Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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27APR2024
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Eigentümlich ruhig ist es, als ich den großen Raum betrete. Es ist ein Kirchenraum mit hohem Deckengewölbe. Es stehen keine Bänke drin, sondern Stühle in mehreren Reihen im Halbkreis. Holzfußboden. Die Stühle sind fast alle besetzt, bestimmt 150 Leute. Man hört die Stühle auf dem Holzfußboden, man hört Geräusche, die Menschen machen, wenn sie nicht sprechen. Räuspern. Atmen. Kichern.

Lars, ein Freund, hat mich eingeladen, er steht auf, winkt mir. Ich bahne mir einen Weg durch die Stuhlreihen. Manchen lege ich meine Hand vorsichtig auf die Schulter, dass sie kurz rücken.

Es ist noch ein anderes Geräusch im Raum: Das Geräusch von Fingern und Händen, die gestikulieren, von Stoff und Schuhen auf dem Boden.

Alle, die hier sind, sind gehörlos. Sie hören mich nicht kommen, machen nicht automatisch Platz. Instinktiv spreche ich nicht. Ich mache vorsichtig mit meinen Händen auf mich aufmerksam, will mich nicht einfach durchdrängeln.

Ich setze mich neben Lars auf einen Stuhl. Als der Pfarrer hereinkommt, winkt er und alle heben die Arme zum Gruß.

Ich kann keine Gebärdensprache und außer mir sind noch ein paar andere Leute da, die hören. Der Pfarrer gebärdet, formt Worte mit dem Mund und uns zuliebe spricht er sie auch laut aus. Mitten im Gottesdienst wünschte ich, dass er die Worte einfach sein lässt. Und darauf vertraut, dass wir die Gebärden verstehen. Oder besser: Dass etwas bei uns ankommt. Von der Bewegung. Den Gebärden. Der Atmosphäre, all das spricht so viel mehr, dass die gesprochenen Worte eher ablenken oder zu sehr festlegen.

Heute ist Samstag und am liebsten würde ich am Ende dieser Woche, in der mich die Worte so beschäftigt haben, still sein. Aber Radio lebt eben davon, dass gesprochen wird. Oder dass Musik gespielt wird. Worte, sie sind ein Segen. Sie haben ihre Orte, an denen sie unabdingbar sind. Und gleichzeitig haben die Worte so viele Geschwister: Gebärden, Seufzen, Schnauben, Singen, Räuspern. Und die Stille.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39732
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