SWR1 Begegnungen

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04FEB2024
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Cheyenne Dziurczik Foto: privat

Wolf-Dieter Steinmann trifft Cheyenne Dziurczik aus Mainz, ehrenamtliche Hospizbegleiterin.

Mitten im Gespräch mit Cheyenne Dziurczik ist mir dieser Satz eingefallen: „Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel.“ Stimmt, sie hat auch was von nem Engel: geerdet, himmlisches Lachen, Lebensfreude und Hingabe zu Menschen.
Beim ambulanten Hospizdienst in Mainz engagiert sich Cheyenne Dziurczik ehrenamtlich, schenkt ihre Zeit. Z.B. einem noch gar nicht so alten Mann.

Er ist jetzt 65. Leider an Krebs erkrankt. Wir halten telefonisch regelmäßig Kontakt und ja, trinken auch des Öfteren mal einen gemeinsamen Tee zusammen.

Sie ist noch keine 30 Jahre alt. Trotzdem macht sie das und sie würde auch ins stationäre Hospiz mitgehen, wo Sterbende in den letzten Wochen begleitet werden. Leben solle auch dort spürbar sein.

In meinen Begleitungen geht es ganz, ganz viel um das Leben, gar nicht mal extrem viel um den Tod oder das Sterben an sich. Das ist natürlich auch Thema. Ich denke, das ist auch für die Verarbeitung sehr wichtig, dass man auch auf die lustigen und schönen Dinge im Leben zurückblicken kann. Es wird schon sehr viel gelacht.

Und lacht dabei. Das Leben soll immer wieder blühen. -
Damit man als Ehrenamtliche reflektiert begleiten kann, durchläuft man bei der Mainzer Hospizgesellschaft einen Grund- und Aufbaukurs. Weit über 100 Stunden.

Wie gehe ich mit den Sterbenden um, wie ist die Kommunikation, aber auch, warum entscheide ich mich dafür, ehrenamtlich in diesem Bereich tätig zu sein? Wo sind meine eigenen Grenzen?

Ihr erster Freund ist ums Leben gekommen, da war sie 15. Das war traumatisch. Aber nicht traumatisierend. Cheyenne engagiert sich auch, weil sie menschlich wachsen will, und aus Neugierde.

Was passiert noch mal am Lebensende und was sind auch noch mal Ziele oder Gedanken von den Menschen.
Dadurch, dass ich da sehr, sehr viel mit mir selbst dann auch irgendwie erarbeitet habe, war das dann so der Weg.

Sie will begleiten, Angehörige entlasten, und auch mal ein bisschen ablenken. Die Krankheit soll nicht alles beherrschen.

 Ja, die Krankheit, das ist einfach Scheiße. Da steht die Welt erstmal komplett auf dem Kopf. Aber es gibt eben auch am Lebensende noch schöne Seiten. Das zu zeigen, mitzugeben. Das ist viel mehr die Intention dahinter als den Leuten zu helfen, weil das kann ich nicht.

Sie gibt Zeit und Lebensfreude, damit auch diese Phase des Lebens, ja, „gefeiert“ wird. Das Leben geehrt. Aber dann muss ich sie doch auch fragen: Kriegt sie auch was zurück? Ja, sagt sie, viel Dankbarkeit.

Und noch mal ein anderes Lebensgefühl. Weil man einfach noch mal geerdeter wird: Diese kleinen Alltagssituationen, über die man sich banal aufregt, die sind nach den Begleitungen verpufft. Das Leben ist eigentlich so schön. Man kann dankbar sein für das, was man hat.

Ich bin sicher: Cheyenne Dziurczik tut Menschen gut. Wenn sie mit Schmerzen  zu ihr, als Physiotherapeutin, kommen. Demnächst wird sie andere dazu auch ausbilden. Mit noch nicht mal 30.
Und auch ehrenamtlich tut sie gut: begleitet Sterbende ambulant über die Mainzer Hospizgesellschaft. Kraft dafür geben ihr die Supervision dort und sie hat Rückhalt im Netzwerk ihrer großen Familie. Das trägt. Vor 50 Jahren sind ihre Großeltern aus Polen gekommen.

Kraft nehme ich tatsächlich viel aus meinem familiären Umfeld, aber auch der Rollendefinition.
Ich fühle als Cheyenne sehr mit, hab am Sterbebett auch geweint. Aber ich trauere danach auch nicht weiter. Es ist dann ein Abschluss, den man finden muss, dann hat man eben auch wieder Energie für was Neues.

Vermutlich kann man sich auf neue Begegnungen nicht ganz einlassen, wenn man nicht Abschied nehmen konnte. Und dazu spielt auch der Kopf eine wichtige Rolle: Welchen Sinn sieht man für die, die uns vorausgehen.

Tatsächlich ist es so für mich, dass alle irgendwie in den Himmel kommen. Für mich gibt es keine Hölle. Und ab und zu hab ich auch den Eindruck, dass in verschiedenen Situationen dann wirklich auch kleine Schutzengel draus werden. Und man so Situationen als Angehöriger auch ein Stück weit besser verkraften kann.

Diese umfassend lebensbejahende Einstellung hilft wohl, dass sie ihrem Anspruch gerecht werden kann: Ganz da zu sein für Angehörige und Gehende. Sie will dem gerecht werden, dass auch das Lebensende individuell ist und das auch mit ermöglichen.

So sein, wie man ist. Ohne irgendwie die Menschen versuchen wollen, in eine Richtung zu lenken. Alles fühlen zu lassen, was irgendwie an Emotionen aufkommt, es ist alles erlaubt. Dass keiner wirklich alleine ist, da sein und zuhören.

Sie erlebt, dass sie dabei auch selbst sehr viel bekommt. Sie hatte Sorge, gibt sie zu, als sie zum ersten Mal im Hospiz dabei war in der letzten Stunde. Aber es muss gut gewesen sein.

Weil das ein unheimlich friedlicher Moment war. Da habe ich das erste Mal so die Ehrfurcht gespürt und ganz tiefe Dankbarkeit. Dass ich einfach diesen Moment miterleben durfte.

Zum Abschluss gibt mir Cheyenne Dziurczik noch etwas ganz Praktisches mit. Klingt beinahe wie eine Kleinigkeit. Aber vielleicht ist es in Wahrheit doch auch fundamental, wie es uns gelingen kann, einander menschlich loszulassen.

Immer sich verabschieden. Wenn es nur gerade mal eine Kaffeetasse oder, ja, mal ein Toilettengang ist, sollte man sich vorher verabschieden.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39288
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