Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16MAI2024
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Menschen und Tiere, das ist eine ganz besondere Geschichte. Menschen fühlen sich wohl, wenn Tiere in der Nähe sind, deshalb haben sie vor Jahrtausenden angefangen, sie zu zähmen und an sich zu gewöhnen. Zunächst als Lieferanten für Wolle, Milch und Fleisch, dann auch als tierische Arbeitskräfte. Und irgendwann wurden aus den tierischen Mitarbeitern dann Familienmitglieder. Mit neuen Aufgaben: kuscheln statt jagen, geduldig warten, beim Spaziergang begleiten, verschwiegen zuhören, trösten, aufmuntern, zum Lachen bringen. Was täten wir ohne Haustiere! Manchmal sind sie geradezu Therapeuten.

Das gilt auch für die Hündin Roxy. Die ist eine Pitbullmischung und lebt – in einem Gefängnis in Amerika. Dort gibt es ein außergewöhnliches Projekt, und zwar zusammen mit einem Tierheim. Den Gefangenen wird angeboten, einen Hund aus dem Tierheim zu bekommen, und zwar einen, der schwierig ist und nicht vermittelt werden kann und sonst eingeschläfert werden müsste. So kam Roxy zu Michael. Seit drei Jahren teilen sich die beiden nun schon die Zelle. Der Gefängnisleiter sagt: „Man kann sich kaum vorstellen, was diese Hunde mitgemacht haben, aber wenn ich dann sehe, wie sie von unseren Insassen geliebt und umsorgt werden und wie sich die Hunde wandeln von Opfern zu Familienmitgliedern, dann ist es das alles wert.“  

Menschen, die um sich schießen, und Hunde, die um sich beißen. Alle haben sie ihre Geschichte, und alle ihre Geschichten sind traurig. Denn kein Mensch wird als Gewaltverbrecher geboren und kein Hund als aggressives Monster. Und dann treffen sie aufeinander. In einem Gefängnis. Und lernen, mühsam und in ganz kleinen Schritten, dass Menschen nicht unbedingt quälen und dass gefährliche Hunde keine Bestien bleiben müssen.

Ich finde das besonders anrührend: Es sind gerade die Verlierer, die einander eine Chance geben, das Leben neu zu lernen, mit anderen Regeln als denen, die sie bisher kannten. Mit Gefühlen, die ihnen eine ganz neue Welt des Zusammenlebens erschließen: Vertrauen, Anhänglichkeit, ja, ich trau mich zu sagen: Liebe.  

Vielleicht fängt Liebe ja immer damit an: die eigenen Wunden zu sehen und zu respektieren – und ebenso die der andern. Und einander behutsam zu helfen, dass die Verwundungen des Lebens heilen können. So wie Michael und Roxy.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39901
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