SWR1 Begegnungen

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05MAI2024
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Anna Dushime copyright: Johanna Wittig, rbb

Christopher Hoffmann trifft: Anna Dushime

Am vergangenen Wochenende hat sie den Grimme-Preis verliehen bekommen – für ihre Gesprächsführung in der Talksendung „Der letzte Drink“. Bei der Preisverleihung hat sie ihrem Vater, der vor 30 Jahren im Genozid in Ruanda umgebracht wurde, die Auszeichnung gewidmet.  An ihn gerichtet, sagte sie in die Kameras: „Wir haben überlebt…mit dem Grimme-Preis kannst du jetzt im Himmel angeben.“ „Wir“- das sind ihre Mutter und ihre Schwestern. Fast alle anderen Familienmitglieder sind in dem Völkermord umgebracht worden. Rund 1 Millionen Menschen starben innerhalb von 100 Tagen. Anna Dushime war damals fünf Jahre alt, als sie im „Hôtel de Mille Collines“, das später in dem Film als „Hotel Ruanda“ bekannt geworden ist, Zuflucht fand:

Uns hat das das Leben gerettet, dass wir dahin fliehen konnten. Und das war in der Nähe von der Schule, in der mein Vater unterrichtet hat und wiederum diese Schule war direkt in der Nähe von unserem Haus und als es dann losging sind wir zunächst in die Schule geflohen, da waren natürlich die Familien aus der Nachbarschaft. Da wurde dann mein Vater umgebracht und nach und nach wurden die Männer zuerst umgebracht und da wussten wir, dass wir nicht in Sicherheit sind

Nach Wochen in der Schule suchen Anna Dushime, ihre Mutter und ihre Schwestern deshalb zunächst Obdach im „Hôtel de Mille Collines“ und von dort fliehen sie nach Uganda. Annas jüngste Schwester ist damals ein sechs Monate altes Baby, ihre Mutter trägt es auf der Flucht ins Nachbarland auf dem Rücken.  

Ich glaube es ist unmöglich in Ruanda rein zahlenmäßig jemanden zu treffen, der vom Genozid nicht berührt ist. Entweder hat man wie wir Familienmitglieder verloren oder die Familie war in irgendeiner Form am Genozid beteiligt, manchmal sogar beides –das ist eine sehr schmerzhafte, sehr verwobene Geschichte des Landes, die aber nicht unüblich ist für viele Länder, die kolonialisiert wurden. 

Anna Dushime ist es wichtig zu benennen, dass der Konflikt zwischen den Gruppen der Hutus und Tutsis nicht über Nacht ausgebrochen ist. Volksgruppen wurden jahrelang gegeneinander aufgewiegelt. Es begann nicht mit Taten, sondern erstmal mit Hetze im Alltag. Deshalb findet es Anna Dushime auch enorm wichtig jeder Form von Antisemitismus und Rassismus heute zu begegnen, bevor es zu spät ist.

Man kann sich die Stimmung im April 1994 ungefähr so vorstellen, dass man im Radio täglich zugedröhnt wurde: Dass Tutsis Kakerlaken sind. Im Nachhinein denkt man: Was, das haben die Leute geglaubt? Dass Tutsis irgendwie eine Rippe mehr haben.

Unfassbar und schrecklich. Anna Dushime hat den Genozid überlebt, aber auch in ihrer Seele hat er tiefe Wunden hinterlassen. Bis heute arbeitet sie das, was sie erleben musste, therapeutisch auf. Darüber zu sprechen, sagt sie, ist enorm wichtig. Wie geht es ihr heute damit?

Für mich ist das Ziel Frieden in meinem Herzen und, dass ich diese Bitterkeit und diese Gefühle nicht an mein Kind weitergebe oder an andere Menschen, die nichts dafür können.

Ich treffe Anna Dushime in Berlin-Charlottenburg. Hier lebt und arbeitet sie – als Programmchefin des Satireformats „Browser-Ballett“, als Kolumnistin für die taz und als Moderatorin. Mich hat sie neugierig gemacht, als ich sie in einem Podcast von funk, dem jungen Netzwerk von ARD und ZDF, gehört habe: und zwar über Glauben und Kirche. Die 36-Jährige wünscht sich viele Reformen in der Institution Kirche. Aber sie würde nicht austreten. Weil sie denen den Rücken stärken will, die mit langem Atem für Veränderungen in der Kirche kämpfen. Und weil Kirche für sie, die progressive Journalistin aus der Hauptstadt, auch eine Heimat ist:

Vor allem: ich brauch einfach eine Heimat oder etwas, wo mein Glaube sozusagen verwurzelt sein kann. Dafür muss ich nicht jeden Sonntag gehen, das schaffe ich ehrlich gesagt gar nicht, aber wenn ich geh, gibt mir das immer total viel. Früher war ich auch wie jeder Teenager: „Oh nein, ich will nicht in die Kirche“. Aber jetzt fehlt mir das total, wenn ich das nicht mache.

Nach dem Genozid in Ruanda hat sie schwer mit Gott gehadert. Inzwischen ist Gott für sie ein ganz wichtiger Gesprächspartner im Alltag:

Jeden Tag zu beten oder mit meinem Kind zu beten. Also wenn ich bete, habe ich das auch schon mal erlebt, dass Partner gesagt haben: „Hä? Ich wusste gar nicht, dass du betest, ich dachte du telefonierst oder so“, weil ich rede so ganz normal. Und ich erzähle so von meinem Tag und frage auch um Rat und das ist glaub ich dann so eine väterliche oder mütterliche also eine elterliche Figur ist Gott für mich.

Ganz wichtig ist ihr auch das christliche Menschenbild: Dass der Wert eines Menschen nichts mit seiner Leistung zu tun hat, sondern die Würde aller Menschen wirklich gleich ist:

Mensch ist Mensch! Alle haben irgendwas Interessantes zu erzählen oder irgendwas Besonderes an sich, wirklich jeder Mensch!

Anna Dushime ist das auch deshalb wichtig, weil sie immer noch Alltagsrassismus erlebt – manche Menschen können sich nicht vorstellen, dass eine Schwarze Frau eine Redaktionsleiterin ist oder eine Talkshow im deutschen Fernsehen moderiert:

Weil viele Leute eben Schwarze Frauen meistens nicht dahin verorten, wo ich bin. Und deshalb gehen sie auch nicht so mit mir um. Das kommt dann vielleicht im Gespräch und dann ändert sich das und das finde ich sowieso ganz schlimm. Ich finde, dass man immer mit allen Leuten so höflich umgehen sollte und nicht, weil man denkt die Person könnte vielleicht irgendwie wichtig sein oder so.

Menschen, die sich erst über andere erheben und ihr Verhalten dann ändern, wenn sie einen eigenen Vorteil wittern- geht gar nicht! Deshalb thematisiert sie in ihrer Arbeit Rassismus. Aber eben auch, dass Schwarze Menschen mehr zu bieten haben als dieses Thema.

Viele von den Schwarzen Journalist*innen, die ich kenne, reden sehr oft über Diversität und Rassismus, nicht weil sie Expert*innen darin sind, sondern weil sie oft dazu gemacht werden - oft werden uns diese Themen zugeschoben- und ich will damit nur sagen, dass wir auch noch mehr Themen anzubieten haben:  über Finanzen, über Start-ups, über Feminismus, …

Und deshalb hoffe ich sehr, dass auf die Grimme-Preis-prämierte Folge von „Der letzte Drink“ noch viele Getränke und Gespräche mit Anna Dushime folgen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39864
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