SWR4 Abendgedanken RP

SWR4 Abendgedanken RP

Sie haben Visionen und Träume. Sie sehen die Wirklichkeit ungeschönt. Sie haben sich auf einen Weg gemacht, um ihrer Kirche und den Menschen zu dienen. Sie wollen als Pfarrerinnen oder Pfarrer ihre Fähigkeiten in das Leben der Gemeinden einbringen. Von ihnen möchte ich heute Abend erzählen und spreche mit interessanten Menschen - in diesem Blickpunkt Kirche in SWR 4.

 Teil 1 

SWR 4 Blickpunkt Kirche. Sie kommen aus ganz Deutschland. Die Frauen und Männer, die sich auf den Pfarrdienst in unserer Kirche vorbereiten. Junge Menschen, die ganz unterschiedliche Fähigkeiten und Begabungen mitbringen. Sie leben zusammen im Bischöflichen Seminar in Bonn. Studierende anderer Fachrichtungen bereichern die Hausgemeinschaft. Die Johanneskapelle lädt ein zum Gebet und zum Gottesdienst. Professor Dr. Günter Eßer, Direktor des alt-katholischen Uni-Seminars, ist für die wissenschaftliche Ausbildung zuständig. Für ihn ist die Zusammenarbeit mit den anderen theologischen Fakultäten vor Ort unerlässlich: 

Wir haben hier am Seminar einen wissenschaftlichen Mitarbeiter und außerdem kooperieren wir sehr gut mit den beiden theologischen Fakultäten hier vor Ort: mit der katholisch-theologischen und der evangelisch-theologischen Fakultät.

 Drei Säulen sind für Professor Eßer in der Ausbildung der Frauen und Männer zum priesterlichen Dienst in seiner Kirche wichtig. Die erste Säule ist die spirituelle Bildung, das geistliche Leben. Die zweite Säule die Theologie und die dritte Säule die Umsetzung in die Praxis. Eßer sieht sich verantwortlich für die zweite Säule, die Theologie, als wichtige Voraussetzung für den pastoralen Dienst:

 Die Theologie als Voraussetzung für einen qualitativ hoch stehenden Dienst in unseren Gemeinden. Ich denke es reicht nicht mehr, heute zu sagen, ich bin zum geistlichen Dienst berufen, sondern die Situation von Kirche und Glauben ist so schwierig geworden; die Fragen, die die Menschen an uns stellen, sind so kompakt und komplex geworden, dass wir versuchen müssen, auf diese Fragen qualitativ gute Antworten zu finden. Deswegen ist eine gute, eine solide theologische Ausbildung unbedingt erforderlich.

 Die Vielfalt des Theologiestudiums scheint erschlagend. Doch für Professor Eßer ist diese Vielfalt nötig, um sich den Fragen der Menschen heute stellen zu können. Eßer:

 Diese Ausbildung der Theologie umfasst ja einen breiten Fächerkanon: beschäftigt sich mit der Heiligen Schrift, beschäftigt sich mit der Frage der Lehre, der Dogmatik, der Kirchengeschichte. Es werden ethische Fragen genannt. Es ist ein breites Spektrum, das unsere Studierenden mitbekommen müssen.

 Für die Verantwortlichen in der Ausbildung der zukünftigen Seelsorgerinnen und Seelsorger ist es wichtig, dass ihr Studium die Gemeindearbeit bereichert. Dass dabei auch Fragen offen bleiben, dass auch die Pfarrerinnen und Pfarrer mit ihren Gemeinden Suchende bleiben, versteht sich von selbst. Mehr dazu nach der Musik.

 Teil 2

SWR 4 Blickpunkt Kirche. Sie ist Vikarin in Frankfurt und steht dem dortigen Pfarrer zur Seite. Sie arbeitet hauptamtlich in der dortigen alt-katholischen Gemeinde und hat sich gut auf ihren priesterlichen Dienst vorbereitet. Anja Goller hat an manchen Fragen von jungen und alten Menschen in der Gemeinde gespürt, dass ihr Theologiestudium alles Andere als nur Theorie ist. Goller:

 Für mich ist heute besonders wichtig aus meiner Ausbildung, etwas, was mir damals fast unwichtig vorkam, nämlich die ganz klassische Theologie; also theologische Grundprobleme zu durchdenken und durchdacht zu haben, weil das sind Fragen mit denen ich gerade in der Jugendarbeit immer wieder konfrontiert werde. Also die Frage nach Gott an sich, die Frage nach dem Bösen, die Frage nach: Wer ist genau Jesus, wer ist Heiliger Geist, was ist Heiliger Geist - so Grundfragen. Da merke ich, das habe ich falsch eingeschätzt im Studium, dass das jetzt auch durchaus wichtig ist.

 Die junge Vikarin, Mutter eines zweijährigen Sohnes, hat sich bereits vor Jahren auf den Weg gemacht, um sich auf diesen geistlichen Dienst als Seelsorgerin vorzubereiten. Im Rückblick auf ihre Ausbildung und vor dem Hintergrund ihrer pastoralen Arbeit betont sie, wie wichtig auch das geistliche Miteinander im Bischöflichen Seminar. Das ist kein Gegensatz zur wissenschaftlichen Theologie. Goller:

 Das Zweite, was ich mitgenommen habe, ist alles, was jetzt nicht klassische Theologie ist, die geistliche Entwicklung auch: Gespräche mit dem Spiritual, mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen, Exerzitien, Auseinandersetzung mit meinem Glauben: Wo stehe ich? Wo bin ich? Ist das mein Weg? Kann das mein Weg sein?

