SWR1 3vor8

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24MRZ2024
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Kann man Gott eigentlich sehen? Das wurde ich neulich von einem Konfirmanden gefragt. Ich habe ihm dann eine Geschichte erzählt, die mir gut gefällt. Es geht um ein Gespräch zwischen einem jüdischen Gelehrten und seinem Schüler:

„Früher gab es Menschen, die Gott direkt ins Gesicht geschaut haben. Warum gibt es das heute nicht mehr?“ Das fragt der Schüler seinen Lehrer. Der Lehrer neigt seinen Kopf, überlegt kurz und antwortet: „Weil sich niemand mehr so tief bücken will.“[1]

Wer Gott sehen will, muss sich herabbeugen, bücken, nach ganz unten schauen. So wird es auch in einem Brief in der Bibel erzählt, über den heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird. Jesus, der Sohn Gottes genannt wird, hat seine göttliche Pracht abgelegt und hat die Gestalt eines Knechtes angenommen, heißt es da. (Phil 2,5ff)

Und genau so haben die Menschen Jesus auch erlebt, wie einen Knecht. Er hat vor seinem Tod seinen Freunden die Füße gewaschen. Eine Arbeit eigentlich für Diener.

Jesus hat sich mit Leuten abgegeben, mit denen niemand sonst etwas zu tun haben wollte. Er hat Partei ergriffen: für die Frau, die Ehebruch begangen hat und verurteilt werden sollte.

Jesus ist in der Hierarchie ganz nach unten gegangen, um für die Menschen da zu sein. Er hat den Menschen gedient, nicht von oben herab geherrscht.

Und wie es aussieht, wenn man sich daran orientiert, das konnte man in den vergangenen Monaten in den Vesperkirchen begutachten. In vielen Kirchen gab es über die kalten Wintermonate für Menschen, die es brauchen, günstiges Essen, Kleider oder ärztliche Behandlung.

Dienen und nicht herrschen – mittlerweile haben auch viele Politikerinnen und Politiker die Vesperkirchen für sich entdeckt. Und helfen mit beim Spendensammeln oder bei der Essensausgabe. Das bringt natürlich gute Publicity; es ist aber auch eine echte Geste, ein Symbol, das sagt: "Ich habe die sozial Geächteten nicht vergessen. Ich kümmere mich um sie. Auch ganz praktisch." Es darf natürlich nicht bei Symbolen und Gesten bleiben. Hoffentlich berücksichtigen die Politiker ihre Eindrücke, die sie da mitgenommen haben, auch beim Regieren.

Dienen, nicht beherrschen. Ich finde überall da, wo Menschen Verantwortung für andere haben, ist es gut, sich daran orientieren.

 

[1] Gefunden auf: https://www.pfarrerverband.de/pfarrerverand-predigtimpulse/predigtimpulse-detailansicht?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=164&cHash=6bd59ed8b9cbb800b23eead7f8624ea8

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