SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

02FEB2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Seit vielen Jahren treffen sich Menschen der jüdischen, muslimischen und christlichen Gemeinden aus Emmendingen. Wir sitzen gemeinsam um einen Tisch, essen, lachen, unterhalten uns über unsere Religionen und planen gemeinsame Veranstaltungen. Über die Zeit ist ein vertrauensvolles Verhältnis entstanden. Aber nach dem schrecklichen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, habe ich mich kurzzeitig gefragt, ob unsere Freundschaft stark genug ist, diesen Konflikt zu überstehen.

Unser erstes Treffen danach war für den 9. November geplant. Zu dieser Zeit hat Israel die Hamas im Gazastreifen angegriffen. Bei den Angriffen sterben unschuldige Menschen. In Deutschland ist die gesellschaftliche Stimmung angespannt und gespalten. Ein Teil der Menschen solidarisiert sich mit Israel, ein anderer mit den Palästinensern. Es gibt antisemitische Hetze und jüdische Menschen und Einrichtungen werden angegriffen. Deshalb frage ich mich, wie unser Treffen unter diesen Vorzeichen werden wird.

Am Abend sind dann zumindest mal alle da. Und dann gleich die erste Frage von den Muslimen an die Juden: „Wir verurteilen und verabscheuen das, was die Hamas gemacht hat, zutiefst. Aber jetzt leiden, hungern und sterben durch die Angriffe Israels viele Menschen im Gazastreifen, vor allem auch Frauen und Kinder. Wie können wir als Muslime solidarisch mit den Palästinensern sein, ohne als antisemitisch zu gelten?“

Ein steiler Einstieg. Ich muss erstmal tief durchatmen, auch weil ich zuvor erfahren habe, mit welcher Angst unsere jüdischen Freunde gerade leben, Angst um Verwandte in Israel, und weil Juden in Deutschland verstärkt angefeindet werden. Aber der Rabbiner antwortet ruhig und für mich sehr beeindruckend. Er sagt: „Wir sind uns einig, dass wir es furchtbar finden, dass unschuldige Menschen sterben. Und trotzdem fühlt sich jeder einer Seite in diesem Konflikt näher: Ich den Menschen in Israel, weil es mein Volk ist, und ihr den Palästinensern, weil sie Muslime sind. Das ist doch normal, so sind wir Menschen.“

Vielleicht war dieser Satz der Schlüssel, dass wir an diesem Abend und darüber hinaus weiterhin gut miteinander reden können. Wir erlauben unserem Gegenüber, sich in einem Konflikt der anderen Seite näher zu fühlen, ohne ihm vorzuwerfen, unmenschlich zu sein. Wir fordern nicht, die Seite zu wechseln, aber wir erwarten, auch das Leid und den Schmerz der jeweils anderen Seite zu sehen und anzuerkennen.

Von Menschen, die unmittelbar betroffen sind, ist das vielleicht zu viel verlangt, aber wir können uns darum bemühen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39263
weiterlesen...