SWR3 Gedanken

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22FEB2024
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„Gott ist tot!“, ruft der Zweitklässler Samuel laut in den Klassenraum. 
„Huch“, denke ich. Wo kommt das plötzlich her? Ich bezweifle, dass Samuel den Philosophen Nietzsche kennt. Der hat das mal gesagt: „Gott ist tot“

Wie kommt mein 2. Klässler also da drauf?

„Gott ist tot!“ Samuel wiederholt vehement seine Aussage und ich bin gespannt auf seine Erklärung. „Ja, Gott ist doch im Himmel! Also ist er tot. Denn alle Toten sind im Himmel.“

Um ihn herum kräftiges bejahendes Nicken der anderen Kinder. Es scheint sie für alle vollkommen logisch.

Nur Lisa meldet sich und sagt: „Meine Mama hat gesagt, meine Oma ist im Himmel und lebt jetzt mit Gott und Jesus da oben.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu. „Also ist meine Oma nicht richtig tot und Gott auch nicht. Sie leben im Himmel“

Schweigen. Jetzt sind alle irgendwie ratlos. Ist Gott nun tot oder lebendig? Und was hat Jesus nochmal damit zu tun?

So sieht eine typische Reli-Stunde aus. Das eigentliche Thema ist vergessen und ich befinde mich mit meinen Schülern mitten in einer spannenden theologischen Fragestellung. Ich liebe das!

Und habe besonders in diesen Situationen den Eindruck: Die Kinder nutzen den Reli-Unterricht, um eigenen Fragen nachzugehen.

Gegner des christlichen Reli Unterrichts behaupten ja, er würde die Kinder manipulieren und ihnen den Glauben aufzwingen.

Ich bin vom Gegenteil überzeugt. In Reli lernen die Kinder logische Schlüsse zu ziehen, aus dem, was sie von Erwachsenen über Gott gehört haben. Das zeigt das Beispiel von Samuel und Lisa:  Sie zweifeln. Sie stellen in Frage. Sie glauben nicht alles und sie denken selbst. In Reli ist der Ort für die großen Sinn-Fragen, die alle Menschen haben. Wie schön, dass unsere Kinder Raum und Recht bekommen, ihre Fragen zu stellen. Und ich dabei sein darf, wenn sie Antworten suchen.

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