SWR4 Abendgedanken BW

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Dass Dinge, Tiere oder Pflanzen mit uns reden, das kommt eigentlich nur im Märchen vor. Bei Frau Holle zum Beispiel bettelt ein vollbehangener Apfelbaum: Schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif!
Die Goldmarie kommt diesem Wunsche nach. Ihre Schwester aber ist zu faul und bekommt zur Strafe die Pechdusche.

Vermutlich haben Katharina Frosch und Kai Gildhorn dieses alte Märchen gekannt. Sie haben sich jedenfalls angesprochen gefühlt.

Und wir? Was ist mit uns?
- so könnten die Mirabellen und Zwetschgen gerufen haben, die keiner pflücken wollte und die deshalb überreif einfach in den Fluss fielen.

Von ihrem Boot aus hatten Katharina und Kai die reifen Früchte gesehen und waren sich komisch vorgekommen mit ihren Äpfeln aus dem Supermarkt.
Als sie wieder zuhause in Berlin waren, stellten sie eine Landkarte ins Internet, auf der herrenlose, vergessene Obstbäume eingetragen waren und eingetragen werden konnten.

Jeder kann an dieser Landkarte mitarbeiten und solche herrenlosen Bäume eintragen. Birnbäume sind gelb markiert, Apfelbäume rot. Und wer will, kann sich dann die Früchte holen.
Selbstverständlich muss vorher überprüft werden, ob die Bäume wirklich niemandem gehören. Bei jedem einzelnen Baum muss geprüft werden, ob nicht hinter einem vermeintlich herrenlosen Baum vielleicht doch ein Eigentümer steckt, der lieber sein Obst verrotten lässt, als dass es anderen zugute kommt.

Und wir, was ist mit uns?

Seit ich diese Geschichte gelesen habe, bilde ich mir ein, diese vorwurfsvolle Frage auch zu hören. Zum Beispiel wenn ich morgens vor dem Kleiderschrank stehe, und doch wieder zu einem meiner drei Lieblingshemden greife und zu der bequemen Hose, in der ich mich am wohlsten fühle.
Und wir, was ist mit uns? fragen die Hemden und Hosen, die ich nie oder nur selten anziehe. Wir sind doch nicht dafür gemacht, hier in deinem Schrank rum zu liegen.

Mancher wird vielleicht jetzt denken, der spinnt ja. Mag ja sein, aber ich merke:
Tief in mir steckt die Überzeugung, dass in den Dingen, in den Früchten und in den Produkten, die Menschen herstellen, ein Sinn steckt, dass sie eine Aufgabe haben, einen Zweck erfüllen sollen.
Wenn ich in diesen Tagen meinen Kleiderschrank umräume, werde ich deshalb strenger fragen, was ziehst du wirklich an und welche Sachen könnten zum Beispiel in der Kleiderkammer der Diakonie jemanden finden, der sie braucht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9172
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