SWR1 Begegnungen

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18FEB2024
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Bettina Klünemann Foto: Dagmar Brunk

Annette Bassler trifft Bettina Klünemann, Notfallseelsorgerin, Flughafenpfarrerin Frankfurt/Main

Teil 1- Halt im freien Fall

Bettina Klünemann ist Pfarrerin am Frankfurter Flughafen und war schon immer Notfallseelsorgerin. Angefangen hat sie damit in den USA. Im Brennpunktviertel einer Großstadt. Im Krankenhaus dort war sie Teil des Teams. Das hat im Emergency-Room die akuten Notfälle aufgenommen und behandelt.

Das war jetzt Downtown, das heißt, wir hatten jede Nacht Leute, die mit Stichverletzungen, nach irgendwelchen Bandenkriegen, mit Schussverletzungen angekommen sind. Leute, die nach Autounfällen angekommen sind.

Und in der Situation hat sie sich erst mal um die Angehörigen gekümmert.

Und dann konnte ich einfach versuchen, den Druck von dem Rest des Teams wegzunehmen, um zu erklären, was sind die Prozesse im Krankenhaus, was ist, was brauchts, wie werden sie versorgt und sowas.

Ein Theologe hat mal gesagt: „Dem Hungrigen erscheint Gott als ein Stück Brot.“ Also- Gott erscheint immer als das, was Leben rettet. Das Ärzteteam behandelt dazu den Körper. Was „behandelt“ Bettina Klünemann?

Die Leute brauchen Unterstützung. Denen gibt man nicht nur einen Stuhl und ein Glas Wasser, sondern da ist es gut, wenn da jemand noch mit dabei ist, einfach Zeit mit denen verbringt und hilft, einfach so eine Leitplanke zu sein in der Situation.

Da sein- mit viel Zeit und Aufmerksamkeit. Das leuchtet mir ein. Aber wie kann man Leitplanke sein für Menschen, die von jetzt auf gleich in eine Katastrophe geraten sind und die den Boden unter den Füßen verloren haben? Die gerade ins Bodenlose fallen?
Vielleicht dadurch, dass man selber Halt ist, mit seiner ganzen Person?

Dieses Sprichwort „Not lehrt beten“ ja also, wenn die Menschen selbst in dem Moment das nicht gekonnt haben. Aber dann haben sie mich vielleicht auch gebeten. Und wussten, dann ist es da in guten Händen. Oder: „Die findet vielleicht jetzt Worte, wo ich keine Worte finden kann.“  

Es ist ein großes Geschenk, wenn jemand sich in der Not plötzlich gehalten fühlt. Das kann man nicht machen. Als Notfallseelsorgerin erlebt Bettina Klünemann aber oft, dass ihr Vertrauen ansteckend ist. Das Vertrauen, dass man nicht tiefer fallen kann als in Gottes Hand. Das wirkt weiter. Sogar bei Muslimen. Als Seelsorgerin am Frankfurter Flughafen hat sie heute öfters mit Muslimen zu tun. Und immer sind die dankbar, wenn sie da ist.

Weil die oftmals in dem Moment, wo sie hören, dass ich Pfarrerin bin, dann wissen:  das ist ein Mensch, der glaubt! Also das ist jemand, der hat irgendwie eine Verbindung zu einer höheren Macht! Das ist auch jemand, der betet zu Gott! Und dann, ist das wie so oft, dass wir auch miteinander beten können. Oder dass sie auch sagen: Beten Sie für uns!

So schrecklich die Not dann ist, kann sie aber auch ein Auslöser dafür sein, neue, gute Erfahrungen mit Gott und den Menschen zu machen.

Teil 2- Notfallseelsorgerin werden

Notfallseelsorge ist bei kleinen und großen Katastrophen kaum noch wegzudenken. Bettina Klünemann war schon immer als Notfallseelsorgerin im Einsatz. Erst im Krankenhaus, dann in der Gemeinde und jetzt, mit 59 Jahren am Flughafen Frankfurt. Immer wieder kommt es vor, dass Reisende ganz plötzlich versterben, dass deren Angehörige in der Fremde völlig orientierungslos sind, dass aus Krisengebieten Leute nur mit den Kleidern auf der Haut ankommen und versorgt werden müssen. Was macht sie dann?

Bevor ich meine Jacke überziehe, überlege ich wirklich: Bin ich jetzt im Moment die Richtige? Auch wenn ich noch nicht genau weiß, was mich da erwartet. Aber in dem Moment, ich muss wirklich auch für mich innerlich abchecken, was hab ich an dem Tag gemacht? Hab ich die Kapazitäten innerlich und haben es auch die Leute die mit mir kommen?  

Die mitkommen, das sind Leute aus allen möglichen Berufen, die ehrenamtliche Notfallseelsorger sind. Die werden zuerst auch von Bettina Klünemann dafür ausgebildet. Und sie lernen: das allererste und Wichtigste ist- achtsam zu sein.

Was ist da? Einfach mal die Situation wahrzunehmen, möglichst alles wahrzunehmen. Also diejenigen, die da gerade am Arbeiten sind vom Rettungsdienst, vom Notarzt, Notärztin, von der Polizei eventuell. Alle die, die da gerade in Aktion sind.

Dabei ist es wichtig, den spontanen Gefühlen und Impulsen nicht gleich zu folgen. Sondern genauer hinzusehen, auch auf sich selbst. Hinhören, sich einfühlen und- die Nähe aushalten zu den Betroffenen. Das muss man wollen. Das kann man aber auch lernen in so der Ausbildung. Mitbringen sollte man eine gewisse körperliche Fitness für Einsätze im Freien und eine gewisse Lebenserfahrung. Am wichtigsten aber ist die Freude, sich auf Menschen einzulassen. Ohne darauf zu schauen, welches Alter, welche Religion, welche Kultur dieser Mensch hat, der da Hilfe braucht.

In der Bibel kennen wir die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Und das ist genau der, der anders ist, der anders glaubt und der auch anders lebt und der andere Grundsätze erstmal hat und Werte.

Mit dieser Geschichte hat Jesus erzählt, wie wir das Gebot der Nächstenliebe verstehen sollen. Nächstenliebe kennt nämlich keine Grenzen. Sie gilt über die eigene Nation hinaus. Über die eigene Ethnie und die eigene Religion hinaus. Christliche Nächstenliebe gilt allen Menschen, weil alle Menschen Gottes Geschöpfe sind. Und deshalb kann die Kirche, die Nächstenliebe lebt, immer nur eine Kirche für alle Menschen sein. Bettina Klünemann erinnert sich an eine junge Frau. Die war aus der Kirche ausgetreten, hat sich aber zur Notfallseelsorgerin ausbilden lassen. Und die sagte mal:

Weißt du, Bettina. Ich hab jetzt erst hier am Flughafen verstanden, warum es eigentlich Kirche gibt und für was Kirche da ist! Und dann denke ich mir: Mensch, das ist gut. Ja, das ist wirklich gut. Dass wir für andere da sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39368
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