Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Aus Indien stammt diese Geschichte: Ein Fürst ließ die Blinden seines Landes zusammenkommen. Dann führte er einen Elefanten in ihre Mitte. Die einen befühlten den Kopf des Elefanten, andere einen Fuß, wieder andere den Rüssel, einige das Ohr, andere die Schwanzquaste, und noch andere den Stoßzahn. Anschließend bat er die Blinden, ihm zu beschreiben, was ein Elefant sei. Die am Kopf waren meinten, es sei ein Topf. Die an der Schwanzquaste sagten, es sei ein Besen. Die am Fuß gesessen hatten, sprachen von einem Baum. Die den Rüssel betastet hatten meinten, es handle sich um eine Schlange. Die das Ohr gefühlt hatten sprachen von einer Schaufel. Es begann ein heftiger Streit unter den Blinden über das, was ein Elefant sei. Jeder meinte, recht zu haben. Jeder traute nur seiner eigenen Erfahrung. Aber sie vermochten nicht, das Ganze zusammenzubringen und zu erkennen, was in Wahrheit ein Elefant sei. (Indisches Gleichnis – Quelle nicht bekannt) Ein plastisches, treffendes Bild dafür, dass die einzelnen Auffassungen der Blinden über den Elefanten keineswegs falsch sind. Sie beschreiben einzelne Teile genau und richtig – und jede einzelne dieser Beschreibungen ist unverzichtbar. – Problematisch wird es, wenn die eigene Sichtweise für das Ganze ausgegeben wird. Anders gesagt: Problematisch wird es ,wenn ich mein Verständnis vom Leben, meine Vorstellung von der Welt, meine Sicht des Glaubens absolut setze und andere Lebensentwürfe nicht gelten lasse oder gar bekämpfe. – Wer schon vermag das Ganze, die Wahrheit, den Sinn von allem zu erkennen? Ich fühle mich recht wohl bei solchen Überlegungen. Sie überfordern nicht, sondern entlasten: Ich habe und brauche nicht die ganze Wahrheit, wünsche mir aber so viel, dass ich spüre, wo es lang gehen könnte. Ich muss nicht alle Geheimnisse entschlüsseln und alle Rätsel lösen. Ich möchte mich aber orientieren können und Menschen begegnen, die mitgehen. Ich besitze nicht alle Freiheit, aber doch so viel, dass ich nicht einfach stehen bleibe, sondern unterwegs bleibe. Ich erkenne nicht den Sinn von allem. Aber ich vertraue darauf, dass Gott ihn mir einmal offen legt, und dass ich bis dahin den anderen und mir möglichst treu bleibe.
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