SWR4 Abendgedanken BW

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Im Dezember 1773 wurde den Eheleuten Johann und Christine Steeb wieder ein Kind geboren, ein Sohn, den sie Karl nannten und in der Tübinger Stiftskirche taufen ließen. Die Steebs waren fromme Leute, dem Pietismus zugetan. Sie besaßen das Hotel Lamm am Marktplatz und einen erfolgreichen Wollhandel. Der Vater wird als streng beschrieben, die Mutter als warmherzig und feinfühlig. Unter ihrem Einfluss entwickelte sich Karl zu einem verständnisvollen jungen Mann.

Als er sechzehn war, schickte ihn der Vater ins Ausland, um das Geschäftsleben kennenzulernen. Zunächst nach Paris, und dann nach Oberitalien, nach Verona.

Die Mutter hatte große Bedenken und nahm ihrem Sohn das Versprechen ab, unbedingt seinem protestantischen Glauben treu zu bleiben. Aber in Verona lernte Karl einen Katholizismus kennen, der so ganz anders war, als ihn seine Mutter geschildert hatte, und der ihn faszinierte, und bald trat Karl zum katholischen Glauben über. Was er befürchtet hatte, trat ein, seine Eltern brachen jeden Kontakt mit ihm ab und enterbten ihn.

Von da an nannte er sich ‚Carlo', studierte Theologie und wurde mit 23 zum Priester geweiht.
Verona wurde damals mehrfach von Napoleon besetzt und geplündert. Verona war ein riesiges Lazarett - und Carlo lernte als Dolmetscher und Beichtvater das Elend der verwundeten jungen Soldaten kennen, die unter unmenschlichen Bedingungen dahinsiechten.

Da tat er etwas, was für einen katholischen Priester jener Zeit höchst ungewöhnlich war: Er übernahm selbst die Aufgabe, die Schwerkranken zu pflegen. Und hier kamen seine protestantischen Wurzeln und der Geist seiner Erziehung zum Vorschein. So sieht es jedenfalls der Orden der „Schwestern der Barmherzigkeit", den er später gründete. Was er von seiner Mutter und ihrer praktischen Liebe erfahren hatte, brachte ihn dazu, die Grenzen des Priesterberufes zu sprengen.

In Italien wurde Carlo Steeb als „Samariter von Verona' hoch verehrt, aber in seiner Heimatstadt war er lange unbekannt. Heute allerdings arbeiten die Schwestern der Barmherzigkeit auch in Tübingen und leiten ein Kinderhaus, das nach ihm benannt ist.

Und am evangelischen Gemeindehaus Lamm am Marktplatz weist eine Gedenktafel auf ihn hin und sagt, dass ein ökumenischer Impuls von ihm ausgeht.

Ich verstehe das so: wenn jemand die Konfession wechselt - und er nimmt das Beste der alten Konfession mit - dann kann daraus etwas Neues und Gutes entstehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9626
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