SWR2 Wort zum Tag

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09FEB2024
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John war Engländer. Und ein unglaublich feinsinniger, liebenswerter Mensch. Ich habe ihn während eines Jobs in meiner Studentenzeit kennen gelernt. Wir haben zusammen in Heidelberg einen Laden renoviert. Den Boden neu gefliest, eine Zwischenwand eingezogen, Wände verputzt und gestrichen, Stuck an der Decke angebracht, eine Theke montiert. Alles, was bei einer Renovierung eben zu machen ist. „Well done“, pflegte er immer zu sagen, „gut gemacht!“, wenn uns etwas gut gelungen war. In den Arbeitspausen sind wir uns nähergekommen. Er hat von sich erzählt:

Mit zwölf Jahren war er wegen seines gewalttätigen Vaters von zu Hause fortgelaufen. Und seitdem auf der Straße. Hat sich so durchgeschlagen. Bis nach Italien und Spanien immer wieder auf Baustellen gearbeitet. In Italien hat er auch seine Frau kennengelernt, die wie er auf der Straße gelebt hat. Am Strand haben sie sich selbst ein Eheversprechen gegeben, mit selbstgemachten Ringen aus Metall. Und seitdem sind sie zusammengeblieben. Schließlich in Deutschland gelandet. Über die Diakonie haben sie eine kleine Wohnung bekommen und haben, obwohl sie schon beide Ende vierzig waren, damals Arbeit gefunden. John hat immer gelacht vor Glück, wenn er davon erzählt hat, dass sie nun nicht mehr auf der Straße leben müssen, eine Wohnung und sogar ein Einkommen hatten. Auch sein Alkoholproblem hat er in den Griff bekommen.

An ihn muss ich oft denken, wenn ich lese und höre, dass in Politik und Gesellschaft zunehmend pauschal von Sozialschmarotzern, Betrügern und Kriminellen die Rede ist, wenn es um Bedürftige, Sozialhilfeempfänger und Migranten geht. Ich bestreite nicht, dass es unter ihnen schwarze Schafe gibt. Unter Umständen etliche. Wir sollten aber nicht außer Acht lassen: Es sind Menschen, um die es geht. Pauschale Vorverurteilungen lassen diesen Blick der Mitmenschlichkeit nicht mehr zu. Ich befürchte aber, wenn wir aufhören, den Menschen zu sehen, wird unsere Gesellschaft, wird unsere Welt immer unmenschlicher.

John hat damals eine Chance erhalten. Auch wenn seine Biografie, sein Alkoholproblem offengelassen hat, ob er sie würde nutzen können. Aber er hat die Möglichkeit auf ein Zuhause bekommen. Und dann auch auf Arbeit und ein eigenes Einkommen. Und John hat diese Möglichkeit ergriffen. Und konnte dadurch sein Leben ändern. „Well done“, habe ich damals zu ihm gesagt. Und wir haben fröhlich zusammen gelacht.

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