SWR4 Abendgedanken

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22MRZ2024
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In der Bibel gibt es ein Gebet. Vielleicht kennen Sie es: „Aus der Tiefe rufe ich zu dir. Herr, höre meine Stimme! Lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens!“ (Ps 130, 1-2). Das ist aus Psalm 130. Und ich liebe diesen Vers, denn er zeigt: Schon immer, auch schon vor tausenden von Jahren haben sich Menschen in Not an Gott gewandt. Sie glaubten fest: Wenn sie zu Gott rufen, schreien, dann wird er sie hören. Dann wird er helfen.

Eine Kollegin von mir hat vor ein paar Wochen eine Predigt über dieses Gebet gehalten. Und die hat mich sehr berührt und fasziniert. Sie hat sich nämlich dieses alte Gebet ein bisschen genauer vorgeknöpft. Im Original wurde es auf Hebräisch geschrieben. Und wenn man diesen Originaltext liest und einmal anders übersetzt, dann landet man bei einer neuen Aussage. Und die ist auch wunderschön.

In der Übersetzung meiner Kollegin heißt es: „Aus Tiefen rufe ich Dich, Herr. Mein Herr, höre meine Stimme! Neige Deine Ohren der Stimme meines Flehens zu!“

In der Übersetzung, die uns die geläufige ist, klingt das so, als sei der Mensch, der betet, in der Tiefe. Im Loch. Er sitzt, sozusagen, ganz tief im Dreck. Aber im hebräischen Text der Bibel kann man das auch anders verstehen: „Aus Tiefen rufe ich Dich, Herr.“ Das heißt dann: Gott ist in der Tiefe. Und der, der betet, ruft ihn aus dieser Tiefe zu sich hoch. Dann ist Gott noch tiefer, als ich es bin. Er ist in jedem Elend immer schon da. Egal, wie tief ich gesunken bin, egal, wie dreckig es mir geht, egal, wie einsam oder verzweifelt ich bin, Gott ist immer schon da. Noch tiefer da. Und kann mich rausholen. Davon ist der Beter dieses alten Gebets überzeugt.

Wenn wir in tiefsten Nöten stecken, in Schuld verstrickt oder verursacht durch andere, wenn wir ganz, ganz unten sind, dann ist Gott immer schon da. Selbst dann, wenn wir es nicht mehr merken, uns völlig gottverlassen fühlen. Er ist da. Unter uns. Um uns aufzufangen und neu ans Licht zu holen.

Wie bei Jesus am Kreuz. Er war ganz, ganz unten, verzweifelt und fühlte sich gottverlassen. Und trotzdem. Gott hat ihn wieder ans Licht geholt. Das Dunkel, die Tiefe ist für Gott kein Hindernis. Eigentlich ist das schon die Osterbotschaft. Möge sie Sie durch die kommende Karwoche begleiten.

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