SWR4 Abendgedanken

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15FEB2024
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Ich weiß nicht, wie ich das immer hinbekomme…

Meine Brille ist wieder mal verbogen. Ich merke, dass sie an einem Ohr drückt und am anderen leicht hochsteht. Nicht viel, aber genug, dass es mich stört.

Auf meinem Weg von der Arbeit heim gibt es einen Optiker, da habe ich meine Brille zwar nicht gekauft, aber weil es so schön praktisch ist, flüchte ich mich da immer hin, wenn es mal wieder so weit ist.

Es ist mir schon ein wenig unangenehm, wenn ich da wieder mit meiner verbogenen Brille stehe und wieder um Hilfe bitte. Die Optikerin dort lächelt mich wie jedes Mal an und sagt: „Kein Problem. Geben sie sie mir.“

Sie verschwindet hinter einem Vorhang und ich höre, wie sie sich an die Arbeit macht.

Nach ein paar Minuten kommt sie wieder, reicht mir die Brille und sie passt perfekt. Ich frage wie immer ein wenig kleinlaut: „Was bekommen Sie dafür?“

Jedes Mal, wirklich jedes Mal, strahlt sie mich an und sagt: „Nichts.“

Ich hab noch nie etwas in diesem Laden gekauft. Ich bin ein echt schlechter Kunde. Aber, wenn ich aus diesem Brillengeschäft rausgehe, ist für meinen restlichen Nachhauseweg alles gut. Wenn nicht sogar länger. Weil die Verkäuferin mir nicht nur meine Brille zurechtgebogen hat, sondern auch meinen ganzen Tag. Mit wenigen Worten, einem Lächeln und dieser unglaublichen Herzlichkeit.

Auf meinem Weg nachhause ist mir sonnenklar: „Es braucht so wenig. Es reichen ein paar Worte, wenn sie ehrlich sind und so eine freundliche Zuwendung in ihnen steckt.“ Seinen Mitmenschen etwas Gutes zu tun ist so einfach. Ok, ich kann keine Brille zurechtbiegen. Aber ich kann den Alltag meiner Mitmenschen zurechtbiegen.

Vielleicht ist es mit meiner zurechtgebogenen Brille und dem Lächeln, wie mit dem Senfkorn, von dem Jesus einmal erzählt hat. Das hat er als Vergleich hergenommen, wie aus etwas Kleinem etwas Großes werden kann. Ein einziges Lächeln ist was Minikleines und trotzdem kann es eine große Wirkung haben.

Wahrscheinlich ist der Optikerin gar nicht bewusst, wie gut sie meinen ganzen Tag gemacht hat. Und ich weiß nicht, was ich mit meinem Lächeln bewirke. Ein kleiner Moment kann alles verändern.

Meine Brille wird irgendwann wieder verbogen sein. Und ich freue mich jetzt schon darauf, dort wieder zu sein. Für die paar Minuten, die wenigen Worte und dieses wunderbare Lächeln.

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