SWR4 Abendgedanken BW

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„Du, das könnte dich interessieren", sagt Erwin und schiebt Erika die Zeitung hin. „Die wollen einen Friedwald einrichten, zwischen Hohenentringen und dem Sportplatz."
„Ach", sagt Erika. „Da oben?" Die Gegend kennt sie gut, das ist im Wald zwischen Tübingen und Herrenberg.
„Ja", sagt er, „genau da, wo wir so gern spazieren gehen."
„Ich weiß nicht", sagt Erika, „wie ich das finde."
„Du redest doch immer davon, dass du das gut findest", sagt Erwin. „Sich in einem Friedwald begraben lassen."
„Ja", sagt sie, „man macht dann den anderen keine Arbeit mehr."
„Ach", sagt er, „vielleicht wollen die andern sich ein bisschen Arbeit machen mit deinem Grab, weil du ihnen wichtig warst."
„Das sollen sie mir vorher zeigen", sagt Erika. „Nein, den Friedwald find ich ganz schön. So mitten in der Natur begraben sein... Aber andererseits - wenn ich mir vorstelle, ich geh da oben spazieren und ganz in der Nähe liegen irgendwo ein paar Menschen, die mir vertraut waren, einfach so im Wald... Es ist ja nur die Asche, aber trotzdem. Man wird dann mitten in der Natur darauf gestoßen..."
„Ja, dass alles Leben ein Ende hat", sagt Erwin, „auch meins und deins. Das stört mich nicht, da kann man ruhig mal drüber nachdenken. Was mich stört, das ist das „Irgendwo". Irgendwo im Wald. Ich finde, zur Zivilisation gehört es, dass man seine Toten ordentlich begräbt und dass das ein Ort ist, wo nicht jeder drüber läuft oder wo die Wildschweine und die Füchse graben. Ich finde es wichtig, dass so ein Ort umfriedet ist. Umfriedet, das ist ein schönes Wort - ein Friedhof ist umfriedet, mit einer Mauer, und man findet dort seinen Frieden, hoffentlich."
„Ach", sagt sie, „den Frieden finden... Das hat ja wohl nichts damit zu tun, wo man mal begraben ist. Also, wenn ich mir vorstelle, dass wir bei Gott geborgen sind und dass wir da unseren Frieden finden, dann ist es doch egal, wo die Überreste sind."
„Ist das wirklich ganz egal?", fragt Erwin. „Meinst du nicht, dass wir uns da überschätzen? Dass diese Dinge nicht doch eine Rolle spielen? Und wenn sie für den Toten nicht mehr wichtig sind, dann doch für die Angehörigen. Um die geht es doch. Dass die einen Platz haben für die Trauer und das Drandenken."
„Das können sie auch im Wald", sagt Erika.
„Und dann gehen sie heim" sagt Erwin, „und haben das Gefühl, sie lassen dich allein zurück dort. Keine schöne Vorstellung, finde ich."
„Also", sagt Erika, „ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was ich da richtig finde und was nicht. Aber wenn es vor allem um die Angehörigen geht, dann muss man halt mal mit den Kindern darüber reden."

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