SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

01MRZ2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Kleine Testfrage: Welche Farbe haben Ihre Socken – ohne zu gucken. Ich bin über die Frage in einem Buch mit Wahrnehmungsübungen* gestolpert. Eine kleine Liste mit Fragen zum bisherigen Tag. Es hat Spaß gemacht, mich an bestimmte Dinge zu erinnern. Und als ich versucht habe, sie mir ins Gedächtnis zu rufen, da ist mir immer mehr eingefallen, was meinen bisherigen Tag zu einem ziemlich schönen Tag gemacht hat.

Die erste Frage in dem Buch hieß: Welche Tiere hast du heute gesehen? Ich habe mich an einen Hund mit Maulkorb erinnert, als ich meine Kinder zur Bushaltestelle gebracht habe. Und später habe ich eine Taube gesehen, die einen Balztanz aufgeführt hat.

In der zweiten Frage ging´s um besondere Gerüche. Da hatte ich den Duft von Kaffee in der Nase und den von frischem Brot, als ich an der Bäckerei vorbeigegangen bin. Und später dann diese typische abgestandene Bahnhofsluft.

„Hat dich heute die Sonne beschienen?“ war die nächste Frage. Kurz bevor ich die Frage gelesen hatte, war ich noch auf dem Bahnsteig gestanden und bin extra ein Stück aus dem Schatten in die Sonne gerückt, und sie hat mir wunderbar den Rücken gewärmt. „Hast du irgendwo Musik gehört?“ hieß es als nächstes. Und zu guter Letzt: „Wer hat dir heute zugelächelt?“

Auf den ersten Blick banale Fragen. Aber ich habe gemerkt: Man muss sich Zeit nehmen, um sie beantworten zu können. Denn eigentlich rauscht das Leben meistens Vollgas an mir vorüber. Manches, oder besser gesagt fast alles, nehme ich gar nicht mehr wahr. Schade eigentlich, denn ohne diese Fragen wären mir viele Momente gar nicht bewusst geworden und verloren gegangen. Und da gehören gar nicht nur die schönen Erfahrungen dazu. Auch Unangenehmes oder Sperriges lohnt es sich oft noch einmal genauer zu betrachten. Warum wohl hat der Herr am Schalter so gereizt reagiert? Und warum war die Stimmung so mies, als ich ins Büro gekommen bin?

Dinge wieder bewusster wahrnehmen, sie mir nochmal durch den Kopf gehen lassen – wie in Zeitlupe. Sie bedenken, wertschätzen oder mit gutem Grund zur Seite legen. In dem Buch mit den Wahrnehmungsfragen hieß es, dass man das ganz gut üben kann, das bewusste Wahrnehmen. Und dann wirkt es wie eine sanfte Bremse im Leben, und die tut mir einfach gut.

* Das Buch, aus dem die Wahrnehmungs-Übung stammt, ist von Susanne Niemeyer und heißt „100 Experimente mit Gott“, erschienen im Herder-Verlag, Freiburg, S. 142f.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39426
weiterlesen...