SWR4 Abendgedanken BW

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„Was ist, willst du nicht den vorderen Teil auch noch lesen?" Erwin und Erika sitzen beim Tee. Sie lesen dabei immer die Zeitung. Er zuerst den überregionalen Teil, sie fängt bei den Todesanzeigen an, liest dann die lokalen Nachrichten, und dann wird getauscht.
„Ach, lass mal", sagt sie, „heute nicht."
„Ja", sagt er, „das Wichtigste hören wir ja gleich in den Nachrichten."
„Ich bin dann mal in der Küche", sagt sie und steht auf.
Jetzt merkt er, dass etwas nicht stimmt. Der gewohnte Ablauf wäre andersrum: erst Nachrichten, dann Küche.
„Was ist mit dir los?"; fragt er.
„Was hab ich davon, wenn ich weiß, was wieder alles passiert ist", sagt Erika. „Die Welt draußen geht auch weiter, ohne dass ich alles mitbekomme."
Erwin wundert sich. Sonst hat sie zu allem, was sie gelesen hat, ihren Kommentar abgegeben. Lang wird sie das nicht durchhalten, denkt er, dazu ist sie zu neugierig. Oder ist es was Ernstes?
„Manchmal denke ich, ich bin nicht daheim hier auf der Welt", sagt Erika.
Oho, denkt Erwin, das hört sich nach was Ernstem an, und sagt erst mal nichts.
„Früher hab ich immer gedacht", sagt sie, „meine Familie, das ist mein Zuhause, das ist der Ort, wo ich sicher bin. Aber jetzt sind die Kinder aus dem Haus, und wir beide - wir leben ja auch nicht ewig. Und jetzt wird mir das immer mehr bewusst, dass wir..., dass wir fremd sind in dieser Welt. Im Grund sind wir fremd... Ach, ich kann einfach diese Bilder von den ölverschmierten Vögeln nicht mehr sehen. Und von den Erdbeben - diese Welt ist kein wirkliches Zuhause für Mensch und Tier. Solange wir gebraucht werden, denken wir nicht groß darüber nach, aber jetzt..."
Was sagt man dazu, denkt Erwin.
„Ich denke immer öfter daran, ob es wohl noch etwas anderes gibt", sagt sie." Etwas, das hinter unsrer Welt noch da ist oder darüber oder darunter."
„Wir können nicht tiefer fallen als in Gottes Hand", sagt Erwin, „oder wie hat das diese Bischöfin gesagt, die bei Rot über die Ampel...?"
„Ja", sagt Erika, „aber die ist noch jung. Da sagt man das leichter. Fallen, das klingt für mich nicht sehr beruhigend. Das macht mir eher Angst. Ich hab mal einen Spruch gelernt, der steht in der Bibel: ‚Wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir'. Daran will ich mich festhalten. Das hier ist nicht alles. Es muss noch mehr geben. Und da wird es keine Katastrophen geben und kein Elend und keine Angst mehr, und Gott, der ist nicht mehr weit weg, der ist dann ganz nah. Das steht in der Bibel, und daran will ich glauben. So, und jetzt gib mir mal den Rest von der Zeitung.

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