunden bin. Menschen, die sich dafür interessieren, wie es mir wirklich geht. Mir ist aber auch danach, dass ich meinen Glauben an Gott als tragfähigen Grund erlebe. Dass ich in diesem Glauben Wurzeln schlagen kann. Immer wieder neu. Nach einer Quelle ist mir, zu der ich immer wieder zurückkehren kann, um meinen Durst nach Lebendigkeit zu stillen. Ein offenes Gespräch tut mir da manchmal gut. Oder einfach einmal nichts tun, um Atem zu holen. Mir ist nach Worten, gelesen oder gehört, die mich ins Herz treffen. Die meinen Blick weit machen. Und meine Zuversicht stärken. Ich wüsste zu gern, wer den Zettel geschrieben hat. Es könnte ein richtig gutes Gespräch mit der Person werden. Aber das könnte ich heute ja auch mit jemand anderem führen. Mal sehen, wer mir über den Weg läuft.

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SWR Kultur Wort zum Tag

24DEZ2024
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Nachher bauen wir wieder unsere Krippe auf. Wie jedes Jahr am Morgen des 24. Dezember. Ein schönes weihnachtliches Ritual! Heute Nachmittag wird diese weihnachtliche Installation in vielen Weihnachtsgottesdiensten sogar lebendig in Szene gesetzt. Als Krippenspiel.

Als Kind habe ich da oft mitgemacht. Als kleiner Junge war ich die ersten Male als Hirte dabei. Von denen konnte es ja nie genug geben. Ich durfte auch mal den Schurken geben, den bösen Wirt, der der hochschwangeren jungen Frau mit ihrem Begleiter kein Bett zur Verfügung stellen wollte. Sogar zum Bürgermeister von Bethlehem hab‘ ich es einmal gebracht. Und das neugeborene Kind willkommen geheißen, noch ehe die Hirten und die Weisen im Stall aufgetaucht sind.

Nur eine Rolle blieb mir stets verwehrt – die des Joseph. Wie stolz wäre ich gewesen, mit Maria am Arm durchs Kirchenschiff einzuziehen. Dabei kommt Joseph in der biblischen Weihnachtsgeschichte überhaupt nicht gut weg. Auf vielen Darstellungen in der Kunst fehlt er sogar ganz. Oder er ist irgendwie am Rand platziert. Wenn’s einen Krippenspiel-Oscar gäbe, wäre Joseph ein Kandidat für die wichtigste Nebenrolle. Der Vater des Kleinen, so erzählt es zumindest das Matthäus-Evangelium, durfte er nicht sein. Es werden keine Geschichten von ihm erzählt wie von Maria. Ihr erscheint der Engel Gottes persönlich und kündigt ihr die Geburt des Kindes an. Aus einer vornehmen Familie soll sie stammen. Vor allem wird ihr ein wunderbares Lied in den Mund gelegt. Das Magnificat. Von einem göttlichen Kind singt sie, das der Welt ein neues Gesicht geben und aller Gewalt ein Ende bereiten wird.

Von Joseph wissen wir nur, dass er ein Holzhandwerker war. Und dass er den großen König David zu seinen Vorfahren zählte. Mehr nicht. Vielleicht ist Joseph gerade deshalb mein Platzhalter in der Weihnachtsgeschichte. Er muss die Geschichte nicht am Laufen halten, aber ohne ihn bleibt sie unvollständig. Immerhin erscheint auch ihm ein Engel. Wenn auch nur im Traum. Als er sich heimlich aus dem Staub machen will. Doch der Engel sorgt dafür, dass er drin bleibt im weihnachtlichen Spiel. Und dass er dem Kind am Ende durch die Flucht nach Ägypten sogar das Leben rettet.

Ich habe mir vorgenommen: Heute werde ich den Joseph ganz nah an die Krippe heranrücken. Direkt neben Maria. Der Gott der Weihnacht hat eine Vorliebe für Nebenrollen. Das Kind in der Krippe übrigens auch.

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SWR Kultur Wort zum Tag

23DEZ2024
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„Morgen, Kinder, wird’s was geben!“ Als Kind habe ich dieses Lied manchmal gesungen. Das Lied für den Tag vor Heiligabend. Wenn ich das Warten fast nicht mehr ausgehalten habe. „Einmal werden wir noch wach, Heißa, dann ist Weihnachtstag!“

Aus erwachsener Perspektive sehe ich das natürlich etwas anders! Aber als Kind, da war für mich das Warten auf die Weihnacht das Spannendste. Was für eine aufregende Zeit: Jeden Sonntag eine Kerze mehr auf dem Adventskranz. Jeden Tag ein weiteres offenes Türchen im Adventskalender. Dazu all die die wunderbaren Spielzeug-Prospekte in der Zeitung. Die waren für mich eine pure Glücks-Lektüre!

Und dann vor allem der Tag, nach dem ich nur „noch einmal“ würde wach werden müssen! Es war für mich der heimliche Höhepunkt meiner Weihnacht. Sicher, wenn wir Kinder an Heiligabend ins Wohnzimmer zum Christbaum mit den brennenden Kerzen durften, da war für mich schon ein Zauber spürbar. Doch eigentlich war der Heiligabend aus meiner kindlichen Sicht vor dem Beginn der häuslichen Feier ganz schön anstrengend. Da habe ich mich oft eher im Weg gefühlt. Da hatten die Erwachsenen ihr eigenes vorweihnachtliches Programm. Doch an den Tagen davor, vor allem am letzten Tag, da konnte ich es vor Warten kaum aushalten. Das war für mich die heimliche „kleine Weihnacht“ vor der großen. Da habe ich mir all das vorgestellt, was ich in meinem kindlichen Gemüt mit Weihnachten in Verbindung gebracht habe. Das Warten als gedankliche Vorwegnahme dessen, was noch aussteht. Ich vermute, wirklich anders ist das heute auch nicht. Es geht nicht einfach nur um die Erinnerung an eine rührselige Geschichte von der Geburt eines Kindes vor 2000 Jahren. Es geht um die Erfahrung, dass da noch etwas aussteht im Leben. Dass es zwischen meinem Leben in der Gegenwart und meinen Träumen von der Zukunft eine gewaltige Lücke gibt. Dass ich mit diesem Kind die Hoffnung verbinde, dass da noch mehr möglich ist. Dass Gott noch mehr möglich macht. Mehr „Friede auf Erden“. Mehr Gerechtigkeit. Mehr Nächstenliebe.

Ein klein wenig Heilig-Vorabend möchte ich heute feiern. Wie damals als Kind. Schon heute auf eine weihnachtliche Geschichte hören. Oder ein paar Wünsche und Sehnsüchte auf einen Zettel schreiben und den morgen unter den Christbaum legen. Morgen „wird‘s was geben“ – das stimmt. Aber wir stehen heute auch nicht mit leeren Händen da.

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