Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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27FEB2024
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„Weiß auch nicht genau, warum ich das mache mit der Notfallseelsorge“, sagt Freundin Claudia. Ich denke ja, sie kann nicht anders. Sie ist einfach gern für andere da, gefühlt Tag und Nacht. Wo immer sie gebraucht wird. Oder gerufen: ehrenamtlich, als Notfallseelsorgerin bei Unfällen, in Krisen oder Katastrophen. „Das ist immer schlimm, aber der Einsatz in Ludwigshafen neulich hat mich erschüttert“, sagt sie.        

Eine Bombe wird entschärft. Hochhäuser müssen geräumt, die Bewohner beruhigt werden. Ein Rot-Kreuz-Zelt ist aufgebaut, für Essen gesorgt. Auch die Dame um die achtzig, wacklig auf den Beinen, muss ihre Wohnung verlassen. Mit Transportrollstuhl im Aufzug wird sie nach unten gebracht. Sie wirkt aufgewühlt. „Ich esse mit ihnen“, sagt meine Freundin und schiebt sie an den Tisch. „Lecker“, sagt die alte Dame, und weint in die Spaghetti Bolognese. „Seit fünf Jahren“, schnieft sie, „können Sie sich vorstellen, seit fünf Jahren hat niemand mehr mit mir zusammen gegessen“.

„Kannst du dir das vorstellen“, sagt Claudia, „da wohnen so viele Leute nebeneinander und sie ist immer allein“. Genau wie der Mann, der zunächst nicht aus dem Zimmer will, erzählt sie weiter. Seine Kinder leben in England und Asien, besuchen ihn ab und zu. Aus dem Hochhaus traut er sich aber nicht allein. Als auch er nach unten gebracht wird, blinzelt er in den Himmel, seine Stimme zittert: „Seit sechs Jahren das erste Mal wieder im Freien.“

Auf dem Rückweg aus Ludwigshafen hat sie geweint, meine Freundin. „Wahnsinn, wie einsam unsere Alten sind“, sagt sie, „mal miteinander reden, essen, spazieren gehen. Kostet nicht viel Zeit und ist so kostbar. Darum“, fällt ihr ein, „darum mach ich Notfallseelsorge. Ich seh´, was wirklich nötig ist – und das erdet mich.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39409
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