Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Manche können es nicht mehr hören und manche wollen es nicht mehr hören: die nicht endenden Enthüllungen von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen. Aber wir müssen sie uns anhören. Vor allem meine Kirche. Denn sie war in den letzten Wochen im Zentrum dieses moralischen Erdbebens. Was da alles ans Licht der Öffentlichkeit gekommen ist, ist einfach grauenhaft und erfüllt mich mit tiefer Scham. Auch weil meine Kirche seit Jahrzehnten bei der Sexualmoral die Messlatte so hoch gelegt hat und jetzt herauskommt wie oft sie sie selbst gerissen hat. Und die Regelmäßigkeit mit der die Missbrauchsfälle in den letzten Wochen an die Öffentlichkeit kamen erweckt den Eindruck sexueller Missbrauch sei die Regel in der katholischen Kirche. Das ist er aber nicht. Er ist die Ausnahme. Die schreckliche Ausnahme, die die Regel überdeckt. Die regelmäßig gute tadellose Arbeit von zig Tausenden unbescholtenen Seelsorgern. Das macht aber die Missbrauchsfälle die geschehen sind nicht erträglicher. Denn jeder ist ein Trauma für den Betroffenen, eine Schande für den Täter und immer auch für die Institution der er angehört. Und darum müssen die Täter auch zur Rechenschaft gezogen werden. Die Institutionen müssen sich für die Täter entschuldigen wenn diese es nicht tun oder nicht mehr tun können. Und die Betroffenen müssen, wenn sie es wollen, Hilfe bekommen ihre schrecklichen Erfahrungen zu verarbeiten.
Denn sexueller Missbrauch ist ein Phänomen das wohl leider gar nicht so selten ist und das es in den verschiedensten Gruppierungen unserer Gesellschaft gibt. 120.000 Kinder und Jugendliche werden pro Jahr in Deutschland sexuell missbraucht. 90% davon in der Familie! Damit ich auch hier nicht falsch verstanden werde, ich sage das nicht um von den schlimmen Verfehlungen meiner Kirche abzulenken. Wie bei allen Missbrauchstätern haben auch und gerade in der Kirche Menschen ihre Macht schamlos ausgenutzt. Denn sexueller Missbrauch geschieht fast immer in Abhängigkeitsverhältnissen. In engen, nicht ebenbürtigen Beziehungen ohne soziale Kontrolle von außen. Wo Kinder von ihren Eltern missbraucht werden, Internatsschüler von ihren Erziehern oder eben auch Kinder und Jugendliche von Priestern...
Und wenn es irgend etwas Sinnvolles an diesen nicht endenden Enthüllungen gibt, dann vielleicht dass das Tabu sexueller Missbrauch auf die Tagesordnung unserer Gesellschaft gekommen ist. Dass die katholische Kirche in eine Phase der Buße geht, mit nachhaltigen Konsequenzen in ihrem Verhalten und auch in ihren Strukturen. Vor allem aber dass die von Missbrauch Betroffenen von ihrer seelischen Last befreit und unsere Kinder heute besser geschützt werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8101
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