SWR4 Abendgedanken BW

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Staunen und Glauben gehören für mich zusammen, an Weihnachten erst recht. Wer kann sich schon dem Stauen entziehen, wenn er ein Neugeborenes sieht.
Wir erleben es gerade als Großeltern wieder, das beglückende Staunen, wenn man in einem neugeborenen Kind dem Wunder des Lebens begegnet, wenn man erlebt, wie es wächst und wie sich sein Wesen entfaltet. Und aus dem Staunen wird tiefe Dankbarkeit.
Ich war dann aber doch erstaunt, als mir keine Bibelstelle einfiel und ich auch keine gefunden habe, in der das Wort ‚staunen' vorkommt. In einem Wörterbuch fand ich dann die verblüffende Erklärung: das Wort „staunen" hat gewissermaßen einen Migrations-Hintergrund. Es ist erst im 18. Jahrhundert aus der Schweiz in die deutsche Hochsprache eingewandert.
Natürlich gibt es viele andere Worte, die dasselbe meinen, und eine ganze Reihe von Redewendungen, die eindrücklich beschreiben, wie es einem geht, wenn man staunt:
Man wundert sich, ist überrascht, sprachlos, kann es nicht fassen, man traut seinen Augen oder Ohren nicht, man fällt aus allen Wolken oder guckt dumm aus der Wäsche. Es haut einen um.
Da wird deutlich: staunen kann sehr unterschiedlich sein und nicht unbedingt immer angenehm.
Staunen kann uns ergreifen, über uns hereinbrechen und man möchte sich dagegen wehren. Es kann innere Verwirrung stiften und uns lächerlich aussehen lassen.
Wenn es heftig kommt, sind wir hin und her gerissen zwischen Entzücken und Entsetzen, zwischen Bewunderung und Befremden.
So haben die Menschen auf die Wunder Jesu ja auch ganz unterschiedlich reagiert: mal heißt es: sie verwunderten sich, und ein anderes Mal: sie entsetzen sich über alle Maßen.
Ich kann verstehen, dass sich Menschen innerlich schützen wollen gegen solche Erfahrungen, die sie erschüttern oder verwirren. Und dann sagt man: Staunen ist was für Kinder und für solche, die noch nicht wissen, wie es in der Welt wirklich zugeht!
Allerdings ist Albert Einstein der Meinung: Wer nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen schon tot.
Dann käme es an Weihnachten darauf an, dass wir es so feiern und gestalten, dass wir nicht nur die Kinder zum Staunen bringen und ihnen gerne dabei zuschauen. Es käme auch darauf an, ob wir selber noch staunen können.
Ich bin sicher: Lieder können uns dabei helfen. In einem neuen Weihnachtslied aus Polen heißt es:
Zu dem heilgen Kinde / eilten sie geschwinde,
konnten staunend sehen / was da war geschehen:
Gott im Himmel schenkt uns allen / mit dem Kind sein Wohlgefallen.
Gloria in excelsis deo.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9620
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