SWR3 Gedanken

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08FEB2024
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„Tante, ich kann jetzt nicht“, erklärt mir mein kleiner Neffe, „ich bin traurig.“ Sagt es, stapft in sein Zimmer, setzt sich auf sein Bett und bespricht sich mit seinem Stoffhund. Ein, zwei Stunden später kommt er gut gelaunt auf den Balkon, schnappt sich ein Stück Melone und spuckt mit großer Freude die Kerne unten auf die Wiese.

Traurigsein kann so schön sein!

Ich denke an meine Jugend: wenn ich als Jugendliche traurig war, habe ich es regelrecht zelebriert, habe mich dramatisch zurückgezogen, Gedichte geschrieben und große Bilder gemalt.

Heutzutage habe ich gar keine Zeit mehr, einfach mal traurig zu sein. Ich befürchte, wenn ich mal sage: „Sorry, heute nicht, ich bin jetzt mal kurz traurig.“ Meine Familie würde schon mal Depression googeln. Freunde würden fragen, ob ich Burnout hätte.

Und wehe, es weint mal jemand offen irgendwo…
Dabei hatten und haben wir ja durchaus Grund, auch mal traurig zu sein.
Es gab und gibt traurige Momente im Leben: Verletzungen, Trennungen, Menschen, die einem nahe standen, die gestorben sind.

Ich gehöre ja auch zu den Menschen, die weinen, wenn sie einen schönen Film sehen. Hilflos-traurig macht mich auch, wenn ich mitbekomme, wie Menschen anderen Menschen und Lebewesen weh tun.
Egal, warum. Ich denke, wir sollten hin und wieder traurig sein dürfen. Das ist wichtig, weil es zum Menschsein gehört, weil das Leben manchmal traurig ist. Wir sollten der Traurigkeit wieder ein bisschen mehr Raum geben in unserem Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39270
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