SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

19MRZ2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Seit einigen Jahren habe ich es mir angewöhnt, den Tag mit einem kleinen Ritual zu beginnen. Ich spreche ein Gebet und bitte für Menschen, die mir am Herzen liegen. Manchmal kommt mir auch ein Lied in den Sinn und ich singe aus voller Kehle und vollem Herzen. Ein singender, klingender Tagesbeginn.

Der Liederdichter Michael Weiße war ganz sicher auch ein Freund des singenden und klingenden Tagesbeginns. Sein Gebet ist uns unter der Nummer 438 im Evangelischen Gesangbuch überliefert, es heißt: „Der Tag bricht an und zeiget sich“.  Das Lied dankt zuerst für das Leben, kein selbstverständliches Ding, sondern ein großes Geschenk. Bei allem sollte der innere Schweinehund nicht das letzte Wort haben „das arge Fleisch so zwing und treib“ heißt das in der bildhaften Sprache des 16. Jahrhunderts. So, finde ich, kann ein guter Start in den Tag gelingen! Dankbar, vertrauensvoll, mutig und gesegnet. Außerdem füllen sich beim Singen die Lungen, das tut auch leiblich gut.

Wer war eigentlich Michael Weiße? Auf jeden Fall jemand, dem das Singen am Herzen lag. 1531 hat er das erste deutsche Gesangbuch der Böhmischen Brüder herausgegeben. Mit 157 Liedern war es das umfangreichste Gesangbuch der Reformation. Die Texte sind gesättigt mit reicher Lebenserfahrung, der Widerstände und Kämpfe, die dieser Mann auch um seines Glaubens willen durchgestanden hat. Ich stelle mir vor: Singend hat er sein Leben gemeistert, die Höhe- und die Tiefpunkte. Er fand für alles einen passenden Ton.

Auf dem Tag heute vor 490 Jahren lag dann leider kein Glück. Michael Weiße war zu einem Festmahl eingeladen. Aber der schöne Anlass endete tragisch. Die servierte Delikatesse war verdorben. Alle Gäste und auch der Gastgeber sind daran gestorben. Michael Weiße war noch keine 50 Jahre alt.

Die Menschen seiner Zeit haben der Endlichkeit des Lebens bewusster ins Auge geblickt als wir heute. Wenn sie um Segen für den Tag gebetet haben, dann war ihnen klar, dass sie nicht unbedingt den Abend erleben würden. „Was wir hier verweslich sä'n, wird einst unverweslich auferstehn“ hatte Michael Weiße einmal gedichtet. Ich hoffe, dass er in dieser Gewissheit auch sterben konnte. Dankbar, vertrauensvoll, mutig und mit dem Gefühl, dass er ein zwar kurzes, aber doch gesegnetes Leben leben durfte.

Überlebt haben Michael Weiße, ganz sicher, seine Lieder, seine Unterstützung für einen guten Start in den Morgen! Und: ist nicht jeder Morgen eine kleine Auferstehung?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39546
weiterlesen...