 Anja Goller stellt sich diesen persönlichen Fragen. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen, die Suche nach Antworten, hält sie offen für die Fragen der Menschen in ihrer Gemeinde. Die Frankfurter Vikarin ist keine Einzelkämpferin. Sie arbeitet vor Ort in einem Team, dass sich gemeinsam den Aufgaben in der Gemeinde und den Fragen der Menschen stellt. Schon während ihrer Ausbildungszeit im Bonner Seminar war ihr die Gemeinschaft wichtig. Noch heute verbindet sie viel mit den Menschen, die sich damals, wie sie, für den gleichen Weg entschieden haben. Goller:

 Wir haben im Studentenseminar zusammengewohnt. Da sind tiefe Freundschaften entstanden, durch dieses Zusammenwohnen. Das sind heute meine Kolleginnen und Kollegen. Und diese Beziehung, die damals in den Jahren des Studiums aufgebaut wurde, die trägt bis heute. Und das tut gut, eine tiefe Verbindung zu wissen und Menschen zu haben, die auf demselben Weg sind.

 Es ist ein spannender Weg auf dem sich Menschen begeben, die heute in dieser Zeit Pfarrerin und Pfarrer einer christlichen Gemeinde werden wollen. Es geht um Berufsfindung, aber auch um die Entdeckung und Entfaltung einer Berufung. Mehr dazu nach der Musik.

  Teil 3

 SWR 4 Blickpunkt Kirche. Achim Jegensdorf studiert alt-katholische Theologie und möchte Pfarrer werden. Er hat sich intensiv damit auseinandergesetzt, was für ihn „Berufung" bedeutet. Für den zukünftigen Priester eine wichtige persönliche Frage. Jegensdorf:

 Das Wort Berufung ist sicherlich ein sehr vielschichtiges und auch nicht eben unkompliziertes. Es wird nur jeder Mensch selbst sagen können, in sehr individueller Weise, welchen Weg seine eigene Entwicklung genommen hat.

 Im Bischöflichen Seminar in Bonn leben Frauen und Männer zusammen, die sich als Seelsorgerinnen und Seelsorger auf ihren Dienst vorbereiten. Auch Studierende anderer Fachrichtungen bereichern die Hausgemeinschaft und die Gespräche zum Beispiel beim gemeinsamen Abendessen. Für diejenigen, die später Pfarrerin/Pfarrer werden möchten, eine wichtige Erfahrung. Sie leben nicht abgeschottet von der Welt, sondern mitten drin. Sie hören von anderen Berufszielen, sie hören von anderen Berufungen. Achim Jegensdorf erinnert sich an seine innere Zerrissenheit, die er in seinem früheren Beruf, gespürt hat. Jegensdorf:

 Die Frage, wie das denn wohl ist mit dieser Sache zwischen Gott und Mensch, diese Frage hat in den letzten gut fünf Jahren kontinuierlich immer mehr Raum eingenommen. Und mich jetzt in dieser Weise auf den Weg zu machen, bedeutet für mich zunächst einmal nichts weiter, als die notwendige Konsequenz zu ziehen und dasjenige, was ich als das innere Hauptanliegen in meinem Leben empfinde, auch äußerlich zur Hauptsache zu machen. Ich musste einen Weg finden, diesen anstrengenden Spagat zwischen Innen und Außen zu beenden - diesen Spagat, den es bedeutet, in meinem Beruf als Kaufmann den Tag mit Dingen und Tätigkeiten zu verbringen, die mit dem, was mich eigentlich beschäftigt, nur sehr wenig oder sogar nichts zu tun haben.

 Eine jüdische Erzählung aus der Sammlung Martin Bubers endet mit einer Frage, die auch heute Menschen berührt. Menschen fragen auch heute nach ihrer Berufung und ringen um die richtige Antwort. Die Erzählung handelt vonRabbi Naftali, der spät abends in einer abgelegenen Gegend auf einen Nachtwächter stößt. „Für wen gehst du?", fragt er ihn. Der Mann gibt an, in wessen Auftrag er arbeitet, und stellt die Gegenfrage: „Und für wen geht Ihr, Rabbi?" Das Wort trifft den frommen Mann wie ein Pfeil. „Noch gehe ich für niemand" bringt er mühsam hervor, dann schreitet er lange schweigend neben dem Mann auf und nieder.„Willst du nicht mein Diener werden?", fragt er endlich. „Das will ich gern", antwortet jener, „aber was habe ich zu tun?" - „Mich zu erinnern", sagt Rabbi Naftali.

Für wen gehe ich - diese Frage bewegt auch Achim Jegensdorf. Für wen gehe ich mit meinem Leben, in welche Richtung geht mein Leben. Jegensdorf:

 Die Veränderung war gewissermaßen Notwendigkeit, wollte ich vermeiden, weiterhin mit dem Gefühl leben zu müssen, in eine Richtung zu laufen, die mich nicht mehr glücklich machen konnte und in einer Weise zu leben, in der ich länger nicht mehr atmen kann.

 Die jungen Frauen und Männer, die sich in unserer Kirche auf den pastoralen Dienst in der Seelsorge vorbereiten, spüren in ihrer facettenreichen Ausbildung ihrer Berufung nach. Sie versuchen für sich und gemeinsam eine Antwort zu finden auf die Frage: Für wen gehst du? Für wen gehe ich mit meinem Leben?

Das war Blickpunkt Kirche. Ich bin Pfarrer Ralf Staymann von der alt-katholischen Kirche und wünsche Ihnen mit diesen Einblicken weiterhin eine gute Sommerzeit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8589
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