Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ohne eine Vision verwildert ein Volk“, heißt es im Buch der Sprichwörter im Alten Testament (Sprüche 29,18). Geht’s denn zurück ins Steinzeitalter? Alarmierende Anzeichen deuten auf eine solche Verwilderung bei uns hin: Sinnlose, brutale Gewalt auf den Straßen und in den Stadien, das Koma-Saufen der Jugendlichen, Flat-Rate-Bordelle. Fehlt uns das verbindende Band einer Vision? Glauben wir nicht mehr an ein friedliches Zusammenleben und an ein Gemeinwesen, das allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht?
Alarmierend auch diese seltsame Unlust, die weite Strecken des Bundestagswahlkampfs bestimmte. Dabei türmen sich doch ganze Berge von Problemen: Die unsägliche Finanz- und Wirtschaftskrise mit ihren fatalen Auswirkungen auf Arbeitsplätze und das Gemeinwohl. Der erneute Mangel an Ausbildungsplätzen, der umstrittene Militäreinsatz in Afghanistan, die katastrophalen Zustände um die atomaren Endlager, die Klimakatastrophe, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Jede einzelne dieser Fragen müsste doch Wählerinnen und Wähler vom Hocker reißen. Womöglich aber wird am Sonntag wieder einmal die größte Partei das Rennen machen: Die Partei der Nichtwähler. „Die da oben machen ja doch, was sie wollen“, hört man viele Zeitgenossen jammern. Natürlich machen die, was sie wollen, wenn wir sie einfach machen lassen und nicht einmal unser bescheidenes Stimmrecht in Anspruch nehmen.
„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, meinte vor Jahren ein Bundeskanzler. An die Kraft einer Vision, die den Laden zusammenhält, hat dieser Pragmatiker nicht geglaubt.
Anders im Volk Israel im Alten Testament: Solange die Vision lebendig blieb, dass Gott zu seinem Volk steht, herrschten Frieden und Wohlergehen. Kam diese Vision abhanden, waren Kriege und Katastrophen vorprogrammiert.

Der Deutsche Bundestag feierte vor kurzem seinen 60. Geburtstag. Unsere Mütter und Väter haben nach dem Krieg aus Schutt und Asche heraus ein blühendes Gemeinwesen geschaffen und es der demokratischen Willensbildung unterstellt. Sollten wir diese Vision nicht bewahren, dass wir in dieser Demokratie bei all ihren Mängeln doch eine gute Zukunft haben? Dann allerdings müssen wir am Sonntag schon unser Kreuzchen machen. Mehr noch: Wir dürfen am Wahltag nicht einfach unsere Stimme abgeben und sozusagen stimmlos werden. Wir müssen sie vielmehr auch nach der Wahl lautstark erheben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=6776
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