SWR1 Begegnungen

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03MRZ2024
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Kerstin Söderblom Copyright: Gustav Kuhweide

Am Bildschirm bin ich mit Kerstin Söderblom verabredet. Ihr Buch „Queersensible Seelsorge“ hab‘ ich gerne gelesen und frage die Mainzer Hochschulpfarrerin erst mal, woher das Wort „queer“ eigentlich kommt.

Es heißt auf deutsch so was wie komisch, seltsam, verrückt, pervers. Es ist ein englisches Wort und ist eigentlich ein Schimpfwort für Lesben, Schwule, Trans- und Inter-Personen. Dieses Wort hat eine interessante Wendung gemacht. In den 80er/90er Jahren ist aus diesem Wort eine stolze Selbstbezeichnung geworden

„Queer“ – das klingt für manche ganz selbstverständlich. Anderen bleibt das Wort fremd und sie fragen sich, ob es keine wichtigeren Themen gibt. -  Kerstin Söderblom hat ihr Buch nun deshalb geschrieben, weil sie als Seelsorgerin herausgefunden hat: Es gibt gerade bei vielen jungen Menschen große Themen und Fragen rund um ihre sexuelle, geschlechtliche und religiöse Identität.

Mein Ziel war es, meine ersten drei Jahre als Hochschulpfarrerin auszuwerten, weil mir dort von meiner ersten Minute an sehr, sehr viele queere Personen begegnet sind, die bei mir Seelsorge und Beratung gesucht haben. Das war zunächst nicht zufällig. Ich bin selber offen lesbisch und das ist bekannt. Trotzdem war es für mich bemerkenswert, wie viele junge Studierende, Anfang zwanzig, im Grunde gekämpft haben mit ihrem Coming-out oder mit Fragen der Transition, also geschlechtsangleichenden Maßnahmen - und immer in Kombination mit Religion.

In diesen Begegnungen wird Kerstin Söderblom klar, wie wenig sich eigentlich geändert hat. Und das ist sehr auffällig, denn schließlich stimmt es doch auch, wenn die 60-jährige feststellt, was sich den letzten 30 Jahren verändert hat.

Kirchenrechtlich sind wir in den evangelischen Kirchen in Deutschland sehr viel weiter gekommen. Es gibt keine wirklich starke Form der Diskriminierung mehr, sondern Gleichberechtigung bis hin zur Trauung. Transpersonen müssen vielleicht die Gemeinde wechseln, aber es gibt absolut Anerkennung, dass selbstverständlich Transpersonen existieren und genau wie alle anderen Gottes geliebte Kinder sind.

Was theologisch richtig ist, ist eben noch lange keine selbstverständliche kirchliche Kultur. Was jahrhundertelang gelehrt wurde, lässt sich wohl auch nicht in einer Generation verändern. Und manchmal erleben queere Menschen Kirche auch als unglaubwürdig, weil zwar gesagt wird, dass „alle“ willkommen sind, aber sie dann doch ganz schnell spüren, dass sie gemieden oder ausgegrenzt werden. Oft ist ja auch vorausgegangen, dass

queere Personen sehr schlechte Erfahrungen in Kirchenräumen gemacht haben, in Gruppen, die gesagt haben, dass queere Personen sündig sind oder nicht gottgewollt sind oder Christ*innen zweiter Klasse.

Und deshalb gibt es immer noch einen hohen Bedarf an queersensibler Seelsorge – und es braucht eine Brückenbauerin zwischen schlechten und besseren Erfahrungen, zwischen gestern und heute, zwischen queerer und kirchlicher Welt.  Die Mainzer Hochschulpfarrerin wandert gerne zwischen Welten, die auf den ersten Blick nicht zusammen gehören.

Ich bin zwar Theologin und Pfarrerin, gleichzeitig auch lesbische und queere Aktivistin und setze mich sehr mit Fragen von sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechten auseinander. Da sehe ich mich als Brückenbauerin zwischen denen, die häufig gesellschaftspolitisch unterwegs sind und die zum Teil mit Kirche oder religiösen Kreisen überhaupt nichts zu tun haben. Und umgekehrt religiöse Kreise, die nicht so viel mit säkularen Menschenrechtsaktivisti*innen zu tun haben.  

Brückenbauen zwischen Menschen und Gruppen. Schon im römischen Reich eine priesterliche Aufgabe – und auch der Papst hat ja den Titel Pontifex Maximus, größter Brückenbauer. Kerstin Söderblom sieht ihre Begabung zum Brückenbauen vor allem seelsorglich. Sie erzählt mir davon, wie

ein schwuler Mann, der mit seinem Partner schon viele Jahre zusammen lebte  … aus dem Nichts an einem Herzinfarkt gestorben ist. Und das Problem war, dass die Eltern dieses schwulen Mannes nicht wussten, dass der Mann schwul ist und auch den Partner nicht kannten. Und nun ging es darum, wo wird der Mann beerdigt und wie wird diese Traueransprache gehalten, ohne dass da immer nur die Hälfte der Geschichte erzählt wird.

Und dann baut Kerstin Söderblom tragende Brücken: Sie bringt Partner und Eltern zusammen – und sie gestaltet eine für beide Seiten stimmige Beerdigung. Sie macht sensibel dafür, dass alles auch ganz anders sein kann. Sie lädt ein, die verborgenen Seiten des Lebens zu erahnen, zu würdigen und freizulegen. Ihre starke Motivation zum Brückenbauen schöpft sie aus der Erfahrung,

dass queere Menschen, die sich selbst als gläubig oder religiös bezeichnen, häufig solche sind, die zwischen allen Stühlen sind. Nämlich in der queeren Community häufig schräg angeguckt werden, weil sie noch was mit Religion und Kirche zu tun haben. Und in der … kirchlichen Welt, weil sie queer sind – und deshalb finde ich es gerade wichtig, dass kirchliche Orte da 'ne Sensibilität dafür haben, dass gerade diese Personen auch in religiösen Kreisen respektiert und angenommen werden.

Und in dieser Willkommenskultur geht es in meinen Augen nicht darum, die Interessen einer queeren Minderheit oder Lobbygruppe zu berücksichtigen. Es geht darum, eine Gemeinschaft zu sein, in der es sich erübrigt, in Kategorien von richtig und falsch, von stark und schwach, von Vielen oder Wenigen einzuteilen. Es geht um die ganze Kirche und um die Herzensmitte des Glaubens.

Das ist doch der christliche Auftrag, zu sagen: Du bist Gottes geliebtes Kind, in Gottes Ebenbild gemacht. Herzlich willkommen!

 

Mehr von Kerstin Söderblom:

https://kerstin-soederblom.de

 

Buchtipp: Kerstin Söderblom, Queersensible Seelsorge, Göttingen 2023

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39445
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