SWR4 Abendgedanken
Heute Abend treffen wir uns wieder zum meditativen Tanzen. Wir- das sind 8 bis 10 Frauen – alle über 60, manche sind schon verwitwet.
90 Minuten lang tauchen wir ein in die Musik, die uns beim Tanzen begleitet. Die ist ganz unterschiedlich: rockig, traditionell, meditativ oder klassisch.
Meditiatives Tanzen bedeutet, sich der Musik anzuvertrauen und mit den anderen im Kreis in Einklang zu kommen. Gemeinsam nach rechts und links, vorwärts und zurück zu tanzen. Die Schritte sind sehr einfach und doch ist es dem meditativen Tanzen eigen, dass es keine Ablenkung, keine anderen Gedanken zulässt. Man muss ganz im hier und jetzt sein und kann nicht darüber nachdenken, was es zum Abendessen gibt. Sobald ich mir überlege, welchen Tanz ich als nächstes vorschlage, gerate ich aus dem Takt. Das ist das Geheimnis des Tanzes: im Hier und Jetzt sein.
Und das sind alle, die dabei sind. Niemand lässt sich von seinen körperlichen Einschränkungen abhalten. Und gelegentlich kann ich in den Schritten und Bewegungen der Frauen erahnen, wie sie sich als junge Frau vor 40 oder 50 Jahren mit Freude auf der Tanzfläche bewegt haben. Das ist schön und es hebt in diesem Moment alle zeitliche und körperliche Begrenzung auf.
Sich im Tanz zu verlieren, das kann wie ein Gebet sein. Ganz bei sich sein, ganz in diesem Moment sein, es mit Hingabe tun – das ist für mich Gebet.
Diese Erfahrung beschreibt Madeleine Delbrêl, eine Frau, die immer versucht hat, Glauben und Alltag miteinander zu verbinden in einem Gebet so:
„Uns bleibt es überlassen, [… ] fröhliche Menschen zu sein,
die ihr Leben mit dir, tanzen.
Um ein guter Tänzer zu sein,
muss man nicht wissen, wie es weiter geht - mit dir wie anderswo,
Man muss folgen, fröhlich sein, leicht sein,
und vor allem nicht steif sein.
Man darf nicht nach Erklärungen fragen,
in Bezug auf die Schritte, die dir zu tun gefallen.
Man soll nicht um jeden Preis vorwärtskommen wollen,
sondern es annehmen, sich nach links und rechts zu wenden.
[…] Und das wären alles nur sinnlose Schritte,
wenn die Musik nicht eine Harmonie daraus machen würde.“*
Miteinander zu tanzen, sich den Tanzschritten und der Melodie anzuvertrauen, aber auch der Gemeinschaft, das tut jeder von uns gut.
Aus dieser Erfahrung lässt sich Kraft schöpfen und die Hingabe an das Hier und Jetzt, relativiert manchen Ärger und manche Sorge in diesen 90 Minuten. Für mich ist das Tanzen auch eine Gebetserfahrung, eine Ermutigung und eine Stärkung.
Ich freue mich auf das Tanzen heute – und ich wünsche Ihnen, dass auch Sie solche Oasen im Alltag finden, in denen sie aufatmen und sich freuen können.
*Madeleine Delbrêl, in: Rita Knöppfler-Parsons, Madeleine Delbrêl. Das Aggiornamento der Demut in ihrem Leben und in ihren Schriften, München 2006, 114-120.
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