SWR4 Feiertagsgedanken

SWR4 Feiertagsgedanken

01APR2024
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Mit einem erwartungsvollen Schmunzeln und einem Blick, der Überraschung erwartet, hatte sie die Schranktür geöffnet. Benita. Wir haben beide ein Wohnheim für Studierende geleitet. Gerade hatten wir diese Aufgabe übernommen, und sie hatte mich auf ein Glas Wein zu sich nach Hause eingeladen. Es war eines von diesen Treffen, bei denen ein Wort das andere gibt, wo aus Kolleginnen Freundinnen werden. Jetzt stand sie an ihrem Schrank und hatte die Tür geöffnet.

Aus dem Schrank nahm Benita ihr Totenkleid. Es hing dort schon eine Weile parat. Ein schlichtes weißes Leinenkleid, geschneidert von ihrer Mutter. Mich hat das an dem Abend berührt: dass die Mutter für ihre Tochter das Totenkleid genäht hat. In unserer theologischen Arbeit haben wir uns intensiv mit dem Sterben beschäftigt. An diesem Abend war für uns beide aber klar, dass dieses Kleid noch lange im Schrank hängen würde. Aber es kam anders. Wenige Wochen nach diesem Treffen wurde bei Benita Lungenkrebs diagnostiziert. In den Wochen und Monaten ihrer Krankheit sind wir als Freundinnen und Freunde zusammengerückt. Es war ein Auf und Ab. Zwischen Hoffnung und dem Auskosten von Leben. Im Mai haben wir uns alle Festtagskleider angezogen, haben getanzt auf der Alten Brücke und in der Bar und haben das Leben gefeiert. Im Herbst war klar: der Krebs ist stärker. Sie musste sich von ihrem Leben verabschieden und wir von unserer Freundin. Bei einem unserer letzten Gespräche hat sie gesagt: „Jetzt will ich aber auch wissen, wie es dort drüben aussieht.“ Wenige Tage später standen wir um ihren offenen Sarg. Sie hatte das Totenkleid an. Kurz vorher war ihre Mutter gestorben. Das Leben in seiner ganzen Verweslichkeit stand uns vor Augen.

Kurz vor ihrem Tod war Benita neugierig darauf, wie es da drüben aussieht. Wenn ich an sie denke, frage ich mich manchmal: Was für ein Kleid sie wohl jetzt anhat? Das, was nach dem Tod kommt, hat nämlich viel mit dem neuen Kleid zu tun. In der Bibel redet der Apostel Paulus über den Tod und was danach kommt. Das Verwesliche zieht die Unverweslichkeit an und das Sterbliche die Unsterblichkeit. Wie ein neues Kleid. Und dann, dann hat das Leben gewonnen. „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel?“. Das schreibt Paulus trotzig – und voller Hoffnung.

Nach dem Tod ziehen wir die Unsterblichkeit an wie ein neues Kleid. Aus dem Totenkleid wird ein Auferstehungskleid.

Im 15. Kapitel in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt Paulus über den Kern der christlichen Hoffnung – und über die Aussicht auf die Auferstehung. Für Paulus war das Ende aller Tage nah; er hat erwartet, dass Jesus schon bald wiederkommt. Wann auch immer das genau ist. Paulus wagt einen Blick auf die Zeit am Ende aller Tage. „Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber verwandelt werden; und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen und die Toten werden auferstehen.“ Posaunentöne sind das Signal dafür, dass alle verwandelt werden – die, die schon gestorben sind und die, die noch leben. Alle werden ein neues Kleid anziehen. Die Macht des Todes hat ihre Grenze.

Gestern haben auf vielen Friedhöfen Posaunen den Ostermorgen eingeläutet. An den Gräbern im Morgengrauen haben viele Menschen von der Auferstehung Jesu von den Toten gesungen. Die große Verwandlung vom endlichen zum ewigen Leben ist eine schwer zu fassende Aussicht, aber sie ist das Fundament meines Glaubens.

Das neue Kleid des Lebens verwandelt das Totenkleid. So machen Kleider Leute – und aus Toten Lebende. Mir gefällt diese Vorstellung, dass die Unsterblichkeit sich wie ein Kleid um mich in meiner Sterblichkeit legt. Dass all das Schmerzliche und Abgestorbene abgeschüttelt wird und das neue Leben kommt.

Am offenen Sarg von Benita haben wir lange gestanden, haben geweint und gebetet und irgendwann gesungen. „Befiehl du deine Wege.“ Da war die Verwandlung vom Tod zum Leben schon spürbar. Sie hatte sich auf den Weg gemacht. Bekleidet mit dem Totenkleid. Irgendwann werden wir uns wiedersehen – da bin ich mir sicher. Dann im neuen Gewand. Kleid der Unsterblichkeit. Unsterblich und unverweslich, lebendig und auferstanden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39623
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