Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Guten Morgen.
Die meisten Menschen feiern gerne. Es wird gesungen, getanzt und gelacht. Essen und Trinken gehört in der Regel auch zu einem gelungenen Fest.
Es gibt Feste für alles Mögliche. Geburtstage, Jubiläen, Willkommenpartys. Es sind meistens freudige Anlässe, die uns in Feierstimmung versetzen und es ist schön, wenn man Grund zum Feiern hat. Taufe, Erstkommunion, Firmung, Konfirmation, Hochzeit. Das sind nicht nur Familienfeste. Die Gesellschaft nimmt Anteil an diesen Festen. Solche Anlässe sind mit Ritualen verbunden. Lange hatten die Kirchen eine Art Monopol dafür. Inzwischen haben sich die Rituale verselbständigt und es kommen hierzulande viele Menschen auch ohne Kirchen aus. Aber das Rituelle ist geblieben. Außer in zwei Fällen, so scheint mir: Unsere Gesellschaft tut sich schwer mit Versöhnungs- und Abschiedsritualen. Ich empfinde das als einen Mangel.
Fehler eingestehen, um Verzeihung bitten, sich ent-schuldigen, sich versöhnen. Für religiöse Menschen gibt es dafür Rituale, Sakramente, aber die sind fast ausschließlich in den privaten und persönlichen Bereich gerutscht. Außerdem klingt es nicht sehr modern: beichten und Buße tun. Wenn es darum geht, Konflikte zu bearbeiten, so sind wir gesellschaftlich gerade dabei zu lernen, dass sich die Mühe lohnt, Lösungen zum allseitigen Vorteil zu suchen. Gerichts- und Schlichtungsverfahren sind solche Rituale. Da geht es nicht mehr nur um die Frage, „wer hat Recht" sondern es wird öffentlich die Sinnfrage gestellt, Fehler oder Fehleinschätzungen können bekannt werden.
Für Abschiedsrituale bemüht man meistens noch die Kirchen, wenn es zum Beispiel um den Tod geht. Aber auch hier gibt es längst kein Monopol mehr. Junge Menschen feiern Abschiedspartys, auch dann, wenn sie eine gleichaltrige Freundin oder einen Kameraden verloren haben. Ich empfinde das manchmal auch als Hilflosigkeit.
Wenn es darum geht nach einer längeren Beziehung sich auch wieder zu trennen, fehlen die Rituale. Bei Ehen kann die Scheidung vor Gericht ein Ersatz sein, aber dieser Akt wird manchmal zu formal empfunden und irgendwie fehlt dann doch etwas. Ein Abschiedsritual als Pendant zur Hochzeit ist kirchlich und gesellschaftlich bisher nicht üblich. „Abschiedlich" zu leben wird uns nicht leicht gemacht. Wir wissen zwar, dass uns alle der Tod erwartet und dass Abschiede, Trauer und Schmerz, zum Leben gehören. Versöhnungs- und Abschiedsrituale helfen uns, Tränen zuzulassen, aber auch, sie zu überwinden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9695
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