SWR4 Abendgedanken BW

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Erikas jüngster Enkel ist in die Schule gekommen. Bei der Schulanfangsfeier sind auch die Großeltern eingeladen und da geht Erika natürlich mit.
Der Hannes ist ein stolzer Erstklässler und Erika freut sich mit ihm, klar tut sie das, aber manchmal ist ihr ein bisschen wehmütig zumute. Dass die Zeit so schnell vergeht!
Als der Rektor eine Rede hält, lässt Erika ihre Gedanken schweifen. Lieber Gott, denkt sie, beschütz' unsern Bub, ich will es ja in deine Hand legen, dass es gut wird in der Schule, aber Sorgen mach ich mir trotzdem. Der Hannes ist noch so begeistert, und es wäre doch schade, wenn er enttäuscht würde. Da sind so viele andere Kinder, und die Lehrerin kann ja nicht alle im Blick behalten und auf jedes eingehen.
Wie sie so nachdenkt, halb für sich, halb im Gespräch mit Gott, fällt ihr ein kleiner Junge auf, der schräg vor ihr sitzt, das heißt, sie wird vor allem aufmerksam auf die Großmutter des Jungen, die ist auch mitgekommen. Eine ältere Frau in einem langen Mantel, mit einem eng gebundenen Kopftuch, eine Türkin offenbar. Und ihr Gesicht - das verrät viel Sorge, auch ein bisschen Stolz, aber vor allem Sorge.
Auf einmal spürt Erika, wie es dieser Frau geht. Sie macht sich die gleichen Gedanken um ihren Enkel wie ich, denkt Erika, sie will, dass er Freunde findet, dass die Lehrerin ihn mag und dass er gute Noten bekommt. Wenn ich mir schon Sorgen mache um den Hannes, wie geht es dann dieser Großmutter? Sie spricht wahrscheinlich kaum Deutsch. Wie muss das sein, wenn man so ganz fremd ist in einem Land? Wenn man dem Kind nicht schnell mal bei den Hausaufgaben helfen kann? Wenn man vieles nicht versteht, was hier so üblich ist? Und merkt, wie das Kind einem fremd wird, schon allein durch die andere Sprache? Das geht mir ja auch manchmal so mit meinen Enkeln, denkt sie, aber doch erst, wenn sie größer werden.
Ob sie auch für ihren Enkel betet, die türkische Großmutter? Ganz bestimmt tut sie das. Erika schaut sich um. So viele Familien, und für jede ist ihr Kind das Wichtigste. Auf einmal kommt ihr das merkwürdig vor. Ich hab immer nur an meinen Hannes gedacht, geht ihr durch den Kopf. Und die anderen Kinder, was ist mit denen? Sollte ich nicht auch für die anderen beten? Die Eltern und wir Großeltern, wir denken schon an unser Kind zuerst, aber der liebe Gott..., der hat doch viel Platz in seinem Herzen, das erzähl ich doch selber dem Hannes immer.
Lieber Gott, denkt sie, behalt' du doch die Kinder hier im Blick, und vor allem die, die es von Anfang an schwerer haben.
Und sie nimmt sich vor, dass sie die türkische Frau mal anspricht, so von Oma zu Oma müsste das doch gehen.

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