Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Der harte Winter hat bei uns mindestens 15 Obdachlosen das Leben gekostet. Das sorgte für ein paar Schlagzeilen. Bei  manchen regte sich sogar sacht das schlechte Gewissen! Aber nun im Frühling sitzen die „Penner", wie man sie immer noch verächtlich nennt, ja wieder gemütlich in der Sonne und bedanken sich artig, wenn im Hut ein paar Groschen klimpern.

 

Wer ahnt schon die menschlichen Tragödien, die sich hinter diesen Gesichtern verbergen? Ich denke an Ilona, Ende der dreißig. Bei der ging aber auch alles daneben! Ihr Berufswunsch blieb unerfüllt, sie jobbte ohne Ausbildung 17 lange Jahre in der Briefverteilung, verliebte sich in einen Vorgesetzten. Schon nach eineinhalb Jahren ging die Ehe mit dem schwer alkoholkranken Mann in die Brüche.

 

Nun machte sich Ilona auf die Suche nach ihrem leiblichen Vater. Kaum hatte sie ihn in Berlin ausfindig gemacht, starb der Mann. Ilonas Bruder holte sie gegen ihren Willen zurück, um in seiner Wohnung die schwerkranke Mutter zu pflegen. Nach ihrem Tod setzte er Ilona kurzerhand an die frische Luft!

 

Völlig mittellos fand sie sich im Stadtpark wieder, besaß nicht einmal einen Schlafsack, in den sie sich in den verregneten Herbstnächten hätte verkriechen können. Bis sie eines Morgens von der Parkwache aufgegriffen und in die Psychiatrie eingeliefert wurde.

 

Man wies Ilona in ein Frauenwohnheim ein: „Es war die Hölle", sagt sie, Alkohol, Drogen und Gewalt. „Die fielen übereinander her wie die Tiere". Sie büxte aus,  streunte wieder nachts durch den Stadtpark und wärmte sich tagsüber in den Kaufhäusern. „Ich war an der Grenze zwischen Leben und Tod", erzählt sie. Bis sie sich in höchster Not endlich ein Herz fasste und eine frühere Bekannte aufsuchte. Nun lebt sie in einem anderen Heim und sucht Wohnung und Arbeit.

 

Sage niemand, Ilonas Schicksal könnte nicht so oder ähnlich einem jeden von uns widerfahren! Immer mehr Menschen stürzen infolge Scheidung und Arbeitslosigkeit im freien Fall in die Tiefe! Nur intakte Beziehungsnetze können vor dem tödlichen Aufschlag bewahren.

 

Nehmen Sie sich doch bitte mal die Zeit, eine oder einen der Obdachlosen auf der Straße anzusprechen. Sie werden staunen, wie aufmerksam und dankbar sie sind. Sie werden vor allem erfahren: Obdachlose sind Menschen - wie Du und ich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8019
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