SWR4 Abendgedanken

21MAI2024
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Gabriele weiß ganz genau, was mit dem ganzen Zeug in ihrer Wohnung passieren wird, wenn sie einmal nicht mehr lebt.

Gabriele ist eine frühere Kollegin von mir. Wir treffen uns seit langem mal wieder, trinken nen Kaffee und bringen uns auf den aktuellen Stand, was in unserem Leben gerade so los ist. Sie erzählt, dass ihre Eltern demnächst umziehen werden, weil ihnen ihr Haus jetzt einfach zu groß geworden ist.

Der ganzen Familie graust es schon davor, es auszuräumen. Zu entscheiden, was weg kommt oder was sie als Erinnerung behalten wollen.

Dann erzählt mir Gabriele, dass sie schon genau weiß, wie das mit ihrer eigenen Wohnung mal sein wird. Sie sagt: „Wolfgang, du kennst meine Wohnung. Du weißt, ich hab echt viel Zeug und Krimskrams, was da rumsteht.

Deswegen hab ich all meinen engen Freunden schon gesagt: Wenn ich mal nicht mehr bin, möchte ich, dass ihr in meine Wohnung geht und jeder sich ein Ding aussucht. Nur eines. Als Erinnerung an mich. Alles andere bleibt dort. Danach macht ihr die Tür einfach an einem Tag auf und veranstaltet einen großen Flohmarkt, auf dem alles verkauft wird.

Und mit den Einnahmen macht ihr dann gemeinsam eine Reise.“

Was für eine großartige Idee! Nicht nur, dass sie weiß, was mit ihrem ganzen Zeug passieren soll, nein, auch, dass ihre Freunde was davon bekommen sollen. Und ich mag den Gedanken sehr, dass die Zurückbleibenden etwas gemeinsam unternehmen und dabei an den Menschen, den sie verloren haben, denken und über ihn reden.

Das erinnert mich ein wenig an die Tradition des Leichenschmauses nach einer Beerdigung. Als Kind gab es den bei mir zuhause immer. Nach der Beerdigung gingen alle gemeinsam in die Wirtschaft, ein Bild des Verstorbenen wurde aufgestellt, eine Kerze angezündet und es wurde gemeinsam gegessen, getrunken und gesprochen.

Als Pfarrer habe ich das später nur noch selten erlebt. Manchmal haben mir Angehörige gesagt, dass sie das nicht wollen oder wenn, dann nur im ganz kleinen Familienkreis. Dass sie das geschmacklos finden, dass man nach einer Beerdigung groß zusammensitzt, isst und trinkt. Vielleicht sogar lacht und laut wird.

Aber genau darum geht es doch. Zu zeigen, dass das Leben weitergeht. In aller Trauer. Trotzdem. Erinnerungen zu teilen. Sich nicht in der Trauer zu verkriechen und einzuschließen.

Ich mag jedenfalls die Idee von Gabriele. Quasi ein moderner Leichenschmaus. Nur viel ausführlicher als Reise. Vielleicht könnte das ein neues Ritual werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39918
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