SWR2 Wort zum Sonntag

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Einladung zur Mitfeier der Karwoche

Der Palmsonntag, den wir heute feiern, ist die große Ouvertüre zur Karwoche, an deren Ende die Botschaft von der Auferweckung Jesu Christi steht. Die große Spannweite dieser Ereignisse ist oft schon an den einzelnen Tagen spürbar. Dennoch muss man immer wieder den Zusammenhang der ganzen Woche bedenken.

Bedenkt man die Karwoche, so fällt einem auf, dass wir nicht nur die uns von Kindheit an vertrauten biblischen Texte erneut hören, sondern dass gerade zu dieser Karwoche schon früh eine sehr anschauliche, ja geradezu dramatische Darstellung der Begebenheiten gehört. Dies reicht von der Palmprozession über Wache und Anbetung am Grab Christi bis zu den ausgedehnteren Passions-, und Osterspielen. Von einer Palmprozession bekommen wir bereits Kenntnis darüber, was sich gegen das Jahr 400 in Jerusalem abgespielt hat: Man versammelt sich auf dem Ölberg und zieht nach einem Gottesdienst in feierlicher Prozession in die Stadt, wobei die Kinder Oliven- und Palmzweige in Händen tragen (vgl. den Pilgerbericht der Ätheria/Egeria). Dieser Ritus fand sehr bald im Osten Nachahmung, aber auch im Westen ist er schon für das 8. Jahrhundert bezeugt. Besonders im Mittelalter hat man, wie schon angedeutet, spielerisch-dramatische Elemente in die Prozession eingebaut. Wir kennen ja bis heute plastische Darstellungen Jesu auf dem Reittier, dem so genannten Palmesel.

So kam zum alten Text immer auch etwas Neues, Eigenes hinzu. Dies ergab ein neues, lebendiges Verstehen. Weil die Karwoche so reich ist an sinnenfälligen Elementen, haben wir Kinder immer wieder gerne diese Woche mitgefeiert, auch wenn die Gottesdienste mitunter recht lange waren. Ich denke hier an den Ersatz der Glocken durch klappernde rasselnde Holzinstrumente, auch Rätschen genannt, aber auch das Osterfeuer in der Nacht oder am frühen Morgen des Sonntags, wo jeder ein selbstgeschnitztes Holzstück mitbrachte, um es nach dem Feuer und dessen Weihe wieder für ein Jahr mit nach Hause zu nehmen, ebenso Palm- und Olivenzweige. Es ist alles ein großer Versuch, die Ereignisse vor allem im Leben und Sterben Jesu auf besonders eindrückliche Weise lebendig zu vergegenwärtigen und in das alltägliche Leben zu übersetzen. Für uns Kinder und Jugendliche war diese Form des Feierns eine nachhaltige Erinnerung, die ein ganzes Leben lang lebendig bleibt.

Man darf dies aber nicht als Kinderspiel und Folklore abtun. Der ganze Ernst des menschlichen Lebens kommt darin auch zur Anschauung. Dies wird z.B. deutlich in der Palmprozession. Jesus wird von den Menschen wie ein König bejubelt. Er zieht unter den begeisterten Rufen in seine Stadt ein: „Hosanna, dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!" (Mt 21,9) Jesus lässt sich jedoch dadurch nicht verführen. Gleichwohl spüren die Menschen, dass hier einer ganz anders auftritt als die Machthaber von damals und heute. „Wer ist das? Die Leute sagten: Das ist der Prophet Jesus von Nazareth in Galiläa." (Mt 21,11)

Dabei bleibt es aber nicht. Auch damals konnten Stimmungen rasch wechseln. Es wird nur kurze Zeit dauern, dass die Volksmassen - es ist jetzt wirklich weniger vom Volk als von der Menge, ja sogar dem Pöbel, die Rede - sich von den Pharisäern und Schriftgelehrten überreden lassen und bei der Amnestie dem Räuber Barabbas vor Jesus den Vorzug geben. Sie machen es dann dem unschlüssigen und feigen, durchaus kundigen Pilatus leicht, Jesus zur Hinrichtung überzustellen. „Da schrien sie: Kreuzige ihn! Pilatus entgegnete: Was hat er denn für ein Verbrechen begangen? Sie schrien noch weiter: Kreuzige ihn!" (Mk 15,13-15) So nah liegen überbordende Begeisterung und pöbelhafte Vernichtung, „Hosanna" und „Kreuzige ihn" beieinander. Auch heute gibt es diesen fliegenden Wechsel der Stimmungen in unserer Öffentlichkeit.

Wir sind also nahe in unserer Gegenwart. Ich möchte Sie einladen, an den vielen Gottesdiensten der kommenden Woche teilzunehmen. Dann finden wir auch unseren Platz unter den vielen Beteiligten: bei den feigen Jüngern, bei den Soldaten oder bei Simon von Cyrene, der Jesus das Kreuz tragen hilft, oder bei der ganz kleinen Gruppe besonders von Frauen, die Jesus in alle Stationen und Stunden hinein folgen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=7996
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