SWR2 Wort zum Sonntag

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Wer bin ich? Wozu bin ich in der Welt? Was ist der Sinn meines Lebens? In einem der bedeutendsten Werke der Reformationszeit, im Unterricht in der christlichen Reformation, der Institutio christianae religionis, werden diese Fragen so beantwortet: Ich bin da, um Gott und mich selbst zu erkennen. Dieses Erkennen ist nicht nur eine Sache des Verstandes. Gotteserkenntnis bedeutet eine innige Lebensgemeinschaft mit Gott. In ihr setze ich mein ganzes Vertrauen auf ihn. Ich richte mein ganzes Leben nach seinem Willen aus. Ich rufe ihn in allen Nöten an. Ich suche mein Heil und alles Gute bei ihm. - Wenn ich Gott auf diese Weise erkenne, ehre ich ihn. Darum gilt auch: Der Sinn meines Lebens besteht darin, Gott zu ehren. Dazu bin ich da. Darin erkenne ich auch mich selbst. Ich erkenne mich als Gottes Geschöpf, sehe dabei meine Schwächen und meine Schuld und erkenne mich doch als Mensch, der von Gott erwählt und geliebt ist.

Der Verfasser dieses Werkes, das zunächst den Umfang eines knappen Katechismus hatte, dann aber in immer neuen Auflagen auf ein umfangreiches Buch mit 80 Kapiteln angewachsen ist, war Johannes Calvin. Am 10. Juli vor 500 Jahren wurde er in Noyon, in Nordfrankreich, geboren. Sein Vater war dort Notar des Domkapitels und hat schon dem Zwölfjährigen Einkünfte aus einer Pfarrei verschafft. Während seines Jurastudiums begegnete Calvin der Weltanschauung des Humanismus, der es um die Würde des Menschen, seine Freiheit und um Bildung geht. Dann kam es, wie er selbst sagt, in einer plötzlichen Bekehrung zu einer Hinwendung zum Evangelium. Die Folge war, dass er Paris verlassen musste. In Basel studierte er die Bibel, Schriften Luthers und Melanchthons und arbeitete an dem Katechismus, aus dem dann das große Werk des Unterrichts in der christlichen Religion werden sollte. Dringende Bitten veranlassten ihn, in Genf das Amt eines Lektors der Heiligen Schrift anzunehmen. Der Rat der Stadt hatte die Reformation eingeführt. Calvin machte diesem einen Vorschlag zur Neuorganisation der Kirche. Ihm lag daran, dass die Kirche auch in ihrer Gestalt und ihrer Ordnung ihren Glauben bekennt. Ihre Glieder sollen dem Evangelium gemäß leben. Um dieses zu gewährleisten, wollte Calvin das Mittel der Kirchenzucht einsetzen. Durch sie sollte Vergehen gegen die evangelische Lehre oder sittlichen Verfehlungen nachgegangen werden. Der Rat der Stadt war mit Calvins Reformvorschlägen nicht einverstanden. Er musste die Stadt verlassen. Nach einem für ihn sehr glücklichen Aufenthalt in Straßburg wurde er erneut nach Genf gerufen und hat jetzt seine Vorstellungen durchsetzen können.

Im Jahr 1936 hat Stefan Zweig in einem kleinen Buch Calvin in düsteren Farben geschildert und vor allem die Maßnahmen der Kirchenzucht als Tyrannei scharf verurteilt. Calvin war für Zweig Chiffre für alles, was er an der Nazidiktatur verabscheute. Dabei ist ein Zerrbild von Calvin entstanden. Man muss die Kirchenzuchtmaßnahmen damals nicht gut heißen, kann aber doch sehen, was Calvin mit ihnen meinte: eine Kirche, die in ihrer Ordnung und im Leben ihrer Glieder dem Evangelium entspricht. - Zwei Jahre zuvor, auch in der Zeit des Naziregimes, wurden im Bekenntnis von Barmen wesentliche Einsichten Calvins aufgenommen, wenn es dort heißt: Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Im Folgenden ist von der Kirche der begnadigten Sünder die Rede, die mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung bezeugen soll, wem sie gehört. Damit ist Wesentliches auch für heute gesagt! https://www.kirche-im-swr.de/?m=6353
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