SWR4 Abendgedanken BW

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Da geht er nun zur Schule, der Hannes, der jüngste Enkel von Erwin und Erika. Der Weg zur Schule führt am Haus der Großeltern vorbei. Nein, kurz reinschauen kann er heute nicht, er will doch nicht zu spät kommen. Mittags dann vielleicht.
Ganz ernst geht er mit seinem großen Schulranzen weiter.
„Ich weiß noch gut, wie das bei mir war, damals", sagt Erika, „vor 60 Jahren. Liebe Zeit, was hat sich nicht alles geändert seither."
„Die Ranzen waren viel kleiner", sagt Erwin. „Schiefertafel, Griffel, Läppchen. Mehr hat man am Anfang doch gar nicht gebraucht."
„Und das Pausenbrot", sagt Erika. „Das war wichtig. Etwas von daheim. Brot mit Margarine und ein bisschen Zucker drauf. Und die größte Sorge war, dass die Tafel sauber war am Morgen. Und die Griffel ganz geblieben sind."

„Ja", sagt Erwin, „und heute? Heute können sie mit dem Computer umgehen, bevor sie in die Schule kommen."
„Nicht alle", sagt Erika.
„Aber viele", sagt Erwin. „Und übers Fernsehen kriegen sie Dinge mit, für die sie doch wirklich noch zu klein sind. In was für eine Welt wachsen sie hinein?"
„Glaubst du", sagt Erika, „dass das früher auch so war? Dass unsere Großeltern sich Gedanken gemacht haben über uns?"
„Ich weiß nicht", sagt Erwin. „So kurz nach dem Krieg...? Die haben andere Sorgen gehabt damals. Wie es überhaupt weiter geht. Aber eins ist auf jeden Fall heute anders. Früher haben die Alten den Jungen was beigebracht. Ich hab viel bei meinem Großvater gelernt. Und heute - da zeigen mir meine Enkel, wie das geht mit dem Computer und dem Internet und den neuen Kameras."
„Glaubst du, die können von uns nichts mehr lernen?", fragt Erika. „Über das Leben wissen wir beide ja nun wirklich einiges. Glaubst du, dass das sich alles so sehr geändert hat? Da müssten wir doch unseren Enkeln etwas beibringen können."
„Liebe Frau", sagt Erwin, „hast du dir von deiner Großmutter Lebensweisheiten anhören wollen? Was war das denn, was die uns damals beibringen wollten? Dass man immer bescheiden sein soll und zufrieden mit dem, was man hat, solche Sachen. Hast du das damals hören wollen?"
„Nein", sagt Erika, „natürlich nicht. Trotzdem. Manches bleibt richtig. Dass man nicht allein ist auf der Welt. Dass man Rücksicht nehmen muss auf die anderen. Und dass es einem gut tut, wenn man eine Aufgabe hat. Das zum Beispiel."
„Oh je", sagt Erwin, „du willst das deinen Enkeln aber nicht predigen? Wenn sie es an uns und ihren Eltern nicht sehen, dann nützt alles Reden nichts."
„Ja", sagt Erika, „man muss sie wohl ziehen lassen. Und darauf vertrauen, dass der liebe Gott auch noch da ist. Aber wenn ich den kleinen Kerl so sehe mit seinem großen Ranzen..."

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