SWR4 Abendgedanken

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13MRZ2024
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„Seid heilig, wie Gott heilig ist!“* Und: „Liebt einander, wie Jesus euch geliebt hat!“**

Puh. Heilig sein wie Gott? Lieben wie Jesus? Das steht in der Bibel und bei so himmelhohen Ansprüchen muss ich erstmal schlucken. Wie soll ich das denn schaffen: So heilig und so voller Liebe zu sein? So überirdisch gut bin ich einfach nicht.

Da konfrontiert mich mein Glaube mit Ansprüchen, die ich gar nicht erfüllen kann. Wäre es nicht besser, wenn die Erwartungen realistischer wären? Sie würden dann viel besser zu meiner Lebenswirklichkeit passen. Statt „Liebt einander wie Jesus euch geliebt hat“, könnte es heißen: „Liebt einander, solange ihr euch miteinander wohlfühlt.“

Ich glaube aber, das würde nicht funktionieren. Denn dann wäre das, was eine Beziehung zwischen zwei Menschen sein soll, ja einfach identisch mit dem, was sie leider oft ist: also nicht ideal.

In der Bibel werden uns Ideale vorgestellt, eben zum Beispiel: „Wir sollen einander lieben wie Gott uns geliebt hat.“ Wenn ich dieses Ideal der unendlichen Liebe jetzt ändere, weil Beziehungen und Freundschaften zerbrechen, dann wäre das so, als würde ich sagen: Wir sollten aufhören, nach Gerechtigkeit zu streben, weil es immer Ungerechtigkeiten geben wird. Oder: Wir sollten nicht mehr an der Wahrheit festhalten, weil jeder Mensch lügt. Dabei ergibt all das erst umgekehrt einen Sinn: Lügen ist verpönt, weil es die Wahrheit gibt. Ungerechtigkeit wird bekämpft, weil Gerechtigkeit gut ist. Und zerbrochene Beziehungen sind deshalb so schmerzhaft, weil ich mich nach einer Liebe sehne, die kein Ende kennt.

Gerade dann, wenn alles so gar nicht ideal läuft, können mir die hohen Ansprüche aus meinem Glauben Orientierung geben. Wie zum Beispiel in der Freundschaft zu meiner ehemaligen Nachbarin. Seit ich in einer anderen Stadt wohne habe ich mich schon lange nicht mehr bei ihr gemeldet. Ich habe es nicht geschafft, eine „ideale“ Freundin zu sein. Aber ich kann ihr trotzdem eine gute Freundin sein und mir jetzt gleich das Telefon schnappen und bei ihr anrufen.

Ich glaube, genau das ist bei so hohen Idealen wie Liebe und Gerechtigkeit ganz wichtig. Sie wollen mich nicht verurteilen und klein machen, weil ich sie nicht erreiche. Sondern sie können mir ein Ziel zeigen, auf das ich mich zubewegen kann.

Liebt einander, wie Jesus euch geliebt hat! Und: Seid heilig, wie Gott heilig ist!

– das soll mich nicht überfordern. Es will mich motivieren!

 

* Vgl. Petr 1, 16.

** Vgl. Joh 15, 12.

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